Herbert Fricke · Ressortleiter HamburgMagazin
„Entschleunigt die Kreuzfahrt!” − das war der
Titel unseres letzten Editorials vom 1. März. Das Essay hat in
Kreuzfahrtkreisen hohe Wellen geschlagen. Es scheint, als hätten wir den
Nagel auf den Kopf getroffen, wie man so sagt. Oder in ein Wespennest
gestochen. Das Echo war jedenfalls außergewöhnlich. Viel Zustimmung, ganz
wenig Ablehnung, kaum Bedenken. Schon bei der ITB in Berlin drehte sich dann
gleich so manches Fachgespräch um dieses Thema. Und wir wissen, dass unser
Editorial bei fast allen Kreuzfahrtveranstaltern, in Reedereien und
Reisebüros ausgedruckt wurde und die Runde machte. Sogar bis nach Amerika
fand es seinen Weg – fachlich bestens übersetzt.
Sogleich gab die Branche der Erkenntnis einen
Namen: „Slow Cruising” heißt also jetzt das Motto. Erste Anbieter haben
schon reagiert und entschleunigte Kreuzfahrten im Mittelmeer in ihr Programm
genommen. Ganz ähnlich strukturiert, wie wir es angeregt hatten. Längere
Liegezeiten, häufiger auch über Nacht, interessante Ausflüge ohne Hetze.
„Nachhaltige Besichtigungen” nennen das die Veranstalter jetzt. Man nimmt
sich Zeit, Land und Leute kennenzulernen. Den Kreuzfahrern werden
interessante Gesprächspartner vermittelt. So diskutierten amerikanische
Kreuzfahrtgäste mit Lech Wałęsa auf der Werft in Danzig. Deutsche
Kunst-Interessierte mit russischen Malern in der Eremitage. Kriegsveteranen
mit Überlebenden in Estland.
Wir schlagen vor, Sportinteressierte mit WM-Organisatoren in Brasilien
zusammenzubringen. Oder reisende Wirtschaftler mit Bankern in der
Finanzmetropole London. Oder Weinliebhaber mit Winzern in Bordeaux.
Möglichkeiten, Kreuzfahrten spannend und interessant zu machen, gibt es
viele. Und die Zeit dazu sollte man sich nehmen, anstatt – wie bisher –
atemlos von Hafen zu Hafen zu jagen, volle Fahrt voraus, anlegen, ablegen,
alles für 120 Minuten an Land. Wenn man die fremden Städte und Länder nicht
nur oberflächlich kennenlernen will, muss man sich Zeit und Muße nehmen. So
habe ich zum Beispiel Kreuzfahrer in Dubai angeregt, das höchste Hotel der
Welt zu besichtigen. Die Hoteliers waren sehr entgegenkommend, die
Kreuzfahrer ganz begeistert.
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Warum also nicht die Pferdezüchter in der
Camargue, das riesige Stadion Camp Nou in Barcelona, die Tulpenbauern in
Amsterdam oder die Gewürzfarmer auf Sansibar besuchen? Oder Brigitte Bardot
in St. Tropez, Prinzessin Charlene in Monte Carlo, Uwe Seeler in Hamburg?
Oder – wie ich neulich – Thomas Fritsch auf Mykonos. Fast alle Promis, die
um solche Begegnungen gebeten werden, reagieren positiv. Einerseits sind sie
zumeist stolz auf ihre Arbeit, manche fühlen sich geehrt, andere hoffen,
eine künftige Kundschaft zu generieren. Wie zum Beispiel die Geschäftsführer
der Luxushotels in der ägyptischen Soma-Bay am Roten Meer. Kreuzfahrer
aus Safaga oder von Reede können dort einen ganzen Tag lang den herrlichen
Strand, die Hotelanlagen, die Pools, die SPA-Einrichtungen benutzen, und wer
solch ein Paradies auf seiner Kreuzfahrt kennengelernt hat, kommt gewiss
auch ohne Schiff gern mal wieder her.
Dabei dürfen solche Begegnungen nie ins
simpel Kommerzielle abgleiten. Niemand will im Basar von Istanbul
stundenlang mit Teppichhändlern reden. Wer mit den Basaris feilschen will,
sollte das am besten alleine tun, ohne eine Reisegruppe. Aber wie toll, als
Kreuzfahrtdirektor Wolfgang Frank vor einiger Zeit an Bord Theaterkarten für
das berühmte Marinsky-Theater in St. Petersburg anbieten konnte, weil das
Schiff über Nacht an der Newa blieb. Oder als wir in Edinburgh das
weltberühmte Tatoo, in Sevilla die Osterprozessionen, in Monte Carlo das
Höhenfeuerwerk besichtigen konnten, weil unsere Schiffe im Hafen blieben und
nicht – wie meist noch üblich – um 18 Uhr hinausdampften in die dunkle See.
Die Idee für den Vorschlag „Entschleunigt die
Kreuzfahrt” war ja schon im Winter in Lübeck entstanden. Ich war Ehrengast
beim Festessen des Vereins der Kapitäne und Schiffsoffiziere in der
altehrwürdigen Lübecker Schiffergesellschaft. An der gleichen Back, an der
Bismarck seinem sauren Lieblingshering seinen Namen verlieh. Wir aßen und
tranken und kamen ins lockere Gespräch. Und da teilten so etliche Kapitäne
meine Beobachtung an Bord von Kreuzfahrtschiffen. Und kritisierten die
Hetze, die Rast- und Ruhelosigkeit auf solchen Törns. Kaptän Jörg
Sträussler, unser Gastgeber, wies mich darauf hin, wie sehr auch die
Besatzungen unter dem eigentlich unnötigen Stress zu leiden hätten.
Werftkaptitäne und -ingenieure berichteten,
wie sich die langsamere Fahrt und die Einsparung von Treibstoff auch
konstruktiv bei den Schiffsneubauten auszuwirken begännen. Der steile Bug
(wie bei den neuen AIDA-Schiffen), der Blasenteppich (wie bei den neuen
TUI-Schiffen) – dies und manches mehr sei erst durch die Erkenntnis
entstanden, dass hohes Fahrttempo kein Kriterium mehr in der Kreuzfahrt sei.
Die Nautiker gaben also Anregungen und Empfehlungen, und alles dies und
manche eigene Überlegung formulierte ich in unserem letzten Editorial. Wir
freuen uns über das große Echo, an Bord und auch an Land.
Jetzt gleich ein neues Thema: Die
Klassendampfer kommen wieder. Ich meine die Schiffe mit Decks für Passagiere
der 1. und 2. Klasse. So wie es zu TITANIC-Zeiten üblich war. Damals gab es
sogar drei Klassen an Bord, ähnlich wie bei der alten Reichsbahn. Der
Hintergrund wird deutlich, wenn man die neuen Riesendampfer sieht. Schiffe
mit Platz für sechs- und siebentausend Menschen. Schwimmende Kleinstädte mit
der Masse Mensch an Bord. Da beginnt die alte Kreuzfahrt-Klientel
abzuspringen. Das wollen viele nicht mehr, dieses Gewusel an Bord, diesen
maritimen Massentourismus. Deshalb steuern nun erste Anbieter dagegen. Die
Amerikaner haben erfolgreich damit angefangen. Jetzt ziehen die Italiener
nach. Bei MSC Cruises kann man die Erste Klasse auf den Oberdecks buchen.
„Yacht Club” nennt sich das Angebot
freundlich verschleiert. Diese Passagiere fahren zwar auf dem gleichen
Schiff, haben aber ihre eigenen Butler, ihre Suite, ihren eigenen
Liegestuhl, ihren eigenen Pool, ihre eigenen Restaurants und überhaupt
deutlich mehr Platz als die Billigbucher tief da unten. „Yacht
Club”-Passagiere zahlen im Schnitt doppelt so hohe Preise, wie das einfache
seefahrende Volk. Dafür reisen sie exklusiv und luxuriös. Die Veranstalter
werden genau beobachten, ob es dadurch Spannungen oder Neidgefühle gibt. Bei
der Bahn und im Flugzeug erkennt jeder die Erste Klasse an. Da ist das
selbstverständlich geworden. Wie wird die Gäste-Trennung auf See angenommen?
Wie hat Bert Brecht geschrieben: „die einen
stehen im Schatten, die andern im Licht” … Heißt es nicht „Sonnendeck” für
alle? Oder gibt es nun auch „Schattendecks”? Wir beobachten die
Kreuzfahrtszene jedenfalls aufmerksam weiter und bleiben journalistisch am
Ball … (nach der WM sage ich dann wieder: wir bleiben am Ruder). A propos
WM: die wird auf vielen Schiffen live übertragen. Kein Grund also, zuhause
zu bleiben.
In diesem Sinne Mast- und Schotbruch,
Ihr Herbert Fricke
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