Herbert Fricke · Ressortleiter HamburgMagazin
Kreuzfahrt-Kolonialismus?
Segen und
Fluch der Karibik
Immer mehr internationale Kreuzfahrt-Konzerne gehen
dazu über, in sonnigen Ländern eigene Claims abzustecken, so wie das einst
die Siedler in Nordamerika taten. Sie reservieren ihren Passagieren die
schönsten Strände oder auch ganze Inseln. Nur für sich.
Kein Einheimischer, kein Außenstehender hat Zutritt zu diesen „zones
of splendid isolation”. Die
Schifffahrtsgesellschaften kaufen solche Refugien, oder sie pachten sie vom
jeweiligen Staat, um sie dann ihren Kreuzrittern, pardon: Kreuzfahrern für
möglichst ungestörtes „Chillen” zur Verfügung zu stellen.
Sanfte Eroberung? Da ist nichts
mehr mit „Land und Leute kennenlernen”. Das ist kein „Abenteuer Kreuzfahrt” mehr.
Das ist die Konsequenz aus dem Sicherheitsbedürfnis (vor allem der
Amerikaner) gegenüber potentiellen
Taliban, die ja hinter jeder Palme
lauern könnten.
Aber während ich das so ein bißchen spöttisch sage,
sehe ich auch schon die andere Seite der Medaille. Irre Islamisten verüben
ja tatsächlich überall ihre fiesen feigen Attentate, auch auf völlig
unbeteiligte Touristen. Der folgenschwere Anschlag auf Bali – mitten im
Urlaubsparadies – ist uns noch in unguter Erinnerung.
Mehr als 200 Tote und Verletzte damals. Und die aktuellen Ereignisse,
Überfälle auf Ausflugsbusse von Kreuzfahrtpassagieren
in Mexiko und Ägypten, die erfahren wir ja fast tagtäglich.
Es ist also das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit, vor
dem die Kreuzfahrt-Veranstalter stehen.
Allerdings stellt sich die Frage, wozu dann
überhaupt noch eine Schiffsreise, auf der ich in den unterschiedlichen
Reisegebieten neugierig und gespannt von Bord gehen und das Leben der
anderen kennenlernen kann? Auf den Inseln der Karibik, im
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Nahen und Mittleren Osten, in Südamerika oder
Südostasien? Macht nicht genau das bisher den eigentlichen Reiz einer
Kreuzfahrt aus? Spannend unterwegs zu sein und dabei das schwimmende Hotel
immer dabei zu haben? Anstatt in einem abgegrenzten Refugium, langweilig
aber sicher, den gleichen Softdrink zu schlürfen wie im Liegestuhl an Deck?
Auf den Riesenschiffen der neuesten Generation mag
das anders empfunden werden. Viele der amerikanischen Kreuzfahrtgäste, die
von Miami aus auf ihren Karibik-Shuttle gehen, verlassen ihr Schiff ja gar
nicht mehr. Die wollen nur highlife und gambling;
auf welcher Insel das Schiff gerade anlegt, ist ihnen völlig egal. Ob
Aruba oder Antigua, ob Bermuda oder Barbados – völlig Banane. Nur auf Grand
Cayman gehen manche von Bord, um dort ihr steuerfreies Konto aufzufüllen
oder zumindest zu überprüfen. Denn
dort haben sie alle ihre Oasen installiert, die Banken und Fondsverwalter,
und auch den blauen schräg-nach-oben-Strich der Deutschen Bank sieht man an
einer gelben Holzbaracke. „Geld ist
wie ein flüchtiges Reh”, sagt das kapitalistische Sprichwort, und
meint vielleicht das Zillertal. Aber das Reh kann auch schwimmen und kommt
bis Grand Cayman oder Singapur.
Ist die Landnahme der großen Reedereien
Kreuzfahrt-Kolonialismus? Oder ist es ein Geschäftsmodell, das ja – über die
Pacht oder den Kaufpreis – auch den
betreffenden Ländern zugute kommt? Nehmen wir das Beispiel Haiti. Die 2010
vom Erdbeben verwüstete Inselrepublik
gehört zu den ärmsten der Welt. Haiti bildet den westlichen Teil der
Karibikinsel Hispaniola. Der östliche Teil ist die Dominikanische Republik.
Auf Haiti, der ehemaligen französischen Kolonie, spricht man
französisch.
Die nördliche Küste ist die schönste und wird von
den Reedereien „Labadee” genannt. Benannt nach dem
französischen Entdecker Marquis de la Badie.
Dort haben Disney Cruises,
Celebrity Cruises und Azamara Club Cruises den romantischen Inselabschnitt
Castaway Cay gepachtet. 1,1 Quadratkilometer. Nur für sich und ihre
Passagiere. Insel-„Abschnitt” also wörtlich! Kein Kontakt zur verarmten
Inselbevölkerung. Keine Bettelei,
keine dünnen braunen Kinder, keine „Sprachbarrieren”.
Alles abgeschottet und abgeschirmt. Aber sonnig, tropisch, schön.
Bis zum Jahr 2050
gepachtet.
Haiti bekommt einige Millionen Dollar im Lauf der
Zeit. Die jeweiligen Machthaber freuen
sich. Die Bevölkerung wird ausgesperrt. Darf ihren eigenen Strand nicht mehr
betreten. Bis auf einige streng kontrollierte englisch-sprechende
Hilfskräfte, die ihr Einkommen in der Enklave gefunden haben.
Also wieder die beiden Seiten einer Medaille.
Zum Beispiel legen die ALLURE OF THE
SEAS und die OASIS
OF THE SEAS mit jeweils 6.000 (!)
Passagieren regelmäßig hier an. Die Amis haben eigens einen Anleger gebaut.
In anderen reederei-eigenen Buchten müssen die Kreuzfahrer noch
ausgebootet werden.
Disney Cruises haben sich also den Castaway Cay vor
Haiti gesichert, Costa
die zur Dominikanischen Republik gehörende Insel „Catalania Island”.
Royal Caribbean verfügt schon über die zum Seegebiet der
Bahamas gehörende Insel „Little Stirrup Cay”.
Norwegian Cruises über die Nachbarinsel „Great Stirrup Cay”.
Disney Cruise Lines hat auch die Insel
„Gord Cay” in Besitz genommen.
Holland America Lines verfügen über die Insel „Halfmoon Cay”, 690 Hektar groß!
Royal Caribbean Cruises auch über die 140 Hektar große Insel „Coco
Cay”.
Sorry, die Aufzählung kann nicht vollständig sein,
weil gerade immer lebhafter verhandelt wird. Die Landnahme durch
internationale Reedereien ist in vollem Gange. Besonders interessant die
gegenwärtigen Verhandlungen mit den Fidel-Nachfolgern auf Cuba. Die – noch!
– sozialistische Inselrepublik braucht
dringend Devisen. Die Reedereien brauchen Sonnenstrände.
Der „Kreuzfahrt-Kolonialismus” ist in vollem Gange. Ich weiß, dass die
Medaille zwei Seiten hat. Aber wie wäre es, wenn irgendeine große Reederei
Hiddensee „besetzte”?
Meck-Pomm könnte das Geld gut gebrauchen.
Aber an der Ostsee regnet es ja zu häufig ...
Ihnen allen fröhliche Ostern!
Denken Sie mal über Kreuzfahrt-Eier nach!
Fahren Sie los, bevor Ihr Geld gefressen wird.
Sie wissen schon, was ich meine. Die Euro-Bonds lassen grüßen. Das
tue ich auch.
Herzlich, Ihr Herbert Fricke
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