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Faszinierender Teufelsgeiger
Lubos Hasan füllte mehrfach die HAMBURG-Lounge.
Seit seinem sechsten Lebensjahr spielt er Geige und gab mit Elf sein
erstes Solokonzert in Budapest. Der begnadete 48-jährige Musiker versteht
es, die Zuhörer in seinen Bann zu schlagen. An den Konservatorien seiner
Heimatstadt und in Wien studierte er Geige und Komposition.
Seine Lehrer erkannten das Talent und förderten
es. Sein Fleiß wurde mit einem Stipendium belohnt. Mehrere Auszeichnungen
krönten seine Laufbahn. Während seiner europaweiten Konzerttourneen
festigte der bescheidene Mann mit dem feinen Humor und der leisen
Selbstironie seinen herausragenden Ruf, der einem David Garret durchaus
das Wasser reichen kann.
Eine Reihe von Engagements führten ihn als
Geigensolist auf verschiedene Kreuzfahrtschiffe wie ARKONA,
BERLIN, AIDA, COLUMBUS,
ALBATROS, ARTANIA,
AMADEA, ASTRA
II, MAXIM GORKI,
VISTAMAR, DEUTSCHLAND
und HAMBURG.
Sein breites Repertoire umfasst verschiedene
Musikrichtungen: Musical, Klassik, Csárdás, Letzteres in Vollendung. „Das
ist mein Hobby”, lächelt er, habe ich
mir selbst beigebracht”. Darüber hinaus
liebt er virtuose Kompositionen in moderner Bearbeitung. Seine
Lieblingskomponisten sind Beethoven, Vivaldi und Sibelius.
Dr. Peer Schmidt-Walther
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Er ist 2010 mit dem Friedrich-Glauser-Preis
ausgezeichnet worden und steht auf der Spiegel Bestseller-Liste. Die
Kritiker sind voll des Lobes – und dennoch sei der Leser gewarnt vor Zoran
Drvenkars Krimi „Sorry”.
Der Autor hatte gleich zwei großartige Ideen, zum
Inhalt und zu seiner Darstellung. Vier gammelnde Typen haben in Berlin eine
ungewöhnliche Geschäftsidee und gründen eine Agentur, die ihr Geld damit
verdient, sich für andere zu entschuldigen. Und so kommen die vier schnell
zu was. Da meldet sich bei ihnen ein Auftraggeber, der sie zu einer Leiche
schickt, bei der sie sich für ihn entschuldigen und die sie für ihn
entsorgen sollen. Beginn atemloser Spannung.
Doch die Art der Darstellung haben wir
so in einem Krimi noch nie gefunden. Ein ungeübter Leser wird seine Probleme
mit ihr haben. Man ist gewohnt, eine Story aus Sicht des Ermittlers oder des
Täters zu lesen oder aus der Perspektive eines neutralen Beobachters. Das
Imperfekt ist die klassische Erzählweise, im Präsens mordet, ermittelt oder
berichtet man selten. Und noch seltener wird der Leser direkt angesprochen.
Und wenn Kapitel nicht nummeriert sind, haben sie wenigstens einladende
Überschriften, die sie u.a. voneinander unterscheiden. Dieser Autor macht
alles ganz anders.
Das erste Kapitel hat gleich zwei Überschriften:
„dazwischen” und „DU”. Nach ein paar Seiten beginnt Teil I und die
Überschriften lauten dann „danach”, „davor” „KRIS”, „TAMARA”, „WOLF”,
„FRAUKE”. Dann beginnt Teil II wieder mit einem „danach” gefolgt von einem
„davor” und „TAMARA”. Und so geht es weiter. Man ahnt, was der Autor vorhat.
Der Wechsel von „davor” „dazwischen” und „danach” bezieht sich auf die Tat,
die Namen nennen die jeweiligen Protagonisten. Und mit dem „DU”
ist der Leser angesprochen. Erst viele, viele Seiten weiter wird klar, was
eingangs ebenso präzise wie schockierend beschrieben wird.
Eine Frau erhält Besuch, sitzt auf einem Sessel und
raucht. „Diese Geste ist dir so vertraut, dass die Erinnerungen sich wie
eine Handvoll Dias übereinanderlegen. Damals und Heute werden zum Jetzt und
das Jetzt wird zum Heute und zum Damals”. Der Besucher verwandelt die Frau
mit Hilfe eines Gas-Sprays in einen „wimmernden Haufen” und trägt sie in
einem Müllsack in eine andere Wohnung, nagelt sie durch die
Innenflächen ihrer zusammengelegten Hände an die Wand und treibt dann einen
vierzig Zentimeter langen Nagel durch ihre Stirn. „Du brauchst vier Schläge
mehr als bei den Händen, ehe der Nagel ihren Hinterkopf durchstößt und sich
in die Wand bohrt”.
Es dauert, bis man sich an die Konstruktion der
Story gewöhnt hat, an das hechelnde Präsens der Erzählung, an Schockelemente
und Erkenntnisse wie diese: „Ihre Träume sind karg und kraftlos, weil sie
nicht weiß, was sie vom Leben will”. Oder: „Berlin ist die einzige Stadt in
Deutschland, in der man sich auch nachts noch lebendig fühlt”.
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Zoran Drvenkar
sorry
Ullstein Taschenbuch Verlag, Berlin.
ISBN 978-3-548-29193-4
8,95 €.
Ullstein/sorry
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Zoran Drvenkar wurde 1967 in Kroatien geboren,
lebt seit 1970 in Berlin und arbeitet seit 1989 als freier
Schriftsteller. Er hat vielfach ausgezeichnete Kinder- und Jugendbücher
geschrieben und ein paar Krimis. Mit „Sorry” hat er gezeigt, welche
neuen Seiten ein großer Autor in diesem Genre öffnen kann. Wir freuen
uns auf die nächsten aus seiner Feder.
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Tja, Hein Mück hat sich
kürzlich einen Satz aufgeschrieben, den er bei einer Reise in Bielefeld las
– im historischen Museum der Stadt. Dort bestaunte er in einer Ausstellung
das Genie Leonardo da Vinci. Und von dem las er: „Wenn du die Formen der
Dinge in Wahrheit kennen willst, so fange bei ihren kleinsten Teilen an, und
gehe nicht zum zweiten über, wenn du das erste noch nicht im Kopf und in der
Übung hast”.
Ein Satz für Ingenieure? Die Studenten, die nach
Skizzen Leonardos sehr schöne und funktionierende Modelle gebaut haben,
haben ihn sicher verinnerlicht.
Hein gefiel die schöne Verbindung von Kopf und Übung.
Dass man etwas im Kopf hat, weiß Hein von Kind an. Aber dass man etwas „in
der Übung” haben soll, hat
Hein hier zum ersten Mal gelesen. Heute würden wir wohl von „verstehen”
und „beherrschen” reden. Aber
meint „in der Übung haben”
nicht viel mehr als „beherrschen”,
das immer nach Gewalt und Zwang klingt?
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Tja, mit dem
Älterwerden ist das so eine Sache. Als Hein Mück die vierzig überschritten
hatte, war viel vom Vergreisen der Gesellschaft die Rede. Wir werden –
dank gesünderer Lebensweise und ärztlicher Kunst – im Durchschnitt alle
älter als unsere Vorfahren. Hein erinnert sich an einen Redner, der mal
beim Thema Tempolimit ausführte, man brauche gar keine Beschränkung. Denn
eines Tages seien wir eine Gesellschaft von Alten, die sehr vorsichtig und
langsamer Auto fährt.
Und nun liest Hein Mück im „Wissenschaftsmagazin”
der Max Planck Gesellschaft einen Aufsatz (in Heft 3.2012), der ihn
überrascht. Demografieforscher haben bestätigt, dass wir zwar alle älter
werden, doch die Gesellschaft dadurch eines Tages nicht nur aus
Tattergreisen bestehen wird. Zwar gilt nach wie vor, dass das Altern ab 40
Jahren einsetzt. Was aber zurückgeht, ist das Risiko zu sterben. „Noch
während wir leben”, heißt es
da, „steigen unsere Überlebenschancen im Vergleich zu unseren
Vorgängergenerationen ständig”.
Wir alle gewinnen also nicht nur Jahre am Ende unseres Lebens, sondern schon
„unterwegs”, weil unterwegs
weniger von uns sterben. Hein findet das schön und beruhigend, weil Freunde
und Bekannte ihn wohl noch viele Jahre begleiten werden. Aber die Erkenntnis
der Forscher bedeutet ja wohl auch etwas für politische Planungen. Da muss
wohl ganz neu nachgedacht werden.
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Tja, da hat Hein Mück nun erfahren, dass seine
Stadt in einem „Niveauranking nach Einzelindikatoren”
auf Platz 26 unter den deutschen Städten liegt. An erster Stelle liegt
München, an zweiter Stuttgart, an dritter Münster in Westfalen und an
fünfzigster Gelsenkirchen, dicht hinter Berlin. Bewertet wurden in diesem
„Ranking” unter anderem der
Arbeitsmarkt, die Einkommenssteuerkraft, Straftaten und Schulabgänge ohne
Abschluss. Was fängt man mit solchem Wissen an? Sind die Städte, die weit
vorn liegen, begehrenswerter als Wohnorte? Oder als Arbeitsorte, als Orte,
um Kinder großzuziehen?
Hein fühlt sich auf seinem Platz 26 ganz wohl. Denn ein
wichtiges Kriterium wurde bei der Untersuchung überhaupt nicht erhoben: die
Nähe zum Meer. Sie bedeutet ihm viel und würde seine Stadt auf einen der
ersten Plätze bringen. Doch für die meisten Leute bedeutet Nähe
zum Salzwasser nicht viel. Kiel zum Beispiel hat die schöne Förde und die
Ostsee gleich vor der Tür und liegt nur auf Platz 37.
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Tja, man fragt sich ja immer öfter mal nach
der Weisheit von Entscheidungen. Da verlangt man in Bremen und
Bremerhaven, die Fahrrinne in der Weser zu vertiefen. Denn die Schiffe
werden immer größer und haben mehr Tiefgang. Will man also eines Tages den
eigenen Hafen nicht schließen, macht Vertiefung Sinn. Doch die Geldgeber
im Bund sehen die Notwendigkeit an der Weser nicht ein. Denn die gehört
nicht zu den wichtigen Wasserstraßen Deutschlands. Proteste an der Küste!
Und nun kommt das größte Schiff der Welt in unsere
Gewässer, fährt die Elbe hoch –
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nun ja, und macht später auch in Bremerhaven fest. Jubel an der
Wesermündung, wir sind wer! Tja, meint Hein Mück, warum sollte nun jemand
Geld für eine Vertiefung des Fahrwassers der Weser ausgeben, wenn das
größte Schiff der Welt hier problemlos festmachen kann? Und dann fällt
Hein Mück noch ein, dass ja in Wilhelmshaven für diese Reisenpötte extra
ein Hafen gebaut wurde. Den hat der Riesendampfer nicht angelaufen.
Versteh einer die Denke der Planer.
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Tja, und dann kommt per e-mail eine
Schreckensmeldung mit der Aufforderung, sofort bei der EU zu protestieren:
Alle Gemeinden oder öffentlichen Körperschaften Europas sollen die
Versorgung ihrer Kommunen mit Trinkwasser ausschreiben, sodass künftig
jedermann, Hinne Kleintümpel ebenso wie Großkonzern Wattenwasser, die
Gemeinde Durstig im Kreise Mirfehlt mit Trinkwasser versorgen –
und damit viel Geld verdienen kann. Und wir als Bürger x-mal so viel für
Trinkwasser bezahlen als jetzt. Was Hein nicht für gut hält.
Damit steht er sicher nicht allein. Doch man denkt ja
weiter. Warum soll eigentlich Wasser nichts oder nur wenig kosten? Weil
wir alle es zum Leben brauchen! Einverstanden. Aber wenn wir das
akzeptieren, darf dann eigentlich Land etwas kosten, das wir auch alle zum
Leben brauchen? Und was brauchen wir noch zum Leben? Freiheit,
Versammlungsfreiheit, Redefreiheit, Bewegungsfreiheit – um nur ein paar zu
nennen. Brauchen wir auch Rechte zum Leben? Zum Beispiel das auf eine
unzerstörte Umgebung, das auf Arbeit, das Recht seine Kinder nach eigenen,
nicht nach den Maßstäben des Staates zu erziehen? An dieser Stelle hat
Hein dann erst mal aufgehört mit dem Weiterspinnen von Gedanken. Und ein
Glas Wasser getrunken.
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Tja, Hein Mück mag das gar
nicht so recht glauben. Da liest er in seiner Zeitung, dass Bremen
weiterhin ablehnt, über seinen Häfen Atomtransporte zu befördern, in
welche Richtung auch immer. Das Parlament des Bundeslandes hat es mit
Mehrheit so beschlossen und Ausnahmen werden nicht gemacht. Soll man
darüber nun froh sein?
Kurz darauf hat Hein Mück gelesen, dass Bremen unter
anderem deswegen als so genanntes „Nehmerland”
für seinen Haushalt viele Millionen Euro braucht, weil es als Hafen
Aufgaben für alle anderen Bundesländer erfüllt – und das recht
erfolgreich. Vergleichbare Aufgaben erfüllt außer Bremen nur Hamburg. Tja,
fragt Hein sich, was wohl die Geberländer dazu sagen? Sie zahlen und der
Empfänger nimmt, sperrt aber gleichzeitig seinen Hafen für bestimmte
Produkte aus diesen Geberländern. Sollen die also sehen, wie sie ihren
Mist loswerden? Hein will in nächster Zeit mal nachdenken, was passiert,
wenn dieses Denken im öffentlichen Bereich Schule macht. Und wenn dann
Privatleute sagen, was die da oben können, machen wir hier auch.
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Tja, neulich hörte Hein Mück den Satz „Das tut man nicht”.
Und dachte an alte Freunde und die eigene Schulzeit. Damals hatte er den
Satz häufig gehört, im Elternhaus und in der Schule. Hinter dem Satz stand
die Kenntnis dessen, was richtig und was falsch ist. Was man nicht tun
sollte, war moralisch, ethisch oder gesellschaftlich falsch.
Ein paar Jahrgänge später protestierten Schüler
und Studenten just gegen „Das tut man nicht”.
Und gingen dafür auch auf die Straße. Sie wollten nicht länger
akzeptieren, nur das zu tun, was üblich gewesen war oder es nur aus dem
Grund zu tun, weil es üblich war.
Beiden Meinungen konnte Hein Mück einiges
abgewinnen. Nach langem Abwägen war Hein schließlich der Ansicht, die
Protestler seien im Recht. „Das tut man nicht”
versank im Abgrund vergessener Worte.
Bis neulich auf einer Kreuzfahrt bei einem Glas
Champagner eine Dame fast beiläufig den Satz wiederholte. Sei das nicht
überholt, fragte Hein neugierig geworden. Die Dame blieb bei ihrem Wort.
„Das tut man nicht” gelte
ohne Abstriche und Zusätze. Man handle nach dem, von dem man überzeugt ist
– das besage der Satz.
Hein konnte sein Nachdenken schlecht verbergen, was die Dame merkte. Tja,
meinte sie, was Hein denn von diesem Satz hielte: „Das tut man nicht,
weil’s einer merken könnte?” Ein
schlimmer Satz, sagte Hein, das genaue Gegenteil von dem ursprünglichen.
„Sehen Sie”, sagte die Dame. Und so hob
man die Gläser und trank auf ein gutes neues Jahr und gute alte
Erkenntnisse.
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