Man fährt auf einer
weltberühmten Attraktion: 190 Kilometer lang und das Herzstück der 600
Kilometer langen Wasserstraße, die Göteborg an der Westküste mit Stockholm
im Osten verbindet. Es ist nasskalt. Eine Wand grauschwarzer Wolken hängt
zäh über Göteborg, als wir gegen 9:00 Uhr den Packhuskajen verlassen. Nur
ein paar Hartgesottene draußen. In Ein starker Kaffee weckt die
Lebensgeister.
Die schwimmende Pension für die nächsten vier Tage ist Baujahr 1912.
Natürlich hat ein Dieselmotor längst den originalen Dampfkessel ersetzt,
gibt es fließend warmes und kaltes Wasser in den Kabinen, moderne Duschen
und Toiletten auf jedem der drei Decks.
Die Grundausstattung und der Geist vergangener Tage jedoch sind bewahrt
geblieben. Ein romantischer Traum aus Edelholz und Spiegeln ist der
Speisesaal mit Platz für dreißig Passagiere. Gespeist wird stets in zwei
Sitzungen an festlich gedeckten Tafeln mit edlem Geschirr und silbernem
Besteck.
Genauso winzig wie anno dazumal sind die Kabinen, die eher
Liegewagenabteilen gleichen.
WILHELM
THAM
durfte nicht länger sein als 32, nicht breiter als sieben und 2,82 Meter
Tiefgang nicht überschreiten. Das Schiff war nämlich geplant als
schwimmendes Hotel für eine Attraktion. Eine romantische Dampferfahrt sollte
mit der Vielfalt eines außergewöhnlichen Verkehrsweges verbunden werden.
Als 1810 sein Bau beschlossen war, stand den Ingenieuren und Arbeitern eine
gigantische Aufgabe bevor: 58.000 Soldaten schufteten jahrelang, um den
durchschnittlich drei Meter tiefen und an der Oberfläche 26 Meter breiten
Kanal frei zu sprengen und auszuschachten.
Ein Höhenunterschied von insgesamt 91 Metern war zu überwinden, Brücken,
Kais, Molen, Kanalstationen, Schleusen und Aquädukte mussten gebaut werden.
1832 wurde schließlich der Götakanal eröffnet, damals ein äußerst wichtiger
Verkehrs- und Handelsweg.
Zu den interessantesten Momenten der Passage gehört das Schleusen, und das
gleich 65 Mal. Es sind ganze Schleusensysteme, über die treppauf, treppab
geschippert wird. Am spektakulärsten ist dabei die Schleusentreppe von Berg,
bei der sieben Kammern unmittelbar aufeinander folgen – eine Herausforderung
für die Crew. „Es ist ohnehin schon verdammt schwer, in diesen engen
Gewässern zu navigieren”
so der Kapitän. „Aber die Schleusen sind wirklich der Knackpunkt. Du kennst
sie zwar alle, du weist wie sie aussehen, aber es gibt immer neue
Überraschungen.”
Dabei sieht es spielend leicht aus, wenn Kapitän oder Steuermann
schlafwandlerisch sicher manövrieren. Das machen sie von einem der beiden
Außenfahrstände, die sich in den Brückennocken befinden. Nur mit den
Fingerspitzen wird der Joystick bewegt und so die WILHELM
THAM
millimetergenau in die Schleuse bugsiert. Die ist wie die meisten Schleusen
gerade mal eine Handbreit breiter als das Schiff, an dessen Seiten Dutzende
schlanke Baumstämme schaukeln. Sie schützen den Rumpf vor Kollisionen mit
den Steinmauern.
Zaghaft tasten sich Sonnenstrahlen vor. Es wird schön. Zeit für eine Runde
Liegestuhl auf dem Brückendeck. In goldenem Abendgegenlicht passieren wir
den ausgedehnten Schärengürtel des Vänernsees, Schwedens größtes
Binnengewässer. Sonne und Wolken zeigen fantastische Farb- und
Formvarianten.
Der zweite Morgen: Zum Greifen nah gleiten grüne Getreidefelder vorüber, im
Wechsel mit Blumenwiesen, Weiden, Koppeln und Bäumen. Kühe glotzen uns
neugierig hinterher. Aus einsamen Gehöften mit bunten Holzhäusern kläfft
allenfalls mal ein Hund, ansonsten ist es himmlisch still.
Eine Gruppe von Mitpassagieren spaziert gemütlich auf dem parallel zum Kanal
verlaufenden Weg. Sie nutzen die kurzen Stopps und Fahrten zwischen den
Schleusenpassagen.
Bei maximal fünf Knoten kein Problem. Man erlebt eine bedächtige
Endlosfilmschleife aus Landschaft, Kultur, Geschichte.
Nach wenigen Stunden schon sind Hektik und Stress nur noch abstrakte
Begriffe. Zeit bekommt eine andere Dimension, einen veränderten Wert.
Wie von Geisterhand gesteuert geben Barrieren wie Brücken und Straßen den
Weg frei. Es klingelt am Ufer dreimal kurz und ganze Straßenstücke klappen
binnen weniger Sekunden nach oben, schwenken zur Seite oder rollen einfach
zurück – der Kanalverkehr hat immer Vorfahrt.
An einer Stelle wird getreidelt. Ein Bootsmann steigt akrobatisch ab und
zieht WILHELM
THAM
an einem Tampen um die Kurve, weil es anders einfach nicht geht.
In Toreböda treffen wir LINA,
die winzigste Fähre Schwedens mit gerade mal 24 Metern Arbeitsweg. In
Ljungsbro fahren plötzlich Autos unter uns durch – wir gleiten drüber auf
einem von zwei Aquädukten.
Am dunkelroten Kanalhotel in Bohrensberg kommt ein alter Mann an den Kanal,
setzt seine Geige an und spielt, solange das Schiff in Sichtweite ist. An
einer von zwei Schleusen, die noch per Hand betätigt werden. In Forsvik, an
der ältesten Schleuse des Kanals aus dem Jahre 1813, tritt jedes Mal ein
gottesfürchtiger Familienchor an, wenn einer der Nostalgiedampfer kommt,
singt Beistand und Segen für Schiff, Besatzung, Passagiere und verteilt
Blümchen und Bibelzitate. |
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Komplettiert wird die Götakanal-Passage von kleinen Ausflügen. Trollhättan
z. B. ist mit mehreren imposanten Schleusen ein technisches Denkmal, das auf
einem ausgedehnten Spaziergang unter die Lupe genommen wird. In Vadstena am
Vätternsee legt man Tags darauf direkt an am rustikalen, von Wassergräben
umgebenen Schloss, das Gustav Wasa um 1540 bauen ließ. Ein weiterer
wichtiger Ort ist Motala, wo Baltzar von Platen, der Erbauer des Götakanals,
1822 mit der „Motala-Verkstad”
den industriellen Grundstein für die Entwicklung der Region legte.
Die Fertigstellung seines Lebenswerks erlebte der ehemalige Marineoffizier
von Platen nicht mehr. Er starb 1830 und wurde in Motala mit allerhöchsten
Ehren bestattet, „an den Ufern, die er selbst erschuf”.
Das Finale liefern Schloss Drottningholm, Sommersitz der schwedischen
Königsfamilie, und die markante Silhouette von Stockholm.
Wie im Flug sind die vier Tage vergangen. Ohne Fernsehen. Ohne Radio. Ohne
Telefon. Ohne Swimming-Pool. Ohne Spielsalon. Keiner hier hat das vermisst.
Genießen durfte man statt dessen eine erstklassige Küche, exzellenten
Service und eine Reise, bei der das Ziel der einmalige Weg ist auf insgesamt
zwei Meeren, einem Fluss, drei Kanälen, acht Seen und 65 Schleusen.
Der Kanal hat eine Länge von 190,5 Kilometern, wovon die 87,3 Kilometer
lange tatsächliche Kanalstrecke zwischen den 5 verbundenen Seen von 58.000
schwedischen Soldaten von Hand gegraben wurde. Zusammen mit dem
Trollhättan-Kanal und dem Göta älv bildet der Götakanal eine 390 Kilometer
lange Wasserstraße quer durch Schweden, die einen Höhenunterschied von 91,5
Meter überwindet.
Der Kanal hat 58 Schleusen, 50 Brücken, zwei Trogbrücken und fünf Seen und
darf von Schiffen mit bis zu 30 Meter Länge, 7 Meter Breite, 22 Meter Höhe
über dem Wasser und 2,82 Meter Tiefgang befahren werden. In seinen Verlauf
sind der Asplången, Roxen, Boren, Vättern sowie der Viken eingebunden.
Die Erlaubnis zum Bau des Kanals erhielt der Architekt Baltzar von Platen am
12. April 1810. Der Bau erfolgte von 1810 bis 1832. Es war gedacht, dass
Schiffe auf dem Weg vom Kattegat zur Ostsee durch Schweden fahren konnten,
anstelle durch den Öresund. So sparten die Schiffe den Sundzoll an Dänemark.
Der Kanal wurde am 26. September 1832 eröffnet, nur wenige Jahrzehnte vor
Einführung der Eisenbahn. Dadurch errang er keine entscheidende ökonomische
Bedeutung. Heute ist er eine Touristenattraktion. Er ist vom 1. Mai bis zum
27. September geöffnet.
Auf dem Kanal verkehren Freizeitboote und Kanalschiffe. Zu den bekanntesten
Kanalschiffen gehören DIANA,
JUNO
und WILHELM
THAM.
Das Schiff JUNO
wurde 1874 dem Dienst übergeben und ist damit eines der ältesten im Dienst
stehenden Passagierschiffe der Welt.
Reederei Götakanal
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Juni bis September
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Literatur für unterwegs
Götakanal – Maritimer Reiseführer
ISBN-10: 3782207262 oder
ISBN-13: 978-3782207263
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Autor Rolf Gruel hat mit
seiner Yacht ELLEN
den Götakanal mehrere Male befahren. Die Erlebnisse des
passionierten Ostsee-Seglers stimmen den Reisenden ein, machen
neugierig und schärfen den Blick für die Ansichten links und rechts
des Kanals. Er gibt wertvolle Hinweise zur An- und Abreise – mit dem
eigenen Schiff, der Fähre, dem Kanaldampfer oder dem Auto. Er
erklärt die historischen, touristischen und nautischen
Besonderheiten um den Kanal und vergisst dabei die reizvollen
Seestädte Göteborg, Kalmar und Karlskrona nicht. |
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