Egon Giebe · Herausgeber + Chefredakteur
Moderne Kreuzfahrtschiffe sind schwimmende Städte,
gebaut für Hunderte oder gar Tausende von Passagieren. Im Zuge des Booms der
Branche wurden mehrere Regelwerke angepasst, um die Sicherheit der Gäste an
Bord zu erhöhen.
SOLAS ist das Kürzel für Safety of Life at Sea. Die
IMO (International Maritime Organization) wurde gegründet, um ein
internationales Rahmenwerk für die Sicherheit auf See zu schaffen – dazu bot
die Gründung der Vereinten Nationen eine gute Gelegenheit. Bis dahin waren
weltweite Vereinbarungen ein Stückwerk geblieben – hervorzuheben ist das
Internationale Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See als
Reaktion auf den Untergang der TITANIC.
Der Mehrzahl der Passagiere eines Kreuzfahrtschiffs
dürfte die Existenz der IMO und deren Engagement für sichere Ferien auf See
unbekannt sein. Die Kreuzfahrtbranche hat auf die seit Jahren stetig
zunehmende Nachfrage mit dem Bau immer größerer, luxuriöserer Schiffe
reagiert. Doch je mehr Menschen an Bord sind, desto dringlicher wird die
Frage nach potenziellen Risiken.
Logische Folge: Die Ergänzung des
SOLAS-Übereinkommens für die Sicherheit von Menschen auf See. Der
Grundgedanke dabei war, der Unfallverhütung in den Regelwerken mehr Raum zu
geben und künftige Passagierschiffe überlebensfähiger zu machen, sodass die
Passagiere im Havariefall sicher an Bord verbleiben können, während das
Schiff den nächsten Hafen ansteuert. Dieses Konzept der
„sicheren Rückkehr zum Hafen”
wurde mit dem Inkrafttreten der Neufassung dieser Vorschrift am 1. Juli 2010
zur Norm.
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Jedes neu gebaute Kreuzfahrtschiff muss nun in der
Lage sein, nach einem Brand oder Wassereinbruch an Bord bis zu einem
bestimmten Schweregrad der Beschädigung noch sicher einen Hafen anzulaufen.
Dem Prinzip folgend, dass das Schiff sein eigenes Rettungsboot sein soll,
müssen für die Passagiere an Bord sichere Bereiche zur Verfügung stehen.
Andreas Ullrich und Dr. Daniel Povel haben die
Entwicklung der vom Germanischen Lloyd angebotenen Unterstützung für Werften
und Reeder bei der Umsetzung der neuen Forderungen maßgeblich
vorangetrieben. Povel hat dazu bei der GL-Tochter FutureShip eine spezielle
Software entwickelt. Er empfiehlt Werften und Reedereien, „bereits vor der
Vertragsunterzeichnung in den Dialog zu diesem Thema einzutreten. Das heißt,
dass wir bereits sehr früh in das Neubauprojekt einbezogen werden sollten”.
Maßnahmen zur Umsetzung des Konzepts der sicheren Rückkehr sollten bereits
während der Konstruktionsphase eingeplant und nicht erst im Nachhinein durch
Modifikationen des Designs anvisiert werden. Zwar könne man manche der
Anforderungen auch in einem fertigen Schiff noch durch Umbauten erfüllen –
aber gewiss nicht alle, „besonders, wenn kein redundantes Antriebssystem
vorhanden ist”.
Selbst wenn es technisch möglich sei, alle
Anforderungen an Bord eines fahrenden Schiffs nachträglich umzusetzen, sei
dies aufwendig und sehr teuer, ergänzt Ullrich. Die Trennung der Anlagen in
separate Segmente sei beispielsweise eine enorme Herausforderung. „Eine
solche Maßnahme an fertigen Schiffsplänen nachträglich auszuführen bedeutet,
das ganze Konzept auf den Kopf zu stellen”.
Zwischen dem Prinzip der sicheren Rückkehr zum Hafen
und dem Klassenzusatz für ein redundantes Antriebssystem bestünden durchaus
Synergien, so Povel. Das Klassenzeichen erfordert die Verfügbarkeit eines
redundanten Antriebs für 72 Stunden nach einer Havarie. Im Fall der sicheren
Rückkehr zum Hafen hängt es allerdings vom Seegebiet ab, ob 72 Stunden
Notantrieb ausreichen. Außerdem muss sich der Zielhafen für das Schiff
eignen. Die SOLAS-Vorschrift für die sichere Rückkehr bezieht sich auf
kleinere Unfälle, die nur Teile des Schiffs in Mitleidenschaft ziehen, z. B.
einen Kabinenbereich oder ein Deck in einem vertikalen Hauptabschnitt. Bei
einem Großbrand an Bord oder einer ähnlichen Katastrophe muss das Schiff in
der Regel evakuiert werden; hier hat der Kapitän das letzte Wort, betont
Daniel Povel.
Die neuen Regeln seien ein Schritt vorwärts für die
IMO, denn sie verfolgten, anders als die rein präskriptiven Anforderungen
der Vergangenheit, einen ganzheitlichen Ansatz. Grundsätzlich ist es besser,
die Passagiere, wenn irgend möglich, an Bord zu behalten, statt die
Rettungsboote zu benutzen. Schiffe, die die neue Vorschrift erfüllen, werden
in der Lage sein, mit vielen Vorfällen ohne Evakuierung fertigzuwerden.
Abgesehen von den Vorteilen erhöhter Sicherheit ist
für Reedereien auch das Redundanzprinzip an Bord von Interesse, weil es die
Betriebszuverlässigkeit des Schiffs erhöht und sogar seine Energieeffizienz
verbessern kann.
Zu den Kunden des Germanischen Lloyd im
Kreuzfahrtgeschäft gehören Aida Cruises und Hapag-Lloyd. Hapag-Lloyd lässt
derzeit von STX im französischen Saint Nazaire ein Schiff bauen, dass
bereits die neuen Anforderungen erfüllt.
Je nach Schiffstyp kann die Umsetzung der Vorschrift
für die sichere Rückkehr unterschiedlich ausfallen. Während die
Passagierkabinen von Kreuzfahrtschiffen meist über die gesamte Länge des
Schiffs verteilt sind, so Ullrich, könnte es bei Ro-Ro-Passagierschiffen
schwieriger werden, ausreichend Platz für sichere Rückzugsbereiche zu
finden. Möglicherweise werde man letztlich ganz neue Konzepte für
Ro-Ro-Passagierschiffe entwickeln müssen. Außerdem kann der Platzbedarf der
komplexeren und redundanten Systeme die Fahrzeugstellfläche einschränken.
In diesem Sinne, gute Reise im Jahr 2012,
Ihr Egon Giebe
Quelle:
„nonstop” Germanischer Lloyd, Autorin Sandra Spears
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