Seereisenmagazin Ausgabe 2-2014 

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Die STENA NAUTICA beim Einlaufen in den Hafen von Varberg.

Die STENA NAUTICA beim Einlaufen in den Hafen von Varberg.

 

Kai Ortel

Nachtfahrt übers Kattegat

Das im Osten Jütlands gelegene Grenå ist selbst für dänische Hafenstädtchen ein beschaulicher Flecken Erde. Die einstmals riesigen Flotten kleiner blauer Fischerboote gehören der Vergangenheit an, die früher wichtige innerdänische Fährlinie nach Hundested gibt es auch längst nicht mehr, und zuletzt hat auch der Fährverkehr nach Schweden stark an Bedeutung verloren. Einzig die STENA NAUTICA verkehrt von Grenå aus noch übers Kattegat.

Tagsüber dauert ihre Fahrt von Grenå nach Varberg etwas über vier Stunden, nachts ist das Schiff eine Stunde länger unterwegs. Doch zu einer reinrassigen Nachtfähre macht das die STENA NAUTICA noch nicht. Denn selbst als sie 1986 als NIELS KLIM für den Fährbetrieb der Dänischen Staatsbahnen DSB in Dienst gestellt wurde, dauerten ihre Überfahrten zwischen Århus und Kalundborg nie länger als drei Stunden. Dagegen sind die knapp fünf Stunden, die sie seit ihrem letzten Eignerwechsel und ihrer Rückkehr in die Ostsee 1997 für die Nachtfahrt von Grenå ins schwedische Varberg braucht, geradezu komfortabel. Und wer vor der arg kurzen Nachtfahrt übers Kattegat Schlaf braucht, legt sich in Grenå eh am besten irgendwo ins Gras, davon gibt’s zum Glück reichlich zwischen Faergevej, Kattegatcentret und den Ufern des Nordkanals, der hinter dem Yachthafen der Stadt in die Ostsee mündet.  

Die Zeiten, als Grenå in den 1980er Jahren mit Fährlinien nach Varberg, Halmstad, Helsingborg und Hundested noch ein überaus geschäftiger Hafen war, sind jedenfalls vorbei. Nur die Fähre nach Anholt pendelt noch wacker Tag für Tag zwischen der Ostspitze Djurslands und dem kleinen Eiland auf halbem Weg nach Schweden hin und her. Und die STENA NAUTICA natürlich, das letzte Schiff, welches das Erbe des ehemaligen Stena Line-Konkurrenten Lion Ferry ins 21. Jahrhundert gerettet hat. Doch auch bei ihr hat man „Hand angelegt” in den 27 Dienstjahren, die sie mittlerweile auf den Planken hat. Zuletzt im Winter 2001/02, als durch einen Umbau ihre Passagierkapazität von 2.000 auf 663 Personen reduziert und ihre Frachtstellfläche erweitert wurde. Spätestens seit diesem Zeitpunkt fällt sie innerhalb der Stena Line-Flotte eher unter die Kategorie „Arbeitstier”, denn unter das Prädikat „Kreuzfahrtschiff”, doch was wäre die europäische Transportindustrie ohne Schiffe wie dieses?

Auch von 600 Passagieren kann die STENA NAUTICA aber an diesem Dienstagabend im Sommer 2013 nur träumen. Ganze zwei Fußpassagiere sind es (darunter der Autor dieses Berichts), die um kurz nach 23 Uhr im kleinen Terminal zum Boarding aufgerufen werden und dazu einen Zettel mit Datum und Abfahrtszeit in die Hand gedrückt bekommen, zum Vorzeigen am Schiff. Dorthin geht es dann aber wie in guten alten Zeiten – zu Fuß quer über die Fahrspuren und mit Lastwagen, die links und rechts an einem vorbeidonnern. Die Gangway ist defekt, besagt ein Schild; sei’s drum. Vor den Bugtoren des Schiffes heißt es dann noch einmal Warten, wo es im T-Shirt zu so fortgeschrittener Stunde sogar ziemlich frisch ist plötzlich. Es sind am Ende aber nur ein paar Minuten, und um 23:15 Uhr dürfen wir an Bord der Fähre, die außer als NIELS KLIM auch schon als ISLE OF INNISFREE (1992 bis 1995) und als LION KING (1995 bis 1996) gefahren ist.  

Unter Deck ist die STENA NAUTICA jedoch noch immer in weiten Teilen eine typische DSB-Fähre. Die Treppe hinauf zum Passagierdeck (7) ist nicht nur steil und eng, sondern auch schmutzig und abgenutzt. In den Korridoren dominiert typisches 80er Jahre-Linoleum, und es gibt viel Plastik rund um die Information und das geräumige Foyer. Zunächst will aber die Kabine gefunden werden, denn auch davon gibt es zum Glück noch immer einige, auch wenn die Nachtfahrt nach Varberg keine fünf Stunden dauert. Allerdings liegen sie allesamt unter dem Autodeck, also muss man gleich nach der Ankunft im Foyer mitsamt Gepäck wieder runter nach Deck 2, wo man vor ein paar Minuten gerade erst hergekommen war. Kabine 2303 entpuppt sich sodann

als schmucklos (80er Jahre Standard eben), aber sauber und hinreichend geräumig. Viel verändert hat man hier jedenfalls offenbar nicht seit 1986, außer dem modernen Key Card-Schloss vielleicht. Doch zurück zum Schiff selber. Die STENA NAUTICA ist aufgehübscht worden in den letzten Jahren und versucht so gut es geht, sich in Farb- und Namensgebung unter Deck an den Rest der Stena Line-Flotte anzugleichen (Food City, Coffee Shop ...). Das große Foyer mittschiffs kommt mit glänzendem Laminat in Holzbohlenoptik daher und mit Stühlen, Sofa-Polstern sowie Wandverkleidungen in knalligem Blau. Nur die Querstreben unter dem Glasdach in der Decke muten wie eine Mischung aus Star Trek-Kulisse und Fabrikhalle an. Dafür gibt es, wie auch schon auf den drei IC-Fähren DRONNING INGRID, KRONPRINS FREDERIK und PRINS JOACHIM, an den Seiten des Schiffes öffentliche Toiletten mit Meerblick – nicht viele Reedereien bieten diesen Luxus auf dem „Örtchen”.

Auch an Deck erinnert noch vieles an die glorreichen Zeiten der DSB, deren Fähren vor der Eröffnung der festen Querungen über Öresund und Großen Belt in jedem größeren dänischen Hafen zum Stadtbild gehörten. Das beginnt beim riesigen runden Druckknopf, mit dem die schweren Hydrauliktüren den Weg nach draußen freigeben und reicht über Metallbänke mit Holzauflagen, die von eher sprödem Charme sind, bis hin zu einer Reihen von Blumentöpfen, die am Heck plötzlich wieder das „gewisse Etwas” aus dem Nichts herzaubern. Außerdem riecht es an Deck nach der typischen Mischung aus Diesel und Rost – einem Duft, den wohl alle älteren Fährschiffe auf der Welt aufweisen. Und auch die Plastikbänke mit Rettungswesten darin dürfen auf dem Sonnendeck der STENA NAUTICA natürlich nicht fehlen. Sie bleiben allerdings den Passagieren der Tagesfahrten vorbehalten, denn spätestens als um 23:45 Uhr die Durchsage des Kapitäns über die bevorstehende Überfahrt (Abfahrt 23:50 Uhr) erfolgt, beziehen die Reisenden entweder ihre Kabinen tief unten im Schiff oder machen es sich mit Kissen und Decken bewaffnet im „Salong” gemütlich, aus dem die Stena Line offenbar auch beim besten Willen keine „C-View Lounge” machen konnte. Kurze Zeit später, es ist inzwischen fünf Minuten vor Mitternacht, beginnt plötzlich der Kabinenboden zu rattern: Wir legen ab. Eine schnelle Katzenwäsche noch (die Nacht ist schließlich kurz), dann geht es auch schon ins Bett. Zu dumm nur, dass die öffentliche Sicherheitsdurchsage genau dann durch die Kabinenlautsprecher schallt, als ich gerade eingeschlafen bin. Hmpf.

Und die Nacht bleibt unruhig. So tief unten im Schiff spürt man jede Welle, und davon gibt es offenbar einige im Kattegat in dieser Sommernacht. Mehrmals wache ich auf in den etwas mehr als vier Stunden zwischen Grenå und Varberg, verfolgt von wirren Träumen. Um 4:15 Uhr dann so etwas wie Erlösung – der Wecker klingelt. Da ist draußen auf dem Korridor schon großes Hallo, dabei gibt es außer im Coffee Shop nicht mal Frühstück an Bord zu so unchristlicher Zeit. Selbst auf der Nachtfahrt von Rostock nach Trelleborg kann man länger schlafen, doch egal. Wer um 4:30 Uhr morgens mit nüchternem Magen einen schweren Koffer über steile Treppenstufen fünf Decks hinaufschleppt, dessen Körper ist in wenigen Sekunden buchstäblich von 0 auf 100. Und oben angekommen zwar fürs erste außer Puste, dafür aber auch so wach wie es nur geht für die nächsten Stunden auf schwedischem Boden.

Ihre fahrplanmäßige Ankunftszeit in Varberg (04:45 Uhr) verpasst die alte NIELS KLIM am Ende um einige Minuten, doch ein Drama ist das nicht. Um 04:55 Uhr dürfen die beiden Fußpassagiere von Bord, und da die Dame von gestern Abend nicht nur den Weg zum Bahnhof kennt, sondern genauso wie ich dorthin muss, steht einer schnellen Weiterfahrt nichts im Weg. Die STENA NAUTICA hingegen fährt nach kurzem Aufenthalt in Varberg wieder zurück nach Grenå. Unermüdlich, Tag für Tag, und das wohl auch noch in ihrem 28., 29. und 30. Dienstjahr. Ein Arbeitstier eben. Stena Line

Der große kastenförmige Schornstein macht die STENA NAUTICA äußerlich unverwechselbar.Der große kastenförmige Schornstein macht die STENA NAUTICA äußerlich unverwechselbar.

DSB meets Star Trek: Das zentrale Atrium der ehemals dänischen NIELS KLIM ist in Stena Line-Zeiten zum „Coffee House” umfunktioniert worden. DSB meets Star Trek: Das zentrale Atrium der ehemals dänischen NIELS KLIM ist in Stena Line-Zeiten zum „Coffee House” umfunktioniert worden.

 

Die Arkade der STENA NAUTICA bietet viele Sitzmöglichkeiten; nachts ist sie allerdings verwaist.Die Arkade der STENA NAUTICA bietet viele Sitzmöglichkeiten; nachts ist sie allerdings verwaist.

Typisch skandinavisch: Minimalistische Gemütlichkeit in der Main Lounge der STENA NAUTICA.Typisch skandinavisch: Minimalistische Gemütlichkeit in der Main Lounge der STENA NAUTICA.

Der 
			Charme der 1980er Jahre: Eine Innenkabine.Der Charme der 1980er Jahre: Eine Innenkabine.

Steile Treppen 
			führen vom Autodeck hinauf in die öffentlichen Räume.

Steile Treppen führen vom Autodeck hinauf in die öffentlichen Räume.

Das Sonnendeck der STENA NAUTICA bei Nacht. Als Sitzgelegenheit dienen Holzbänke und die Kisten mit Rettungswesten. Das Sonnendeck der STENA NAUTICA bei Nacht. Als Sitzgelegenheit dienen Holzbänke und die Kisten mit Rettungswesten.

Die 
	typischen kleinen dänischen Holzfischerboote sind auch in Grenå seltener 
	geworden. Weit im Hintergrund dafür der neue Anholt Offshore Windpark.Die typischen kleinen dänischen Holzfischerboote sind auch in Grenå seltener geworden. Weit im Hintergrund dafür der neue Anholt Offshore Windpark.

 

Am 
	Nordkanal in Grenå bilden der Yachthafen und die Feriensiedlung „Skakkes 
	Holm” eine kleine Urlaubsidylle.Am Nordkanal in Grenå bilden der Yachthafen und die Feriensiedlung „Skakkes Holm” eine kleine Urlaubsidylle.

Die STENA NAUTICA ist das letzte Schiff, welches das Erbe des ehemaligen Stena ...Die STENA NAUTICA ist das letzte Schiff, welches das Erbe des ehemaligen Stena ...

 

... Line-Konkurrenten Lion Ferry ins 21. Jahrhundert gerettet hat.

... Line-Konkurrenten Lion Ferry ins 21. Jahrhundert gerettet hat.

Die STENA NAUTICA fährt nach kurzem Aufenthalt in Varberg wieder zurück nach Grenå. Unermüdlich, Tag für Tag, und das wohl auch noch in ihrem 28., 29. und 30. Dienstjahr. Ein Arbeitstier eben.Die STENA NAUTICA fährt nach kurzem Aufenthalt in Varberg wieder zurück nach Grenå. Unermüdlich, Tag für Tag, und das wohl auch noch in ihrem 28., 29. und 30. Dienstjahr. Ein Arbeitstier eben.

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