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Die STENA NAUTICA beim Einlaufen in den Hafen von Varberg. |
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Kai Ortel Nachtfahrt übers Kattegat |
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Das im Osten Jütlands gelegene Grenå ist selbst für
dänische Hafenstädtchen ein beschaulicher Flecken Erde. Die einstmals
riesigen Flotten kleiner blauer Fischerboote gehören der Vergangenheit an,
die früher wichtige innerdänische Fährlinie nach Hundested gibt es auch
längst nicht mehr, und zuletzt hat auch der Fährverkehr nach Schweden stark
an Bedeutung verloren. Einzig die STENA NAUTICA
verkehrt von Grenå aus noch übers Kattegat. Tagsüber dauert ihre Fahrt von Grenå nach Varberg
etwas über vier Stunden, nachts ist das Schiff eine Stunde länger unterwegs.
Doch zu einer reinrassigen Nachtfähre macht das die STENA
NAUTICA noch nicht. Denn selbst als sie
1986 als NIELS KLIM
für den Fährbetrieb der Dänischen Staatsbahnen DSB in Dienst gestellt wurde,
dauerten ihre Überfahrten zwischen Århus und Kalundborg nie länger als drei
Stunden. Dagegen sind die knapp fünf Stunden, die sie seit ihrem letzten
Eignerwechsel und ihrer Rückkehr in die Ostsee 1997 für die Nachtfahrt von
Grenå ins schwedische Varberg braucht, geradezu komfortabel. Und wer vor der
arg kurzen Nachtfahrt übers Kattegat Schlaf braucht, legt sich in Grenå eh
am besten irgendwo ins Gras, davon gibt’s zum Glück reichlich zwischen
Faergevej, Kattegatcentret und den Ufern des Nordkanals, der hinter dem
Yachthafen der Stadt in die Ostsee mündet. Die Zeiten, als Grenå in den 1980er Jahren mit
Fährlinien nach Varberg, Halmstad, Helsingborg und Hundested noch ein
überaus geschäftiger Hafen war, sind jedenfalls vorbei. Nur die Fähre nach
Anholt pendelt noch wacker Tag für Tag zwischen der Ostspitze Djurslands und
dem kleinen Eiland auf halbem Weg nach Schweden hin und her. Und die STENA
NAUTICA natürlich, das letzte Schiff,
welches das Erbe des ehemaligen Stena Line-Konkurrenten Lion Ferry ins 21.
Jahrhundert gerettet hat. Doch auch bei ihr hat man „Hand angelegt” in den
27 Dienstjahren, die sie mittlerweile auf den Planken hat. Zuletzt im Winter
2001/02, als durch einen Umbau ihre Passagierkapazität von 2.000 auf 663
Personen reduziert und ihre Frachtstellfläche erweitert wurde. Spätestens
seit diesem Zeitpunkt fällt sie innerhalb der Stena Line-Flotte eher unter
die Kategorie „Arbeitstier”, denn unter das Prädikat „Kreuzfahrtschiff”,
doch was wäre die europäische Transportindustrie ohne Schiffe wie dieses? Auch von 600 Passagieren kann die STENA
NAUTICA aber an diesem Dienstagabend im
Sommer 2013 nur träumen. Ganze zwei Fußpassagiere sind es (darunter der
Autor dieses Berichts), die um kurz nach 23 Uhr im kleinen Terminal zum
Boarding aufgerufen werden und dazu einen Zettel mit Datum und Abfahrtszeit
in die Hand gedrückt bekommen, zum Vorzeigen am Schiff. Dorthin geht es dann
aber wie in guten alten Zeiten – zu Fuß quer über die Fahrspuren und mit
Lastwagen, die links und rechts an einem vorbeidonnern. Die Gangway ist
defekt, besagt ein Schild; sei’s drum. Vor den Bugtoren des Schiffes heißt
es dann noch einmal Warten, wo es im T-Shirt zu so fortgeschrittener Stunde
sogar ziemlich frisch ist plötzlich. Es sind am Ende aber nur ein paar
Minuten, und um 23:15 Uhr dürfen wir an Bord der Fähre, die außer als NIELS
KLIM auch schon als ISLE
OF INNISFREE (1992 bis 1995) und
als LION KING
(1995 bis 1996) gefahren ist. Unter Deck ist die STENA NAUTICA jedoch noch immer in weiten Teilen eine typische DSB-Fähre. Die Treppe hinauf zum Passagierdeck (7) ist nicht nur steil und eng, sondern auch schmutzig und abgenutzt. In den Korridoren dominiert typisches 80er Jahre-Linoleum, und es gibt viel Plastik rund um die Information und das geräumige Foyer. Zunächst will aber die Kabine gefunden werden, denn auch davon gibt es zum Glück noch immer einige, auch wenn die Nachtfahrt nach Varberg keine fünf Stunden dauert. Allerdings liegen sie allesamt unter dem Autodeck, also muss man gleich nach der Ankunft im Foyer mitsamt Gepäck wieder runter nach Deck 2, wo man vor ein paar Minuten gerade erst hergekommen war. Kabine 2303 entpuppt sich sodann |
als schmucklos (80er Jahre Standard eben), aber
sauber und hinreichend geräumig. Viel verändert hat man hier jedenfalls
offenbar nicht seit 1986, außer dem modernen Key Card-Schloss vielleicht. Auch an Deck erinnert noch vieles an die glorreichen
Zeiten der DSB, deren Fähren vor der Eröffnung der festen Querungen über
Öresund und Großen Belt in jedem größeren dänischen Hafen zum Stadtbild
gehörten. Das beginnt beim riesigen runden Druckknopf, mit dem die schweren
Hydrauliktüren den Weg nach draußen freigeben und reicht über Metallbänke
mit Holzauflagen, die von eher sprödem Charme sind, bis hin zu einer Reihen
von Blumentöpfen, die am Heck plötzlich wieder das „gewisse Etwas” aus dem
Nichts herzaubern. Außerdem riecht es an Deck nach der typischen Mischung
aus Diesel und Rost – einem Duft, den wohl alle älteren Fährschiffe auf der
Welt aufweisen. Und auch die Plastikbänke mit Rettungswesten darin dürfen
auf dem Sonnendeck der STENA NAUTICA
natürlich nicht fehlen. Sie bleiben allerdings den Passagieren der
Tagesfahrten vorbehalten, denn spätestens als um 23:45 Uhr die Durchsage des
Kapitäns über die bevorstehende Überfahrt (Abfahrt 23:50 Uhr) erfolgt,
beziehen die Reisenden entweder ihre Kabinen tief unten im Schiff oder
machen es sich mit Kissen und Decken bewaffnet im „Salong” gemütlich, aus
dem die Stena Line offenbar auch beim besten Willen keine „C-View Lounge”
machen konnte. Kurze Zeit später, es ist inzwischen fünf Minuten vor
Mitternacht, beginnt plötzlich der Kabinenboden zu rattern: Wir legen ab.
Eine schnelle Katzenwäsche noch (die Nacht ist schließlich kurz), dann geht
es auch schon ins Bett. Zu dumm nur, dass die öffentliche
Sicherheitsdurchsage genau dann durch die Kabinenlautsprecher schallt, als
ich gerade eingeschlafen bin. Hmpf. Und die Nacht bleibt unruhig. So tief unten im
Schiff spürt man jede Welle, und davon gibt es offenbar einige im Kattegat
in dieser Sommernacht. Mehrmals wache ich auf in den etwas mehr als vier
Stunden zwischen Grenå und Varberg, verfolgt von wirren Träumen. Um 4:15 Uhr
dann so etwas wie Erlösung – der Wecker klingelt. Da ist draußen auf dem
Korridor schon großes Hallo, dabei gibt es außer im Coffee Shop nicht mal
Frühstück an Bord zu so unchristlicher Zeit. Selbst auf der Nachtfahrt von
Rostock nach Trelleborg kann man länger schlafen, doch egal. Wer um 4:30 Uhr
morgens mit nüchternem Magen einen schweren Koffer über steile Treppenstufen
fünf Decks hinaufschleppt, dessen Körper ist in wenigen Sekunden
buchstäblich von 0 auf 100. Und oben angekommen zwar fürs erste außer Puste,
dafür aber auch so wach wie es nur geht für die nächsten Stunden auf
schwedischem Boden. Ihre fahrplanmäßige Ankunftszeit in Varberg (04:45
Uhr) verpasst die alte NIELS KLIM
am Ende um einige Minuten, doch ein Drama ist das nicht. Um 04:55 Uhr dürfen
die beiden Fußpassagiere von Bord, und da die Dame von gestern Abend nicht
nur den Weg zum Bahnhof kennt, sondern genauso wie ich dorthin muss, steht
einer schnellen Weiterfahrt nichts im Weg. Die STENA
NAUTICA hingegen fährt nach kurzem
Aufenthalt in Varberg wieder zurück nach Grenå. Unermüdlich, Tag für Tag,
und das wohl auch noch in ihrem 28., 29. und 30. Dienstjahr. Ein Arbeitstier
eben. |
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Der große kastenförmige Schornstein macht die STENA NAUTICA äußerlich unverwechselbar. |
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DSB meets Star Trek: Das zentrale Atrium der ehemals dänischen NIELS KLIM ist in Stena Line-Zeiten zum „Coffee House” umfunktioniert worden. |
Die Arkade der STENA NAUTICA bietet viele Sitzmöglichkeiten; nachts ist sie allerdings verwaist. |
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Die typischen kleinen dänischen Holzfischerboote sind auch in Grenå seltener geworden. Weit im Hintergrund dafür der neue Anholt Offshore Windpark. |
Am Nordkanal in Grenå bilden der Yachthafen und die Feriensiedlung „Skakkes Holm” eine kleine Urlaubsidylle. |
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Die STENA NAUTICA ist das letzte Schiff, welches das Erbe des ehemaligen Stena ... |
... Line-Konkurrenten Lion Ferry ins 21. Jahrhundert gerettet hat. |
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Die STENA NAUTICA fährt nach kurzem Aufenthalt in Varberg wieder zurück nach Grenå. Unermüdlich, Tag für Tag, und das wohl auch noch in ihrem 28., 29. und 30. Dienstjahr. Ein Arbeitstier eben. |
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