MS HAMBURG-Kapitän
Joao Simoes (rechts) hört gerne auf díe Empfehlungen von Eislotse Karl
Ulrich Lampe.
Die Bremer Discoverer Reederei suchte 1987 einen
qualifizierten Kapitän, „und ich habe mich schnell entschieden”,
so Karl Ulrich Lampe. 13 Jahre fuhr er danach auf
Expeditionskreuzfahrtschiffen, heute als rüstiger Rentner nur noch als
Eislotse und Beobachter. In der Expeditionsschifffahrts-Kapitäns-Riege gilt
er als Pionier. Sein Rat als Eislotse ist bei Reedereien entsprechend
nachgefragt.
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Im folgenden die wichtigsten Stationen
seines Lebens:
30.10.1937
1943 - 1952
ab 1952
1958
Juni 58 - April 1962
Mai
62 - Sept. 1963 Okt. 63 - Okt. 1965
Okt. 65 - Okt. 1966
Nov. 66 - Nov. 1970
27.06.1970
Nov. 70 - Sept.
1973
Sep. 73 - Nov. 1980
1975 - 1990 1992
Dez. 80 - Dez. 1981
Dez. 81 - März 1987
Juni 87 - Juli
2010 |
Geboren in Oldenburg / Oldenburg als Spross einer alten
Seefahrer-Familie. Wohnhaft in Elsfleth / Weser. Besuch der
dortigen Volks- und Mittelschule. Wohnhaft in Oldenburg /
Oldenburg, Besuch des Hindenburg-Gymnasiums.
Abitur – Anschließend Besuch der Seemännischen Berufsfachschule in
Elsfleth.
Seefahrtzeit auf diversen Stückgutfrachtern
des Norddeutschen Lloyd, Bremen, als Decksjunge, Jungmann,
Leichtmatrose, Matrose und Offiziersassistent.
A5-Lehrgang an der Seefahrtschule Elsfleth.
Seefahrtzeit als Vierter und Dritter Offizier auf
NDL-Stückgutfrachtern.
A6-Lehrgang an der Seefahrtschule Elsfleth.
Seefahrtzeit als Zweiter Offizier.
Ausbildungsoffizier auf MS ROTHENSTEIN,
Sicherheitsoffizier auf TS BREMEN
und Ladungsoffizier auf diversen NDL-Stückgutfrachtern.
Eheschließung mit Sabine Lampe, geborene
Gross.
3 Töchter: Christine (1971), Ulrike (1973),
Juliane (1976).
Seefahrtzeit als Erster Offizier auf diversen
Hapag-Lloyd-Stückgutfrachtern.
Seefahrtzeit als Leitender Offizier auf dem
Passagierschiff EUROPA ex KUNGSHOLM.
Diverse Wehrübungen bei der
Bundesmarine.
Verabschiedung aus der Deutschen Marine als
Fregattenkapitän der Reserve.
Bauaufsicht beim Neubau des
Fahrgastschiffes EUROPA
auf der Werft Bremer Vulkan.
Seefahrtzeit als Leitender Offizier (Staff Captain) auf
dem Fahrgastschiff EUROPA (neu).
Seefahrtzeit als Kapitän auf den drei
Expeditions-Kreuzfahrtschiffen WORLD
DISCOVERER, SOCIETY
EXPLORER ex LINDBLAD
EXPLORER,
Discoverer Reederei, Bremen, und Society Expeditions, Seattle.
NATIONAL GEOGRAPHIC
ENDEAVOUR ex
ENDEAVOUR
ex CALEDONIEN STAR
und NATIONAL GEOGRAPHIC
EXPLORER ex LYNGEN
ex MIDNAT SOL,
Lindblad Expeditions, New York und Seattle.
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Neugier und Offenheit sind für ihn die
wichtigsten Voraussetzungen, um diesen Beruf auszuüben. „Containerfahren ist
dagegen ein Job”, sagt er, „entweder man
mag es, oder man mag es nicht”. Besondere
Freude macht es ihm, keine neue Antarktis-Saison ohne neue Anlandungsplätze
entdeckt zu haben. Dazu gehöre natürlich auch ein kalkuliertes Risiko,
„wobei Sicherheit für mich natürlich oberste Priorität hat”.
Neben vielem Neuen verursache das aber auch
viel Arbeit und „man verbringt unendlich viel Zeit auf der Brücke”.
Auf Schiffen, die eine hohe Eisklasse haben, einen zwei Meter breiten
Eisgürtel in der Wasserlinie, mit halbiertem Spantenabstand und einer hohen
Maschinenleistung.
Was ein potenzieller
Expeditionskreuzfahrt-Passagiersneuling mitbringen müsse? Lampe denkt nicht
lange nach: „Interesse an der Natur und ihren Details sowie weniger
Wertschätzung von gesellschaftlichem Leben an Bord”.
Wenn er in Elsfleth bei seiner Frau an Land ist, erholt
er sich bei Gartenarbeit und Leichtathletik. Als Reiseform schätzt er
Fahrradtouren, die mit Schiffsreisen verbunden sind, zum Beispiel entlang
der Donau und anderen europäischen Flüssen. Dr. Peer Schmidt-Walther
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Who-dun-its nennt man in England Krimis wie diesen,
wenn nur der Täter gejagt wird, keine Nebenhandlung ablenkt, keine
Sozialkritik geübt wird oder andere Anliegen abgehandelt werden. In „London
Killing”, englischer
Originaltitel: „The Hollow Man”,
hat sich der 1978 in London geborene Oliver Harris für eine Perspektive ganz
aus dem Blickwinkel des Protagonisten entschieden.
Was ist der für ein Held? Ein Detective der
Londoner Polizei, der „auf einem kleinen Hügel voller Kiefern, der von
Ginsterbüschen umgeben und vom Rest der Welt durch einen niedrigen
Einzelzaun abgetrennt war”
aufwacht. „Er hatte noch Dreck im Mund und es roch nach Blut und fauler
Baumrinde”. Eine
Seite später weiß der Leser, der Detective Nick Belsey hat sturzbetrunken
seinen Streifenwagen durch eine Parkschranke gesteuert. Der Mann trinkt gern
und häufig und ist ständig pleite. Alle seine Kreditkarten sind gesperrt, er
ist aus seiner Wohnung geflogen. Auch seine Karriere dürfte bald beendet
sein, nachdem die Dienstaufsicht eine Untersuchung gegen ihn angekündigt
hat. Das Papier wirft er in den Papierkorb. Auf Seite 104 lesen wir, was der
Detective vorhat. „Ich hau ab, ich fange von vorn an”.
Dazu will er ein Luxusauto und Wertvolles aus dem Haus eines reichen Toten
zu Geld machen.
Ein Anti-Held also – ohne Zweifel. Er kennt alle
Interna und alle Verbindungen der Polizei, hat hier einen Kumpel, dort einen
Zuträger und ist beim Einsatz seiner Mittel nicht sehr wählerisch, um sich
möglichst bald mit gefälschten Papieren und einem Haufen Bargeld abzusetzen.
Kein sympathischer Typ, der da durch London jagt.
Langes Nachdenken, langes Theoretisieren ist seine Sache nicht. Belsey ist
ein Mann der schnellen Tat, ein Pragmatiker, der die Vorschriften kennt und
genau weiß, wie man sie auch auslegen kann. Wird solch ein Windhund Erfolg
haben?
Beim Lesen ändert sich das eigene Urteil über
diesen Mann fast unmerklich. Spätestens ab Mitte des Buches hat Belsey das
Mitgefühl des Lesers, weil er jemandem auf der Spur ist, der die gleiche
Absicht wie er selbst verfolgt. Und weil er ein Mädchen, das vor seinen
Augen gestorben ist, nicht hat einfach so zurücklassen will. „Er hatte das
Land bis heute Abend verlassen wollen. Jetzt wusste er instinktiv, dass
dieser Plan vorerst ausgesetzt war”.
In „London Killing”
geht es um viel Geld. Gerüchte sprechen von einem gewaltigen Loch in den
Finanzen der Stadt London. Füllen möchte man’s mit
unterschiedlichen Absichten – um sein Gesicht nicht zu verlieren, um
Karriere zu machen oder um das eigene große Geld noch weiter zu vermehren.
Einen der Milliardäre, die das Loch stopfen wollen, spielt der Detective
geschickt und erfolgreich aus, einen Mann, der sich mit einem Schnitt durch
die Kehle umgebracht hat. Ist er der russische Oligarch mit dem
französischen Namen Alex Devereux?
Oliver Harris hat kreatives Schreiben studiert und
mit seinem Debüt bewiesen, dass er ein Buch schreiben kann, das man
über 479 Seiten nicht aus der Hand legen mag.
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Ob Nick Belsey, wie die Verlagswerbung meint, „das
Zeug zur Kultfigur hat”, wird
sich im nächsten Buch mit dem gleichen Helden zeigen.
Belseys oberster Chef verspricht ihm am Ende der
Story, dass sich „das mit seinem Job”
regeln lassen wird.
Seien wir also gespannt auf den nächsten Krimi mit
dem „hinreißenden Mistkerl von einem Helden”,
wie Val McDermid schreibt, eine der großen Damen der
schottischen Kriminalliteratur.
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Oliver Harris
LONDON KILLING
Aus dem Englischen übersetzt von Wolfgang
Müller.
Erschienen im
Wilhelm Heyne Verlag München,
ISBN 978-3-453-43717-3,
9,99 €.
Heyne/London Killing
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Tja, so was gibt’s,
man lud Hein Mück ins Kino ein! Normalerweise sucht er sich Filme, die er
sehen will, selber aus, aber diesmal blieb ihm keine Wahl. Weil er ganz gut
Englisch spricht, sollte ihm „The Audience”
gefallen. Hein war kein Spielverderber und ging hin. Und erlebte etwas
völlig Neues.
Direkt aus London in das größte Kino seines
Heimatortes wurde eine Theateraufführung übertragen, live aus dem
Gielgud-Theater im Westend. Es ging in dem Stück um die Gespräche, die die
englische Königin mit dem jeweiligen Premierminister einmal pro Woche führt,
ohne Agenda und ohne Protokoll. Über den Inhalt erfährt niemand etwas. Der
Autor hat alle Gespräche frei erfunden. Ein spannendes Thema also.
Doch noch mehr als das Thema beeindruckte Hein Mück
die Technik. Was in London auf der Bühne gespielt wurde, sah Hein
leinwandgroß im gleichen Moment in seinem Kino, so als säße er selbst in
London im Theater. Mann, dachte er in der Theaterpause, wenn das Schule
macht!
Wenn ein großes Theater mit berühmten Schauspielern
ein Stück aufführt, könnte man es in vielen Kinos genau so sehen, denn die
neue Technik ist universell einsetzbar. Man könnte also Stadtsäckel
entlasten, weil man Stadttheater nicht mehr mit Steuergeldern am Leben
erhalten müsste. Tja, man könnte dieses Erlebnis auch auf Kreuzfahrtschiffen
überall in der Welt anbieten. „Hamlet”
auf hoher See, „Faust”
untern Äquator?
Die Herzallerliebste stoppte Hein, als er die Folgen
weiter ausmalen wollte. Es würde dem ganzen doch die Atmosphäre fehlen, wenn
man vor einer Leinwand, statt vor einer Bühne sitzt. Hein wagte noch eine
schwache Erwiderung, man könne dazu ja wie zum Captain’s Dinner
seinen Smoking oder sein Dinnerjackett tragen. Das wäre dann wie im Theater!
Die Herzallerliebste blitzte ihn an – und da schwieg Hein.
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Tja, Heins
Freunde hängen an liebgewordenen Gewohnheiten. Sie schicken aus dem Urlaub
Ansichtskarten, schöne Bilder und kurze Texte. So weiß Hein immer, wo
seine Freunde Ferien machen und wie es ihnen in der Weltgegend gefällt.
Und weil gute Beispiele schlechte Sitten verderben, war auch Hein aufs
Schreiben von Ansichtskarten verfallen.
Doch nach dieser Saison überlegt er, ob er sich das
Schreiben und Verschicken nicht wieder abgewöhnen soll. Er hatte aus
Italien, aus dem schönen Siena, eine Karte nach Mainz geschickt. Sie zeigte
den wunderbaren großen Marktplatz aus einer Perspektive, die Hein mit seiner
Kamera nie erreichen würde.
Einige Wochen später besuchten dann Hein und seine
Herzallerliebste die Freunde in Mainz. Man kam auf den Urlaub zu sprechen
und Hein erfuhr, auch die Freunde waren mal in Siena gewesen. Er erlaubte
sich zu fragen, was die Freunde von seiner Ansichtskarte mit der
ungewöhnlichen Perspektive des Platzes hielten? Kopfschütteln der Gastgeber,
von welcher Karte er denn rede? Hein erklärte sich und bemerkte nur
Schulterzucken. Nein, eine Ansichtskarte aus Siena sei bei ihnen nicht
angekommen. Hein rechnete nach, sollte die Karte mehr als drei Wochen für
den Weg brauchen?
Mit so viel Zeit und noch mehr müsse man schon
rechnen, sagten die Freunde. Sie hätten sich deshalb das Schreiben von
Ansichtskarten längst abgewöhnt. Denn sie seien immer viel eher wieder im
Land als die Postkarten. Ganz offensichtlich behandelt die Post im Ausland
Ansichtskarten als Sendungen einer besonderen Klasse, die zu befördern man
sich viel Zeit lassen könnte.
Nachdem Hein die Erfahrungen seiner Freunde in Mainz
auch bei andern bestätigt fand, wird er zukünftig Ansichtskarten nur noch
aus einem einzigen Grund kaufen – und behalten! Und zwar immer dann, wenn
das Bild auf der Karte besser ist, als man es selber fotografieren kann.
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Tja, das Thema
reizte Hein und so besuchte er einen Vortrag, den der neu gewählte
Präsident der Handelskammer hielt. Hein erwartete eine gewisse Menge
Kritik der Wirtschaft an der Politik, der Handel möchte ja meistens mehr
als die Politik ihm zugestehen will. Ein Politiker will vor allem
wiedergewählt werden, der Händler möchte in Zukunft größere Gewinne
machen, dachte Hein und hörte zu seiner Überraschung als
Klage des Präsidenten, der führende Politiker habe keine Vision für die
Zukunft seiner Stadt. Man könne doch erwarten, dass Politiker eine
Vorstellung von dem haben, was ihre Stadt einmal sein soll, meinte der
Kammerherr. Hein, befreundet mit vielen Männern und Frauen aus der
Wirtschaft, stimmte der Meinung des Präsidenten zu.
Von dem Vortrag sehr angetan, berichtete er kurz
darauf einem Freund, seines Zeichens Geschäftsführer einer Firma, die viel
exportiert, von jenem fehlenden Ziel. Der Freund hörte genau zu und
verblüffte Hein mit dem genauen Gegenteil der Aussage des Präsidenten. Nicht
die Politiker sollten eine Vision für die Stadt haben, das sei Aufgabe der
Unternehmer, Politiker verwalten, Unternehmer handeln. Unternehmer sagen,
was sie wollen und setzen es um, Politiker haben das Ganze im Auge und
gleichen unterschiedliche Interessen aus.
Schön wär’s, meinte Hein, wenn
Politiker das Ganze im Auge haben, was sie eigentlich sollten. Aber hätten
sie nicht vor allem die Interessen ihrer eigenen Wähler im Blick, weil sie
ja wieder gewählt werden wollten? Sie seien also Partei-iker statt
Politiker. Höhö, machte der Freund, das Wort gibt’s ja gar
nicht. Doch dann meinte er, darüber wolle er mal nachdenken, über den
Unterscheid zwischen Politikern, die das Ganze sehen, und Partei-ikern, die
vor allem ihre Wähler im Blick haben. Ihm als Unternehmer seien Politiker
wahrscheinlich lieber.
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Tja,
was man liebt, behält man. Hein hat so im Lauf einiger Jahre eine stattliche
Sammlung an Filmen zusammen gestellt, die ihm mal sehr gefallen haben,
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DVD’s brauchen ja nicht viel Platz. Einer der ältesten Filme
ist „Der dritte Mann”, den
Hein das erste Mal als junger Bursche im Dorfkino gesehen hatte, und einer
der letzten ist ein Politthriller mit dem wenig erhellenden Titel „Argo”.
Etwa drei Meter sammelten sich so in einem Regal an.
Die Herzallerliebste fand eines Tages, die Hüllen
müssten mal entstaubt werden und so landeten alle DVD’s auf
dem Tisch. Heins Gedankens schweiften zurück. Die großen Filme von John
Wayne waren nun schon fünfzig Jahre alt. Und gute Kriegsfilme, die ihn
einst sehr beeindruckt hatten, gab es schon lange nicht mehr. Krimis waren
ins Fernsehen gewandert. Die Herzallerliebste hatte auch DVD’s
gesammelt, aber Hein konnte sich oft genug nicht mal mehr an die Titel
erinnern oder an die Schauspieler.
Was machen wir bloß mit all den DVD’s,
fragte Hein sich, als er sie wieder ins Regal stellte. Vier behielt er
zurück und verschwand, weil die Herzallerliebste fernsehen wollte, in sein
Gemach, um sich die Filme auf dem Laptop anzuschauen. Nach zwei Abenden
hatte er vier alte Filme gesehen und war mit sich ins Reine gekommen.
Entweder gefiel ihm der Inhalt nicht mehr oder die Redeweisen der Helden
und ihr mächtiges Gehabe. Er strich an dem Regal entlang und war willens,
die ganze Sammlung in einen Umzugskarton zu stecken und den erst einmal im
Keller zu verstauen, eine Vorstufe des Ablieferns auf der Müllhalde.
Mit Büchern war es ihm ähnlich ergangen. Selbst
Titel, die ihm ans Herz gewachsen waren, mochte er Jahrzehnte später nicht
wieder lesen. Er kam über die ersten Seiten nicht hinaus. Lange musste er
suchen, bis er jemanden fand, der alte Bücher haben wollte. Das meiste
Gedruckte verschenkte er, manches landete auch im Altpapier.
Die Gefühle ändern sich, die Themen sind nicht
mehr aktuell und manches, was beschrieben oder fotografiert war, hatte er
inzwischen auf Reisen selbst gesehen. Und so holte er einen Umzugskarton
aus dem Keller und faltete ihn auf.
Doch er hatte die Rechnung ohne die
Herzallerliebste gemacht. Die wehrte sich dagegen, „ihre”
DVD’s wegzuschließen. Martina Gedeck sei so gut und die Story so bewegend,
nein, das komme nicht in Frage. So lagern also jetzt Heins DVD’s im
Keller, die der Herzallerliebsten stehen weiter im jetzt halbleeren Regal.
Hein fragt sich insgeheim, ob sie beim nächsten Großreinemachen auch in
den Keller wandern oder ob er seine von unten wieder hochholen wird.
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Tja,
was man durch Lesen lernen kann! Hein bereitete sich auf die nächste Reise
vor und las, dass der Vater der europäischen Geschichtsschreibung, der
Grieche Herodot rund zweieinhalbtausend Jahre vor unserer Zeit in seinem
Buch „Historien”
als erster über das Volk der Skythen berichtete, das am Schwarzen Meer
siedelte. Die Skythen waren aus dem Inneren Asiens in die Steppen des
heutigen Russlands und der heutigen Ukraine gezogen und blieben viele
hundert Jahre dort – als Nomaden. Die Griechen trafen auf sie, als sie
nach Osten hin Handel trieben und ins Schwarze Meer vordrangen.
Doch interessanter als Herodots Bericht fand Hein
einen Kommentar dazu. Der Herausgeber schrieb, wer einen historischen
Bericht liest, muss immer wissen, was der Verfasser mit ihm erreichen
wollte. Keiner schreibt nur so, jeder will mit seinem Text etwas beim
Leser bewirken – so auch Herodot. Und so las Hein nun dessen Bericht mit
ganz anderen Augen.
Der Ausdruck Barbaren, der in Herodots Zeiten
entstand, beschreibt bis heute immer nur Völker, die östlich vom Autor
wohnen, nie im Westen. Alles Barbarische kommt also aus dem Osten?
Kultur wurde geschaffen, wenn Völker sich
niederließen, Städte bauten, Felder bewirtschafteten – so die
landläufige Meinung. Lebten also alle Völker, die mit ihren riesigen
Herden und aller Habe in bestimmten Landstrichen hin- und herzogen,
gänzlich kulturlos? Die Grabfunde ums Schwarze Meer und weiter im Norden
zeigen eine hoch entwickelte Kultur. Was also will der Autor erreichen,
wenn er diesen Völkern Kultur abspricht? Hein ist ins Nachdenken geraten
und freut sich schon auf seine nächste Reise – in just diese Gegend.
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Tja,
auf Reisen kann man vieles sammeln. Souvenirs gibt es
in mancherlei Gestalt und Stempel im Pass in vielen Formen, Farben und
Schriften. Hein hatte mal den Ehrgeiz, in jeder Stadt, in der er sich
länger als eine Woche aufhielt, eine Tabakspfeife zu kaufen. Das waren
entweder englische oder französische und mit jeder verband er meist
angenehme Erinnerungen. Als er später das Rauchen aufgab, behielt er die
Pfeifen noch lange und entsorgte sie schließlich, als er das „Loslassen”
gelernt hatte, sich mit fortschreitendem Alter von immer mehr zu trennen.
Jetzt sammelt er nichts mehr, doch immer mal
wieder juckt es ihn in den Fingern, wenn er schöne Krawatten sieht oder
Notizbücher, von denen er ein paar Dutzend besitzt, alle leer und auf
Füllung wartend. Die Füller für das Schreiben hat er schon, insgesamt vier
für schwarze, einen für rote und einen für grüne Tinte. Die Sammelwut hat
ihn also doch noch nicht ganz losgelassen.
Sie scheint in der Familie zu liegen, denn Heins
Bruder, dessen Haus nach dem Auszug beider Töchter fast leer stand,
breitete nun seine Sammlungen aus, die bisher im Keller ein Schattendasein
gefristet hatten. Fotobände, Kameras und optische Geräte, Indianerschmuck
– kurzum all das, was ein weit gereister Mann so am Wege findet.
Als Hein im letzten Jahr zu einer Reise in große
Ferne aufbrach, erschien sein Bruder mit einem Anliegen. Hein möge ihm
doch, bitte, ein Döschen Sand aus der Wüste von Abu Dhabi mitbringen. Hein
tat’s und erfüllte auch den nächsten Wunsch nach Sand von der
irischen Westküste, von Sylt und aus der Wesermündung. Sein Bruder
versorgt ihn mit Plastikdöschen, in denen er einst Kleinbildnegative
aufbewahrt hatte. Sie wiegen nichts, auch gefüllt mit Sand kaum etwas.
Einen Augenblick hatte Hein überlegt, an der
nächsten Baustelle alle mit dem gleichen Sand zu füllen und seinem Bruder
nach jeder Reise den gleichen Sand mit immer anderer Findegeschichte zu
schenken. Das unterließ er dann, weil er seinen Bruder doch lieber nicht
veräppeln wollte und weil er nicht ganz sicher war, ob der sich den Sand
nicht unterm Mikroskop ansehen und den Schwindel entdecken würde. Denn ein
Mikroskop hat Hein in seiner Bruders Sammlung unlängst schon mal gesehen.
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