NORDSEEKREUZFAHRT · AUSGABE 4/2019
Die AIDAperla in der Abendsonne in Southampton. Trotz der Bauverzögerung ist AIDA mit der Hyperion-Klasse ein Schiffstyp gelungen, der kaum einen Wunsch offen lässt. Fotos: Kai Ortel, Berlin
Kai Ortel
Freibier, Fisch und Alpenglühn –
Herbstliche Impressionen von einer Nordseekreuzfahrt mit der AIDAperla
Teil 1
Die AIDAperla ist eine schwimmende Kleinstadt und die Nordsee im Oktober wenig einladend. Bei so einer Kreuzfahrt „vor der eigenen Haustür” sind also die angelaufenen Häfen Nebensache? Weit gefehlt. Dieser Reisebericht schildert den ersten Teil der Kreuzfahrt von Hamburg über Southampton nach Le Havre.
Als sich die AIDAperla an diesem Samstagabend am Cruise Terminal Steinwerder auslaufbereit macht, könnten Wetter und Stimmung für einen Oktobertag nicht besser sein. Die Herbstsonne taucht Altona und St. Pauli in goldenes Licht, und als die Sonne noch vor dem Ablegen untergeht, leuchten Beach Club und Bordwand mal grün, mal rosa und mal violett. Den Sky Walk, einen verglasten Rundweg, der hoch oben auf Deck 15 halbkreisförmig über die Bordwand hinausragt, haben wir da bereits ausprobiert und auch die Spray Bar, jenes nicht ganz leicht zu findende kleine Aussichtsdeck genau in der Bugspitze, haben wir für einen späteren Besuch vorgemerkt. Pflichtprogramm ist dagegen die Seenotübung, bei AIDA in Deutsch und Englisch abgehalten und gepaart mit den Durchsagen eines offenbar höchst redseligen Kapitäns. Immerhin sind die Passagiere auf diese Weise bestens informiert. 4.272 sind es an der Zahl, darunter 1.400 Kinder. In Berlin und NRW sind Herbstferien, und AIDA verspricht „Spaß und Abenteuer für Kids und Teens in allen Altersgruppen”. Auch dies werden wir in den nächsten Tagen testen, zwei Exemplare der letzteren Gattung reisen nämlich mit uns mit. Das große Kind mit Mama in der Balkonkabine auf Deck 9 und das kleine Kind mit Papa in der Innenkabine auf Deck 4. Ob das gut geht?
Die Duschen sind schon mal unglaublich geräumig, endlich muss man auf seiner Kreuzfahrt einmal nicht befürchten, sich ständig an den Wänden zu stoßen. Außerdem gibt es neben den beiden Steckdosen auch noch zwei USB-Anschlüsse, auch die sind in Zeiten von Smartphones, Powerbanks, iPods & Co. gern gesehen. Schön ist auch die Hängematte auf dem Balkon, die in Kombination mit der Kuscheldecke sehr gemütlich daherkommt. Erster Neid kommt auf. Doch die Hängematte gehört fürs erste Plüsch-Yeti Reinhold, denn die Familie sagt an Deck „Tschüß” zum Hamburger Hafen, wo wir den Museumshafen Övelgönne in der Dunkelheit an Steuerbord hinter uns lassen. Einziger Wehrmutstropfen: Wie auf allen Mega-Kreuzfahrtschiffen steht man beim Auslaufen nicht mehr wie früher an der Reling, sondern hinter mannshohen Windschutzscheiben aus Panzerglas. Dafür ist auch im Jahr 2018 noch alles beim Alten, wenn man bei Wind aus der „richtigen” Richtung zuerst das Alte Land und dann Cuxhaven passiert. Dann füllt sich nämlich die Balkonkabine anstatt mit frischer Luft zuerst mit dem Odeur der Gülle von den Streuobstwiesen hinter dem Deich und dann mit jenem von Fisch(mehl), als die AIDAperla die Elbmündung erreicht.
Für das erste Abendessen an Bord entscheiden wir uns für das East Restaurant. Hier verspricht AIDA „die verschiedenen Küchen Asiens, täglich stellen wir ein Land vor. Entdecken Sie die Unterschiede zwischen den Küchen Thailands, Vietnams, Chinas, Malaysias, Singapurs, Indonesiens, der Philippinen, Birmas und Laos.” Das verheißt jedoch am Ende mehr, als gehalten werden kann, denn das Essen ist zwar lecker, aber die Auswahl am Büffet doch eher dürftig. Experimente gibt es keine und auch bei den Gewürzen geht man auf Nummer sicher. „Küche, die man auch im Seniorenheim servieren könnte”, befindet die Ehefrau. Darüber hinaus ist der Geräuschpegel hoch. Trotzdem: Von den 11 Restaurants an Bord der AIDAperla sind 8 zuzahlungsfrei, derart viel Auswahl ohne Aufpreis macht AIDA in der Branche so schnell niemand nach. Da darf das Abendessen auch unter dem Porträt einer Person stattfinden, die verdächtig nach einer Klingonen-Kriegerin aussieht und auf einem Raumschiff vielleicht besser aufgehoben wäre als auf einem Kreuzfahrtschiff.
Den passenden Kontrast dazu (und zu so ziemlich allem, wofür die christliche Seefahrt bisher bekannt war), bildet das Brauhaus auf Deck 7, jene erstmals 2010 an Bord der AIDAblu eingeführte ur-deutsche Schankwirtschaft, in der über Weißwurst, Bretzeln und Bier zu deutschem Schlagergut geschunkelt werden darf. Die AIDAperla setzt diese Tradition bereits am ersten Abend fort: Aus den Lautsprechern dröhnt „Heidi”, während auf der Bühne, aufgemuntert von DJ „Tony Tornado”, tatsächlich getanzt wird. In den Büffet-Restaurants dreht dagegen zur selben Stunde das Schnapsi-Taxi seine Runden, eine weitere AIDA-Institution. Wer dem Festmahl nach Bier aus dem Hahn und Tischwein aus der Karaffe die Krone aufsetzen will, lauscht einfach dem Glöckchen, winkt das Schnapsi-Taxi zu sich an den Tisch heran und ordert einen „Absacker” seiner Wahl. Das dann allerdings gegen Aufpreis.
Looking for Freibier
Wie die meisten Schiffe startet auch die AIDAperla mit einem Seetag in ihre Kreuzfahrt. Bis Southampton sind es 527 Seemeilen, für viele Passagiere ist nach einer langen Anreise erst einmal Ausschlafen angesagt. Am frühen Morgen geht es daher noch ruhig zu an Bord. Im „Body & Soul Sport” strampeln sich gerade mal drei Sportler auf dem Fahrrad ab, einige Meter weiter trägt ein Vater sein schlafendes Baby auf dem Arm durchs Schiff. Auch gibt es um 8 Uhr noch freie Fensterplätze im Marktrestaurant. Zwar sitzt man hier unter Plastikpalmen, aber ein opulentes Frühstück in (fast) himmlischer Ruhe mit Blick auf die Nordsee ist dann doch nicht zu verachten. Wir sind keine 24 Stunden an Bord, und schon ist der Alltag weit weg. So soll es sein.
Der Vormittag gehört den Kindern. Es geht in den Pool (bevor er zu voll wird) und, natürlich, auf die Wasserrutsche sowie in die Wildwasserbahn. Erstere, der „Racer”, macht seinem Namen alle Ehre und kommt in Form einer Doppelrutsche daher, in der über vier Decks um die Wette gerutscht werden kann. Wer zuerst unten ankommt, ob mit den fast unvermeidlichen Blessuren oder ohne, hat gewonnen. Die Wildwasserbahn auf der AIDAperla heißt dagegen „Lazy River”, wobei der „River” genaugenommen ein Kreisverkehr ist und mit „lazy” eigentlich nur gemeint sein kann, dass es hier niemanden kümmert, ob die bereitliegenden Gummireifen zum gemütlichen Herumtreiben im Wasser genutzt werden oder vielmehr als Wurfgeschosse quer über die Wildwasserbahn hinweg. Beide sind Teil des Activity-Bereiches „Four Elements”, der achtern das halbe Deck 14 einnimmt und der neben dem Wasserpark auch noch einen Baby-Pool, einen Whirlpool, einen Kinderspielplatz, den schiffseigenen Klettergarten, den Kids Club, eine Kinoleinwand, eine große Freifläche für Tanz- und Sportkurse sowie die 5. Element Bar beinhaltet. Wer es aktiv mag und wem der auf einem großen Familienschiff unvermeidliche Geräuschpegel nichts ausmacht, könnte auf diesem Deck glatt die komplette Kreuzfahrt verbringen, immerhin ist auch das Büffet-Restaurant „Fuego” nicht weit. Der eine oder andere scheint dies tatsächlich zu tun, jedenfalls gehören Passagiere, die egal zu welcher Tageszeit unbekümmert im Bademantel durch die öffentlichen Räume schlurfen (über die Außendecks gerne auch mal nackt), schnell zum gewohnten Anblick an Bord.
Kultivierter geht es weiter vorne auf Deck 7 zu. In der „Kochschule by Tim Mälzer” leitet der Fernsehkoch höchstpersönlich die lange im Voraus angemeldeten Gäste an, seine Kreationen mit- und nachzukochen. 89 € kostet es, der Rampensau („Ich bin der einzige richtige Koch im Fernsehen”) für einen Abend so nahe zu sein wie sonst nur am heimischen Bildschirm. Freunde der eher bodenständigen Küche zieht es dagegen schon am späten Vormittag ins Brauhaus, wo anstelle des feinen Steaks ein halbes Hähnchen auf den Teller kommt. Dazu das an Bord gebraute „Aida Zwickel” und musikalische Meilensteine wie „I’ve been looking for Freibier” bzw. „Trinken bis es hell ist” – letzteres zur Melodie von Smokies „Living next door to Alice”. Um 11:30 Uhr startet der Bayerische Frühschoppen, der Braumeister stellt sich vor, und kurze Zeit später gibt es besagtes Freibier dann tatsächlich. Nach dem Mittag findet in der Disco ein Cocktail-Workshop statt (mit Anleitung zum Selber-Shaken) und im Theatrium eine Versteigerung von Udo Lindenbergs berühmt-berüchtigten „Likörellen”. Das ist jetzt nicht gerade das Bordprogramm einer QUEEN VICTORIA, aber Langeweile kommt auf der AIDAperla auf diese Weise nicht auf. Der Autor dieser Zeilen flüchtet zum kulturellen Dekompensieren zur Mittagszeit ins gepflegt Weite Welt-Restaurant, wo Tony Tornado, Kindermaskottchen „Alwine” und jede Form von Verkaufsveranstaltung weit weg oder zumindest akustisch in sicherer Entfernung ist.
Der Nachmittag vergeht, wie jeder Seetag vergehen sollte: mit Spaziergängen an Deck, ein wenig Lektüre auf der Kabine, einem oder zwei Bummel durchs Schiff und dem gelegentlichen Blick ins Tagesprogramm. Das listet allein zwischen 12 Uhr und 19 Uhr nicht weniger als 18 Aktivitäten auf („Boccia mit Rebekka, Treffpunkt: Aida Plaza”), die meisten nutzen diese Stunden aber zum Faulenzen. Nur die Spray Bar ist leider geschlossen, das ist sie aber aus Sicherheitsgründen auf See grundsätzlich. Auch unser Teenie hat sich plötzlich verkrümelt, aber bei einer Reederei, deren Betreuer ihre halbstarken Schützlinge standesgemäß mit „Na, alles fett?” begrüßen, braucht man sich um das Wohlergehen der Jugend wohl keine Sorgen zu machen. Erst zum Abendessen findet die Familie wieder zusammen, heute im rot eingedeckten Bella Donna Restaurant, dessen kulinarischen Schwerpunkt nicht nur „regionale Köstlichkeiten aus Italien” bilden, sondern das mit seinen imitierten Backsteinmauern und den an der Arkade gelegenen Tischen auch höchst gelungen mediterranes Flair imitiert.
Frisch gestärkt, geht es am Abend abermals auf die Wasserrutsche, wo nur böse Zungen behaupten, meine fünf Sekunden Vorsprung gegenüber dem Zweitgeborenen lägen an einem über die Jahre angesammelten „Mehr an Verdrängung”. Wie alt man tatsächlich geworden ist, zeigt einem allerdings wenig später die „Viva 90s”-Party im Theatrium, wo nicht mehr ganz schlanke Altersgenossen mit zurückweichendem Haupthaar zu Songs wie „Hyper Hyper” die steifen Hüften schwingen. Aber na klar: Wer im Jahr 2018 mit Kindern im Schulalter auf Kreuzfahrt geht, ist selber ein Kind der 90er. Wobei der Krach, der zuweilen rings um das Theatrium herrscht, manch einen nicht davon abhält, dabei in aller Seelenruhe im Familienkreis Monopoly zu spielen. Auch dann nicht, als die Show nach 45 Minuten endet und Kreuzfahrtdirektorin Birte um Punkt 20 Uhr schon wieder Kapitän Janauschek zum „Prime Time”-Talk bzw. zur Fragestunde mit dem Publikum auf die Bühne bittet. Und was auf einem internationalen Schiff aufgrund von Sprachbarrieren mitunter zäh und gestelzt daherkommt, geht bei AIDA fast im Kumpelton über die Bühne. Janauschek stammt aus Chemnitz und der überwiegende Teil der AIDA-Passagiere ebenfalls aus dem Bundesgebiet, das macht die Kommunikation einfach. Ein Kapitän zum Anfassen – bei AIDA gibt es ihn noch. Die Kehrseite der Medaille: Genauso gibt es auf der AIDAperla auch Karaoke-Darbietungen von „Dich zu lieben” und Schlimmerem, denen man kaum entkommt, wenn der Weg zur eigenen Kabine am Brauhaus vorbeiführt. Dabei wollen wir doch den Tag mit den „New York City Lights” ausklingen lassen. Im intimen Rahmen des Nachtclubs „Nightfly” verwandeln 50er Jahre-Klassiker wie „High Society” und „Something stupid” zumindest einen Teil der AIDAperla vorübergehend in das New York von Cole Porter und Frank Sinatra. Dazu eine Margarita und das sanfte Stampfen des Schiffes, und fast wähnt man sich auf einem Atlantikliner längst vergangener Zeiten. Zurück in die Wirklichkeit holt einen anschließend erst ein Abstecher auf das Sonnendeck, wo die Liveband „Wonderland” zur Tropial Beach Party einheizt.
TITANIC, QE2 und Co.
Die erste der vier „Metropolen ab Hamburg” ist am nächsten Morgen das südenglische Southampton. „Metropole” trifft es nicht ganz, denn der Hafen der Stadt ist zwar der wichtigste Englands und hat Southampton weltweite Bekanntheit eingebracht, die Stadt aber dient zumindest den meisten Kreuzfahrtpassagieren entweder nur als Ein- und Ausschiffungshafen oder als Startpunkt eines Tagesausfluges nach London. Nicht weniger als 52 verschiedene Ausflüge bietet AIDA Cruises in Southampton an, dabei hat auch die Stadt selber durchaus ihren Reiz. Zumal die Liegezeit der AIDAperla (nicht zuletzt aufgrund ebenjener Exkursionen in die zwei Busstunden entfernte britische Hauptstadt) üppig bemessen ist. Um 9:30 Uhr englischer Zeit macht das Schiff am altehrwürdigen Queen Elizabeth II-Terminal fest, und erst um 21 Uhr heißt es heute Abend „Alle an Bord”. Außerdem ist es bei 11° C erfreulich sonnig, nicht schlecht für Ende Oktober. Etwas lakonisch gibt das Tagesprogramm zwar den Hinweis, „Southampton eignet sich nicht für einen Badeausflug”. Einen solchen aber haben wir (und mit uns vermutlich auch die übrigen 4.200 Passagiere) am allerwenigsten im Sinn, als wir am frühen Vormittag zwischen den Autotransportern CARMEN und MIGNON den Fußweg in die Innenstadt wählen.
Southampton ist eine Stadt voller Geschichte, das wird bereits deutlich, sobald man das Hafengelände verlässt und im Stadtzentrum auf die High Street einbiegt. Zur Rechten liegt gleich nach wenigen Metern „The Red Lion”, eines von vielen historischen Fachwerkhäusern der Stadt, die auf das späte 15. Jahrhundert zurückgehen und wo, wie in jedem besseren englischen Etablissement, ein Geist sein Unwesen treiben soll. Dasselbe ist von der mittelalterlichen Holyrood Church nicht überliefert, auch wenn sie noch älteren Datums ist als das Pub nebenan. Auf das Jahr 1320 gehen ihre Grundmauern zurück, und von der Kirche als solcher wäre auch noch viel mehr übrig, hätten nicht die Nazis bei ihrem Luftangriff am 30.11.1940 das meiste davon buchstäblich in Schutt und Asche gelegt. Nichtsdestotrotz gilt die Holyrood Church noch heute als Kirche der Seefahrer. Symbolisiert wird dies durch einen Anker im Kirchhof und einen Brunnen, der nur wenige Monate nach dem Untergang der TITANIC zur Erinnerung an jene Seeleute und Passagiere errichtet wurde, die den Dampfer auf seiner ersten und einzigen Fahrt am 10.04.1912 in Southampton bestiegen hatten und fünf Tage später mit ihm untergegangen waren. Und nein, es ist kein Déjà-Vu, wenn man gleich nach dem Verlassen der Kirchruine vor einem weiteren Anker steht. Dieser stammt von der QUEEN ELIZABETH 2, jenem vielleicht bekanntesten Schiff der Cunard Line, das 2008 außer Dienst gestellt wurde und in den fast 40 Jahren zuvor wie kein zweites mit Southampton verbunden war. In Erinnerung daran stiftete die Reederei das 12,5 Tonnen schwere Utensil der Stadt, die es 2010 einer Stolperfalle gleich an höchst prominenter Stelle auf der High Street ausstellte.
Letztere endete, zumindest bis zur ersten größeren Stadterweiterung im späten 18. Jahrhundert, am Bargate, dem gut erhaltenen mittelalterlichen nördlichen Stadttor Southamptons. Das steinerne Bauwerk bildet das Herzstück der Southampton Walls, der drittgrößten noch erhaltenen zusammenhängenden Stadtmauer Englands. Sie umschließt die Altstadt, so dass man sich in Southampton praktisch nicht verlaufen kann. Und auch wer architektonischen Highlights wie dem „Tudor House” (1495) oder der normannischen St. Michael’s Church (1070) mehr abgewinnen kann als Hafen und Schiffen, kann dem maritimen Erbe der Stadt auch abseits der Docks nicht entkommen. In der Simnel Street lockt das Pub „The Titanic” mit einem „Welcome aboard”-Schild Besucher an, und gleich um die Ecke versucht es das „Duke of Wellington” mit überbordenden Blumenensembles und rustikalen Holzbänken auf der Straße. Das Pub braut seit 1494 sein eigenes Bier – gut möglich also, dass 1620 auch die Pilgerväter im damaligen „Shipwrights Arms” einkehrten, ehe sie am Fuß der Bugle Street die MAYFLOWER bestiegen, um Geschichte zu schreiben. Am Town Quay beginnt der nach ihnen benannte Mayflower Park, der heute nicht nur Naherholungsfläche, Kinderspielplatz und Parkplatz ist, sondern mittlerweile auch eines von gleich vier Kreuzfahrtterminals der Stadt beherbergt.
Auch das 2012 eröffnete Schifffahrtsmuseum „Sea City” könnte man sich noch angucken, wenn nur das Herbstwetter nicht so schön wäre. Da locken die Fähren zur Isle of Wight viel mehr. Eine halbe Stunde brauchen die Schnellfähren, eine ganze die Autofähren. Doch wer es nicht eilig hat (und wer hat das schon auf einer Kreuzfahrt?) sollte die Autofähren nehmen, denn die Fahrt zum Küstenort Cowes ist gleichzeitig eine Art Hafenrundfahrt, die noch mehr maritime Geschichte bereithält. Die CALSHOT etwa, die zwischen 1930 und 1964 Passagiere zu den großen Atlantiklinern beförderte, welche vor Southampton auf Reede lagen; oder die CALSHOT SPIT, ein historisches Feuerschiff aus dem Jahr 1914. Die beiden sehen allerdings einer ungewissen Zukunft entgegen, denn der Erhalt historischer Schiffe ist teuer. In Cowes auf der „IoW” dagegen dominieren Schiffe ganz anderer Art. Der Inselort ist ein Eldorado für Segelsportler, die jährlich stattfindende „Cowes Week” eine der bekannten Segelregatten ihrer Art. Und in der Wight Shipyard gleich neben dem Fähranleger entstehen moderne Schnellfähren für Kunden in aller Welt – Londons berühmte „Thames Clipper” genauso wie die „Twin City Liner”, die auf der Donau Wien und Bratislava verbinden. Wenn Sie dann auch noch das Glück haben, auf der Rückfahrt von der Insel nach „So’ton” einem der großen Containerschiffe zu begegnen, die hier ebenso zu Hause sind wie Autotransporter, Kreuzfahrer und Fähren, haben Sie am Zusammenfluss der Flüsse Test und Itchen mehr Maritimes hautnah erlebt als manch einer in seinem ganzen Leben.
Grund genug, zurück an Bord der AIDAperla die müden Füße hochzulegen? Natürlich nicht. Denn um 19:30 Uhr gibt sich Tim Mälzer die Ehre. Diesmal jedoch nicht im erlesenen Kreis vorab gebuchter Kursteilnehmer, sondern im Rahmen einer „Prime Time” im Theatrium, also gratis und für alle. Klar, dass die drei Etagen rund um die zentrale Show-Bühne rappelvoll sind, und das trotz der Tatsache, dass diverse London-Ausflügler noch in ihren Bussen zurück zum Schiff sitzen. Und der TV-Koch beherrscht sein Fach, sowohl das Unterhaltungsfach als auch das kulinarische. Er kocht live, erzählt, plaudert auf seine unnachahmlich schnodderige Art mit dem Publikum und überrascht mit seiner frisch zubereiteten Kreation auch noch ein älteres Ehepaar, das auf dieser Reise seine Goldene Hochzeit feiert. Die Zutaten dazu standen auf Zetteln, aus denen das Publikum mehrere nach dem Zufallsprinzip ausgewählt hat, damit der „Fernseh-Heini mit der Großfresse” daraus spontan ein Sterne-Gericht zauberte. Geworden ist daraus ein Südtiroler Bauernfrühstück – mit dem das Paar am Ende offenbar genauso zufrieden ist wie Mälzer selber. Und das Publikum sowieso. Unter donnerndem Applaus verabschiedet es den Selbstdarsteller, dessen Kochkünste auf der Schiffsbühne genauso leicht und unterhaltsam rüberkommen wie am heimischen Fernseher.
Im Weite Welt-Restaurant steht wenig später aber natürlich nicht die Tiroler, sondern die Englische Küche auf dem Programm. Zwar warnte das Tagesprogramm heute noch mit den Worten: „Die britische Küche ist im europäischen Ausland gefürchtet.” Das gilt aber freilich nicht für das, was unter diesem Namen auf der AIDAperla auf den Teller kommt. Mein selbst gewähltes Menü besteht aus Fish & Chips, dann Ärmelkanal-Makrele und schließlich Seehecht – (fast) ein Fisch-Overkill, der aber mit viel Weißwein zu einem Festschmaus wird. Nur für die anschließende Schlagersause („100% Deutsch”) im Beach Club hat nach neun Stunden Southampton, Tim Mälzer live und jeder Menge Fisch und Chips keiner von uns mehr Nerven. Das Auslaufen gucken wir uns noch an, dann ruft das Bett. Morgen wartet Le Havre.
Vive le France!
Auch die Stadt auf der anderen Seite des Ärmelkanals ist eine maritime Metropole. Unzählige Container-Brücken reihen sich an der Seine-Mündung aneinander, während die aufgehende Sonne Fabriktürme, Brücken-Pylone und Schiffsaufbauten in fast surreales orangefarbenes Licht taucht. Vor uns macht die MSC MAGNIFICA fest, und hinter uns nähert sich bereits die aus Portsmouth kommende Kanalfähre ETRETAT dem Hafen. Ganz schön was los am frühen Morgen!
Auch heute liegt die AIDAperla wieder ganze zwölf Stunden im Hafen und dies aus demselben Grund wie gestern in Southampton: „Auf nach Paris” ruft das Tagesprogramm nämlich, und tatsächlich leert sich das Schiff nach der Frühstückszeit merklich. Zwei Stunden und 15 Minuten sind es mit dem Bus in die französische Hauptstadt, 30 Minuten mehr noch mit dem Zug. Auch hier bietet AIDA wieder unzählige Ausflüge an, näher dran und ebenfalls sehenswert sind jedoch Ziele wie das pittoreske Honfleur, die berühmten Kreidefelsen von Êtretat oder der elegante Badeort Deauville. Oder man lässt sich nicht von ihrem schlechten Ruf („eine Scheußlichkeit in Beton”, Tripadvisor) schrecken und entdeckt die größte Stadt der Normandie zu Fuß. Klar, Le Havre wurde im Zweiten Weltkrieg fast komplett zerstört und in den 1950er Jahren nicht gerade nach Jugendstil-Vorbild wieder aufgebaut. An einigen Stellen mutet Le Havre daher wie eine Mischung aus Saint Malo und Ost-Berlin an, nur ohne die steinernen Gemäuer von ersterem und ohne den „antifaschistischen Schutzwall” von letzterem. Trotzdem hat auch der zweite Zielhafen der AIDAperla seinen Reiz. Nicht zu übersehen ist z. B. die 2017 anlässlich der Fünfhundert-Jahrfeier des Hafens errichtete farbenfrohe Skulptur aus zwei miteinander verschachtelten Container-Ketten, die auf einer Grünfläche am Quai de Southampton in die Luft ragt. Kurz vorher stolpert man aber bereits über ein anderes Artefakt, dem eine ähnliche Bedeutung zukommt wie dem Anker der QUEEN ELIZABETH 2 in Southampton: Auf einem kleinen Stahlgerüst ist seit 2018 die abgeschnittene Bugspitze der FRANCE ausgestellt, jenem Atlantikliner, dessen Name wie kein zweiter mit Le Havre verknüpft ist. 2008 wurde das Schiff zwar in Indien verschrottet, einige Gegenstände der Inneneinrichtung konnten aber mittels Versteigerungen gerettet werden. Auf diese Weise gelangte zumindest ein Teil des ehemaligen Nationalstolzes der „Grande Nation” zurück nach Le Havre, wo einige Hinweistafeln nun auf die bewegte Geschichte des Schiffes verweisen. Vive le FRANCE!
Mit den Kindern im Schlepptau geht es vom Hafen in die Innenstadt, die sich trotz (oder gerade wegen) der Betonarchitektur als erstaunlich grün erweist. „Geometrische Sichtbetonweise” lautet der Fachbegriff hierfür, „Brutalismus” seine wenig schmeichelhafte umgangssprachliche Entsprechung. Ihr Herzstück in Le Havre ist die monumentale Église Saint-Joseph. 1957 wurde sie wieder aufgebaut, ihr 107 Meter hoher Kirchturm ist gleichzeitig Mahnmal gegen das Vergessen. Leichter kommt das alte Hafenbecken „Bassin du Commerce” daher, das für größere Handelsschiffe längst nicht mehr zugänglich, mit seinen Wasserfontänen aber ein schöner Blickfang ist. Wuchtig dafür wieder das Denkmal an die Toten der Kriege. Doch auch „richtig” historische Bausubstanz gibt es in Le Havre noch, auch wenn man sie ein bisschen suchen muss. Die Kathedrale Notre-Dame z. B., sie stammt aus dem Jahr 1630 und liegt ein wenig versteckt in der Rue de Paris. Auch sie wurde im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, ihr Wiederaufbau nach dem Krieg war erst 1974 abgeschlossen. Oder das Naturkundemuseum am Place Vieux Marché, 1760 erbaut und ebenfalls erst 1973 wiedereröffnet. Wie Le Havre angesichts dieses langen Wiederaufbaus in den 1950er und -60er Jahren ausgesehen haben mag, möchte man sich lieber nicht vorstellen, im Jahr 2018 jedoch ist das Stadtbild zumindest abwechslungsreich. Und das Praktische ist: die AIDAperla liegt nicht wie in Hamburg kilometerweit vom Stadtzentrum entfernt, sondern fußläufig erreichbar. Ein Mittagessen im Fuego Restaurant (die Pizza hauchdünn und nur spärlich belegt), eine kurze Verschnaufpause in der Kabine, und schon geht es am Nachmittag ein zweites Mal von Bord. Diesmal ohne Kinder und in einem weiteren Bogen: Zuerst zum Bahnhof mit seinen schönen Mosaiken in der Eingangshalle, dann den Boulevard de Strasbourg entlang mit dem 1958 fertig gestellten Rathaus und dem großen Place de l’Hôtel de Ville, und schließlich zum breiten Kiesstrand der Stadt. Dieser ist Ende Oktober voller Leben: Die Havrais lassen Drachen steigen, toben sich in der Brandung beim Kite-Surfen aus oder spielen auf eigens dazu abgegrenzten Sandplätzen Boule. Frankreich, wie es im Buch steht. Am Horizont der rege Schiffsverkehr im Ärmelkanal, liegen im Yachthafen am Ende des Strands die Boote bei Ebbe halb auf dem Trockenen, als hätten sie Feierabend. Selbst die Fischerei ist mitten im Stadtzentrum Le Havres erhalten geblieben, jedenfalls im kleinen Rahmen. So sind zwischen den Fischerbooten die Möwen nie weit, die sich lautstark um Fischköpfe und andere Überbleibsel des letzten Fangs streiten. Um sich so richtig in Le Havre zu verlieben, muss man wahrscheinlich entweder architektur- oder schiffsbegeistert sein, sehenswert ist die Stadt an der Seine-Mündung aber auf jeden Fall, zumal an einem sonnigen Herbsttag.
Der Kulturschock folgt bei der Rückkehr auf die AIDAperla am frühen Abend. Auf der Aida Plaza findet unter Anleitung des Animationsteams ein Wettbewerb im Nagel-in-den-Baumstamm-Schlagen statt, ein kleiner Vorgeschmack auf das „Alpenglühn” im Brauhaus heute Abend („eine Mordsgaudi”). Im Markt Restaurant fällt die Wahl anschließend überwiegend auf Lamm mit Rotkohl, auch dies eher deutsche als französische Küche. Unterdessen machen die Kinder an der Rezeption auf Deck 4 Bekanntschaft mit Pepper, einem interaktiven Service-Roboter, der Passagieren Hilfestellung bei Alltagsfragen an Bord geben soll. So ganz im 21. Jahrhundert angekommen ist Pepper aber noch nicht. Grammatik und Aussprache sind holprig, und im Memory schlägt man ihn binnen Sekunden um Längen. Außerdem ist er so ziemlich das einzige Crew-Mitglied, das seine Passagiere siezt. (Das kumpelhafte „Du” aus Clubschiffzeiten hat AIDA vor ein paar Jahren allerdings abgeschafft; Gastgeberin Cornelia hält es stattdessen bei ihren Ansagen mit „Ihr Lieben”.) Trotzdem, für ein paar ungelenke Verrenkungen und ein Selfie mit ihm reicht es, und auch beim Tanzen gibt sich Pepper Mühe. Wir werden seine weitere Entwicklung beobachten.
Um 19:30 Uhr ist auch der Letzte aus Paris zurück, und die AIDAperla kann pünktlich zur Tagesschau-Zeit ablegen. Der Vollmond steht über Le Havre, und auch die angestrahlten Wahrzeichen der Stadt, Rathaus und Église Saint-Joseph, sorgen für ein schönes Lichterspiel in der herbstlichen Dunkelheit über der Normandie. Das Gleiche gilt für den Beach Club auf Deck 15, wo der Pool zur Abendbrotzeit noch angenehm leer ist. Statt mit kaltem Meerwasser wartet dieser übrigens mit warmem Süßwasser auf; auch in dieser Hinsicht haben sich die Zeiten auf den Kreuzfahrtschiffen unserer Tage geändert.
Auch die Musikbeschallung auf dem Pooldeck orientiert sich eher am Geschmack der Generation U30, das ändert sich erst zu späterer Stunde, als um 22:30 Uhr an gleicher Stelle, nämlich auf der Bühne direkt vor dem Pool, das Rockkonzert „Born to be wild” startet. Das ist dann schon eher etwas für die Generation Ü30. Eine achtköpfige Rockband, die spätabends um 23 Uhr in Höllenlautstärke „Satisfaction” und „Sweet Child of mine” in die Nordsee herausbrüllt – das mag zwar nicht das richtige Unterhaltungsprogramm für ein Schiff sein, das 1.400 Kinder an Bord hat. Aber „Wonderland” machen ihre Sache gut. So gut sogar, dass man bei „Smoke on the Water” und „Highway to Hell” plötzlich Gänsehaut bekommt. Leider gibt es allerdings auch hier die unvermeidlichen Nachtwandler, die nur mit Bademantel (oder weniger) bekleidet zwischen Band und Publikum hindurch spazieren, was die Rockkonzert-Atmosphäre wieder ein bisschen kaputt macht. Trotzdem: Der „Wonderland”-Auftritt bildet den gelungenen Abschluss eines gelungenen Tages. Oder sind dies die Ananascreme-Torte und die Seven Up, die ich mir um Mitternacht im Fuego-Restaurant gönne? Ein toller Service, auf anderen Kreuzfahrtschiffen bekommt man zu dieser fortgeschrittenen Tageszeit schließlich nicht mal mehr einen Tee und einen trockenen Keks. An die kulinarische Rund-um-Versorgung kann man sich auf den AIDA-Schiffen schnell gewöhnen. www.aida.de
Fortsetzung folgt in Ausgabe September/Oktober
Mit der Elbphilharmonie erhebt sich seit ein paar Jahren in Hamburg weithin sichtbar ein neues Wahrzeichen in den Himmel.
Balkonkabine 9228. Die Hängematte vor der Balkontür möchte man schon nach wenigen Stunden an Bord nicht mehr missen.
Das East Restaurant greift in seiner Inneneinrichtung das kulinarische Konzept der pan-asiatischen Küche auf.
Am Brauhaus scheiden sich auf den AIDA-Schiffen die Geister. Für die einen ein unverzichtbares Stück Zuhause auf See, ist den anderen die ständige Beschallung mit deutschen Schlagern und Volksmusik ein Ärgernis.
Gemütlichkeit unter Plastikbäumen. Das Markt-Restaurant zählt auch auf den großen AIDA-Schiffen zu den beliebtesten Restaurants an Bord.
Das Fuego Restaurant auf Deck 14 ist mit seiner 1970er Jahre-Optik eine schöne Alternative zu den übrigen Restaurants auf den Decks 6, 7 und 8.
Das „Weite Welt”-Restaurant auf Deck 7 ist die etwas gediegenere Alternative zum Markt-Restaurant auf Deck 6.
Von der mittelalterlichen Holyrood Church in Southampton ist nach dem Zweiten Weltkrieg nicht viel mehr als der Turm erhalten geblieben.
Wie hier in der Cement Terrace sind in Southampton viele historische Fachwerkhäuser liebevoll restauriert worden.
Die steinerne Stadtmauer Southamptons zählt zu den ältesten erhalten gebliebenen Stadtmauern ihrer Art in Großbritannien.Der berühmten TITANIC, die in Southampton zu ihrer verhängnisvollen Jungfernfahrt auslief, kann man in der Innenstadt wie hier in der Simnel Street, nicht entkommen.
Ein Allwetterschiff: Der große Pool im Beach Club auf Deck 15 befindet sich unter einem gewölbten Glasdach.
Der Meister bei der Arbeit: Fernsehkoch Tim Mälzer beim Show-Kochen im Theatrium der AIDAperla.
Sonnenaufgang über Le Havre.
Die Bogen-Installation aus bunten Schiffs-Containern am Quai de Southampton in Le Havre ist ein Werk des französischen Künstlers Vincent Ganivet.
Viel Grün wie hier am Place de l’Hôtel de Ville lockert die zuweilen monotone Beton-Architektur Le Havres auf.
Gegenüber dem Fähranleger Le Havres ist noch ein kleiner Fischereihafen erhalten geblieben.
Die AIDAperla in Le Havre. Gut zu sehen ist die kleine Spray Bar in der Bugspitze des Schiffes, deren kleines Aussichtsdeck während der Hafenliegezeiten begehbar ist.