ANTARKTIS-SOMMER 2012-2013 | AUSGABE 6/2012 | ||||||
Was sind denn das für komische Tiere, scheinen sich die drei Königspinguine angesichts der Besucher in der Salisbury Bay zu fragen. |
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Der Vogelspezialist unter den Tourguides ist wie immer leicht zu erkennen: Das ist derjenige, der seinen Feldstecher permanent umgehängt hat, auch während des Essens. Der Verdacht liegt sogar nahe, dass er ihn auch zum Schlafen nicht weglegt. Unser „Vögeler” heisst Steve (man duzt sich auf dem Schiff), kommt aus Kalifornien, war früher Museumsdirektor und ist – logisch – der beste Beobachter an Bord. Er ist es, der im Gewusel in der Golden Bay auf South Georgia als Erster einen Königspinguin mit einem gänzlich schwarzen Bauch entdeckt (eine Sensation) und nur Minuten später eine Krabbenfresserrobbe (eine kleine Sensation). „Diese Robbenart kommt eigentlich nur auf der Antarktischen Halbinsel vor”, erklärt Steve jedem, der vorbeikommt, „sie ist über tausend Kilometer bis hierher geschwommen und ruht sich jetzt aus. Also bitte nicht stören.
„Schauen, grenzenlos staunen und natürlich
fotografieren ist allerdings mehr als Heute aber, am ersten Tag auf Schiff, prägt sich mir von den vielen neuen Menschen wegen seines Feldstechers nur Steve ein. Und die Frau mit dem Tee.
Über die Schoggi freut sich übrigens auch Fays Begleiter: Rob ist schweigsam. Eine Art Silent Rob. Fay und Rob sitzen stundenlang in der Lounge nebeneinander und vertiefen sich in trauter Schweigsamkeit in Bücher – sowas muss man können. Erst Tage später wird mir Rob erzählen, dass er für die Walschutzorganisation Whale and Dolphin Conservation Society arbeitet und als Tierfotograf internationales Renommee geniesst.
Manchmal schauen wir schweigend den Sturmvögeln zu, die unser Schiff
begleiten,
Femke aus Holland arbeitet bei der Reederei, der das Schiff gehört. Sie ist
quasi
Stundenlang können wir schauen und staunen, geniessen und fotografieren. Und noch Stunden nach jedem Landgang sind alle ganz aufgelöst vor Begeisterung. Dieses Hochgefühl verbindet, man kommt sich mühelos näher, wir werden alle nach und nach zu einer grossen Komplizenschaft. Mehr noch: Je länger die Reise dauert, umso eindeutiger beginnen manche Passagiere, den Tieren zu ähneln. Rosamaria aus Zürich nickt bei Tisch wie ein Königspinguin fröhlich vor sich hin. Wer den Übernamen Walross kriegt, obwohl es in der Antarktis keine Walrösser gibt, sei hier der Diskretion halber verschwiegen ... Eine Frau aus Deutschland (auch hier verschweigt der Gentleman ihren Namen) kriegt den Übernamen Albatros, weil sie einen Riesensturmvogel gegen jede Belehrung ihres Mannes als Albatros bezeichnet („ ... doch, das ist ein Albatros, und den fotografier ich jetzt!”). Nur der hagere bärtige Spanier am Nebentisch kriegt keinen Tier-Übernamen: Der sieht aus wie Don Quijote.
Was mich allerdings überrascht, ist, dass manche Leute Mühe haben mit Programmwechseln. Wenn etwa wegen schlechter Wetterbedingungen eine Anlandung |
ausfällt (so geschehen bei der Saunders-Insel auf den Falklands) oder eine Bucht ausserplanmässig angefahren wird (wie Rosita Bay auf South Georgia). Das erstaunt mich zum einen, weil man ja weiss, dass man in die Wildnis reist und wir Menschen uns der Natur anzupassen haben, nicht umgekehrt. Zum andern auch, weil gerade das den Reiz einer solchen Reise ausmacht: Dass man sich nämlich nie darauf verlassen kann, dass das, was man vorhat, auch tatsächlich machbar ist. Das gibt dem ganzen Trip einen Hauch von Abenteuer.
Klar: Die Leute auf den grossen Schiffen sehen auch Pinguine – von weit weg auf dem Aussichtsdeck ... Sie sind sicherlich auch begeistert. Aber das ist nichts im Vergleich zu uns, die wir der Natur auf Augenhöhe begegnen dürfen. Dafür zahlt man dann auch gerne ein bisschen mehr, weil die Kosten für ein kleines Schiff im Vergleich zu einem grossen natürlich viel höher sind. Unsere Crew besteht aus 49 Männern und Frauen: Die Schiffsmannschaft inklusive Kapitän ist russisch, die Zimmer- und Service-Crew ist philippinisch und das Tourguide-Team ist international zusammengesetzt.
Zum Liebling aller Helfer mausert sich übrigens Viktor, ein gutmütiger,
stiller Bär von
Apropos Zodiak: Einer aus der Gruppe, ich habe noch nie mit ihm gesprochen
und weiss nicht, woher er kommt, trägt immer dicke Fäustlinge mit
Pelzaufsatz: Wenn wir im Zodiak vom Land zurück zum Schiff fahren, sieht es
aus, als hätte er zwei junge Pelzrobben mitgenommen. Wo man doch von den
Landgängen überhaupt nichts mitnehmen darf, nicht mal einen Stein, von denen
es hier wahrlich genügend gibt. Man darf auch absolut nichts auf die Insel
mitbringen, nicht mal was zu essen, der Chef-Guide Troels hat die Männer
speziell darauf aufmerksam gemacht, dass man auch das Pinkeln an Land zu
unterlassen habe. Selbstverständlich dürfen
Und in der Poststation, die sich im kleinen Museum neben der Forschungsstation befindet, schickt Laura alle ihre Karten ab. Laura ist eine wunderbare, weltoffene, kluge Frau: Sie wohnt in Rom (mit Blick auf das Kolosseum), arbeitete lange als Flugbegleiterin und besass ein Haus in Ruanda, bevor dort der Krieg ausbrach. Zu Hause in Rom hat sie mit Pinsel und Farbe prächtige Pinguine in A5 gemalt, die Karten in die Antarktis mitgenommen und schickt sie nun mit Grüssen beschrieben und mit Briefmarken versehen wieder zurück nach Italien. Eine wunderschöne Idee.
Und Alastair ist sichtlich froh, dass das Wetter wieder etwas wärmer wird: Meist sah man ihn in Flip Flops, T-Shirt und kurzen Hosen (!!!) in der Lounge sitzen, was ihn zum absoluten „Paradiesvogel” unter all den Leuten in ihren dicken Pullovern machte. Der Grund für diese sonderbare Kleidung: Alastair kommt aus London, trampt ein halbes Jahr durch Südamerika und stieg in Ushuaia als Last-Minute-Passagier zu. Von der Zusage der Reederei bis zum Einschiffen blieben ihm nur noch 20 Minuten Zeit, sich warme Kleider zu kaufen ... Bevor die große Familie in Ushuaia wieder in alle Winde zerstreut wird (Alastair geht mit einem Surfboard an Land), starte ich eine kleine Umfrage in der Crew. Der Doktor: (Poul Eric Pedersen, Däne, Kettenraucher) „Ich hatte wenig zu tun: Ein Deutscher wurde von einer Pelzrobbe gebissen, ein Schweizer kriegte einen Karabinerhaken auf den Schädel, mehr als die Hälfte der Passagiere hat Medikamente gegen Seekrankheit eingenommen, obwohl sie gar nicht wussten, ob sie überhaupt seekrank werden”. Der Chef-Guide: (Troels Jacobsen, Däne, immer locker) „Wir hatten enormes Wetterglück: Sieben Anlandungen alleine auf South Georgia. Das war ein toller Trip mit unkomplizierten Gästen”. Der Kapitän: (Juri Gorodnik, Russe und eigentlich ganz redselig, wenn man ihn anspricht) Er liess sich weder bei der Begrüssung noch bei der Verabschiedung blicken, hat aber, so versichert sein Stellvertreter, als Kapitän einen guten Job gemacht.
Zu rückgelegte Kilometer: 6500. Jasmine: „War
es ein Fehler, so früh zu heiraten?” (Wie
gesagt: der Hang zum Überschwang.) Viktor: „I
go home to Russia. Thank you”. Zu Hause angekommen (vom letzten Ankerlichten bis zur Haustür: 3 Tage, 21 Stunden und 50 Minuten), dauert es Wochen, bis ich mich in den Alltag eingelebt habe. Und ja: Es ist auch schön, wieder zu Hause zu sein. |
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Paradies für Fotografen: Rosamaria wartet in der Salisbury Bay auf den richtigen Moment. Das kann bei dem Gewusel lange dauern. |
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Last-Minute-Passagier Alastair hatte keine Zeit mehr, warme Kleider zu kaufen. Er geht trotzdem an die frische Luft. |
Fay und Rob geniessen in der Lounge die Ruhe des gemeinsamen Lesens. Ihren Tee hat Fay selber mitgebracht. |
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Karl wird heute 50. Nach dem Nachtessen singen Passagiere und Crew „Happy Birthday” für ihn. |
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Die Paradise Bay in ihrer vollen Pracht. Im Vordergrund eines der Zodiaks, mit denen wir heute Nachmittag die Gegend erkunden. |
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