BORDTAGEBUCH EINER HISTORISCHEN SEEREISE | AUSGABE 5/2012 | ||||||
Begonnen hatte alles 1964 mit einem in Österreich verabschiedeten
Gesetz über Studienbeihilfen, von dem ich ab Jänner 1965 in Form monatlicher
Beihilferaten in der Höhe von 1000 Schilling (damals 143 DM) profitierte.
Endlich bot sich die Möglichkeit, lang gehegte Einkaufswünsche zu erfüllen
(Bücher, Schallplatten und dergleichen) oder, wenn es sein musste, Schulden
wie ein Stabsoffizier zu machen (eine in Österreich gängige Redewendung) in
der Annahme, sie bald begleichen zu können. Urplötzlich war es damit vorbei. Anfang Februar 1965
kam ich in Kontakt mit einem Verein für Pilger- und Studienreisen, der
jährlich Gruppenreisen in europäische und Mittelmeerländer unternahm.
U.a.sollte es im August 1965 in den Orient (Libanon, Syrien, Jordanien,
Israel) gehen, verbunden mit Seereisen hin und zurück. Klar, dass das mein
besonderes Interesse erregte, denn der Orient war Neuland für mich und die
geplanten Seereisen (Venedig-Beirut und Haifa-Venedig) reizten mich
besonders. Denn bisher beschränkten sich meine „Meereserfahrungen” auf drei
Passagen von Ostende nach Dover und zurück im Zuge von Englandreisen, sowie
Baden im Meer in zwei englischen Seebädern. Da eine solche Chance wie 1965 nicht so schnell
wieder kommen würde, galt es, „das Eisen zu schmieden, solange es heiß war”.
Eine genaue Kalkulation ergab, dass ich mit vier Raten der Studienbeihilfe
den Reisepreis finanzieren konnte, mit zwei weiteren das nötige Taschengeld.
Und so erfolgte eine „ultrarapide” Anmeldung plus Anzahlung in der – wie
sich herausstellen sollte, berechtigten – Hoffnung, dass bis Reisebeginn
nichts dazwischen kommen würde. 6. August 1965, abends in der Halle des Wiener
Südbahnhofes: mit ein wenig Nervosität, aber freudiger und spannender
Erwartung des Kommenden versammelten sich die insgesamt 43 Reiseteilnehmer
in der Bahnhofshalle. Vertreten waren laut Teilnehmerliste alle möglichen
Berufe, es überwogen aber Lehrer und Professoren, teils beruflich noch
aktiv, teils in Ehren ergraut in Pension, sowie unternehmungslustige
Studenten bzw. Studentinnen, zu denen auch ich mich zählte. Allen gemeinsam
war der Besitz einer Brieftasche, die „mehr dick als lang” war, denn solche
Reisen waren Mitte der 60iger Jahre noch für viele ein Luxus, See- bzw.
Kreuzfahrten waren damals noch nicht so gang und gäbe wie heute. Klar, dass
wir uns zu den „Privilegierten” zählten. In meinem Fall erfolgte die
Finanzierung, wie schon erwähnt, durch Studienbeihilferaten. Das hat mir in meiner Familie und im Freundeskreis
die sarkastische Bemerkung eingetragen, ich hätte eine „staatlich
subventionierte” Reise unternommen, also auf Kosten des Steuerzahlers (von
wem sonst?). Mit dem Nachtzug ging es nach Venedig, wo nach der
Ankunft auf dem Hauptbahnhof Santa Lucia unser Gepäck in den Schiffshafen,
die Stazione Marittima, abgeführt wurde, bevor wir uns wie ein Bienenschwarm
zerstreuten, um den ganzen
freien 7. August die „Serenissima” nach dem Motto BoB (Besichtigung oder
Baden, letzteres auf dem Lido) zu erkunden. Mit einer Reiseteilnehmerin nahm
ich zahlreiche Kirchen und Palazzi in Augenschein, um Kunstwerke zu
bewundern (was tut man nicht alles für die Kunst?), leider waren manche
nicht geöffnet. Venedigs Hausfrauen mussten am Vortag oder am gleichen Tag
Großwaschtag gehabt haben, denn in fast allen Gässchen tropfte es von der
zum Trocknen aufgehängten Wäsche herunter – keine unangenehme Sache
angesichts der dumpfen Hitze, die uns auch zwang, wiederholt bei
Getränkeständen „aufzutanken”. Spätnachmittags saßen wir beide an dem Canale
della Giudecca, um nach dem Hafen unterwegs befindliche oder von dort
kommende Vaporetti, Kreuzfahrtschiffe und andere „Schinakel” (spöttische
österreichische Bezeichnung für kleine bis mittelgroße Schiffe) zu
bewundern. Gegen Abend war es dann soweit: Schiff ahoi. Die
Reisegruppe versammelte sich am Hafenbahnhof, Pass- und Zollformalitäten
waren rasch erledigt und nun ging es auf den Kai hinaus, wo zahlreiche
griechische Kreuzfahrtschiffe vor Anker lagen. Unser Schiff, die POLIKOS,
mit der es bis Piräus gehen sollte, war das letzte in der Reihe. Wir begaben
uns an Bord und mussten bis Ende der Reise in Piräus unsere Pässe abgeben.
Für unsere Gruppe waren Kabinen der Touristenklasse reserviert und nun ging
es an die Verteilung derselben. Für mich und zwei junge Reisegefährten,
Helmut und Günther, war zunächst die Kabine Nr. 20 vorgesehen. Diese
entpuppte sich als die tiefstgelegene Kabine des Schiffes, mit stickiger
Luft mangels geeigneter Ventilation
und einer Hitze, gegen die eine Sauna „ein kühles Lüftchen” gewesen
wäre. Schneller als unten waren wir wieder oben an Deck, wo uns der für die
Kabineneinteilung zuständige Schiffsoffizier beruhigte und eine baldige
Neuverteilung der Kabinen ankündigte, wobei wir besonders berücksichtigt
würden. Inzwischen war das Gepäck nachgekommen, das mit
einem Schrägaufzug an Bord gebracht wurde. Arge Kratzer und einige
eingedrückte Stellen zeigten uns, wie „sanft” man mit den Koffern und
Taschen umgegangen war. Einige Teilnehmer mussten feststellen, dass man ihr
Gepäck „irrtümlicherweise” auf ein anderes Schiff gebracht hatte, sie
erhielten es aber noch rechtzeitig zurück. Zuerst die Kabinenprobleme, dann
die Sache mit dem Gepäck – die Reise begann ja „nett”.
Das Abendessen, mein erstes an Bord eines Schiffes,
war recht gut, man saß in einem gemütlichen Speisesaal und ließ es sich gut
schmecken. Unmittelbar danach teilte der zuständige Schiffsoffizier Helmut,
Günther und mir eine neue Kabine zu, eine Vierbettkabine mit zwei
Stockbetten, die in wesentlich besserem Zustand war als die berüchtigte
Kabine 20. Es war aber auch in ihr ziemlich heiß und schwül, weil die Luke
geschlossen war. Bald hatten wir uns alle in den
Kabinen eingelebt und man unternahm nach dem Abendessen einen
„Verdauungsspaziergang” auf dem Schiff. Noch während des Essens war das Schiff aus Venedig
ausgelaufen und als wir den Rundgang unternahmen, waren wir schon auf der
Adria „auf hoher See” unterwegs. Wegen der unzureichenden Ventilation war die erste
Nacht an Bord alles andere als angenehm, doch wir jungen Leute wussten, dass
das alles nur eine Gewöhnungssache war. Auch andere Reiseteilnehmer waren
mit ihren Kabinen nicht zufrieden. Einige zogen es vor, auf Deck zu
schlafen, wo es nach ihren Angaben am nächsten Tag wegen der milden
Temperaturen recht angenehm gewesen sei. Mehrere Teilnehmer hatten für
Vierbett- bzw. Zweibett-Kabinen aufgezahlt, doch hatte man bei der
Verteilung darauf keine Rücksicht genommen. Den zweiten Reisetag verbrachte man auf hoher See.
Das Wetter war prächtig und sollte es den ganzen August über sein – der
August 1965 war wettermäßig einer der schönsten im ganzen Mittelmeerraum –
das Meer war ruhig und von einer tiefen Bläue. Sieht man von den
Kabinenproblemen ab, sollten die Seefahrten für uns alle zu einem echten
Vergnügen werden. Im Laufe des Tages sah man einige Schiffe in der Ferne.
Dann und wann sprangen Delphine, die Spaßmacher des Meeres, um unser Schiff
aus dem Wasser. Von den Adriainseln bekamen wir an diesem Tag nur Pelagosa
(heute Pelagruz, zu Kroatien gehörend) zu sehen, an der wir nahe
vorbeifuhren. Wir jüngeren, technisch und nautisch interessierten
Reiseteilnehmer unternahmen mehrere Spaziergänge zu Erkundungszwecken auf
der POLIKOS, die gut englisch sprechenden
Matrosen und Offiziere gaben uns gerne Auskunft. Auch die Seekarten ließen
wir uns zeigen, um zu sehen, wo man in der Adria gerade unterwegs war. Der
zuständige Offizier, ein Japaner, zeigte uns den Gebrauch von Stechzirkel,
Kompass und anderen Instrumenten. Teils verbrachten wir den Tag auf dem
Vorderdeck, wo man Sonnenbäder nahm, teils auf dem Brückendeck, las in
mitgebrachten Zeitungen oder in Reiseführern, betrachtete das Meer oder
plauderte mit seinen Nachbarn. Mit einem Wort, man war mit sich und der Welt
zufrieden. Schon in der Früh hatten wir in meiner Kabine
beschlossen, die fest verschlossenen Luken zu öffnen, um Frischluft
einströmen zu lassen. Zur Lockerung der gewaltigen Flügelschrauben war aber
kein Werkzeug auf dem Schiff aufzutreiben – oder man wollte uns keines
geben. Doch war die Türschnalle unserer Kabinentür soweit locker, dass man
sie mit einigen Handgriffen herausnehmen und als Werkzeug zum
Schraubenlockern verwenden konnte. Jetzt kam die Stunde für Kabinengenosse
Helmut, laut Teilnehmerliste von Beruf (Textil-) Techniker – er war
Absolvent der „Fetzenakademie” (boshafter wienerischer Ausdruck für die an
sich angesehene Höhere Fachschule für Textilberufe in Wien). Er machte sich
erfolgreich an die Lockerung der Flügelschrauben in mehreren Kabinen. Dazu
gehörte eine gehörige Portion Kraft, aber die hatte Helmut und das Ergebnis
konnte sich sehen lassen. Die Türschnalle war hernach ziemlich verbogen und
dass sie trotzdem noch ihre eigentliche Aufgabe nach Wiedereinsetzen
erfüllte, war ein wahres Wunder. Bekanntlich heiligt der Zweck die Mittel!
Bei meinem (oberen) Stockbett, das sich gleich neben der geöffneten Luke
befand, spürte man die
einströmende Frischluft besonders gut, so dass die kommenden Nächte
angenehmer als die erste an Bord waren. Doch am nächsten Tag sollten wir
dann andere Folgen der Lukenöffnung erleben. Die Abende auf der POLIKOS
und den anderen Schiffen auf der Reise waren wegen des herrlichen
Augustwetters von einer fantastischen, geradezu romantischen Schönheit. Wer
konnte, kam an Deck, um die sich orange verfärbende sinkende Sonne zu
beobachten, ebenso, wenn sie dann blutrot über dem Horizont unterging.
Darauf folgten immer sternklare Nächte.
Am dritten Reisetag näherte sich die POLIKOS
der Insel Korfu. Bei der Durchfahrt durch die Straße von Korfu genossen wir
die landschaftliche Schönheit der vorbeiziehenden Insel mit ihren
Olivenhainen,Gärten und der von Zypressen durchsetzten Macchie. Nachdem das
Schiff im Hafen von Kerkyras vor Anker gegangen war, erfolgte ein
Stadtspaziergang zu den Hauptsehenswürdigkeiten: Dom, Gouverneurspalast (wo
gerade die Wachablöse der Evzonen mit ihren schmucken Uniformen erfolgte)
und viele Häuser mit dem Markuslöwen (die Insel war von 1387 bis 1797 in
venezianischem Besitz). Ein „ultrakurzes” Bad an einem kleinen Strand und
schon mussten wir auf das Schiff zurück, da uns dort das Mittagessen
erwartete. Gleich nach der Abfahrt aus Kerkyras kam uns
außerhalb des Hafens das französische Schiff PROVENCE
entgegen und fuhr ziemlich nahe an der POLIKOS
vorbei, so dass die Passagiere auf beiden Schiffen einander zuwinken und
sogar zurufen konnten. Von der Lukenöffnung am Vortrag habe ich schon
berichtet, dabei hatte man festgestellt, dass sich die geöffneten Luken etwa
ein bis eineinhalb Meter über dem Meerwasserspiegel befanden. Solange das
Meer wie fast auf der ganzen Reise ruhig blieb, bestand keinerlei Gefahr,
doch die meisten geöffneten Luken befanden sich gerade auf der Seite, an der
die PROVENCE vorbeifuhr und das Wasser zu
gewaltigen Wellen aufpeitschte. Niemand dachte zunächst an die Folgen davon,
doch plötzlich hieß es, dass es in mehreren Kabinen eine
„Überschwemmungskatastrophe” gebe. Mit einem Satz war ich in meiner Kabine,
die beiden anderen Insassen gleich hinterher. Zuerst glaubte man an einen
Wasserrohrbruch, erkannte aber dann, dass das von der PROVENCE
aufgewühlte Meerwasser durch die offene Luke in die Kabine eingedrungen war.
Mein Bett neben der offenen Lucke war total durchnässt, während Helmuts Bett
unter meinem trocken geblieben war. Nass waren alle unsere Kleider (wegen
der Hitze liefen wir im Badedress herum), ebenso das Gepäck, auf dem
Fußboden gab es riesige Lacken Meerwasser. Mit großen Tüchern wurden
letztere trocken gewischt, nasse Kleidung und Bettwäsche ausgewunden
und zum Trocknen aufgehängt. In der folgenden Nacht übersiedelte ich in das
unter Günthers Liegestatt befindliche, ebenfalls trocken gebliebene Bett.
Die Luke wurde soweit geschossen, dass nur mehr ein Spalt für Frischluft
offen blieb. Man stelle sich vor, die PROVENCE
wäre in der Nacht an den geöffneten Luken vorbeigefahren. Im ersten Schreck
über das durch die Luken einströmende Meerwasser hätten sicher viele, mit
Sicherheit auch ich, geglaubt, dass die POLIKOS
am Untergehen sei. Endlich war in der Kabine wieder alles einigermaßen
in Ordnung und man konnte wieder das Leben an Deck genießen. An dem
betreffenden Nachmittag ging es im Ionischen Meer von Korfu in südlicher
Richtung, vorbei an einigen Inseln wie Paxos, Antipaxos und Levkas, bei
denen wir die schönen Felsenbuchten mit dem türkisblauen Meer und die
macchiebedeckten Höhen bewunderten, die schöne Fotomotive bildeten. Gegen Abend durchfuhren wir die Meeresstraße, die die Insel Levkas von den Inseln Kephallenia und Ithaka trennt. Es war schon dunkel, als die POLIKOS in den Golf von Patras einbog.
Ob es die Seeluft war oder echte Übermüdung –
mehrere unserer Reisegruppe, so auch ich, hatten in der Nacht die Durchfahrt
durch den Kanal von Korinth verpasst, konnten aber auf der Rückfahrt das
Versäumte nachholen. Als wir aufwachten, näherte sich die POLIKOS
bereits dem Hafen von Piräus, von wo wir auf einem anderen Schiff die
Kreuzfahrt fortsetzen sollten. Die Einfahrt in den Hafen bekamen wir nicht
mit, da wir gerade beim Frühstück saßen und außerdem starker Dunst uns die
Sicht nahm.
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Allen an meinem Tisch waren zwei Kartoffelstücke
serviert worden, nur bei mir waren es zufällig drei. Als der Steward alles
verteilt hatte, überflog er nochmals alle Teller und nahm mir das dritte
Stück weg, während er mich triumphierend anlächelte. Man konnte ihm nur
kopfschüttelnd nachschauen und sich fragen „Ja dürfen’s denn das?” Gleich nach Verlassen der POLIKOS
wurde unser Gepäck zu unserem neuen Schiff, der MASSALIA
gebracht, während wir die Metro bestiegen, um nach Athen hinein zu fahren,
wo die Besichtigung der Akropolis und anderer antiker Denkmäler auf dem
Programm stand. Auf der Akropolis gab unser Reiseleiter – selbst
Altphilologe (er unterrichtete Latein und Altgriechisch) im Schatten des
Parthenon uns eine Einführung in Geschichte, Kunst und Kultur des alten
Griechenland, hauptsächlich für diejenigen, die (so wie ich) zum ersten Mal
in dem Land weilten. Dann bummelten wir am Theater des Herodes Atticus, am
Dionysos-Theater und an den Resten der vom römischen Kaiser und
Griechenfreund Hadrian gegründeten Neustadt vorbei in die Innenstadt, um
dort ein ausgiebiges Mittagessen einzunehmen, bevor es zurück in den Hafen
von Piräus ging. Das Schiff MASSALIA,
das uns nach Beirut bringen sollte, wird uns allen in guter Erinnerung
bleiben. Es hatte 3200 BRT und eine Wasserverdrängung von 17 BRT, war 1935
in Oslo gebaut worden, entsprach aber allen Anforderungen der neuen Zeit.
Mit den Kabinen waren wir diesmal alle zufrieden. In jener, die Günther und
mir zugeteilt worden war, befand sich auch ein Passagier aus dem Libanon.
Äußerst gemütlich war auch der Speisesaal. Dementsprechend gut war auch das
Essen, ein Gemisch aus französischer und griechischer Küche und ich, seit je
ein Freund von viel und gutem Essen, kam diesmal voll auf meine Rechnung,
auch die anderen Reiseteilnehmer. Als wir vier Tage später das Schiff in
Beirut verließen, waren wir uns einig, dass es ein sehr „nahrhaftes” Schiff
gewesen war. Bei der Ausfahrt aus Piräus konnten wir den ganzen
Hafen mit seinen vielen Schiffen, Kränen, Fabriken und Lagerhäusern von Deck
aus gut sehen. Während die MASSALIA Kurs
nach Südosten einschlug, bot sich ein schöner Blick auf die Akropolis, den
Lykabettos-Hügel und andere Teile von Athen und Piräus, bis sie am Horizont
entschwanden. Tags darauf befanden wir uns auf der Fahrt nach dem
ägyptischen Hafen Alexandria. Am Morgen war in der Ferne etwa eine Stunde
lang die Küste Kretas zu erkennen, sonst zeigte sich kein Land. Ursprünglich hätten wir auf dem Schiff
HERMES
von Venedig über Split, Athen, Heraklion (Kreta) nach Limassol und von
diesem zypriotischen Hafen auf einem anderen Schiff nach Beirut reisen
sollen. Doch war die HERMES trotz
Vorbestellung ausgebucht und unserem Reiseleiter als Ersatz die Fahrt auf
der POLIKOS von Venedig bis Piräus und
dann mit der MASSALIA über Alexandria und
Limassol nach Beirut geboten worden. Auf Kreta waren umfangreiche Besichtigungen von
Ausgrabungen, so jene von Knossos geplant gewesen, auf die man nun
verzichten musste. Doch bedauerten wir den „Umweg” über Alexandria
keinesfalls, denn so wurde unsere Kreuzfahrt im östlichen Mittelmeer zu
einer Drei-Kontinente-Fahrt (Europa-Afrika-Asien), mit neuen und
interessanten Erlebnissen. Wie uns der Reiseleiter auf der Rückfahrt
erzählte, hätte die Reederei, der die MASSALIA
gehörte, von ihm dafür die Bezahlung zusätzlicher Kosten verlangt. Dies habe
er energisch abgelehnt, weil die Fahrt über Alexandria nicht bestellt worden
sei. Seinen Andeutungen zufolge sei es bei dieser Auseinandersetzung recht
lautstark zugegangen. Schließlich habe die Reederei einen Rückzieher gemacht
und so genossen wir den „Umweg”, ohne dass unser Programm in den
orientalischen Ländern verkürzt oder verschoben werden musste. An Bord der MASSALIA befanden sich viele Passagiere, so dass es nur sehr schwer war, Platz zum Liegen oder für andere Vergnügungen zu finden. Meist hielten wir uns auf dem Brückendeck auf, das über den Luxuskabinen, einem Gesellschaftsraum und einer Kantine lag. Auf dem Brückendeck gab es abends auch Filmvorführungen, die die einzige Enttäuschung auf dem Schiff waren. Der Projektor stand auf dem hinteren Ende des Brückendecks, die Lautsprecher waren gleich daneben, die Filmleinwand auf dem Achtermast montiert. Die Filme waren in französischer und englischer Sprache – für mich kein Problem. Leider wurden Ton und Musik vom brummenden Motorengeräusch und dem säuselnden Wind übertönt. Am Morgen des sechsten Reisetages musste die MASSALIA
vor der Hafeneinfahrt von Alexandria kurze Zeit anhalten, bevor sie in den
Hafen durfte. Gleich nach dem Anlegen am Kai kam die ägyptische Pass- und
Zollkontrolle an Bord, hauptsächlich für jene Passagiere, die hier das
Schiff verließen. Auf dem Kai, auf dem lautes und quirliges Treiben
herrschte, tauchte plötzlich ein Magier auf, um hier seine Zauberküste
vorzuführen. Dabei musste man sich wirklich fragen, welche Tricks er da
anwendete, besonders, als er mit einem machetenartigen Messer ein Kücken
zerteilte, beide Teile – was deutlich von Deck aus zu sehen war – weit
auseinanderhielt, um sie dann wieder „zusammenzufügen”. Das so
„wiedervereinigte” Kücken kehrte quietschvergnügt in seinen Käfig zurück. Am
Ende seiner Vorstellung flogen dem Magier allerdings nur wenige Geldstücke
zu und etwas enttäuscht zog er ab. Schon am Vortag hatte unsere Gruppe geplant, was in
Alexandria unternommen werden sollte. Im Vertrauen auf einen längeren
Aufenthalt war sogar von einer Busfahrt zu den Pyramiden die Rede, doch
hatte man uns gleich vor zu großem Optimismus diesbezüglich gewarnt. Schließlich erfuhren wir, dass die MASSALIA
sich nur sechs Stunden in Alexandria aufhalten würde und so erfolgte dann
eine Stadtrundfahrt zu den eher wenigen Sehenswürdigkeiten, über die die
Stadt verfügt: eine von kleinen Sphinxen flankierte, nach Gnäus Pompejus
benannte römische Säule, eine Katakombenanlage, ein griechisch-römisches
Museum und eine ehemalige Sommerresidenz des damals kurz zuvor verstorbenen
ägyptischen Ex-Königs Faruk mit herrlichen Gärten. Dann mussten wir schon
wieder auf das Schiff zurück. Viele neue Passagiere, meist Deckpassagiere waren an
Bord, so dass man an den nächsten beiden Tagen, vor allem an den Abenden und
bei Dunkelheit, aufpassen musste, um über niemanden hinweg zu stolpern. Wo
so etwas doch passierte, waren die betreffenden Passagiere
verständlicherweise „not amused”. Der nächste Tag stand im Zeichen eines
Zwischenaufenthaltes vor dem zypriotischen Hafen Limassol, die Hafeneinfahrt
war für Schiffe von der Größe der MASSALIA
nicht möglich. Mit einem Motorboot wurden wir an Land gebracht. Da sich eine
ursprünglich geplante Fahrt in die (damals noch nicht geteilte) Hauptstadt
Nikosia nicht ausging, erfolgte eine
Busfahrt durch Obst- und Weingärten zu zwei archäologischen
Ausgrabungsstätten und zu einer schönen Bucht bei Paphos, wo der Sage nach
die griechische Göttin der Schönheit und Liebe, Aphrodite, dem Meer
entstiegen war. Auf der Rückfahrt nach Limassol wurde noch die
Kreuzfahrerburg von Kolossi besichtigt. Hier hatte nach der Eroberung des
Heiligen Landes durch die Mamelucken die Johanniter-Konturei ihren Sitz,
bevor sie nach Rhodos verlegt worden war. Wegen der in diesen Breiten im
August schon rasch einbrechenden Dunkelheit ging sich eine Besichtigung von
Limassol nicht mehr aus.
Am 14. August in den Morgenstunden näherte sich die
MASSALIA dem Hafen von Beirut, dessen
Einrichtungen wegen des starken Dunstes ähnlich wie vor wenigen Tagen in
Piräus bei der Einfahrt nicht gesehen werden konnten. Der Abschied von
diesem Kreuzfahrtschiff fiel uns wirklich schwer. Die folgende Woche stand ganz im Zeichen des
„Zaubers des Orients”. Hier unser Programm: eintägige Besichtigungen in
Beirut, über die hellenistisch-römische Ruinenstätte Baalbek zu einem
zweitägigen Aufenthalt in Damaskus (damals eine „ruhige” Stadt), sodann nach
Jordanien an das Tote Meer und nach Jericho, gefolgt von einem dreitägigen
Aufenthalt in Jerusalem mit Abstecher nach Bethlehem. Nach Passieren der
damaligen israelisch-jordanischen Demarkationslinie in Jerusalem
Besichtigungen im Westen der Stadt, gefolgt von zwei Tagen in Galiläa und am
See Genezareth. Der Aufenthalt in Israel galt vor allem den christlichen
Pilgerstätten. Wenn auch vieles in den vier besuchten
orientalischen Ländern nicht mehr unseren Klischeevorstellungen vom Orient
entsprach – zwei Weltkriege, die Zwischenkriegszeit und die Entwicklungen
nach 1945 haben auch im Vorderen Orient vieles verändert, so war es doch
faszinierend und fesselnd, Moscheen, Kirchen, Basare, Ausgrabungen und
Museen, nicht zu vergessen die Landschaften und die Menschen dieser Region
zu sehen und zu bewundern. Allerdings spürte man deutlich die politischen
Spannungen, die knapp zwei Jahre später zum Ausbruch des Sechstagekrieges
(Juni 1967) führen sollten. Viel zu früh
mussten wir in Haifa an Bord des griechischen Schiffes PEGASUS
gehen, das uns nach Europa zurückbringen sollte.
Über die Seereise zurück nach Venedig (Reiseroute:
Haifa-Famagusta und Limassol (ohne
Landgänge)-Rhodos-Athen-Korfu-Dubrovnik-Venedig) ist nicht viel zu sagen.
Das Leben an Bord des Schiffes spielte sich so wie bei der Hinfahrt ab, man
sonnte sich auf den Decks dank anhaltendem Schönwetter, las in mitgebrachter
Lektüre, sprang in den Swimmingpool, den die PEGASUS
hatte und besuchte abends die Bars, wo auch fleißig das Tanzbein geschwungen
wurde. Spannendstes Ereignis war nur die Passage durch den
Kanal von Korinth, die diesmal jeder unserer Gruppe in den Abendstunden des
25. August verfolgte. In Erinnerung blieben mir nur zwei Ereignisse, die
sich zwar an Land zutrugen, wo uns nur die zeitige Rückkehr auf das Schiff
vor größerem Ärger bewahrte. Bei dem Zwischenaufenthalt im Hafen von Rhodos auf
der gleichnamigen Insel erfolgte eine Besichtigung der Johanniter-Burg und
ein ausführlicher Stadtspaziergang. Anschließend
lud uns der Reiseleiter in eine Taverne zu einer alkoholischen Sonderleistung auf Kosten der Reisekasse ein
(wie er es öfters im Verlauf der Reise getan hatte). Er bestellte mehrere
Flaschen des süßen, aber schweren Malvasierweines und drängte uns zu raschem
Trinken, da wir bald auf das Schiff zurück mussten. Wenn das nur gut ging!
Es wurde eingeschenkt. Ich bin, wenn schon kein fanatischer, so doch ein
überzeugter Antialkoholiker, glaubte hier aber, mitmachen zu müssen. Immer
wieder gab es die Mahnung zu rascherem Trinken und dementsprechend rasch
wurde das sündenvolle Nass hinter die Binde gegossen. Flaschen und Gläser
waren noch nicht ganz leer, da mussten wir zum Schiff zurück. Es kam, was kommen musste. Auf dem Weg zum Hafen
waren einige mehr getorkelt als gegangen. Auf dem Schiff zeigte es sich dann
ganz deutlich – so gut wie alle hatten wir einen ordentlichen Schwips. Wenn
einige noch etwas mehr getrunken hätten, wären sie bestimmt „blau wie ein
Märzveilchen” gewesen. Soweit ich mich noch erinnern konnte, hatte ich noch
alle fünf Sinne beisammen, dafür aber arge Kopfschmerzen und ein leichtes
Schwindelgefühl, so dass der Abend einer der ungemütlichsten der Reise war. In Korfu setzten sich 15 Reiseteilnehmer, darunter
auch ich, in insgesamt drei Taxis zu einer kleinen Inselrundfahrt. Dabei
genossen wir auch den berühmten Blick auf zwei Inseln: Vlachernae mit ihrem
kleinen Nonnenkloster und die durch Arnold Böcklins Gemälde „Die Toteninsel”
weltberühmt gewordene Mäuseinsel. Den Abschluss der Fahrt bildete ein Besuch
des in einem herrlichen Garten gelegenen Schlosses Achilleion, eines
Lieblingsaufenthaltes der österreichischen Kaiserin Elisabeth („Sisi”). Nach
ihrer Ermordung hatte ihr Gemahl, Kaiser Franz Josef, das Schloss dem
deutschen Kaiser Wilhelm II. geschenkt. Nach beträchtlichen
Weltkriegsschäden war das Schloss restauriert und im Erdgeschoss ein
Spielsalon mit amerikanischen Spielautomaten eingerichtet worden. Da unsere Taschengeldbestände schon zur Neige
gingen, erhoffte jeder durch Spielgewinne eine Auffüllung. Man machte sich
also an den Versuch. Beim Reiseleiter und einem anderen Teilnehmer unserer
Gruppe, deren Berufe auf hohes Einkommen schließen ließen, hörte man, wie
die Drachmenmünzen ununterbrochen aus den Automaten rollten. Bei einigen
anderen kamen nur wenige Münzen und beim Rest, darunter auch bei mir, kam
nichts. Wie ist die Welt doch ungerecht, dachten wir Verlierer. Denn für eine Trinkgeldspende an die
Schiffsbesatzung und für die letzten Mahlzeiten in Venedig mussten wir Geld
ausborgen. Wieder einmal wurden die Reichen noch reicher und die Armen noch
ärmer. Es war ein großes Glück, dass wir bald an Bord des Schiffes
zurückkehren mussten, denn sonst hätte uns der Spielteufel gründlich
gepackt. Noch ein Tag mit einer Zwischenlandung in Dubrovnik
und dann der letzte Reisetag mit der Ankunft in Venedig am Vormittag, so
dass nochmals Besichtigungen bzw. Baden am Lido in der Lagunenstadt möglich
waren. Am 29. August 1965 waren wir alle wieder in Wien zurück. Eine
Traumreise war zu Ende gegangen. Diese Orientreise, verbunden mit zwei Seereisen,
bleibt mir unvergesslich. Dazu trägt ein umfangreiches und reich
illustriertes Tagebuch bei, das auch die Grundlage für diese Reportage
bildete. Von Zeit zu Zeit schmökere ich darin und kann daher jeden
Augenblick vor meinem geistigen Auge abrollen lassen. Mit Fug und Recht kann
man sagen, dass für diese Reise das Sprichwort gilt: „Die Erinnerung ist ein
Paradies, aus dem man nie vertrieben werden kann”. |
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