Da stehe ich an der Reling und betrachte das
vorbeigleitende Lichtermeer von Lissabon, die steilen Straßen, die
hinaufführen auf die Hügel der Altstadt, in die Bairro Alto,
dazwischen die beleuchteten Kirchtürme, die kakaofarbenen Mauern, die man am
besten über die berühmten Fahrstühle, die Elevadores, erreicht, und drüben
am anderen Ufer der weiße Marmorchristus, der seine Arme ausbreitet über dem
Rio Tejo, dieser Lebensader der portugiesischen Hauptstadt, wir gleiten
hindurch unter der weltberühmten Hängebrücke, die bei ihrem Bau vor 50
Jahren die längste Brücke der Welt gewesen ist, und die Luft, sie duftet
nach Wein und Sardinen und auch schon so ein bisschen nach Meer und
atlantischer Weite, der Tejo wird immer breiter, ein paar Segler im goldenen
Gegenlicht, Cascais und Estoril, diese berühmten Badeorte, gleiten vorbei,
Musikfetzen klingen herüber, die grünen Straßenbahnen, die seit fast einem
Jahrhundert am Fluss-Ufer entlang fahren, sehen aus wie
Märklin Spur OO, wie Leihgaben aus Seehofers Spielzeugkeller, und ich
trinke und schmecke und denke, dass die irdische Historie immer weiter geht,
dass der Mond hier auch vor tausend Jahren genauso herabgeschienen hat auf
den ewigen Fluss, und dass er auch in tausend Jahren so herabscheinen wird,
auch auf diesen Globus, der auch dann noch ERDE heißen wird?
Ein kleines Schiff wie die HAMBURG, das erlebe ich
nun wieder, macht Eindrücke tiefer, Sehnsüchte sehnlicher, Gedanken weiter,
und Personen viel persönlicher. Auf kleinen Schiffen ist man Teil der Welt.
Auf großen Schiffen ist man Teil des Schiffs. Das ist so wie mit dem
gemütlichen Berggasthof und dem Luxushotel mit 800 Zimmern.
Ich will hier gar nicht groß werten, was nun das Bessere und
Richtigere sei. De gustibus non est disputandum, über Geschmäcker kann man
nicht streiten. Ich weiß nur: hin und wieder fragt das Meer nach mir. Es
will mich sehen, will mich treffen. Und auf einem solch kleinen Schiff bin
ich ihm näher, meinem Meer.
Es ist also reines Glück, dass sich eine Handvoll
Reedereien gefunden haben, solch kleine Schiffe weiter zu betreiben.
Plantours und die HAMBURG sind solch ein Glücksfall, vor allem für
Individualisten. Show-Elemente, also gutgemeinte Ablenkungsmanöver von Kunst
und Künstlern, halten sich in engen Grenzen. Wer auf einem Schiff wie der
HAMBURG fährt, braucht keine Animation. Er braucht Luft und Lust zu leben.
Empfänglichkeit für Weite und Natur. Er braucht zwei Ellenbogen für die
Reling. Und ein paar Euro für den Landgang. Manchmal eine Mütze, manchmal
eine Regenjacke. Aber keinen Smoking.
Der Fahrstuhl kommt – gefühlt – so alle halbe Stunde
mal vorbei. Also rafft man sich auf, die drei, vier, fünf Decks hinauf- und
hinab zu gehen – und merkt schon am zweiten Tag, wie gut das dem
bewegungsfaulen Körper tut. Es
gibt nur eine Tischzeit, was ebenfalls von großem Vorteil ist. Das Essen ist
kein Mastbetrieb, sondern wohldosierter Genuss. Die Stewards und
Stewardessen kommen aus vieler Herren Länder, und sind allesamt von
internationaler Höflichkeit und hoher Professionalität. Ich mag es, wenn
Olga aus der Ukraine stammt und Modi von den Philippinen und mir beide aus
der Heimat erzählen, und wenn Modi die Pfeffermühle über meinem Ribeye dreht
und Olga weiß, dass ich nach dem Essen einen Jubi mag, und wenn unsere
gemeinsame Sprache ein wunderschöner bunter verbaler Fleckenteppich ist.
Seefahrt ist seit altersher international, navigare necesse est, das wussten
schon die alten Römer und jetzt die jungen Rentner.
Ja, es ist schade, dass so relativ wenige junge
Leute die Zeit und die Muße finden, auf Kreuzfahrt zu gehen. Na klar, die
müssen arbeiten. Kinder betreuen. Karriere machen. Trotzdem darf ich es
bedauern. Denn bei kaum einer anderen Reise-Art lernt man Land und Leute
besser kennen. Vor allem auf so einem kleinen Schiff wie der HAMBURG. Auf
den Riesenpötten machen viele ja Urlaub der Pötte wegen. Massenmenschen
lieben Menschenmassen. Dort wird Trubel nicht als trouble empfunden. Obwohl
der Wortstamm der gleiche ist. Ob der stählerne Hotelpalast sich nun
schwimmend fortbewegt oder nicht, das scheint für viele Schiffsurlauber
relativ egal. Bisweilen hatte ich dort an Bord den Eindruck, das Schiff
könnte eigentlich auch im Hafen liegenbleiben. Relativ unbemerkt von seinen
Passagieren. Ein großes Ballermann-Hotel bleibt ja auch auf Mallorca stehen
und bewegt sich nicht.
Auf einem kleinen Schiff wie der HAMBURG ist das
komplett anders. Deshalb sollte man wohl auch verbal die beiden Urlaubsarten
unterscheiden. Denn sie haben wenig gemeinsam. Außer, dass die Zimmer hier
und dort „Kabinen” heißen. Ich habe diese Kurzreise von Lissabon nach
Hamburg sehr genossen und weiß aus sehr aufgeschlossenen Gesprächen an der
Reling, dass es wohl den meisten anderen Passagieren ähnlich ging.
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Etliche haben von El Ferrol in Galizien aus den
Ausflug nach Santiago de Compostela unternommen und sich die berühmte
Kathedrale mit dem fliegenden Weihrauch-Kessel angeschaut. Andere waren
besonders begeistert von der Blumenpracht auf Guernsey, dieser südlichsten
Kanal-Insel mit dem
subtropischen Golfstromklima, übrigens schon vor dem „brexit” ziemlich
unabhängig vom „Vereinigten” Königreich. Und ich habe mich mal rechnerisch
erkundigt: wo bei uns hundert Emigranten wohnen, sind es in Großbritannien
zwei. Eine davon, Mai Li aus Laos, hat mir auf Guernsey die Haare
geschnitten. Etliche der Blumenpflücker auf der Insel kommen aus Polen, sie
wollen nun bald zurück nach Schleswig-Holstein. Wo sich inzwischen aber die
Rumänen angesiedelt haben …
Alle Passagiere waren begeistert von der besonderen
Atmosphäre in Honfleur an der Seine-Mündung. Honfleur ist eine bezaubernde
kleine Hafenstadt am Rande der Normandie, das „Vieux Bassin” im Herzen des
Ortes mit all den Fischkuttern und Segelbooten bildet eine einmalig
malerische Kulisse. Entlang dem Quai Sainte-Catherine schmiegt sich ein
Restaurant ans andere. Honfleur ist das Zentrum der französischen
Austernfischerei, man trinkt Pastis und Calvados und schlürft die Austern …
und hundert Schritte weiter warnt der gestrenge Monsieur le Cardinal in der
größten Holzkirche Frankreichs vor irdischer Völlerei, aber hat dabei schon
den Duft seiner Gänseleberpastete in der priesterlichen Nase … Ringsherum
die berühmten Käsedörfer Livarot, Pont-l’Evèque und Camembert, die liebliche
Cote d’Albâtre und die normannischen bocages, dieses unendliche Mosaik
sattgrüner Felder und Wiesen, und ein ums andere Mal frage ich mich: warum
hat Mutter Natur manche Gegenden unseres Globus derart bevorzugt?
In Oostende (so schreiben es die Belgier) war
Hafentag mit hundert Schiffen, Seite an Seite dümpelnd, flaggengeschmückt,
und ringsherum ein Markt mit tausend Köstlichkeiten, hoch darüber in den
Rahen schwindelfreie Seeleute beim Reffen der Segel, viel live-Musik aus
internationalen Kehlen, am Haken hängend riesige Lachse mit Räucherduft und
goldglänzender Haut … und ausgestellt in all dem maritimen Getümmel auch der
erste Jeep, der hier ganz in der Nähe vom Landeboot der Amerikaner an die
Küste gerollt ist, am Utah-Beach, am 6. Juni 1944, dem
legendären D-Day, dem Anfang vom Ende der deutschen Besatzung, dem
Anfang vom Ende eines idiotischen Krieges.
Ist nicht jeder Krieg ein Ausdruck von staatlicher
Idiotie? … frage ich mich inmitten all des friedlichen Trubels hier. Vor 200
Jahren hat sich Napoleon hier angelegt mit den Briten und den Preußen, bis
er sein Waterloo erlebte. Im Ersten Weltkrieg haben sich hier in
Nordfrankreich und Belgien Millionen von Soldaten auf Befehl ihrer
schwachsinnigen Monarchen gegenseitig abgeknallt … sie sind „gefallen” – wie
man schonend sagt. Mein Vater war als Leutnant dabei, das arme Schwein, und
ich besitze die kostbaren, komplett gebundenen Kupfer-Tiefdruck-Ausgaben der
„Leipziger Illustrirten” der Jahre 1914 bis 1918. Ich habe darin so viel
über die Gegenden gelesen, die ich jetzt bereise. Soviel über das Grauen und
so wenig über Austern und Rillettes. Unser Paradies hat einen blutgetränkten
Boden. Lernen wir daraus. Wir brauchen keine Gefangenen und keine Gefallenen
mehr … jamais encore, niemals wieder! Auch meine fünf Kinder sollen ihn
lesen, diesen Appell. Und die Enkel und Urenkel später auch. J’espère.
Aber zurück zum Schiff: noch einen großen Vorteil
haben kleine Schiffe wie die HAMBURG. Sie können in kleinen Häfen anlegen,
die den meisten Riesenpötten verwehrt sind. Plantours hat auch für den
kommenden Winter und das kommende Jahr äußerst attraktive Routen ausgewählt.
Besonders interessant in meinen Augen: die Touren rund um Kuba. Diese –
neben Nordkorea – letzte kommunistische Enklave der Welt öffnet gerade
wieder ihre touristischen Pforten. Mit Fidel Castro stirbt auch die rote
Insel-Ära. Das amerikanische Anleger-Kapital wartet schon. Hemingway ante
portas. Und die HAMBURG als Kuba-Pionier.
Dies ist meine sehr ehrliche „Liebeserklärung an ein
kleines Schiff”. Unser Dank geht an Kapitän Igor Gaber und Staffkapitän
Maxim Dolgov, an Kreuzfahrtdirektor Peter Schulze Isfort, an Hoteldirektor
Osman Ozpolat, an Chief Uwe Lange und Chefkoch George Podder, an die
Ausflugsleiterin Tatiana Belugina, an alle Stewards und Stewardessen und an
die gesamte Besatzung der HAMBURG.
Das SeereisenMagazin grüßt alle Passagiere und alle
Besatzungsmitglieder. Vielleicht sehen wir uns wieder, irgendwo und
irgendwann an Bord.
www.plantours-partner.de
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