Als wir die RYANNE sehen, ist es Liebe auf den
ersten Blick: Das Hausboot, auf dem die Dreigenerationen-Familie die letzte
Woche im Oktober verleben will, ist eine durchaus schnittig anmutende Yacht.
Gerade kehrt Familienvater und Freizeitkapitän Stephan von seiner
Trainingsfahrt zurück und parkt „unser” Schiff im Heimathafen des
Charterbetriebs in Woudsend ein.
Angesichts der fast 15 Meter Länge und 4,5 Meter
Breite ist das gar nicht so einfach, stellt der Rest der Familie, der das
Manöver vom Steg aus beobachtet, fest. Aber alles geht gut, und der Käpt’n
wird freudig begrüßt. In der nächsten halben Stunde sind Oma, Opa, die
Mutter und die drei Kinder eifrig damit beschäftigt, das ganze Gepäck sowie
die mitgebrachten Lebensmittelvorräte an Bord zu verstauen.
Ein bisschen skeptisch war man vorher schon: Wie
werden wir zu siebt eine ganze Woche auf engem Raum miteinander auskommen?
Beherrscht unser Skipper bei seinem ersten Törn den Umgang mit dem Boot?
Wird das Wetter so spät im Herbst mitspielen? Doch eine strahlende Sonne und
blauer Himmel sorgen beim Start für beste Stimmung, wenn auch das
Thermometer recht frische Temperaturen anzeigt. Aber dagegen helfen ja warme
Jacken und Mützen, und das Boot ist bereits behaglich geheizt. Außerdem hat
die Mutter eine kleine Überraschung vorbereitet: bedruckte Halstücher mit
den Namen der einzelnen Crew-Mitglieder und ihrem „Rang” an Bord – vom
Matrosen über den Smutje bis zum Kapitän.
Als sich die RYANNE kurze Zeit später durch einen
pittoresken Kanal in Richtung Heeger Meer schlängelt, herrscht auf Deck
fröhliche Aufgeregtheit. An einer besonders schmalen Stelle kommt ein
Plattbodensegler entgegen. Die älteren Semester halten kurz den Atem an und
mahnen zur Vorsicht, doch es gibt kein Problem. Langsam aber sicher fasst
man Vertrauen in die Manövrierkünste des Skippers und lässt sich den
frischen Wind um die Nase streichen. Auf dem Vorderdeck aneinander
gekuschelt und eingehüllt in wärmende Wolldecken, genießen Jung und Alt die
Fahrt über den langgestreckten See. Sie führt uns in gemächlichem Tempo nach
etwa drei Stunden nach Stavoren, ein Küstenstädtchen am Ijsselmeer.
Etliche
Segler nutzen das wunderbare Wetter und die kräftige Brise an diesem
Oktober-Wochenende für einen Törn und säumen unser Fahrwasser. Vor allem die
traditionsreichen Plattbodenschiffe bieten einen herrlichen Anblick und
lassen Seefahrerromantik aufkommen. In der Ferne ist allerdings auch ein
gekentertes Segelboot zu sehen, das von der Besatzung mit viel Mühe wieder
aufgerichtet wird. Die Vorstellung, in dem kalten Wasser zu landen und
danach durchnässt auf einem offenen Boot zu sitzen, lässt uns erschaudern.
In Stavoren finden wir einen schönen Liegeplatz und
führen zum ersten Mal gemeinsam ein Anlegemanöver durch. Wer macht mit
welchem Tau wo fest? In welcher Reihenfolge? Eifrig, aber auch ein wenig
hektisch und unkoordiniert hilft jeder mit, so gut er kann. Die nächsten
Tage werden noch ausreichend Gelegenheit zum Üben bieten. Auf jeden Fall ist
die Crew sich einig: Auf die erste gelungene Fahrt muss jetzt erst mal
angestoßen werden. Leichtmatrose Jonathan lässt den Korken der Sektflasche
knallen, und sogleich erklingt aus vollen Kehlen das Lied: „Wir lagern vor
Madagaskar”.
Nach einem ausgiebigen Spaziergang, einem deftigen
Dinner aus Omas Kombüse und einigen Runden Rommée schlüpfen alle sehr
zufrieden in ihre Kojen. In der nach vorne schmaler zulaufenden Bugkabine,
die wegen eines eigenen Sanitärbereichs für die Großeltern reserviert ist,
wird noch ein wenig um die optimale Platzverteilung gerungen, dann herrscht
himmlische Ruhe. Fast! Das vom Wind leicht bewegte Wasser erzeugt an der
Stahlwand der RYANNE ein schmatzendes Geräusch, das uns eine ganze Weile am
Einschlafen hindert. Und als Opa gegen 4 Uhr morgens zur Toilette muss,
schrecken manche aus dem Schlaf auf, weil plötzlich eine Pumpe anspringt und
einen mittleren Radau verursacht.
Auf dem Wasserweg in Richtung Workum gilt es erstmals, Brücken und eine
Schleuse zu bewältigen, wie auf der Seekarte zu sehen ist.
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Auf etwa halber Strecke
steuert der Vater das Boot zielstrebig in ein idyllisches Dörfchen hinein.
Doch, ups, hier sind wir in einer Sackgasse gelandet. Man muss auf der Karte
schon genau hinschauen, ob eine Brücke mit dem Zusatz „BB” – für „bewegliche
Brücke” – gekennzeichnet ist. Die Brücke in diesem Dorf hat, wie wir erst
jetzt bemerken, leider kein „BB”. Es bleibt nichts anderes übrig, als das 15
Meter lange Gefährt auf der Stelle zu wenden. Sehr hilfreich ist dabei das
Bugstrahlruder, das zwar einen unschönen Lärm macht, dafür aber seitliche
Bewegungen ermöglicht.
Nach diesem kleinen Schrecken folgt schon gleich
der nächste: Der Tiefenmesser zeigt an, dass das Boot nur knapp über dem
Grund fährt. Nun haben wir endgültig verstanden, wie wichtig das genaue
Lesen der Seekarte ist. Und warum sich Seeleute gegenseitig immer „eine
Handbreit Wasser unterm Kiel” wünschen. Nach diesen beiden Adrenalin-Kicks
ist es Zeit für eine Pause. Ein wunderschöner Anlegeplatz am Ufer einer
kleinen, mit Schilf bewachsenen Insel lädt geradezu dazu ein. Diesen
Zwischenstopp mitten in der Natur verdanken wir der Arbeitsgemeinschaft
Marrekrite, einer Kooperation der Provinz Friesland und 22 friesischen
Gemeinden. Sie pflegt und unterhält über 500 kostenlos nutzbare
Anlegeplätze, die sich meist an den schönsten Stellen in der freien
friesischen Natur befinden.
Später erreichen wir, wie geplant, Workum und damit
die erste, nun tatsächlich bewegliche Brücke. Als Skipper Stephan mit
gedrosselter Geschwindigkeit darauf zufährt, hebt sie sich langsam; zugleich
schaltet eine Ampel vor uns von Rot auf Grün. Mit großem Spaß steckt eines
der Kinder beim Hindurchfahren eine Euromünze in den Holzschuh, den der
Brückenwärter geschickt an einer Angel zu uns herüber schwingt. Dieses
kleine Schauspiel werden wir in den nächsten Tagen noch häufig erleben. Wo
auch immer wir mit unserem Freizeitdampfer ankommen, heben sich kleine und
große Brücken, selbst vierspurige Autobahn- sowie Eisenbahnbrücken!
Vom Wasser aus werden nach Workum auch die
Friesenstädtchen Bolsward, Sneek, Akkrum, Grou und Sloten erobert. Ein sehr
entspannter, aber auch erlebnisreicher Tagesrhythmus stellt sich ein.
Während der gemächlichen Fahrt lässt man sich auf Deck den Wind um die Nase
wehen und den Blick über die flache friesische Landschaft schweifen. Mal
nutzt man die Zeit für Gespräche, mal übernimmt man eine Schicht am Steuer,
was besonders bei der Jugend beliebt ist. Und wer Lust hat, macht es sich
unter Deck mit einem Buch oder beim Kartenspiel gemütlich. Nach dem Anlegen
schwärmt die Großfamilie aus, um bei ausgiebigen Landgängen die Städtchen zu
erkunden.
In Sneek „parken” wir mit optimaler Aussicht auf
das 1613 entstandene Wassertor, das mit seinen beiden schlanken Türmen das
Wahrzeichen der Stadt ist. Bei Dunkelheit angestrahlt, entfaltet dieses
außergewöhnliche Bauwerk gerade am Abend seine volle Pracht. Auch der am
Prinses-Margriet-Kanal gelegene Ort Grou, ein Zentrum für den Wassersport in
Friesland, gefällt uns sehr gut. Wieder einmal ist der schönste Liegeplatz
direkt im Zentrum der kleinen Altstadt für uns frei. Dies ist sicherlich der
Tatsache geschuldet, dass wir nicht in der sommerlichen Hauptsaison, sondern
im Herbst unterwegs sind.
Am vorletzten Tag entdeckt der Großvater am Ufer
ein Schild, auf dem ein Bauernhof frische Milch und Butter anpreist. Diese
Gelegenheit wollen wir natürlich nicht auslassen. Wann fährt man sonst schon
mal mit dem Schiff zum Einkaufen. Spontan wird die RYANNE am Ufer
festgemacht, damit Opa und Enkel auf dem Bauernhof Milch und Butter besorgen
können. Kurze Zeit später kehren die beiden nach erfolgreichem Handel
zurück. Selbstverständlich schmecken die Produkte in dieser Umgebung ganz
besonders lecker. Da die Milch schnell ausgetrunken ist, muss gleich noch
einmal Nachschub geholt werden. Und ein paar Tage später, als wir wieder
zuhause sind, weckt die gute „Roomboter” aus Friesland beim Frühstück
schönste Erinnerungen an einen perfekten Großfamilien-Urlaub. Wir lassen sie
uns auf der Zunge zergehen.
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