FLUSSREISE | AUSGABE 4/2012 | ||||||
Dresden – Blick aus der Kuppel der Frauenkirche auf die Elbe südwärts. |
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Potsdam gehört dazu, eine Reise wie diese mit der
MS SAXONIA
muss in Potsdam beginnen,
wenn sie ihr Glanzlicht in Dresden und ihren
Wendepunkt in Prag hat. Drei Residenzen, drei schicksalsträchtige prächtige
Städte. Aber auch Magdeburg, Wörlitz und Wittenberg, Torgau und Meißen, das
Elbsandsteingebirge, Melnik und Leitmeritz sind Besuche wert, Leipzig
allemal einen Abstecher.
Doch warum soll man sich diesen Orten mit dem Schiff
nähern, bloß weil fast alle am Wasser liegen? Nicht nur aus Bequemlichkeit.
Die Annäherung, den Rundgang durch die Stadt, die Nacht vor der Stadt, das
Lösen am Morgen der Weiterfahrt erlebt man vom Schiff her anders als mit der
Bahn, dem Auto oder dem Fahrrad. Wir gleiten durch Stille, über dunkles Wasser. Immer
haben wir Landschaft um uns, einen gewaltigen Himmel über uns. Bäume
verbinden Oben und Unten, züngelnd und einsam oder in Gruppen, schützend und
abgrenzend. Immer läuft eine kleine Welle mit und deutet Buchten,
Abzweigungen oder Einmündungen aus. Vögel in Schilf und Ried, Locktöne und
flatterndes Erschrecken. Am Ufer regt das Nahe wie das Ferne zum
Weiterdenken an, wenn es kundig vorgestellt wird. Städte und Dörfer kündigen
sich am Wasser schnell an und versinken ebenso schnell wieder. Kaimauern
oder Pontons laden den Reisenden kaum ein. Sie sind Hilfen, um an Land zu
kommen, mehr nicht.
Ausgangs- und Endpunkt stehen bei Schiffsreisen selten auf dem Ausflugsprogramm. Wer will, kann vorher oder nachher auf eigene Faust den Ort erkunden. Potsdam hätte den Gästen der MS SAXONIA gewiss einen bequemeren Ein- und Ausstieg bieten können, doch ein besserer Start in das wasserreiche Gebiet des Havellandes ist schwer vorstellbar. Es ging linksherum um den Stadtkern. Lange im Blick die grüne Kuppel der Nikolaikirche und an freundlichen Ufern Wohn- und Wirkstätten von Prominenz und Prinzen. Die MS SAXONIA fuhr unter der Glienicker Brücke durch, auf der in Zeiten des kalten Krieges Spione und Gefangene ausgetauscht wurden, und am Cecilienhof vorbei, in dem Stalin, Roosevelt und Churchill 1945 Weichen für das weitere Schicksal Deutschlands stellten.
Das mitreisende Viersterne-Hotel namens
MS SAXONIA
fährt für Phoenix Reisen, Bonn. Das Schiff wurde in den Niederlanden gebaut
und 2001 in Hamburg getauft. Es ist 82 Meter lang, 9,50 Meter breit, und hat
je nach Zuladung einen Tiefgang von 1,05 bis 1,60 Meter. Die
MS SAXONIA
kann 90 Gäste in 45 Doppelkabinen aufnehmen, um die sich 25 Personen in
Küche, Hotel, Schiffsführung und in der Kreuzfahrtleitung kümmern. Für zwölf Tage packt man auf dieser Reise im April
seine Koffer nur einmal aus und wieder ein.
69 Gäste sind an Bord. Man gewöhnt sich (auch zu zweit) schnell an 12
Quadratmeter Kabine mit Ausklappbetten und einem passabel großen Duschbad.
Umgangssprache der freundlichen Helfer für die Kabine, im Restaurant, im
Salon, an der Bar ist Deutsch in vielen Tönungen, aus Lettland, Ungarn,
Rumänien, Bulgarien und Tschechien. Tisch und Tischgenossen bleiben während
der ganzen Reise die gleichen, beim Frühstück (vom Buffet), Mittag- und
Abendessen. Was man zu den Hauptmahlzeiten essen will, bestellt man beim
Frühstück. Zu Kaffee und Bouillon trifft man sich im Salon, klug gegliedert
für kleine und größere Gruppen. Dort kann man auch dem unermüdlichen Roumen
am Flügel lauschen. Das Sonnendeck ist nur manchmal gesperrt, wenn
Brücken zu niedrig für Sitzende sind. Dann fährt auch das Steuerhaus ein,
die MS SAXONIA
ist eine Etage niedriger geworden. Das Schiff ist in Basel registriert. Vom
Veranstalter Phoenix Reisen, Bonn, ist nur die Kreuzfahrtleiterin an Bord,
kenntnisreich, auskunftsfreudig, kompetent, engagiert und perfekt
organisiert – Monika Hütte.
Man könnte das Wasser zwischen der Stadt Berlin und der Stadt Brandenburg als einen Stausee bezeichnen, der entstand, als viele Mühlen Wasser brauchten. Wo in diesen weiten Wasserflächen fließt die Havel? Sie kommt aus dem Mecklenburgischen im Norden, berührt Berlin und Potsdam und mündet in die Elbe, wie man weiß. Doch sie lässt sich bei allem Zeit, zieht gemächlich durchs Land in vielen Kehren und Wendungen. Kurz vor der Elbe zögert sie und dreht wieder nach Norden ab, läuft viele Kilometer parallel zur Elbe durch dünn besiedeltes Gebiet und mündet erst südlich von Wittenberge in den großen Fluss. Die Preußen haben schon im 18. Jahrhundert Verbindungswege zwischen Berlin und der Elbe gegraben, Verkehre ermöglicht, und schließlich auch den Havel-Elbe-Kanal, der der Schifffahrt den Weg erheblich verkürzt und erleichtert. Nach der Wiedervereinigung entstand als Teil des
Verkehrsprojekts Deutsche Einheit Nr. 17 das Wasserstraßenkreuz Magdeburg,
in Deutschland einmalig und in der Welt selten: ein großer, breiter Kanal
überquert einen großen Fluss, der Mittellandkanal die Elbe bei
Flusskilometer 339,6. Selbst bei höchstem Elbwasserstand beträgt die
Durchfahrthöhe auf dem Fluss immer noch 6,50 Meter.
Die Elbe heißt in Tschechien Labe. Ihre Quelle liegt
im Riesengebirge. Aber es gibt genügend Tschechen, die der Elbe lieber einen
anderen Namen geben würden, Moldau. Dieser Fluss führt in seiner Einmündung
in die Labe mehr Wasser und ist sehr viel länger als das, was da aus dem
Riesengebirge kommt. Doch Gewohnheit und Tradition haben uns den Namen Elbe
beschieden, die rund 1100 Kilometer lang ist. Ab der deutschen Grenze ist
die Kilometerzählung verständlich, in Tschechien hat man neuerdings eine
andere Art der Zählung so ausgeschildert, dass selbst Kapitän Pavel Nyvlt
Schwierigkeiten hat, einem Laien das Prinzip zu erläutern. Er, der die Elbe
liebt und alle Schleusen und Manöver souverän meistert, lobt die Donau, die
10 Länder durchfließt oder berührt. Sie hat eine einheitliche
Kilometrierung, Null steht an der Mündung im Schwarzen Meer, 2655 Kilometer
am Ende der Schiffbarkeit. Von dem gewaltigen Strom, der ab Hamburg in die
Nordsee fließt, ist bei Magdeburg noch nichts zu sehen. Doch wir hörten,
dass trotz wechselnder Wasserstände der Containerverkehr bis Magdeburg das
ganze Jahr über sicher gestellt ist. Flussauf hinter Magdeburg sieht die
Elbe eher schmal aus, Buhnen machen den Strom schneller, Wiesen und Weiden
fassen ihn ein. Doch das friedliche Bild täuscht. Die Elbe ist bis
nach Tschechien hinein gefährlich, genauso wie flussabwärts von Hamburg.
Hier sind’s die Hochwasser, die aus
Tschechien und den deutschen Nebenflüssen kommen, dort ist es das Hochwasser
von der Nordsee. Im Norden hat man die Elbe einigermaßen gebändigt, hier
arbeitet man noch daran. Bei Bad Schandau kurz vor der Grenze deutete der
Kapitän auf einen blauen Strich auf einem Tor einer hoch am Ufer gelegenen
Werft. Bis dahin habe das letzte gewaltige Hochwasser 2002 gestanden – und
uns verschlug’s den Atem. Hochwassermarken
sind an allen Städten am Fluss zu sehen, diese nötigten uns Respekt ab. Die
Elbe sei ein romantischer Fluss, hat Friedrich Schiller einst gerühmt. Dem
mag man nur an wenigen Stellen zustimmen, etwa im Elbsandsteingebirge. Und
immer wieder mal, wenn’s
kuhweidengemütlich wird. Aber das ist selten, flache grüne Ufer werden zum
Süden hin seltener, man lebt schließlich von Produktion und Gewerbefleiß. Wo
Gewerbefleiß das Sagen hat, werden auch Städte, Dörfer sowieso, durch
Fabrikbauten optisch zerstört. Im realen Sozialismus hat man diese
Zerstörungen guter Stadtbilder anders benannt und begründet. Aber Freude
über solche Errungenschaften kommt bei der Passage mancher Elborte heute
nicht mehr auf. So tut der große Fluss immer wieder der Seele wohl und
entsetzt immer wieder mal das Auge.
Prag liegt an der Moldau, nicht an der Elbe, was
eigentlich schade ist. Denn zu einer bedeutenden Stadt gehört auch ein
bedeutender Fluss. Die Moldau ist aber offenbar in Tschechien bedeutender
als die Labe – Smetana hat über sie ein Seelen erwärmendes Stück Musik
komponiert, das nicht nur die Tschechen begeistert.
Auf der MS SAXONIA
lernt man vor allem die andere Seite der Moldau kennen. In dem jungen Staat
Tschechoslowakei, gegründet 1918, war dieser Fluss die bedeutendste
Wasserstraße, die unter anderem dafür sorgte, dass Prag genügend Holz und
Kohle bekam und seine Menschen ernähren konnte. Die Versorgung war nur
gesichert, wenn der Fluss genügend Wasser führte. Bei launischen Wasserwesen
wie Labe und Moldau war das nur durch Kanäle möglich. Sie sorgten mit ihren
Schleusen dafür, dass niemand darben musste. So gibt es auf der Labe in
Tschechien bis zur Moldaueinmündung sechs Schleusen, bis nach Prag noch
einmal fünf. Die MS SAXONIA
nähert sich der Goldenen Stadt quasi durch den Hinterhof. An ihm wird auch
Hässliches liebevoll gepflegt, aber ist solche Annäherung Prags würdig? Erst
nach dem Festmachen entdeckte man den Glanz, der die Goldene Stadt berühmt
gemacht hat.
An
ausgedruckte Tagesprogramme ist man bei Schiffsreisen gewöhnt, auf der
MS SAXONIA
verwöhnte Monika Hütte ihre Gäste mit weiteren gründlichen Informationen. So
gab es für jeden Halt Stadtpläne und Erläuterungen und darüber hinaus
Durchsagen. Kein Ort, der passiert wurde, blieb unkommentiert. Das half über
die Enttäuschung wegen fehlender Elbkarten hinweg, die selbst in Magdeburg
nicht zu haben waren. Ein Führer über den Elberadweg tröstete etwas,
die Faltkarte half nur schwach. Aber die kundige Reiseleiterin war
auch auf diese Fälle vorbereitet, beriet sich mit dem Kapitän oder nutzte
Handy oder Laptop, und die richtige Antwort kam prompt. Monika Hütte fährt
seit vier Jahren für Phoenix und kennt dieses Revier und die Führer der
Ausflüge an Land seit vielen Reisen.
Der goldene Reiter im steinernen Denkmal vor dem
Rathaus und Grabmale im Dom erinnern an Magdeburgs vergangene Bedeutung,
doch das Bild der Innenstadt ist geprägt vom Wiederaufbau unter dem realen
existierenden Sozialismus. Die Stadt wurde im Krieg zu 80 Prozent zerstört.
Heute ist das Auge dankbar für jede erhaltene Kirche und jubelt über die
grüne Zitadelle, einem Baukomplex von Friedensreich Hundertwasser. Bedeutend
unter Kaiser Otto I. geworden, war Magdeburg mit seiner Rechtsordnung
Vorbild für mehr Stadtgründungen im Osten als jede andere deutsche Stadt –
doch davon merkt der Besucher heute nichts mehr.
Gelegentlich, das mussten auch die Mächtigen der DDR
zugeben, haben selbst Fürsten das Wohl des Volkes nachhaltiger befördert,
als die sozialistische Theorie vorsieht. Wörlitz wurde reich und
seine Bewohner glücklich durch landesherrliche Erkenntnisse über
Fruchtwechsel und Menschenführung. Die übliche Dreifelderwirtschaft, die immer ein
Drittel des Landes brach liegen ließ, ersetzte 1759 Fürst Leopold Friedrich
Franz von Anhalt-Dessau durch den Fruchtwechsel, den er auf seinen
herrschaftlichen Reisen in England kennengelernt hatte. Das Land, das bis
dato den Bauern gemeinsam gehörte, wurde ihr Privatbesitz. Reisebegleiter des Fürsten entwarfen und bauten
Schloss und Park Wörlitz. So erblühte hier ein Gemeinwesen, das noch heute
als Weltkulturerbe der UNESCO jährlich Tausende von Besucher anlockt. Der Gondelführer, der die Praktikantin die Gäste
durch die Kanäle rudern ließ, wusste allerdings auch zu stöhnen. Der UNESCO
Schutz macht den dort Arbeitenden nicht nur Freude. Käfer, die Eichen
aushöhlen, sind geschützt und Biber von der Elbe, die Bäume fällen, dürfen
daran nicht gehindert werden.
Lutherstadt Wittenberg, der Ort, von dem aus die Welt verändert wurde! Für die MS SAXONIA Besucher war er eine Straßenzeile, die an der Schlosskirche begann und am Lutherhaus endete. Vom Fluss aus war Wittenberg gut auszumachen, zum Land hin auf |
übliche Weise ausufernd. Die lange Reihe der Namen
prominenter Stadtbesucher von Karl V. an war an den Häusern verewigt, in
denen sie abgestiegen waren. Herr Obenauf wusste als Fremdenführer nicht nur
über Luthers Thesen und die Schlosskirche, Maler Cranach und Professor
Melanchthon und die berühmteste Universität ihrer Zeit zu berichten, er
kannte auch die von weither angereisten Gäste dieses Zentrums von Religion
und Wissenschaft. Und er stellte Herrn Käthe vor. Gemeint war Katharina von
Bora, Luthers Frau, die wohl sehr resolut einen großen Haushalt führte. Doch überraschend war die preußische Ausrichtung der Stadt. Zu Luthers und Melanchthons Zeiten war sie sächsisch, preußisch wurde sie erst 1815. Und weil die Schlosskirche abgebrannt war, wurde sie von den Preußen wieder aufgebaut. Ihr Kirchturm erinnert manchen Besucher und Bewohner an die Pickelhaube preußischer Militärs. Der um den Turm laufende Spruch verstärkt den Eindruck noch: „Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen”. Als hätte Luther nichts Friedlicheres zu verkünden gehabt.
Die Männer trafen sich in Trümmern einer Brücke und schüttelten sich die Hände. Leider war kein Fotograf dabei. So wurde die Szene einen Tag später noch einmal nachgestellt und ging als Foto um die Welt. In Torgau begegneten sich am 25. April 1945 die Spitzen der Roten Armee und der Amerikaner, der Krieg zuckte nur noch. Ein Denkmal am Fluss erinnert an dieses Treffen des 173. Regiments der 58. Schützendivision der ruhmreichen Roten Armee und des 273. Regiments der 69. Infanteriedivision der US-Army. Doch genauere Recherchen ergaben, dass bereits
dreieinhalb Stunden vor dem Treffen in Torgau im Dorf Strehla, 30 Kilometer
flussaufwärts, sowjetische und amerikanische Einheiten sich begegnet waren.
Auch an dieses Treffen erinnert ein – sehr viel kleineres – Denkmal. Noch
heute wird in Torgau einmal jährlich der „Elbe Day”
gefeiert, das berühmte Foto wird zur Werbung immer noch verwendet. Und an
einer Straßenecke erinnert eine erhalten gebliebene Inschrift an jene Tage.
Sie weist dem hungrigen Soldaten in kyrillischer Schrift den Weg zur Küche
des 2. Bataillons.
Wer Porzellan liebt, muss Meißen und die Manufaktur
mögen. Wer das weiße Gold eher als Gebrauchsgegenstand nutzt, kann sich auch
in der Stadt umsehen. Auch da kann er Schönes kaufen, und auch da kann er
ein Vermögen ausgeben. Meißen lief die MS
SAXONIA zweimal an und jedes Mal ehrten
wir, was auch bekannt sein sollte: den Wein von der nahen Unstrut und das
Bier aus dem Brauhaus auf halber Höhe zu Schloss und Burg. So wäre viel über
Wein aus der Region zu berichten, der seinen Preis hat, und das dunkle Bier
aus der privaten Schwerter Brauerei wäre zu loben, das auch tiefen Durst
stillt.
Man ahnt schon beim ersten Besuch, dass man sich Dresden nähert, die Silhouette vor dem Bug der MS SAXONIA verrät die Schöne. Irgendetwas sieht anders aus, das Elbtal wird breiter, der Fluss zieht eine große Kurve. Und dann ist man da und hält den Atem an vor so viel gesammelter Schönheit. Elbflorenz hat Johann Gottfried Herder sie als erster genannt. Den heutigen Reisenden erinnert sie mit ihrer Konzentration großer Bauwerke eher an Wien – und dann doch nicht mehr. Wien hat keine Fassade zur Donau, ist dem Fluss nicht zugewandt, Dresden ist ohne Elbe nichts. Sie fließt mitten durch das Schöne hindurch. Rechts das alte, einst zerbombte wieder erstandene Dresden mit Frauenkirche, Semperoper, Zwinger, auf der anderen Seite auffällig der Regierungssitz und das Finanzministerium. Dresden beherrscht ein ganzes Tal, ist
Weltkulturerbe der UNESCO, aber wie lange noch, wenn die neue Brücke als
fünfte die Ufer verbindet? Die Stadt war seit Jahrhunderten Sitz von
Kurfürsten, deren zwei Anfang des 18. Jahrhunderts gleichzeitig auch
polnische Könige waren. Ihre Nachkommen wurden deutsche Könige von Napoleons
Gnaden und blieben es bis 1918, als der letzte, August Friedrich, beim
Abdanken seinen Sachsen sagte: „Nun macht Euren Dreck alleene”.
Das nehmen die Dresdener sich offenbar immer noch zu Herzen. Die Innenstadt
ist blitzsauber. Sie zu genießen, braucht man mehr als die angesetzten drei
Stunden, die für die Rundfahrt mit dem Bus und den Rundgang auf dem Programm
der MS SAXONIA
standen. So war dann das Ablegen erst für den nächsten Morgen um 6.30 Uhr
angesetzt.
Die Sandsteine gab es schon immer, jedenfalls seit
100 Millionen Jahren. Die Elbe bahnte sich ihren Weg durch sie. Als die
Sandsteine ihre heutige Form durch Wind und Wasser gefunden hatten,
wanderten zwei junge Herren, Adrian Zingg und Anton Graff, durch sie. Die
gebürtigen Schweizer studierten in Dresden Malerei und Kunst und fanden,
diese Berge erinnerten sie an ihre Heimat im Südwesten. Sie sprachen fortan
von der „Sächsischen Schweiz“, und so wurde das Elbsandsteingebirge an der
Grenze nach Tschechien in deutschen Landen bekannt. In Tschechien nannte man
das Entsprechende bald die „Böhmische Schweiz”
– aber eidgenössisch sieht in ihr nichts aus. Doch atemberaubend ist beides,
der Blick von oben auf die Elbe, wie der von unten auf die Steine, zwischen
denen im vorletzten Jahrhundert zum ersten Mal eine Brücke gebaut wurde, die
nichts weiter sollte, als Touristen zu erfreuen. Was sie heute noch tut –
von oben wie von unten betrachtet.
Sie ist gewaltig, weltberühmt, wurde nie belagert,
nie eingenommen und auch nie verteidigt. Jeder Sozialist müsste sie kennen,
denn zwischen 1872 und 1874 saß August Bebel hier als Gefangener, und von
1949 bis 1955 war sie ein „Werkhof” für
straffällige Jugendliche der DDR. Das Kurfürstentum und das
Königreich Sachsen leisteten sie sich als Tresor des Staatsschatzes, wenn es
im Lande kritisch wurde. Die gewaltige Festung über der Elbe hätte sich im
Falle eines Falles so lange halten können, wie der 152,50 Meter tiefe
Brunnen im Hof Wasser gab. Wie lange das hätte sein können, wurde nie
herausgefunden.
Prag ist mehr als man in zwei Tagen erleben kann.
Was also tut man? Monika Hütte schlug vor, sich am ersten Abend treiben zu
lassen und am zweiten Tag vom Hradschin in die Stadt bis zum Fluss hinunter
zu wandern. Schon Mitte April, der Wind pfiff noch kühl, war die Stadt
voller Besucher, voller als jede andere, die wir kennenlernten. Was mag hier
erst im Sommer los sein? Aber eine Stadt mit so viel Vergangenheit und
Bedeutung zieht viele an: die an mittelalterlicher Geschichte
Interessierten, die Nationalbewußten, die Spurensucher von Krieg und
Nachkriegszeiten, Juden, Christen aller Schattierungen, Literaten, Musiker,
Bierfreunde und Liebhaber gewaltiger Fleischportionen. In Prag kann man sich
nicht langweilen, und man ist vermutlich auch nie lange genug da.
Wer hätte schon von Melnik gehört? Ein Schloss der
Herren von Lobkowicz, wo die Moldau in die Elbe mündet. Die entsprechende
Schleuse erlaubt den ersten Blick auf Weinberg und Gebäude. Und oben darf
man den Wein – nein, nicht degustieren, aber kaufen, in einer Flasche, die
nur hier zu haben ist. Und wer kennt Leitmeritz? Dort mündet die Eger in
die Elbe, oder auf Tschechisch: die Ohře in die Labe. „Schon im 18.
Jahrhundert befand sich dort eine slavische Siedlung”,
las man auf dem Informationsblatt. Nun ja. Der letzte Satz des Blattes
enthält das bewegende Detail. „Unweit von Leitmeritz befindet sich die
Festung Theresienstadt”. Festung?
Konzentrationslager ist wohl gegenwärtiger. Und während wir im Abenddunkel
über den Marktplatz wanderten, erfuhren wir fast beiläufig, dass sich in den
Höhlen und Gängen unter der Stadt während des Krieges KZ-Häftlinge zu Tode
schuften mussten.
Auch Städte, die an nicht mehr schiffbaren Wassern
liegen, lohnen einen Besuch. Leipzig liegt an der Pleiße, einem Nebenfluss
der Elster, die ihrerseits ein Nebenfluss der Saale ist, die bei Barby in
die Elbe mündet. Mit einem Schiff wie der MS
SAXONIA kommt man da nicht hin. Wer also
Leipzig kennenlernen wollte, musste das Schiff
verlassen und mit dem Bus in die Leipziger Innenstadt fahren und im
Schatten der Thomaskirche aussteigen. Thomaskirche? Ja, die von Bach und vom
Thomanerchor. Vom Denkmal her beobachtet Felix Mendelssohn-Bartholdy den
parkenden Bus. Von hier begann ein Ausflug mit Gedenken und pulsierendem
Leben.
Gedenken an Johann Sebastian Bach, der bei seiner
Berufung 1723 nach Telemann und Graupner nur dritte Wahl für die Stelle des
Thomaskantors war. Gedenken an die Montage in der Nikolaikirche – während
der Endzeit der DDR. Man meint den Geist von einst, der ein blutiges Ende
verhinderte, noch immer zu spüren. Drei Gebäude, in denen ebenfalls Geschichte geschah:
Das Reichsgericht, vor dem der Brand des Reichstags im September 1933
verhandelt wurde, Georgi Dimitroff gegen Hermann Göring. Gegenüber
unscheinbar: die zentrale Hinrichtungsstätte der DDR, wo Todesstrafen mit
unerwartetem Genickschuss vollzogen wurden. Und in der „Runden Ecke”
der Sitz der damaligen Stasi. Beeindruckende Busfahrten durch das großbürgerliche
Leipzig. Was für ein Wohlstand herrschte einst hier, oder immer noch oder
schon wieder? Besuch des Völkerschlachtdenkmals, um dem mitgebrachten
Lunchpaket Ehre zuteilwerden zu lassen. Das Denkmal erinnert den Kundigen an
die Heere vierer Nationen, die hier gegen Napoleons Armeen 1813 antraten.
50.000 Tote später räumten am Ende des dritten Tags die Franzosen das Feld.
Es war die bis dato verlustreichste Schlacht der Weltgeschichte. Das
Völkerschlachtdenkmal wurde genau hundert Jahre später ein Jahr vor dem
Ersten Weltkrieg eingeweiht.
Letzter Halt, letzter Abend in Brandenburg. Es gibt
Städte, die mit großen Namen im Schatten der Geschichte stehen. Brandenburg
gehört dazu, ein schöner Platz zum Festmachen. Monika Hütte lud zu einem
letzten Rundgang ein, also los. Und dann musste man die Augen schließen vor
dem, was an die jüngere proletarische Vergangenheit erinnert. Und sie wieder
weit öffnen vor großer preußischer Backsteingotik an Dom und Rathaus.
Jeder hat von Brandenburg gehört, aber auch von
dieser Stadt? Noch immer erinnern Fassaden an Kämpfe des Weltkriegs, der
1945 zu Ende ging. Und dann trifft man auf eine knollennasige Gestalt
Loriots – auf einer Bank sitzend. Loriot, alias Vicco von Bülow, wurde in
Brandenburg geboren und hier im Dom getauft. Eine andere Plakette erinnert
an Friedrich de la Motte-Fouqué, der hier seine „Undine”
schrieb, die gleich zweimal als Oper vertont wurde.
Letzte Abende einer Reise zerfasern häufig. Meistens
ist der vorletzte Abend der bessere, und so fand auch das Captain’s
Dinner mit ein paar Grußworten am vorletzten Abend statt – im Restaurant, im
Salon und an der Bar. Die Umschläge mit dem Trinkgeld waren in den Kasten an
der Rezeption eingeworfen worden, der eine oder andere Schein wurde diskret
noch überreicht, man trank noch ein Bier, ein Glas Wein, Adressen wurden
ausgetauscht, Eindrücke verglichen, Meinungen verfestigt. Wie jeden Abend
spielte Roumen auch jetzt unermüdlich, doch nie zu laut. Heute war das zu
hören, was seine Zuhörer in zwölf Tagen besonders geschätzt hatten. Der Blick nach draußen zeigte am letzten Abend eine dunkle Havel, flache Horizonte, mit fahlen Spuren der Sonne, Lichter von Schleusen. „Morgen früh sind wir in Potsdam”.
Aber die Flussfahrt kann weitergehen. Von Potsdam aus fährt die
MS SAXONIA
nach Hamburg oder in die Ostsee oder die Oder entlang.
„Auf Wiedersehen also”, sagte
Monika Hütte und lächelte einladend. |
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Die MS SAXONIA auf der Elbe nahe Dresden. |
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Kapitän Pavel Nyvlt steuert in Potsdam das Ablegemanöver der MS SAXONIA von der Nock aus. |
Autor Dieter Bromund neben Loriot-Männchen mit der Knollennase, der Besucher zum Verweilen einlädt. Vicco von Bülow wurde in Potsdam geboren. |
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Die Nikolaikirche in Potsdam beherrscht das Stadtbild. |
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Schloss Wörlitz gehört zum UNESCO Weltkulturerbe. |
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„Herr
Käthe” nannte Martin Luther scherzhaft seine Frau, die eine sehr resolute
Person gewesen sein muss. Eine Kneipe in Torgau
erinnert an sie. |
Die SAXONIA hat in Torgau festgemacht. |
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Das
Schloss von Torgau mit den Überresten der Elbbrücke, auf deren Trümmern sich
1945 zum ersten Mal auf deutschem Boden
amerikanische und sowjetische Truppen begegneten. |
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Meißen – der Burgberg mit der Albrechtsburg und Dom ragen hoch über der Elbe empor. |
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Dresden lebt mit seiner Elbe. Historische Ausflugsdampfer und supermoderne Ausflugsschiffe, sowie Kreuzfahrtschiffe machen im Stadtzentrum fest. |
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Die Frauenkirche hell und schwarz: Steine, die die Zerstörung überstanden, wurden für den ... |
... Neubau der Frauenkirche mit verwendet. Sie sind an der dunklen Farbe zu erkennen. |
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Dresdener Innenstadt – der Schlossturn (links) und die ehemalige Hofkirche (rechts). |
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Niemals eingenommen, liegt hoch über der Elbe die sächsische Festung Königstein. |
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Festung Königstein – hoch über der Elbe hat man einen Rundumblick in die Tiefe. |
Kanonen sollten Feinde abwehren, die nie einen Angriff wagten. |
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Das Elbsandsteingebirge liegt kurz vor der Grenze nach Tschechien. |
Oben auf der Bastei sind die Ausblicke grandios. |
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Tschechen,
ein friedliches Volk, geben sich mit den Sockeln des Eingangsportals zum
Hradschin, der Prager Burg, martialisch. Wenn auch nur mythologisch wird
hier gedroht und geschlagen. |
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Die Pfeiler mit den Köpfen, heute Begrenzungen für Parkplätze, erinnern an 27 Männer, die auf diesem Platz in Prag 1621 hingerichtet wurden. |
Das Kafka-Museum an der Moldau in Prag. |
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Zu
jeder vollen Stunde sammeln sich Menschenmassen vor der astronomischen Uhr
an der Südmauer des Altstädter Rathauses in Prag. |
Blick über Prag vom Hradschin aus. |
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