War’s wirklich wahr? Wir addierten noch einmal
unsere Fotos, die wir beide gemeinsam in zehn Tagen Südafrika mit zwei
Kameras gemacht hatten. Es blieben 2.908, die wir speicherten. Und was
zeigten sie vor allem? Wilde Tiere und unbekannte Landschaften. Als bei uns
in Norddeutschland der Frühling einziehen wollte, hatten wir in Kapstadt
unsere Reise begonnen, die weiter an der Südküste entlang, später in den
Krüger Nationalpark führte und in Johannesburg endete. Zwölf Tage – zu
wenig, um ein Land kennenzulernen und zu viele, um es zu vergessen.
Städte und Stätten
Die Städte gefielen uns, je kleiner und je älter
sie waren, desto mehr. Um Ostern herum sah Kapstadt leer aus. Eine gepflegte
Innenstadt, lebendige Viertel am Hafen, die ASTOR hatte dort festgemacht,
ehe sie in den Weiten des Südatlantiks auf ihrer Rückreise von Australien
nach England verschwand. Wir spürten an zwei Abenden etwas von dem
swingenden Geist dieser ältesten Stadt des Landes und verstanden, warum sie
vor allem junge Leute so anzog.
Anders Johannesburg, die größte Stadt des Landes:
Eine kurze Rundfahrt am Ende der Reise zeigte in der Altstadt Staub, blinde
Fenster, leere Hochhäuser, Erinnerungen an große Hotels, viel
Unaufgeräumtes, Schmutz. Pretoria lockte, sehr englisch, ganz gepflegte
Hauptstadt. Die kleinen Orte luden sehr viel mehr zum Verweilen ein: Paarl,
Knysna und vor allem Stellenbosch. Da wären wir gern länger durch Läden und
Cafés gestöbert. Das galt auch für die Drostei in Swellendam. Museen
zeigten, welche Geräte Schmiede, Böttcher, Ärzte und Bauern hier einst
benutzt hatten – kaum andere als in Europa.
Geschichte als Auswahl
Was hatten wir erwartet? Mehr Geschichte – aber
welche? Antje, die uns führte, hielt sich wie fast alle Kollegen in anderen
Ländern, mit politischen Bemerkungen zurück, mit Mandela endete ihre
Geschichte. Von Portugiesen, die als erste Europäer Südafrika umrundeten und
schließlich in Indien landeten, erfuhren wir nur an einem einzigen Ort – in
Mosselbay. Was wir sonst im Lande wahrnahmen, begann mit den Holländern, die
1652 in Kapstadt einen Stützpunkt ihrer Vereinigten Ostindischen Companie
gründeten. 1806 verloren sie ihn an die Briten.
Die folgende britisch-burische Auseinandersetzung
war noch im späten 20. Jahrhundert spürbar. Als Petra 1981 Johannesburg
besuchte, sprach man entweder Englisch oder Afrikaans, und wechselte nicht
etwa eines Besuchers wegen in die andere, die man auch beherrschte.
Inzwischen hat sich alles geändert. Die Republik Südafrika hat elf
offizielle Landessprachen. Wer in einer dieser Sprachen an staatliche
Stellen schreibt, dem muss in der Sprache seines Briefes geantwortet werden.
Fast ein Heiliger
Südafrika hat einige bedeutende Männer
hervorgebracht. Einer von ihnen genießt Verehrung fast wie ein Heiliger –
Nelson Mandela. Er saß ohne Unterbrechung 26 seiner 95 Lebensjahre in
Gefängnissen der weißen Minderheit und wurde nach seiner Entlassung der
erste schwarze Präsident des Landes. Die Macht hatte, auch unter massivem
Druck des Auslands, die Farbe gewechselt. Noch heute ist der ANC, der
African National Congress, die mächtigste Partei des Landes und stellt
Präsidenten und Minister. Wir lasen enthüllende Schlagzeilen, deren Gewicht
wir nicht einschätzen konnten. Mandelas geduldige Weisheit und Größe hat
wohl keiner mehr.
Er ist in Bildern und Denkmalen ubiquitär, überall
präsent. Besonders erinnert: sein Bild auf ein Straußenei gemalt und als
Souvenir angeboten, eine Statue vor dem Gefängnis und schließlich einen
Giganten, der in Pretoria mit begeisternder Gebärde vor den Union Buildings
mit den Amtsräumen des Präsidenten und der Regierung europäische Besucher
verblüfft. Derartiges hatte man auf dem alten Kontinent mit dem Verschwinden
des Kommunismus von den Sockeln gerissen. Weit im Süden Afrikas hat man dazu
andere Vorstellungen. Aus weißer Macht wurde mit Mandela schwarze Macht, die
friedlich miteinander auskommen. Es soll, so hörten wir, früher Jobs gegeben
haben, die man nur als Weißer bekam.
Heute bekäme man sie, wenn man Schwarzer ist. Übrig
geblieben sind Menschen, die weder das eine noch das andere sind. Neil,
unser Fahrer, sah aus wie ein wohlhabender Ladenbesitzer in Süditalien am
Ende eines sonnenreichen Sommers. Er galt einst als „Coloured”, zwischen
Weiß und Schwarz angesiedelt. An seiner Lage habe sich seit Mandela wenig
geändert, sagt er heute.
Weine aus und in Südafrika
Zwei Weinproben standen auf dem Programm, bei
Stellenbosch und bei Franchhoek. War das der Wein, den wir in Europa als
Kapwein kennen, fragten wir uns beide Male nach den Proben? Klare, wohl
temperierte Weine, aber zu jung, um geliebt zu werden. Die Stewards, die die
Weine vorstellten, lobten ihr Potential. Dieser werde sich zu diesem, jener
zu einem anderen hervorragenden Wein entwickeln. Also Wein auf Hoffnung
kaufen? Dazu mochten weder wir noch andere Mitreisende sich entschließen.
Man lobte im fernen Südafrika seine heimischen Winzer, bedankte sich für die
freundliche Begrüßung, verabschiedete sich und suchte abends auf der
Weinkarte aus, was man an Südafrikanischem für gut und sofort trinkbar hielt
– und das war viel.
Die Kraft eines Namens
Wenige Länder grenzen gleich an zwei Ozeane,
Südafrika gehört dazu. Atlantischer und Indischer Ozean treffen aufeinander
und keineswegs nur friedlich. Bartolomeo Diaz, portugiesischer Entdecker,
nannte 1488 die Felsenzunge Cabo das Tormentas, Kap der Stürme. Sein König,
Johann II., soll sie in Cabo da Boa Esperança, das Kap der Guten Hoffnung,
umgetauft haben. Das würde Seefahrer mehr motivieren als die Aussicht auf
Stürme. Das Kap Die Goeie Hoop, wie es auf Afrikaans heißt, liegt nicht in
Kapstadt, wie wir meinten, sondern weiter in Richtung Süden.
Südöstlich von Kapstadt gibt es den südlichsten
Punkt des Kontinents auf 20° Ost und 34°50’
Süd, das Kap Agulhas, an dem sich Indischer und Atlantischer Ozean treffen.
Dieses Kap ist längst nicht so besucht wie das der Guten Hoffnung. Zu dem
gehört ein Leuchtturm und irgendwo erfuhr der Besucher dann auch, dass das
Kap der guten Hoffnung ein riesiger Schiffsfriedhof ist. Stürme, Strömungen,
wandernde Sände und zahlreiche Felsen verlangten Tribut. Nur der Name hat es
zu dem scheinbar freundlichen Kap gemacht.
Gefährliche Küste
Der Name erinnert an Zeiten der Segelschiffe. Die
Bucht bei Knysna heißt auch Featherbed Bucht. Hier konnte der Seemann
endlich in Sicherheit schlafen auf dem langen Weg, der in Kapstadt begann
und irgendwo in Indien enden mochte. Eine schmale Einfahrt in eine friedsame
Bucht. Wer heute nach dem Aufstieg vom Küstenberg aus in das flache
Brackwasser schaut, kann die erlösende Ruhe spüren, die Schiffer hier einst
fanden. Doch dann verschoben sich Strömungen, Felsen, und immer wieder
beendeten hier Schiffe ihr Leben.
Als viel zu viele havariert hatten, schloss der
Staat die Bucht kurzerhand für die Seefahrt. Heute wird auf dem Meeresarm,
der einem großen Binnensee gleicht, gesegelt und mit flach gehenden
Motorbooten gefahren. Wir sahen, wie sich eine Yacht von innen her der
Brandung und der Gischt der Einfahrt näherte – rechtzeitig
wendete und wieder ins Ruhige verschwand. Die Küsten Südafrikas verlangen
immer Respekt.
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Tafelberg: Wahrzeichen – auch im Nebel?
Soweit im Süden der Welt und in einem Land Afrikas
erwartet man eigentlich keine Nebel, Wolken sind willkommen, blauer Himmel
sollte eigentlich immer sein. Herbe Enttäuschung nach der Ankunft in
Kapstadt: der berühmte Tafelberg war nur aus der Ferne sichtbar und
verschwand dann im dicken Dunst. Seine Flanke hörte im Unbestimmten auf.
Antje erklärte, wie der Nebel von Osten kommend über den Berg herfällt und
tröstete: Bei solchem Wetter wird der Tafelberg sofort geschlossen, die
Seilbahn abgestellt. Wenn Nebel droht, ertönt ein Warnsignal: Alle Mann nach
unten.
Aber morgen werde es besser sein. Und so fuhren wir durch Kapstadts leere
City und sahen dies und das an gewaltigen Bauten und plötzlich ein Leuchten
in den Augen der Führerin. Der Nebel war so schnell wie er gekommen war auch
verschwunden, der Tafelberg „geöffnet”. Also hoch mit der Seilbahn.
Atemberaubende Blicke in die unendlichen Weiten des Atlantiks über eine
Stadt hinweg, die, eben noch bedeutend, plötzlich sehr klein erschien.
Gierige Kameras saugten auf, was sie fanden. Erstes Glück am ersten Abend:
Diese Reise könnte sich für solche Bilder lohnen.
Afrika und seine grünen Hügel
Dieses Glück blieb uns treu. Auch Fenster im Bus
hinderten uns nicht, zu fotografieren. Die Küste südöstlich von Kapstadt
zeigte uns, wie kräftig an ganz normalen Tagen der Wind vom Meer in
glänzendem Licht weht. Schmucke kleine Häuser standen durch saftige
Gartenbüsche geschützt hoch genug über dem Wasser. Rivierahaft das alles,
begehrtes Wohngebiet, Kapstadt war noch leicht zu erreichen. Mitten im Land
Bourke’s Luck Potholes.
Süßwasser hatte hier zu Tal strömend aus Felsen
Brocken gerissen, sie rund geschliffen und mit ihnen im dem vielfarbigen
Fels Löcher gedreht, faustgroße und gewaltige. Die Kameras kamen nicht zur
Ruhe. Im Irgendwo hielt plötzlich der Bus auf einer Betonplatte für eine
halbe Stunde. Man folgte einem betonierten Pfad und hielt wie benommen am
Blyde River Canyon inne. Dicht bewaldete Bergkegel unter uns, die drei
Rondavels, standen über dem dunkel glänzenden Fluss, der sich wand und in
der Ferne hinter einer Waldflanke verschwand. Und dann höher hinauf – wieder
einmal in Nebelfetzen, God’s Window sagte der Wegweiser. Im Dunst mussten
wir suchen, bis wir das Fenster Gottes fanden, einen überschaubaren
Parkplatz, von dem aus kurze Pfade in Buschgelände führten und an Gittern
endeten, die Stürze in große Tiefen verhindern sollten. Zu sehen war außer
undurchdringlichem Hellgrau nichts.
Es war kühl, wir schauderten, zogen die Jacken enger um uns. Als wir die
Kameras wegstecken wollten, kam von unten her ein Windhauch. Und der Nebel
riss auf. Ungläubig staunen wir. Hügeliges Waldland dehnte sich tief unter
uns bis in die Ewigkeit. Auch die steilsten Abhänge gaben einzelnen Bäumen
Halt. Die Sonne zeigte ihre ganze Kraft. Die heiße Luft dieses frühen
Nachmittags ließ das gewaltige Bild unter uns flimmern. Als wir uns endlich
trennen konnten, waberte wieder Nebel über dem Parkplatz und wir mussten ein
paar Mitreisende suchen, die den Rückweg nicht gefunden hatten. Die Busfahrt
nach Pretoria aus dem Hügelland herunter zeigte gewellte Leere, Hügel, die
wohl noch nie betreten worden waren – grau-braun das alles, in Südafrika
begann der Herbst.
Überraschende Entdeckungen
Unten am Strand am Kap der guten Hoffnung hatten wir
Strauße frei in Richtung Meeressaum laufen sehen. Lebten die nicht eher in
Savannen? Bei Simon’s Town gab es eine Bucht mit Dünen und Strand aus
feinstem Sand. Und dort lebten Pinguine – Pinguine, die doch in die
Antarktis gehörten! Was wussten wir wirklich über dieses Land? Seelöwen
sonnten sich auf Felsen von Seal Island, die eine ewige Brandung glatt
geschliffen hatte – das passte schon eher in unsere Vorstellung von diesem
Land. Und dann wieder Verrücktes: Etwa einen halben Kilometer von der
Autobahnraststätte entfernt lagen auf einer Wiese in der Nähe einer Tränke
zwei Nashörner, zu weit weg, um sie groß abzulichten, nah genug, um uns
wieder auf den Ausflug zum Krüger Nationalpark zu freuen.
Giganten, die gehorchen
Elefanten vergessen nicht. Das enorme Gedächtnis
dieser Tiere ist wissenschaftlich belegt. Die Schwarzen, die die Elefanten
von Knysna betreuen, wussten es schon längst. Hier kam 1994 jemand auf
den Gedanken, junge Elefanten, die ihre Eltern verloren hatten, und
verletzte Elefanten aus der Wildnis aufzunehmen und gesund zu pflegen. Und
so stand der Besucher nach einem kurzen Fußweg plötzlich vor sechs
Elefanten, die rüsselschwingend an einer Stange auf einer Weide warteten,
neben sich schwarze Wärter, alle mit Spazierstöcken bewehrt.
Nein, erklärte John, die beeindrucken die Tiere nicht,
sondern sind Ausweise eines würdevollen Mannes. John und seine Kollegen
lenkten die größten Landtiere der Welt durch sanfte Rufe, Handbewegungen und
Getätschel. Und durch ihr stets gleichbleibendes sanftes Verhalten. Man
versucht jetzt, Elefanten wieder auszuwildern – doch mit wenig Erfolg. Die
Tiere bleiben gern dort, wo sie freundlich behandelt werden.
Im Krüger Nationalpark
Man kann den Ausflug für halbe oder für ganze Tage
buchen, aber jeder beginnt vor Sonnenaufgang mit frühem Aufstehen und einem
schnellen Frühstück im Hotel. Bitte, warm anziehen. Mit dem Bus einem
Horizont entgegen, über den die Sonne herrschen will. Umsteigen in Jeeps.
Nicht reden. Über Asphaltstraßen oder festgefahrene Sandwege ging es in
20.000 Quadratkilometer Park. Die Jeeps hielten Abstand, die Driver per
Walkie Talkies Kontakt miteinander. Sie wiesen auf grasende Tiere hin, denen
auch die anderen Jeeps sich nähern sollten. Dichtes Buschland, grau-gelb,
Baumgruppen gelegentlich und immer wieder auch freie Flächen.
Man musste sich erst einsehen in diese Landschaft,
ehe man Tiere wahrnehmen konnte. Die aus Büchern vertrauten Umrisse und aus
Filmen bekannten Farben und Bewegungen der Tiere gab es hier nicht. Was
dunkel durch Äste und Zweige schimmerte und sich bewegte, mochte für uns ein
Nashorn sein, ein Büffel oder ein Elefant. Die Fahrer erkannten natürlich
sofort jedes Tier. Wir wollen die Big Five sehen: Löwen, Leoparden,
Elefanten, Nashörner, Büffel.
In den Jahren, als der weiße Mann noch als Sahib
durch die Steppe streifte, standen sie ganz oben auf den Abschusslisten von
Trophäensammlern. Das alles ist längst vorbei, und kein Heia Safari stört
den Frieden des Nationalparks, den es seit 1898 gibt. Die Tiere scheinen
davon gehört zu haben, sie grasten in Sichtweite sich nähernder oder
wartender Jeeps, aus denen Kameras sie bannen, die nicht einmal mehr
klicken. Die Fahrer lenkten die Wagen mit viel Geschick so, dass jeder zu
seinem Recht als Fotograf kam. Impala Antilopen waren die häufigsten Tiere.
Zebras im Busch? Elefanten, Giraffen.
Und dann ein Flüstern der Fahrerin, ein Knacken im
Busch. Mit langem Arm wies sie auf einen Jeep, der uns auf der anderen
Straßenseite entgegen kam und plötzlich hielt. Kameras wurden gezückt und
richteten sich auf unsere Seite. Und da brachen sie aus dem Busch: zwei
Nashörner – dicht beisammen. Sie schienen uns nicht zu bemerken, zogen ruhig
über den Asphalt in den Busch auf der anderen Seite und verschwanden. Was
für ein Anblick!
Am Ende des Ausflugs, in der Hitze eines sengenden
Mittags, legten wir Strecke: Wir hatten viel gesehen, doch the cats were not
there, die Katzen fehlten. Löwen und Leoparden hatten wir in freier Wildbahn
nicht gesehen. Zwei Gründe also, um wieder zu kommen? Warum nicht.
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