SÜDSEETRÄUME | AUSGABE 6/2012 | ||||||
Südseetraum – seichter Ufersaum mit weißem Sand. |
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In dem kleinen Hafen Darwin am Top End von Australien kommen die Passagiere
an Bord, stilecht begrüßt von einer Aborigine-Band. Die Nachfahren der
Ureinwohner des fünften Kontinents lächeln gelassen. Passende Einstimmung
auf die Expeditionskreuzfahrt. Ein kaltes Augenpaar blinzelt scheinbar gelangweilt
aus dem Wasser. Plötzlich kocht die grüne Brühe, als sich das gut fünf Meter
lange Reptil in die Luft katapultiert. Seine messerscharfen Hauer packen das
Huhn und schleudern es ruckartig hin und her. Die blutigen Fetzen
verschwinden in dem weit aufgesperrten gelb leuchtenden Rachen. Diese gruselig-fotogene Szene aus dem Krokodil-Park
bei Darwin steht allen Passagieren noch vor Augen, als Fred eindringlich vor
dem Baden warnt. Die Traumbucht der Barrow Bay, wo die HANSEATIC
auf elf Grad südlicher Breite und 137 Grad östlicher Länge ankert, ist
keine. „Salzwasserkrokodile sind erbarmungslos”.
Der erfahrene Ranger und Jäger weiß, wovon er spricht. Vor 51 Jahren
verschlug es den urigen Bayern auf die naturgeschützte Cobourg Halbinsel.
Sie ist Teil des Arnhem-Landes im Northern Territory mit 6200 Kilometer
Küstenlänge an der Arafura-See. Die riesigen Panzerechsen sind hier zu
Hause. Auch Haie, tötliche Jelly-fish-Quallen und Riesenkraken. „Nur meine
Wassertonne gilt als sichere Badestelle”,
grinst der ergraute Naturbursche. Das Outdoor-Leben hat ihn gegerbt und jung
erhalten. Freds einziger Wunsch: „Dass dieses Reservat vor menschlichen
Eingriffen verschont bleibt”. Bohrinseln
künden bereits von einer anderen Zukunft.
Die Schönheit der Halbinsel täuscht: splendid isolation oder anders herum splendour in isolation. Schon vor über 150 Jahren sind englische Siedler der trügerischen Idylle verfallen. Hinter goldenem Strand, tiefroten Felsklippen und üppiger Vegetation ragen plötzlich rußgeschwärzte Haustrümmer aus dem Busch. Reste der Festung Victoria. Nur elf Jahre hielten es die Menschen hier aus,
gepeinigt von Tropenkrankheiten, mörderischem Klima, Versorgungsproblemen
und Naturgewalten wie Taifunen. Die Gräber geben beredte Auskunft. Und
Zeichnungen des deutschen Australien-Pioniers Ludwig Leichhardt von 1845.
Wir sind „in the middle of nowhere”, wie
die „Aussis” über dieses Niemandsland
sagen, 570 Kilometer nördlich von Darwin. Einzig die Aborigines haben
überlebt, deren Urahnen schon vor 55.000 Jahren über die damalige Landbrücke
zwischen Papua-Neuginea und Australien einsickerten. Seeadler kreisen wachsam über unseren Köpfen,
Papageien streiten kreischend, meterlange Echsen huschen durch das dichte,
von Termitenkegeln gespickte Unterholz. Ranger Ian kennt sie alle, auch
Pflanzen mit letaler Wirkung oder Quälgeister wie die grünen Ameisen. Nach
zweieinhalbstündigem Fußmarsch wissen wir mehr, aber auch dies: kein Platz
zu längerem Bleiben. Die Zodiac-Flottille prescht zurück auf ihre
klimatisierte, stählerne Luxusinsel.
Rau gebärdet sich der Indische Ozean. Fünf-Meter-Wellen unter grauem Nordseehimmel – nur die Außentemperatur an der 30-Grad-Marke sind höher – fegen das Restaurant leer. HANSEATIC bockt mit Ostkurs durch den Golf von Carpentaria auf die Cape-York-Halbinsel zu. Gischtkaskaden waschen jedes Mal über die Brücke, wenn das Schiff hart einsetzt. Kapitän Thilo Natke hat dennoch Zeit für seine Gäste. Sie sind bei ihm und seinen nautischen Offizieren
jederzeit willkommen. An der elektronischen Seekarte ruft er per Mausklick
die Daten für unser nächstes Ziel ab: Ankunftszeit,
Lotsenübernahme-Position, Ankerplatz, Tide und Wassertiefen vor Thursday
Island im Flaschenhals der seichten Torres-Straße.
Deutsch-englische Lektoren-Vorträge über
„Südsee-Impressionen”, „Seejungfrauen und
Dinosaurier” und die „Bunte Welt der
Korallenfische” verlegen manche jetzt
lieber aus der Lounge ins magenfreundlichere Bett. Das Bordfernsehen macht’s
möglich. Ganz Hartgesottene treibt es zum Sonnenuntergang an
Deck. Mit Sundowner auf schwankenden Planken. Roter Rebensaft-Sprühnebel,
vom Winde verweht, färbt weiße T-shirts Krimi-blutig. Die Phantasie treibt
Blüten.
Hellgrün schimmert das Wasser, es wird flacher.
Aufatmen bei den Seekranken: Land in Sicht. An Backbord Papua-Neuguinea, an
Steuerbord die Inseln der Torres-Straße, benannt nach dem portugiesischen
Kapitän Luis Vaez de Torres. Er entdeckte sie 1606. Von sattgrünen Hügeln
gekrönt und flachen Korallen-Atollen umgeben die Cape-York-Halbinsel an der
Nordspitze Australiens. Übergang vom Indischen in den Pazifischen Ozean. Jetzt eine ähnliche Situation wie Anfang Juni 1789, nur unter umgekehrtem Vorzeichen. In seinen Aufzeichnungen über die „Meuterei auf der BOUNTY” berichtet Captain William Bligh: „Wir erreichten nun eine große Bucht. Nördlich hiervon lagen viele Inseln, die größte nannte ich die Mittwoch-Insel”. Wegen seiner brutalen Strenge war auf offener See
eine Meuterei ausgebrochen. Bligh wurde vor Tahiti mit wenigen Getreuen in
einem kleinen, offenen Beiboot ausgesetzt. Die neunzehn Männer vollbrachten
das Unglaubliche: Fast ohne Nahrung und Trinkwasser, gegen Stürme und später
gegen feindliche Eingeborene kämpfend, legten sie über viertausend Seemeilen
zurück und erreichten wohlbehalten und ohne einen Verlust Batavia. HANSEATIC
folgt auf Gegenkurs dem historisch verbürgten Bligh-Track. Allerdings sicher
beraten durch einen Lotsen vom „Australian Reef Pilot Service”.
Vor Thursday Island fällt der Anker. Tiefschwarze Aborigines lassen ihre weißen Zahnreihen freundlich blitzen. Sanfte Gitarrenklänge zur Begrüßung. Eine Überraschung nicht nur der (Schul-)Bus – von Kinderhand bemalt mit farbenfrohen Unterwasserszenen –, sondern auch seine hübsche Fahrerin. Christine kurvt uns im Schneckentempo über Serpentinen und durch dichten Busch in die Höhe. Dem museumsreifen Gefährt geht fast die Puste aus. Blau qualmend keucht der Motor. „Der verbrennt nur überflüssiges Öl”, lacht die zierliche Australierin, und erklärt uns entspannt ihre vulkanische Donnerstag-Insel, die einst Bligh so benannte. Obwohl es insgesamt 133 Eilande gibt, vergaß der Captain seiner britischen Majestät anscheinend Samstag, Sonntag und Montag. Des Rätsels Lösung: am Wochenende segelte er schon längst wieder mit Westkurs davon. Keine Zeit für weitere Erkundungen. Ausgleichende Gerechtigkeit: wir haben davon umso mehr. Auch für Museum, japanischen Perlentaucher-Friedhof und kühles, echt australisches Bier. Staunen auf dem Green-Hill-Gipfel: gewaltige Kanonen recken ihre Rohre bedrohlich über die strandgesäumte Urlaubs-Bucht, unter der
Erde Kasematten, Fort Battery Point. Wer hätte in dieser Umgebung mit einem
kriegerischen Vorposten gerechnet? Die rund 4000 Köpfe zählenden
Multi-Kulti-Insulaner aus Papuas, Aborigines, Philippinos, Indern, Malayen,
Chinesen, Japanern und Europäern jedenfalls leben in harmonischer Eintracht.
Es gebe zwar eine historische Grenze zwischen Melanesien und der
Aborigine-Kultur, „aber das hier ist”,
klärt Christine auf, „ein Relikt von 1855, als Engländer und Russen sich
über den Grenzverlauf in Afghanistan stritten”.
Ein Angriff gegen Australien lag in der Luft. Der einzige relativ gefahrlose
Seezugang verlief durch den 2.000 Kilometer langen Barriere-Riff-Kanal nach
Süden. Thursday Island an der Nordeinfahrt bekam damit strategische
Bedeutung.
Doch Steward Ulrich möchte am liebsten schon jetzt
aussteigen, als Stanley Island in Sicht kommt: „Das wollte ich schon immer”,
träumt er laut beim Anblick der unbewohnten Insel. Durchweicht vom Seegang und einer nassen Anlandung,
trabt die HANSEATIC-Kavalkade auf schmalem
Buschpfad los. Lektoren, Bonny und Don, zwei Aborigines, führen durch das
Naturreservat. Ob Ulrich wohl auch die Pflanzen und deren Zubereitung kennt,
die ihn ernähren und heilen könnten? Plötzlich Spuren menschlicher Besiedlung:
Muscheltrümmerhaufen unter einem Felsendach, frühzeitliche Behausung und
Sonnenschutz. An den Kalksteinwänden
primitive Kunst. Neben Krokodilen und Rochen auch rostrote
Segelschiffs-Silhouetten. Aborigines dokumentierten damit, dass im 17.
Jahrhundert die ersten Europäer vor den Flinders-Inseln auftauchten.
Geschätztes Alter der Rock-Art-Gallery: 2.500 Jahre. Nur Stammesälteste
durften die Zeichnungen hin und wieder farblich auffrischen.
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steuert zum
Sonnenuntergang einen geschützten Ankerplatz im Insel-Lee an: „Damit Sie ein
ruhiges Abendessen unterm Kreuz des Südens genießen können”.
Ein schiefer Südhalbkugel-Neumond kontrastiert später zu loderndem Buschfeuer an einer Hügelflanke. Nach dem erregten Ausruf eines Witzbolds „Vulkanausbruch an Steuerbord” wird augenblicklich die Bar geräumt. Die Ereignisse überschlagen sich geradezu, als ein Kingfisher, gefiederter Verwandter des Eisvogels, an Deck landet. Zum Entzücken der Vogelkundler. Tauch-, Schnorchel- und Schwimmfreaks entdecken Lizard-Island, „ein Paradies auf Erden”, wie der Expeditionsleitfaden schwärmt. Und das ist tatsächlich nicht übertrieben: mehr als zwanzig kristallklare Badebuchten, überragt von grünen Bergrücken, locken mit blendend weißem Sand und badewannewarmem Wasser. Die „Blue Lagoon”
übertrifft jedoch alle. Tourismusexperte Ruedi aus der Schweiz ist
überwältigt von ihrem Anblick: „Ich hab’
ja schon viel gesehen, aber das hier ...”
Für den Nachmittag ist eine Bergbesteigung geplant, „denn”,
so eine Passagierin, „von oben muss das noch großartiger aussehen”.
Doch daraus wird nichts: Anordnung vom Kapitän wegen zunehmendem Wind und
Seegang. Die Lektoren treiben ihre Schäfchen zusammen. Ein Gast landet gar
per Rückwärts-Rolle im Wasser, ein anderer muss aus dem Busch geholt werden.
Ende vom Lied: statt Natur pur Vorträge über sie in der abgedunkelten
Lounge. Captain James Cook schaffte allerdings den Aufstieg,
als er 1770 mit seiner ENDEAVOUR die
australische Küste entlang segelte und eine Riff-Durchfahrt suchte. Lizards,
bis zu eineinhalb Meter lange Eidechsen, beeindruckten ihn damals so sehr,
dass er das Fleckchen spontan nach ihnen benannte.
HANSEATIC boxt
sich im Schneckentempo durch die Korallen-See. Bis zu 15 Meter hohe Sturm-
und Dünungswellen lassen sie erzittern. Dem Supertief fallen nicht nur
Passagiere zum Opfer. Der Kapitäns-Auftritt beim abendlichen Recap
(Rekapitulation der Tagesereignisse) verspricht nichts Gutes.
Meteorologische Karten verdeutlichen die ungewöhnliche Wetterlage der
nächsten Tage. „Da wir unsere Geschwindigkeit aus Sicherheitsgründen um die
Hälfte reduzieren mussten”, so Natke von
der Bühne herab, „planen wir eine verkürzte Route”.
Neukaledonien fällt wortwörtlich ins Wasser. Morgendliches Hoffnungsgrün nach vier ermüdenden
Schaukeltagen: Tongoa, Vulkan-Inselchen der Vanuatu-Gruppe. HANSEATIC
ist eins der ersten Kreuzfahrtschiffe, das hier vor Anker geht.
Brandungswellen werfen die Zodiacs weißschäumend auf schwarzen Strand. Bis
zur Brust im Wasser auch Kapitän Thilo Natke. Jede Hand wird jetzt
gebraucht. Wie zu Cooks Zeiten. Der nannte die Inseln Neue Hebriden. Wind
und Wetter erinnerten ihn an ihr schottisches Pendant. Triefender Regenwald
kämmt graue Wolken: Nässe nicht nur von unten.
Plötzlich Rauchschwaden über einer Lichtung. Hütten,
freundlich-lächelnde Menschen, die uns mit duftenden Blüten bekränzen.
Angekommen in der Südsee. Das 200-Seelen-Dorf Lupalea empfängt seine ersten
Gäste überschwänglich: mit Gesängen, die wie „Ohrwürmer”
klingen, wiegenden Tänzen, typischen Gerichten und bitterem Kawa-Gebräu. Im
Beiprogramm strömender Regen. „My name is Apia”, stellt sich breit lächelnd und in bestem Englisch ein muskulöser, junger „Krieger” vor. Pfeil und Bogen umgehängt, die Machete in der Hand lotst er mich auf schmalem Pfad durch dichten Dschungel. Stundenlang, einfach nur so, weil er mit mir reden und seine Insel zeigen wolle, wie er sagt. Vor einem großen Stein mit Loch kniet er nieder. Der habe, so sein Medizinmann, magische Kräfte. Apia entpuppt sich als kenntnisreicher, aber noch nicht verbildeter Naturbursche. Immer wieder muss ich wohlschmeckende Früchte, Wurzeln und Blätter probieren, die er im Busch entdeckt. „Kennst du den Geschmack?”.
Spricht’s und zerteilt kunstvoll eine
reife Kakaofrucht. Die Kerne erinnern an Bonbons.
„Wir leben hier frei und können gratis ernten, was wir wollen”,
ist er stolz auf seine 83-Insel-Heimat, die übersetzt so viel heißt wie:
„Das Land, das uns schon immer gehörte”.
Ob es ein Paradies sei, das hänge wohl, meint er doppelsinnig, vom
Standpunkt ab. „Meine Vorfahren hätten Dich noch im Kopftopf gegart”,
grinst er und schwingt sein scharfes Buschmesser. Bei der Rückfahrt an Bord bin ich um Kilos schwerer: ein Sack voller Früchte geht mit auf die Reise nach Fidji. Langes Winken vom Strand: „Jo tata!” „Auf Wiedersehen!”
Traumurlaub im Paradies:
eine Kreuzfahrt in die Südsee Der Autor: Werner K. Lahmann, Jahrgang 1936, machte zunächst eine Lehre zum Fotograf, bevor er Physik studierte und später als Entwickler am Bodensee und in den USA arbeitete. Auf vielen Reisen, z.B. nach Tokio, Neuseeland, in die Südsee, nach Südafrika, Norwegen, Russland und nach Kanada, lernte er die Welt kennen. Seit 1990 ist Lahmann Reisebuchautor und seit einigen Jahren begeisterter Kreuzfahrer. |
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Es gibt unzählig viele solcher Trauminseln in der Südsee. |
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Unser Schiff auf dieser Expedition: MS HANSEATIC von Hapag-Lloyd Kreuzfahrten. |
Unsere Kabine auf der HANSEATIC. |
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Palmenwald auf einer Insel. |
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Typische Dachform eines Südsee-Hauses. |
Fröhliche Südsee-Insulaner. |
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Hochgewachsene Kokospalmen spenden Schatten. |
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Am schwarzen Strand einer Vulkaninsel. |
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