OSTSEE TOTAL | AUSGABE 5/2012 | ||||||
Über den Dächern der Altstadt von Tallinn, der Hauptstadt von Estland. |
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So könnte eigentlich jede Reise beginnen, mit
Schnuppern von Seeluft und einer Fahrt durch Weideland. Danach kann dann
alles Meer sein. Die MS ALBATROS
begann und beendete ihre Reise in Bremerhaven und lief vierzehn Ziele in der
Ostsee an, bekannte und unbekannte. Und manchmal entschied der Wind, ob und
wo der Anker fiel. Nachdem die Ostsee Ziel auch für Kreuzfahrtschiffe
aus dem Mittelmeer und aus Übersee geworden ist, sind die bekannten Häfen
voll. In St. Petersburg lagen in der Innenstadt zwei, im neuen
Passagierhafen weitere fünf Kreuzfahrer. In Stockholm waren es weitere drei.
Stockholm, Helsinki, Tallinn, Klaipėda und Gdansk stehen auf vielen
Programmen, und so sammeln sich Massen, wo immer es etwas zu sehen gibt.
Ermitage und Bernsteinzimmer kann man nur im Gedrängel wahrnehmen, in
Kirchen und Kathedralen findet Besinnung nicht mehr statt. Das weiß man,
wenn man heute die Ostsee besucht. Noch vor acht Jahren ging es hier sehr
viel gelassener zu. Die MS ALBATROS
fuhr unter dem Thema „Ostsee total” all
die bekannten Ostseeziele an, bis auf Riga. Doch den besonderen Reiz ihrer
Reise machten die unbekannten aus. Wer hatte schon von Ærø, Norrköping,
Gaevle, Luleå, Kemi gehört? Und wen zieht es nach Stettin?
Nach wie vor sind Ein- und Ausfahrt durch die
Schären vor Stockholm atemberaubend. Man mag noch immer nicht glauben, dass
hinter den idyllischen Inselchen mit den roten und gelben Holzhäusern
eine geschäftige Großstadt liegt. Stürzende Möwen über
dem Achterdeck wollen offensichtlich das Einlaufen vermiesen. Oder nur
warnen? Ein Spaziergang vom Schiff in die Stadt ist nicht mehr
möglich, neue Häfen oder umgewidmete Piers liegen weiter draußen.
Shuttlebusse bringen in die Stadt, wer nicht an einem Ausflug teilnehmen
will und holen von verabredeten Punkten auch rechtzeitig wieder ab. Die Ausflugsziele sind dieselben geblieben. Städte
wie Stockholm, Helsinki, St. Petersburg, Tallinn und Danzig leben gut von
ihrer Geschichte und den prächtigen Bauwerken, die die einstigen Herren
schufen und die die jetzigen sorgfältig pflegen. Die Souvenirindustrie ist
weiter gewachsen. Modische Angebote gleichen sich international an. Die
großen Marken haben ihre Shops hier wie dort. Nur die Preise unterscheiden sich von Land zu Land,
auch die für den ubiquitären Bernstein, den es von milchgelb bis
tiefdunkelrot in vielen Schmuckformen, Halsketten oder Armbändern gibt,
überall mit Echtheitszertifikat. Am ausführlichsten wird man vor dem Badeort
Palanga im ehemaligen Schloss der Grafen Tyszkiewich, das heute ein
einschlägiges Museum beherbergt, über Herkunft und Verarbeitung des Goldes
der Ostsee informiert. Hier ist auch der größte Bernsteinklumpen der Welt zu
besichtigen, der Saules Akmur mit seinen 3.584 Gramm. Auch die Fremdenführer sind andere als vor acht
Jahren. In St. Petersburg und Danzig, aber auch in Klaipėda und Tallinn
klangen damals die Schrecken des Krieges immer noch an, die Guides hatten
ihn als Kinder noch miterlebt. Heute wird er kaum noch erwähnt. Mit dem
russisch-finnischen Winterkrieg der Jahre 1940/41 etwa weiß kaum einer der
Ausflugsteilnehmer in Helsinki etwas anzufangen. „Den kann
Die neuen Ziele, die die
MS ALBATROS ansteuerte, wuchern mit
anderen Pfunden als historischen Prachtbauten aus glanzvoller Vergangenheit.
Die dänischen Inseln sind ungewohnte ländliche Idylle. Ærø konnte man nur
von weitem wahrnehmen, Starkwind verhinderte den Einsatz von Tenderbooten.
Rönne auf Bornholm verweigerte sich wegen zu starkem Seitenwind der
Einfahrt. So wurde die Insel von Gudhjem aus besichtigt, das im Windschatten
lag und der MS ALBATROS
Ankergrund bot. Das schwedische Norrköping, südlich von Stockholm,
war einst eine Stadt, in der Webereien, Spinnereien, Färbereien und Mühlen
blühten. Wer sich dem alten Industrieviertel heute nähert, sehnt sich nicht
unbedingt in die Zeiten zurück, als hier Tausende Arbeit fanden. Steht man
zwischen den Bauten, sieht es anders aus. Statt die längst nicht mehr
genutzten abzureißen, beschlossen die Stadtvertreter, sie umzuwidmen und
auszubauen. Heute findet hier Kultur statt, von Stadttheater bis zu
Bibliothek, Museum, Musikschule und Universität. Gaevle, nördlich von Stockholm, hat 70.000
Einwohner, und zeigt, dass man in den kleineren Orten mit Land sehr
großzügig umging. Die Häuser können auf ihren Grundstücken atmen, selbst im
Stadtzentrum drängelt sich nichts. Und was gab es zu sehen? Überraschendes
wie den Besuch einer Elchfarm, auf der man die Tiere fast streicheln konnte.
Ein Eisenbahnmuseum lockte Technikfreunde und eine Brennerei bewies, dass
die Schweden mit Mackmyra durchaus trinkbaren Whisky zu produzieren wissen,
mittlerweile 600.000 Flaschen pro Jahr. Luleå, ganz im Norden Schwedens am
bottnischen Meerbusen, ist ein Städtchen, das für den Eisen- und den
Holzexport wichtig ist, aber deswegen nicht besichtigt werden muss.
Gammlestad lockte auf dem Programm, die alte Stadt. Sie liegt recht weit vom
Meer entfernt und war einst Hafenstadt, als noch niemand von Luleå wusste.
Seit dem Ende der Eiszeit, berichtete der Führer, steigt das Land in
Schweden jährlich um einen Zentimeter. Und so war die Zufahrt vom Meer in
die alte Stadt plötzlich zu flach für große Schiffe. Eine Fahrrinne sprengen
und ausbaggern? Man zog vor, eine neue Stadt am tiefen Wasser zu gründen:
Luleå entstand. Aus dem alten Ort wurde eine Kirchenstadt. Bis zum Ende des
18. Jahrhunderts mussten alle Schweden sonntags den lutherischen
Gottesdienst in einer Kirche besuchen. Wie schaffte man das in einem
menschenarmen Land mit weiten Wegen? Man baute um Kirchen kleine, einfache
Häuser, die die Gottesdienstbesucher beherbergen konnten. Heute gibt es noch
ein paar solcher Kirchdörfer in Schweden, alle Relikte lutherischen Zwangs.
Gammlestad mit seinen 408 roten Holzhäusern bei Luleå steht unter dem Schutz
der Unesco.
Die MS ALBATROS ist das mittlere der drei Seeschiffe, die Phoenix Reisen für sich gechartert hat. Sie kann bis zu 850 Passagiere aufnehmen und fährt mit rund 340 Mann Besatzung. Gegessen wird nach fester Tischordnung in zwei Restaurants, fünf Bars bieten Platz genug für Gespräche und versorgen Durstige. Zwei Lounges stehen zur Verfügung, eine davon für das täglich wechselnde Abendprogramm mit bekannten |
Künstlern und für Vorträge. Für Musik sorgten
auf dieser Reise in der Casablanca Bar das Trio Pulya, in der Atlantik
Lounge die Labyrinth Band, in der Karibik Lounge der Pianist Michael Garlic,
und in Harry Doch wichtiger als die Annehmlichkeiten, die Küche
und Programm bieten, ist der Geist, der an Bord den Gästen gegenüber
herrscht. Das Lächeln kam von Herzen. Die Stewards, von den Philippinen,
kannten bereits am zweiten Tag unsere Namen und unsere Getränkewünsche. Der
Wunsch nach einer speziellen Diät wurde sofort erfüllt. Man spürt sehr schnell, wie gut Kreuzfahrtdirektor
Joe Liemberger, Kapitän Mats Nelson, Küchenchef Fabian Westendorf und Maitre
d´Hotel Lars Gröning zusammenarbeiten.
Mit den Digitalkameras kann man sofort Wettbewerbe
austragen: Wer hat die schönsten Ausflüge gemacht? Einer ging von Luleå aus
zu den bekannten Stromschnellen von Storforsen. Beeindruckende Bilder waren
die Ernte. Von Kemi aus, dem ersten finnischen, noch an der schwedischen
Grenze liegenden Hafen, führte ein Ausflug zum Polarkreis, ein zweiter in
die Umgebung der Stadt, auch zurück über die offene Grenze ins schwedische
Haparanda. Und am Abend konnten dann diese Ausflügler den
Stromschnellenbesuchern von gestern ihre Ausbeute zeigen: Natur pur. Am Tornio-Fluss angelte man sich bei Kukkolankoski
sein Abendessen vom Ufer aus oder fing es mit einem Kescher aus den
strudelnden Wassern. Wer Abwechslung suchte, fand sie in einem Laden in
einem roten Holzhaus: KUIVAALIHAA stand dort, Finnisch für das Angebot
getrockneten Fleisches. Nebenan arbeitete ein Silberschmied an
feingliedrigem Geschmeide. Je weiter nördlich die MS
ALBATROS fuhr, desto dichter die Wälder.
Schiffe begegneten uns im Norden selten, in den Häfen stapelten sich
Papierrollen, Paletten mit gesägtem Holz, in der Ferne wehte Rauch aus
überhohen Schornsteinen. Offensichtlich kann man hier aus Natur Geld machen,
ohne sie zu zerstören. Was machen Eisbrecher im Sommer? Kein nördlicher
Hafen ohne sie. Sie halten im Winter die Handelswege offen und dösen im
Sommer an der Pier.
Drei Seetage gab es auf dieser Reise der
MS ALBATROS,
zwei geplante, einen unfreiwilligen. Der erste geplante führte die lange
finnische Küste hinab vom nördlichen Kemi ins südliche Helsinki. Zeit also,
die man gern zum Ordnen seiner Gedanken, Bilder und Notizen nutzt, obschon
auch hier das tägliche Bordprogramm eine Fülle von Anregungen bot. Der
zweite geplante Seetag bestand vor allem aus der Fahrt durch den gemütlichen
Nord-Ostsee-Kanal zurück nach Bremerhaven. Beim unfreiwilligen Seetag blieb
Ærø nur ein Schatten. Es fiel auf und gefiel, wie gründlich Phoenix Reisen seine Gäste über die Ziele und Ausflüge informiert. Im Katalog helfen Beschreibungen bei der Entscheidung für die Reise. Aus dem Internet kann man ausdrucken, was im Detail geboten wird. Mit den Reiseunterlagen erhält man eine Broschüre, die die Ausflüge noch einmal vorstellt, und eine weitere, die in jede Jackettasche passt: den Reiseführer, speziell für diese Reise herausgegeben. Übers Bordfernsehen werden rechtzeitig Land, Leute
und Themen in verschiedenen Filmen vorgestellt. Lektor Georg Hahn führte in
die Geschichte der Weltgegend und des Landes ein, und der Herr der
Durchsagen und des Fernsehens, auf dieser Reise Alex Dernbach, stellte dann
kurz vor Buchungsschluss noch einmal vom Bildschirm her die Ziele und
Ausflüge vor. Und hielt mit seiner Meinung nicht zurück, wenn er diesen
empfahl, bei jenem eher Zurückhaltung zeigte, weil man Ostseereisen haben einen besonderen Reiz, wandernde
Wolkenbilder. In Hochdruckgebieten, die in den Sommermonaten häufig über der
mittleren Ostsee lagern, bilden sich gern Kumuluswolken, Haufenwolken,
dickbäuchig, weiß, nach oben quellend, an riesige Schlagsahneberge
erinnernd. Die, bitteschön, wollen bewundert werden. Und so kann aus einem Seetag durchaus ein sehr
abwechslungsreicher Ferientag werden. Die MS
ALBATROS hat genügend Platz und
Liegestühle für alle Sonnenanbeter. Wolkenzüge gibt
Einer an Bord zeichnete sie, die Küstenlinien, die
kleinen Orte, die hier Schutz bieten oder suchen. Am Ende war sein
Skizzenbuch gut gefüllt. Die dänischen Inseln bieten Gemütlichkeit, man
meint die Kühe muhen zu hören. In Schweden und Finnland besteht der Horizont
aus dunklen Wäldern, nach Helsinki und St. Petersburg fährt man an einst
uneinnehmbaren Festungen vorbei. In Tallinn kann man den gefälligen alten
Teil der Stadt gut vom neuen sachlichen trennen. Klaipeda ist ein
Arbeitshafen, der nicht einmal andeutet, was sich bei Ausflügen nach Palanga
oder auf die kurische Nehrung an Schönheiten zeigen wird. Die Einfahrt nach
Danzig ist eher nüchtern, die nach Stettin verblüffend mit ihren sich
verzweigenden Fahrwassern des Haffs.
Wenn Kapitän Mats Nelson, ein Schwede mit berühmtem
englischen Nachnamen, auf der Brücke seine goldbetresste Mütze aufsetzt und
in kurzärmeligem Hemd in die Nock tritt, gefolgt vom Lotsen und dem Staff
Captain, wird Beim Festmachen in Bremerhaven am letzten Morgen
wurde sie nicht gespielt. Doch beim Ablegen am Abend mit neuen Gästen
erklang sie wieder. Die MS ALBATROS
begann ihre nächste Reise – diesmal nach Grönland hoch. |
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Unser Schiff, die MS ALBATROS (28.078 BRZ) neben der erst 2011 in Dienst gestellten MS MARINA (66.048 BRZ) von Oceania Cruises Seite an Seite im Hafen von Tallinn. |
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Wo der Nordostseekanal in die Kieler Förde übergeht, warten Segelschiffe auf ihre Gäste. |
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Gudhjem auf Bornholm, berühmt wegen seiner Bücklinge. |
Wehrkirchen auf Bornholm boten bei Angriffen Schutz. |
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Der Himmel über den Schären vor der Einfahrt nach Stockholm. |
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Dicht an dicht drängeln sich 408 Holzhäuser in Gammlestad bei Luleå. |
Noch heute werden die einfachen Holzhäuser in Gammlestad bewohnt. |
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Die Kirche in Tornio ist mit Holzschindeln bedacht. |
Stoppschilder warnen an wackeligen Stegen am
Tornio-Fluss vor dem Betreten. |
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Hütten am Tornio-Fluss. Die rote Farbe wurde einst aus Ochsenblut und Hühnereiweiß gemischt und schützte das Nadelholz der Hütten viele Jahrzehnte. |
Der gewaltige Elchbulle ist Besuchern gegenüber eher zurückhaltend freundlich. |
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Die
Festung Suomenlinna an der Einfahrt machte Helsinkis Hafen einst
uneinnehmbar. |
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Ein dankbares Finnland hat Zar Alexander II. ein Denkmal vor dem Dom – dem Wahrzeichen Helsinkis – gesetzt. Er gab dem Land viele Freiheiten. |
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Wo Zar Alexander II. in St. Petersburg ermordet wurde, steht die Blutkathedrale, die heute prachtvoll restauriert ist. |
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Die Peter und Paul Festung in St. Petersburg, in der auch die letzte
Zarenfamilie nach der Perestroika endlich ihre Ruhestätte fand. |
Die Isaacs-Kathedrale mit ihrer vergoldeten Kuppel
überragt selbst große Paläste St. Petersburgs. |
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Der Peterhof und seine Springbrunnen vor den Toren der Stadt St. Petersburg. |
Wer diese Treppe betrat, wurde dem Zaren im Winterpalais vorgestellt. |
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Zarskoje Selo, ein Schloss für die Zarin vor den Toren der Stadt St.
Petersburg. |
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Die Altstadt von Tallinn ist ein Schmuckstück der Ostsee. |
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Mit fröhlicher Musik werden die Gäste in Klaipeda, dem ehemaligen Memel, begrüßt. |
Auf der Kurischen Nehrung besaß einst Thomas Mann dieses Haus. Es ist liebevoll restauriert und erinnert an den großen Schriftsteller. |
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Im Stettiner Haff teilt sich das Fahrwasser häufig. Auch hier herrscht Lotsenpflicht. |
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