BERUFE + KÜNSTLER AN BORD FERIENKRIMI SEEMANNSGARN MIT HEIN MÜCK

Foto: ZDF, Mainz 

Dietrich Mattausch (links als Bordpfarrer) und Siegfried Rauch (als Kapitän des ZDF-Traumschiffs MS DEUTSCHLAND) spielte in zahlreichen Fernsehfilmen und Serien mit, was ihm große Popularität und Beliebtheit einbrachte. Einem größeren Publikum wurde er besonders durch die ARD-Serie „Der Fahnder bekannt.

 

 

  Dietrich Mattausch Schauspieler

Dietrich Mattausch, gebürtiger Böhme aus Leitmeritz, mit Frau Annette und drei Kindern in Berlin lebend, ist kürzlich wieder in der ZDF-Sendung „Das Traumschiff auf MS DEUTSCHLAND zu sehen gewesen: diesmal in der Rolle des Bordpfarrers. Nicht nur das ist Anlass gewesen, dem bekannten Mimen ein paar Fragen zu stellen.

PSW: Hatten Sie schon vor Ihrem Traumschiff-Engagement Berührungspunkte mit dem Thema Kreuzfahrt? Womit verbanden Sie diese Reiseform?

Mattausch: Mit Schiffen schon. Ich bin gelernter Binnenschifffahrtskaufmann. Kreuzfahrten kamen erst auf meine alten Tage durch das Fernsehen auf mich zu.

PSW: 1996 bekamen Sie das erste Mal ein Engagement auf MS DEUTSCHLAND.
Welche Empfindungen hatten Sie damals, als Produzent Wolfgang Rademann Ihnen eine Bord-Rolle anbot (was für eine)?

Mattausch: Ich hatte Zeit, spielte einen Juwelendieb und ich war das erste Mal auf Bali.

PSW: Ein Schiff wie MS DEUTSCHLAND ist ein völlig anderer Drehort, als ein Studio oder eine Theaterbühne. Was macht die Unterschiede aus?

Mattausch: Es  muss ständig improvisiert werden, was Wetter und Umgebung betrifft.

PSW: Was ist am Drehort Schiff für Sie persönlich angenehm, was weniger?

Mattausch: Ich mag es, freundlich umsorgt zu sein, und nach drei Wochen sind alle wie eine große Familie. Das alles ist sehr angenehm, so dass es nichts zu klagen gibt.

PSW: Worin bestanden bei den Dreharbeiten allgemein die größten Probleme?

Mattausch: Dass das Team nicht das Schiff für sich alleine hatte, sondern – natürlich! – Rücksicht zu nehmen hatte auf die zahlenden Passagiere.

PSW: War schwerer Seegang mal ein solches? Macht Ihnen das etwas aus und haben Sie ein wirksames Rezept dagegen?

Mattausch: Auf einer Reise von Singapur nach Bali hatten wir mal drei Tage Pause, weil wir wegen zu großen Seegangs nicht mehr drehen konnten. Ich habe mich in der Mitte des Schiffs aufgehalten, das war mein wirksames Rezept. Die Meisten waren seekrank, aber ich kam zurecht.

PSW: Sie hatten dabei meistens zahlendes Passagiers-Publikum um sich herum. Behindert das nicht die Arbeiten, empfinden die Gäste dies eher als Einschränkung oder Bereicherung?

Mattausch: Die Gäste behindern kaum, eher wir die Gäste, aber die meisten Gäste hatten Freude und Neugierde an den Dreharbeiten und viele hatten Spaß mitzuspielen.

PSW: Würden Sie gern mal eine uniformierte Rolle spielen?

Mattausch: Ich habe in meinem Leben viele uniformierte Rollen gespielt. Die letzte war eigentlich der Schiffspfarrer mit seiner Uniform.

 

PSW: Wenn Sie nicht Schauspieler geworden wären: Hätten Sie sich vorstellen können, als Kapitän oder Kreuzfahrtdirektor Ihr Brot zu verdienen? Was gefällt Ihnen – aus Ihrer jetzigen Perspektive – an dem Beruf, was weniger?

Mattausch: Also, Kreuzfahrtdirektor hätte ich mir vorstellen können. Mit Künstlern zu arbeiten und Leute zu unterhalten ist ja seit Jahren mein tägliches Brot.

PSW: Hatten Sie während der diversen Hafenliegezeiten genügend Möglichkeiten, sich selbst ein Bild von den jeweiligen Verhältnissen an Land zu machen?

Mattausch: Ja, wenn die Rolle klein war. Bei größeren Rollen musste ich oft an Bord drehen während des Landgangs, aber ich habe dank Rademann doch sehr viel von der Welt gesehen.

PSW: Welche Ziele haben Ihnen dabei am besten gefallen und warum?

Mattausch: Oman und Neuseeland. Oman wegen der anderen Kultur und der Mischung zwischen West und Ost. Neuseeland wegen der verschiedenartigsten Landschaften in unmittelbarer Nähe zueinander, auch wegen der Menschen und des Klimas.

PSW: Flusskreuzfahrten boomen in doppelter Prozentzahl wie Hochseereisen. Haben Sie schon Flüsse bereist?

Mattausch: Leider nein, aber ich bin sehr interessiert daran und werde sicher auch mal dort schnuppern.

PSW: Gibt es noch Kreuzfahrt-Träume für Sie – und überhaupt: weiße Flecken auf Ihrer weltweiten Reise-Landkarte?

Mattausch: Na klar, einmal zum Nordpol, dann mit der Hurtigruten entlang der norwegischen Küste nach Spitzbergen sowie Feuerland mit Beagle-Kanal, Magellan-Straße und chilenischen Fjorden.

PSW: Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin interessante „Traumschiff- und Entdeckungsreisen.

Das Gespräch  führte SeereisenMagazin-Chefreporter Dr. Peer Schmidt-Walther – PSW – in Berlin.

 

Kurzbiographie Dietrich Mattausch 

Mattausch machte nach Schulzeit, Mittlerer Reife sowie Höherer Handelsschule zunächst eine Lehre als Speditions- und Binnenschiffahrtskaufmann und nahm gleichzeitig privaten Schauspielunterricht. Seine Karriere begann er am Kellertheater in Mainz.

1963 spielte er am Jungen Theater Göttingen, 1964/1966 an der Komödie in Frankfurt am Main, 1966/1967 am Landestheater Schleswig, 1968/1969 am Landestheater Detmold, 1969 an der Badischen Landesbühne Bruchsal, 1969/70 am Theater Baden-Baden, 1971 an den Bühnen der Hansestadt Lübeck und 1972 bis 1974 am Deutschen Theater Göttingen.

Von 1975 bis 1979 war er am Schauspielhaus Hamburg engagiert, wo er unter der Regie von Peter Zadek auftrat. Er verkörperte in Zadek-Inszenierungen Rodrigo in Othello (1976), Camillo in Das Wintermärchen (1978), Brinan in der deutschen Erstaufführung von Ayckbourns Spaß beiseite (1979) und Kenneth in Verlorene Zeit (1984) von John Hopkins. Weitere Rollen waren Phileas Fogg in Jerome Savarys In 80 Tagen um die Welt (1978) und Cassius in Julius Cäsar (1986).

1979 wechselte er zur Freien Volksbühne in Berlin, wo er mit Zadek weiterarbeitete. Hier spielte er Philinte in der Uraufführung von Enzensbergers Molières Menschenfeind (1979) und Vincentio/Hortensio in Der Widerspenstigen Zähmung (1981).

1980/1981 gastierte er am Bayerischen Staatsschauspiel in München als Arzt in August Strindbergs Der Vater und 1996/97 als Präsident von Walter in Kabale und Liebe.

Gespielt hat er auch in „Die Wannseekonferenz, in mindestens zehn „Tatorten, weiteren Serien und Mehrteilern wie „Die Straßen von Berlin, „Der Pfundskerl”, „Girlfriends”, „Wir sind auch nur ein Volk”, „Die Piefke-Saga”, „Hotel Mama”, „Zwei Ärzte sind einer zu viel”.

 

Kreuzfahrt-Serien weltweit

Dietrich Mattausch spielte verschiedene Rollen auf Kreuzfahrtschiffen. Start 1996: „Traumschiff-Serie MS DEUTSCHLAND, Singapur; 1998 MS DEUTSCHLAND, Galapagos + Jamaica; 2004: Lesereise MS DEUTSCHLAND: Kanarische Inseln, Madeira, Nordafrika, Spanien; 2005: MMS DEUTSCHLAND Oman, Malediven, Indien, Jemen und Jordanien; 2006: ROYAL CLIPPER: Serie „Unter weißen Segeln: Frühlingsgefühle, Französische Antillen; 2007: MS DEUTSCHLAND, Shanghai, Dubai, Seychellen, Nagasaki, Tokio; 2009: MS DEUTSCHLAND, Serie „Kreuzfahrt ins Glück, Sambia; 2011: MS DEUTSCHLAND, Bali, Tonga, Samoa, Neuseeland Nord-und Südinsel, Tasmanien, Sydney.


Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther, Stralsund 

 

Greifswalder Kapitän vertritt 900 deutsche Lotsen Ältermann Dr. Christian Subklew erneut wiedergewählt

Die Mitglieder der Bundeslotsenkammer haben den Ältermann der mecklenburg-vorpommerschen Lotsenbrüderschaft Wismar-Rostock-Stralsund (WiRoSt), Kapitän Dr. Christian Subklew, für eine weitere Amtsperiode von fünf Jahren erneut einstimmig zu ihrem Vizepräsidenten gewählt. Der 57-jährige aus dem vorpommerschen Greifswald ist damit erneut der zweite Mann der mehr als 900 deutschen Lotsen, die in sieben See- und zwei Hafen-Lotsenbrüderschaften organisiert sind.

Sein Motto: Interessen aller Lotsen nach außen vertreten und Einigkeit nach innen fördern. Wozu er auch seine Mitgliedschaft im Nautischen Verein Rostock, in der Stralsunder Schiffer-Compagnie und im Rotary Club Greifswald nutzt. Auch als Überseelotse und Kompassregulierer ist er im Einsatz, womit er trotz aller Schreibtischarbeit nicht den Kontakt zur Praxis verliert.

Nur wenig Zeit bleibt dem engagierten Seemann für sein Hobby: das Segeln mit seinem alten hölzernen Kielschwerter in den heimischen Boddengewässern.

Die Ältermänner der Lotsenbrüderschaften von Ems, Weser/Jade, Elbe, Nord-Ostsee-Kanal und Wismar/Rostock/Stralsund bilden die Bundeslotsenkammer mit Sitz in Hamburg. Sie vertritt die Gesamtheit der deutschen Seelotsen gegenüber Behörden und Organisationen, die sie auch fachlich berät. Auch in mehreren internationalen Gremien wie der European Pilots Association (EMPA) redet er ein gewichtiges Wort mit.

In den vergangenen fünf Jahren – zwischen 2008 und 2009 sogar als kommissarischer Präsident – hat es Dr. Subklew verstanden, die Interessen aller Lotsen revierübergreifend zu vertreten, so z. B. bei der ständigen Argumentation für den Bau der neuen Schleuse in Brunsbüttel. Ein aktuelles Problem ist die unverändert prekäre Nachwuchssituation. Durch den alternativen Zugangsweg zum Seelotsenanwärter soll, so hoffen er und seine Kollegen, die personelle Lage teilweise entspannt und Arbeitsüberlastungen vermieden werden.

Präsident der Bundeslotsenkammer ist der Kieler Kapitän Hans-Herrmann Lückert, der zuvor Ältermann der Lotsenbrüderschaft am Nord-Ostsee-Kanal war. 

Dr. Peer Schmidt-Walther


hr
Ferienkrimi
Ostfriesensünde 
Rezension von Dieter Bromund

Die Sünde hätte auch überall anders geschehen können, nicht nur in Ostfriesland. Aber dort in der Stadt Norden lebt der Schriftsteller Klaus-Peter Wolf und zwar im gleichen Viertel wie seine erfundene Kommissarin Ann Kathrin Klaasen. Ostfriesland ist seit den 80er Jahren eine bevorzugte Gegend für Kriminalromane und Heimat etwa des Leda Verlags, der sich ganz auf dieses Genre spezialisiert hat. Ann Kathrin Klaasen ermittelte bereits in Wolfs „Ostfriesenkiller, „Ostfriesenblut, „Ostfriesengrab und nun auch in der „Ostfriesensünde, einem Krimi, dessen 5. Auflage im November 2011 wie die anderen im Fischer Taschenbuch Verlag erschien. Wolf ist ein erfolgreicher Autor, vielfach ausgezeichnet. Seine Bücher, schreibt der Verlag, sind in 24 Sprachen übersetzt und über 8 Millionen Mal verkauft worden. Mehr als sechzig seiner Drehbücher wurden verfilmt, viele für „Tatort und „Polizeiruf 110. Man kann also einiges auf den 392 Seiten der „Ostfriesensünde erwarten. Und wird nicht enttäuscht. 

Der Roman ist – fast –  ein klassischer Polizeikrimi. Der Leser folgt der Kommissarin bei ihrer Arbeit im Team, das – so verlangt es das Genre  – einen ungewöhnlichen Serientäter dingfest machen will, einen Mörder, der seine Opfer in winzige Räume einmauert und sich an ihrem qualvollen langsamen Sterben offensichtlich ergötzt. Die begabte Kriminalistin weigert sich lange und wird dann doch Mitglied einer SOKO, die ein Kollege aus Süddeutschland leitet.

Viel lieber hätte Ann Kathrin sich nur um die Aufklärung der näheren Umstände des Todes ihres Vaters bemüht. Ihr Vater, wie sie bei der Kripo, war vor Jahren bei einem Banküberfall in Gelsenkirchen getötet worden, als er sich als Geisel im Austausch zur Verfügung stellte. Doch als seine Tochter jetzt Fotos findet, ändert sich das Bild ihres Vaters. Sie sieht ihn mit einer fremden Frau, mit der ihn offensichtlich mehr verbindet als nur berufliche Bande. Als die Kommissarin mehr wissen will und die Besitzerin der Fotos aufsucht, findet sie sie tot im Wohnzimmer liegen. Anne Kathrin glaubt nicht an Zufall. „Zufall, hatte ihr Vater gesagt,  „ist das Pseudonym, das Gott wählt, wenn er inkognito bleiben möchte. Annes Chef willigt schließlich ein, sie über ihren Vater nachforschen zu lassen, wenn sie in die SOKO eintritt. Doch die Akten im Fall ihres Vaters sind verschwunden.

Zwei Fäden, mit denen sich genügend Spannung erzeugen lässt. Doch dann kommt der Drehbuchschreiber im Erzähler Wolf durch, er wechselt die Perspektive und wir lesen nicht mehr nur über die Ermittler, sondern auch, was der Täter tut und denkt: „Er konnte es kaum noch abwarten, sie einzumauern. Er beobachtete sie seit vier Stunden. Er war ihr von Bremen nach Delmenhorst gefolgt. Damit wir wissen, wann immer wir uns außerhalb des Teams bewegen, wird der Text kursiv gedruckt.

Man kennt derlei Perspektivwechsel aus Filmen, in denen die Kamera plötzlich dem Täter, nicht nur dem Kommissar folgt. Der Leser weiß also – wie im Film der Zuschauer – mehr als der Ermittler.

Das ist seit Hitchcock ein legitimes Mittel, Spannung im Film zu erzeugen. Aber gilt das auch für diesen Roman? Der Leser wird sich seine eigene Meinung dazu bilden müssen. Nach Meinung des Rezensenten verfügt der Autor über genügend Kraft in Phantasie und Sprache und hätte darauf verzichten können.

„Ich war neunzehn Jahre alt, als ich mit dem Versprechen von Thailand nach 

Foto: Fischer Verlage, Frankfurt am Main Klaus-Peter Wolf
Ostfriesensünde

Fischer Verlage, Frankfurt am Main.
ISBN 978-3-596-18050-9, Preis € 8,95 (D), €  9,20 (A), CHF 13,50.

Fischer Verlage/
Ostfriesensünde

Deutschland gelockt wurde, ein guter Mann wolle mich heiraten. Ich hatte sogar Fotos von ihm und zwei Briefe. Mein Flug wurde bezahlt. Ich war glücklich. Mein zukünftiger Mann versprach, meine Familie zu unterstützen. Aber dann in Deutschland …

Etwa auf der Hälfte des Buchs weiß man, was wirklich los ist. „Ihr Vater wühlte zwar mit mir im Dreck der Welt, wollte selbst aber sauber bleiben. 

Wir ahnten längst, dass mit Anne Kathrins Vater nicht alles stimmt. Und nun mag man das Buch nicht mehr aus der Hand legen.

Kein Wunder, dass die Leser von Deutschlands einflussreichem,  einschlägigen Magazin „krimi-couch“ die „Ostfriesensünde“ zum besten Krimi des Jahres 2010 gewählt haben.
hr

Seemannsgarn mit Käpt'n Hein Mück

 

►►► Tja, Hein Mück ist zwischen den Jahren viel gereist, nach Frankfurt, nach Berlin immer in vollen Zügen. Er lobt seither Koffer mit vier Rädern, die sich leicht steuern lassen und aufrecht auch noch durch Gänge rollen, in denen sich Gepäck staut. Eigentlich gehört es da nicht hin, und Hein Mück ist geneigt, von einer Fehlplanung der Bahn bei der Personenbeförderung zu sprechen. Ein Problem ist 176 Jahre nach der Fahrt der ersten Eisenbahn in Deutschland noch immer oder schon wieder ungelöst: das des Reisegepäcks. Oben über dem Kopf von Mitreisenden kann man nur kleines oder mittleres Gepäck unterbringen und braucht dazu meistens auch noch Hilfe athletischer junger Mitreisender. Zwar kann ein Waggon mehrere Dutzend Passagiere aufnehmen, doch wenn jeder mit normalgroßem Reisegepäck einsteigt, gibts Probleme. Für Reisende mit Traglasten sind die Abteile von heute nicht mehr vorgesehen. Doch es gab sie mal, in der Holzklasse, als die Lokomotiven noch rauchten. Da saß man auf Bänken an den Abteilwänden und in der Mitte stapelten sich Koffer und Körbe. Aus jenen Jahren, in denen man zwar unbequemer saß, aber mit seinem Gepäck keine Probleme hatte, stammt ein Gepäckstück, das heute wieder sehr beliebt ist: der Rucksack. Er ist jetzt sehr viel bequemer zu tragen und kann mehr aufnehmen. Doch den menschenfreundlichen Umgang mit ihm muss man erst lernen. Ein Mensch, der einen Rucksack auf dem Rücken trägt, braucht doppelt so viel Platz wie jemand ohne, wenn er in den Zug einsteigt oder in ihm nach einem Platz sucht. Denn der Rucksack verdoppelt den „Brustumfang. Sogar dreimal so viel Platz braucht der Träger, wenn er sich mit dem Sack auf dem Rücken suchend um die eigene Achse dreht. Doch das Problem des Stauens löst auch der Rucksack nicht. Wie Hein Mück in diesen Tagen oft genug beobachten konnte, ist er wohl nur bequemer, wenn man vor der Waggontür auf dem Fußboden sitzend dösen oder schlafen möchte.

 

►►► Tja, die jungen Leute, sagte die kluge Frau, die Hein Mück neulich auf einem Neujahrsempfang traf, haben in der Schule jahrzehntelang nichts von Wirtschaft gelernt und die Folgen tragen wir alle jetzt. An seine eigene Schulzeit zurückdenkend, kann Hein Mück das nur bestätigen. Bei seinen Kindern wars das gleiche. Obs bei den Enkeln anders wird, bleibt abzuwarten. Die kluge Frau lobte Kommunen, die nicht mehr ausgeben als sie einnehmen, und schalt das öffentliche Schuldenmachen.  Und warnte vor Parlamentariern, die nie selbständig Geld verdient haben. Wer am Ende eines Monats sein sicheres Gehalt ausgezahlt bekommt, sieht die Welt anders, als der, der auf eigenes Risiko handelt. Hein Mück konnte dem zustimmen, doch über das, was die kluge Frau weiter sagte, denkt er noch nach. Wir brauchen, sagte sie, Wirtschaft als Schulfach, zumindest ein paar Schuljahre lang, und wir brauchen mehr Selbständige in den Parlamenten. Die würden nämlich dafür sorgen, dass erst Geld verdient wird, ehe es ausgegeben wird. Statt Steuern zu erhöhen, würden sie die Verdienstchancen verbessern. Sie würden zum Beispiel nicht die Abgaben auf das Bier erhöhen, sondern dafür sorgen, dass mehr Leute mehr Bier trinken. Die Einnahmen der Kommune wären die gleichen. Der eine Weg sei der politische, der andere der wirtschaftliche. Tja, fragt sich Hein Mück, ob das wirklich so ist? Und bedauert wieder einmal, Wirtschaftsdenken nicht in der Schule gelernt zu haben.

 

►►► Tja, wie viele andere, denkt auch Hein Mück zum Jahreswechsel gern nach und redet mit Freunden über Erfahrungen und Beobachtungen der letzten zwölf Monate. Es ging bei einem Gespräch um Erfolg im Leben. Eine kluge junge Dame unterschied zwischen Erfolg aus Passion und Erfolg aus Defizit. Worin der Unterschied bestehe, wollte Hein Mück wissen. Aus Passion handelt jemand, der nicht anders kann, der mit voller Leidenschaft handelt. Aus Defizit handelt jemand, um der Welt oder sich zu beweisen, dass ers dennoch schafft. Leute, die aus Defizit handeln, hatte die junge Dame beobachtet, sind häufig klein. Sie wollen beweisen, dass sie dennoch großes leisten. Nun ja, sagte sich Hein Mück, das könnte so sein. Dann hörte er die nächste Erkenntnis der jungen Frau: Auch das Fehlen von etwas, der Mangel also, kann eine Qualität sein, aus der man was machen kann. Weil einer keine Enkel hat, kümmert er sich in der Gemeinde um den Ausbau des Kindergartens. Nachdenklich geworden dachte Hein Mück nach. Zu welcher dieser Gruppen gehört er selber, zu den aus Passion handelnden oder zu den aus Defizit handelnden?

 

►►► Tja, die sibirische Kälte, die Norddeutschland erreichte, verschonte auch Hein Mück nicht. Mit leichtem Hüsteln fing es abends an. Nach unruhigem Schlaf wachte Hein Mück am Morgen heiser auf, krächzte wie ein aufgeschreckter Rabe und suchte auf den Rat seiner Herzallerliebsten den Arzt auf. Der verschrieb etwas, riet aber vor allen Dingen, Hein solle nicht flüstern, sondern möglichst gar nicht reden. Und wenn, dann laut. Andernfalls, so der Medizinmann, könnten Narben auf den Stimmbändern

 

zurückbleiben, die zu ständigen Problemen führen könnten. Um die zu vermeiden, beschloss Hein Mück, zu schweigen. Seiner Herzallerliebsten teilte er das kurz mit – und dann begann eine Erfahrung ganz eigener Art mit ganz neuen Erkenntnissen. Die erste: Selbst wenn man nicht will, redet man doch. Man stellt Fragen nach dem Verbleib des Tees, dem Plan für den Tag, den Wünschen zum Mittag. Es dauert, bis man sich daran gewöhnt hat, nichts mehr zu fragen. Die zweite Erkenntnis: Überhör Fragen mit einem „oder. Möchtest du lieber Kartoffeln oder Kartoffelpüree haben, ist eine schlechte Frage, weil man antworten muss. Besser wäre es, zwei Fragen hintereinander zu stellen. Möchtest du Kartoffeln essen? Kopfschütteln. Also lieber Kartoffelpüree? Nicken. Dritte Erkenntnis: Lass bloß keine offenen Fragen zu. Was hast du vor, wenn es noch kälter wird? Eine solche Frage schreit nach einer ausführlichen Antwort, und die tut den Stimmbändern nicht gut. Vierte Erkenntnis: Schweigend miteinander umzugehen, ist auf Dauer nicht gut. Irgendwie ist der Mensch fürs Reden geschaffen. Fünfte Erkenntnis: Ein Schal um den Hals deutet bei Winterkälte nicht auf Heiserkeit hin. Die Leute sprechen draußen auch einen Schalträger an. Also bleibt man besser zu Hause. Sechste Erkenntnis: Auch die längste Heiserkeit verschwindet schließlich. Bei Hein Mück dauerte sie in diesem Winter sechs Tage.

 

►►► Tja, Hein Mück wollte ins Konzert und hatte zwei Karten für Plätze in der Mitte einer Reihe erstanden. Die Straßenbahn hatte sich verspätet, Hein und seine Herzallerliebste kamen recht spät und fanden ihre Reihe schon voll besetzt – bis auf die beiden Plätze in der Mitte. Wohl oder übel musste Hein sich seinen Weg dorthin bahnen. Also schob er sich in die Reihe, Gesicht zu den Sitzenden und bedankte sich jedes Mal artig, gleich, ob jemand sich erhob, um ihn passieren zu lassen, oder sitzen blieb. Auch die Herzallerliebste lächelte und dankte. So erreichten sie ihre Plätze, Hein merkte sich, dass etwa neun Leute aufgestanden, neun sitzen geblieben waren. Nach der Pause ereilte sie das gleiche Schicksal, sie hatten sich zu lange am Rotwein festgehalten und waren wieder die letzten. Und nun geschah etwas, über das Hein Mück sich heute noch wundert. Alle achtzehn Personen standen auf und ließen ihn und die Herzallerliebste durch, lächelnd und freundlich. Gute Beispiele verderben, wie man sieht, schlechte Sitten.

 

►►► Tja, einmal im Jahr räumt Hein Mück gründlich auf, meistens gleich nach Neujahr. Dann sucht er alte Kataloge zusammen, alte Zeitschriften, leert Ordner, trennt sich von Papieren, die überholt sind, und macht auch vor Büchern nicht halt, die zerfleddert sind und nie wieder gelesen werden. So kommt eine Menge Papier zusammen, für das es eine eigene Tonne mit blauem Deckel gibt, die zweimal im Monat von der Müllabfuhr geleert wird. Die Herzallerliebste, die solche Aufräumarbeit das ganze Jahr über laufend macht, lobte Hein Mück dafür, merkte aber an, dass die Arbeit viel geringer sei, wenn er sich immer sofort von Gedrucktem trennt, das er nicht mehr braucht. Ab sofort wird er ihrem Beispiel wohl folgen. Denn als er mit Armen voller Papier im Vorhof an die blaue Tonne kam, war die – eine Woche vor der Leerung –  bereits randvoll. Was war geschehen? In leere Wohnungen im Haus waren eine junge Ärztin und ein Lehrerehepaar gezogen, die alle gern lasen, sich Kataloge schicken ließen und sich auch nur einmal pro Jahr von all dem trennten. Mit seinen Bergen von Papier auf die nächste Leerung warten, wollte Hein Mück nicht. Da die Herzallerliebste ihn daran erinnerte, dass die Müllmänner Altpapier auch in Plastiktüten mitnehmen. Und da hinein stopfte Hein Mück sein Papier, klebte die Tüten zu und stellte sie in einer Reihe, acht an der Zahl, zum Abtransport neben die blaue Tonne. Am anderen Morgen war alles verschwunden. Leer wackelte die Tonne im Wind. Hätte er doch ein paar volle Beutel zurück halten sollen, um sie zu beschweren, damit der Wind sie nicht über den Vorhof trieb? Hein Mück keilte sie zwischen zwei Tonnen mit Restmüll fest, damit war dieses Problem gelöst. Das andere, wie gesagt, macht er künftig wie seine Herzallerliebste.

 

►►► Tja, Rezepte sind so eine Sache. Hein Mück kocht gern und erfüllt gern Wünsche, wie etwa den nach „Falschem Hasen nach Art der Tante Lotte, den seine Herzallerliebste zum Besuch einer Freundin äußerte. Weil Hein sich nicht ganz sicher war, las er in einem alten Kochbuch nach, wies gemacht wird. Dieses Kochbuch war ein Bestseller um die Zeit, in der Tante Lotte ihren berühmten „Falschen Hasen öfter zubereitete, Hackfleisch mit alten Brötchen und feinen Gewürzen und ein oder zwei Eiern, eingebacken. Doch leider, leider traf genau das nicht den Geschmack der beiden, die ihn sich gewünscht hatten. Tante Lotte hatte eine Gewürzmischung benutzt, die die Herzallerliebste nicht mehr definieren konnte und der Gast vermisste Salzgurken und eine Specksoße. Seitdem ist Hein beim Kochen mit dem Erfüllen von Wünschen zurückhaltender geworden. Denn „so wie damals schmeckt heute nichts mehr. Und für „Falschen Hasen, das hat Hein Mück inzwischen herausgefunden, gibt es etwa ähnlich viel Rezepte wie für den an der Küste so beliebten Grünkohl in der kalten Jahreszeit. Wenn Hein den kocht, macht er es nach Art von Tante Manda, bei der er Grünkohl kennenlernte, mit zwei Sorten Wurst, drei Sorten Fleisch, kandierten kleinen Kartoffeln und sehr mehligen Salzkartoffeln, und löffelweise Senf. Vor dem Essen gabs einen Schnaps, auf halber Strecke einen zweiten und als Abschluss ... nun ja, mehrere. Dazu kühles Bier. In der Küche, sagt Hein, gibt es keine Demokratie. Wems nicht schmeckt, der soll nicht wiederkommen. Doch bisher haben sich alle Gäste gern wieder bei ihm eingefunden.