SCHIFFSTAUFE · AUSGABE 4/2019
Die MS VIOLA vor der Kennedy Brücke in Bonn. Fotos: Wolfgang Grüner, Köln
Wolfgang Grüner
MS VIOLA – ein Schiff für Rollstuhlfahrer und Begleitung
Schon wieder Taufe eines Flussschiffes, schon wieder in Bonn, schon wieder bei Phoenix Reisen, also nichts Besonderes.
Doch! Etwas ganz Besonderes!
Denn die MS VIOLA ist ein sehr spezielles Schiff. Sie bietet Menschen, die dauerhaft an den Rollstuhl gebunden sind, die Möglichkeit, in den Genuss einer Flusskreuzfahrt zu kommen und machen so Reisen in neuen Dimensionen möglich.
34 rollstuhlgerechte Kabinen bieten jenen Menschen bedarfsgerechten Komfort, denen man auf anderen Schiffen bisher nicht haben konnte, wenn man denn überhaupt an Bord kam. Hierzu zählen z.B. extra breite Türen, auf dem Hauptdeck mit einer Türbreite von etwa 120 cm, elektrisch höhenverstellbaren Betten, Notrufknopf, Bad mit unterfahrbarem Waschbecken, Dusche mit Klappsitz, WC mit beidseitig klappbaren Haltegriffen. Auf dem Unteren Deck und Hauptdeck teilen sich jeweils zwei Kabinen ein Gemeinschaftsbad. Für mitreisende Begleitpassagiere stehen eigene Kabinen zur Verfügung. Insgesamt finden 122 Gäste an Bord Platz. Für die typische Phoenix Reisen-Atmosphäre sorgen Annehmlichkeiten wie Restaurant, Bar, Panoramasalon, Friseur, Sonnendeck und mit einer Crew von etwa 33 hilfsbereiten Mitarbeitern rund um die Kreuzfahrtleitung. Besonders praktisch finde ich den extrabreiten Aufzug bis hinauf auf das Sonnendeck. Im Gegensatz zu den vielen anderen Flussschiffen fällt auf, das es überall eine Menge Platz gibt, notwendig, um mit einem Rollstuhl manövrieren zu können. Das ist auch schön, denn es gibt dadurch den Decks und Salons eine gewisse Luftigkeit, allzu oft sind andere Schiffe regelrecht zugestellt mit Möbeln.
Die Anfangsphase des Projekts MS VIOLA mit dem Start zur ersten Tour ist ein großer Schritt in die absolut richtige Richtung. Schon lange bedauerte der Gründer von Phoenix Reisen, Johannes Zurnieden, dass er nicht jedem Gast die Mitreise ermöglichen konnte, weil viele kleine Hindernisse auf den Schiffen selbst (und auch an den diversen Anlegestellen) letztendlich eine Reiseteilnahme eigentlich unmöglich machten. Er wollte sein Herzensprojekt – uneingeschränktes Reisen auch für Rollstuhlfahrer – auf dem Wasser möglich machen. Man hat sich genau darüber Gedanken gemacht und mit dem Phoenix-Team nach Lösungen gesucht: das Ergebnis jahrelanger Überlegungen ist die MS VIOLA. In Zusammenarbeit mit den Partnern von Malteser und Runa Reisen holte man sich Erfahrung, Wissen und Unterstützung mit ins Boot. Der Malteser Hilfsdienst ist einer der größten caritativen Dienstleister Deutschlands, der ehrenamtlich medizinisches Personal an Bord von MS VIOLA einsetzen wird. Runa Reisen ist der Spezialist unter den barrierefreien Reiseveranstaltern und steht unterstützend zur Seite. Auch wieder mit an Bord sind die langjährigen Partner der Reederei Rijfers Nautical Management und des Hotelbetriebs sea chefs.
Mit gerade mal 23 Jahren gründete Zurnieden 1973 Phoenix Reisen in Bonn. 2016 erzielte das Unternehmen einen Umsatz von 330 Millionen Euro. In der Bonner Zentrale gibt es rund 100 Mitarbeiter, dazu 100 Reiseleiter auf den Schiffen. Neben fünf Kreuzfahrtschiffen komplettieren über 30 Flusskreuzfahrtschiffe die Flotte.
Die Niederlande an der Nordsee und mit den vielen Flüssen, Kanälen und Grachten sind mit dem Wasser vertraut. Und so bietet folgerichtig das Niederländische Rote Kreuz kranken und älteren Menschen oder Behinderten Ausflüge auf dem Wasser an. Dazu werden besondere Schiffe eingesetzt, die „Hospitalschiffe” genannt werden. Die jetzige MS VIOLA wurde bereits 1995 gebaut und fuhr zuletzt mit dem Namen HENRI DUNANT III als ein solches Hospitalschiff für das Rote Kreuz. Die Jungfernfahrt fand am 1. März 1996 statt und zur ersten Reise brach das Schiff am 11. März 1996 auf. Der Großteil der Finanzierung (17 Millionen Gulden) wurde seinerzeit durch eine Wohltätigkeitssendung im Fernsehen realisiert.
Am Montag den 03.06.2019 war es dann soweit, um 14.00 Uhr begannen am Brassertufer in Bonn die Tauffeierlichkeiten. Die querschnittsgelähmte Taufpatin Annika Zeyen, u.a. Paralympics-Teilnahme in Rio 2016 / London 2012 / Peking 2008 / Athen 2004 und Goldmedaillengewinnerin der Paralympics 2012, freute sich sehr auf das Ereignis. Auch wenn die Champagnerflasche nicht beim ersten Versuch zerschellte, brachte der zweite Fall das gewünschte Ergebnis, die MS VIOLA war getauft. Am späten Nachmittag begab sich das Schiff mit den ersten Gästen auf Rheinfahrt Richtung Süden. Zum Anfang gibt es zwei schöne, gemütliche Reiserouten mit rollstuhlgerechten Häfen und Ausflügen entlang des Rheins sowie in Holland. Die siebentägigen Reisen (sechs Nächte) startetenn ab 06. Mai 2019 jeweils montags im wöchentlichen Wechsel von Bonn aus nach Süden oder Norden. Auf der Rheinstrecke nach Rüdesheim steht der Besuch von Königswinter, Koblenz, Boppard und der Loreley auf dem Programm. Auf der Rückfahrt wird in Lahnstein und in Remagen gestoppt. Die Nord-Route geht über Nijmegen und Gorinchem bis Rotterdam sowie über Arnheim und Emmerich zurück.
In der Zukunft möchte Phoenix Reisen auch Passagieren mit anderen Behinderungen, wie auch stetig liegenden Menschen eine Flusskreuzfahrt an Bord von MS VIOLA ermöglichen und sagt dazu: „Um dies zu gewährleisten, brauchen wir – da sind wir ganz ehrlich – allerdings ein wenig praktische Übung”. Und die bekommt man nun auf den nächsten Fahrten. Oft sind es nur Details und Kleinigkeiten, die man optimieren muss. So stellte man beim Abendessen an Bord fest, das es zwar schön aussieht, Schüsseln mit diversen Vorspeisen in zwei Ebenen zu stellen, reinschauen kann man da aber aus der niedrigen Höhe eines Rollstuhles nicht, wurde auch sofort geändert. Auch eine optimierte Speisekarte mit klaren Angaben wäre wünschenswert. Diverse Beschriftungen, wie z.B. im Aufzug sollten auf Deutsch sein, niederländisch kann nicht jeder.
Schon jetzt sehe ich die MS VIOLA und die damit verbundene Initiative als sehr gelungen an. Es macht sich positiv bemerkbar, die Wünsche der Gäste umzusetzen und statt viel Geld in Werbung, dieses lieber in Schiffe und Reisen zu investieren. Die Fahrpreise bewegen sich im normalen Mittelfeld. Auf meiner kurzen Mitfahrt bis Königswinter habe ich jedenfalls nur zufriedene Gäste angetroffen, die ihr investiertes Geld gut angelegt sahen und dankbar waren für die neue Möglichkeit solcher Reisen überhaupt.
MS VIOLA auf einen Blick
Länge: 96,30 m; Breite: 11,40 m; Tiefgang: 1,70 m; Reederei Rijfers Nautical Management; Flagge:Malta; Passagierzahl: 122; Kabinengröße unteres Deck: 12 bis 13 qm; Kabinengröße Hauptdeck: 15 bis 17 qm.
Der extra breite Kabinengang auf dem Hauptdeck mit den behindertengerechten Kabinen.
Es ist viel Platz in den Kabinen auf dem Hauptdeck.
Zusätzliches unterfahrbares Waschbecken in der Kabine.
Bad mit behindertengerechter Einrichtung in den Kabinen auf dem Hauptdeck.
Sogar für Betten-Transport geeignet, der Aufzug, auch bis zum Sonnendeck.
Das geräumige Restaurant auf dem Panoramadeck.
Viel Platz zwischen den Tischen für ungestörte Rollstuhlmanöver.
Am Bug mit bester Aussicht, der schöne Panoramasalon.
Wetterunabhängiger Raum auf dem Panoramadeck mit guter Aussicht.
Auf dem Panoramadeck am Heck, genug Platz für Aktivitäten.
Goldmedaillengewinnerin Annika Zeyen freut sich auf ihre Aufgabe als Taufpatin.