Die Burg Pfalzgrafenstein, auch Die Pfalz bei Kaub genannt. Seit 2002 ist die Burg Pfalzgrafenstein Teil des UNESCO-Welterbes Oberes Mittelrheintal, des Weiteren ist sie ein geschütztes Kulturgut nach der Haager Konvention. |
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Dr. Peer Schmidt-Walther Per Küstenmotorschiff durchs „Gebirge” |
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Zu Berg müssen sie mühsam gegenan kämpfen, aber
dafür geht es zu Tal umso leichtfüßiger, fast geräuschlos. Die Pötte, kann
man nur staunend registrieren, werden auch immer größer, als das MS FREIENSTEIN
mit 3.200 Ladetonnen, hohen Containerlagen und noch höher ausgefahrener
Brücke passiert: Kurs Basel - Rotterdam. Vergangene Seefahrtszeiten werden wach, man fängt an
zu träumen und blickt dem „Binnen-Superliner” versonnen nach – bis mich ein
anscheinend ungewöhnlicher Bergfahrer aus Tagträumen in die Realität zurück
holt. RMS ist in mannshohen weißen Lettern auf die hoch aufragende grüne
Bordwand gepinselt. Weiß die Aufbauten, hoch die Back, geschwungener Steven,
gelegte Masten. Ein Kümo, und das
hier – hunderte von Kilometern im tiefsten Binnenland! Moderne Küstenschiffe besonderer Bauart fahren heute
bis Basel bzw. Paris, indem sie das Ruderhaus absenken und Masten und
Schornsteine abbauen. Sie haben sich als Seeschiffe bewährt und sind auch
wirtschaftlich, da sie bei einer Vermessung von BRZ 999 satte 2.920 t
Tragfähigkeit aufweisen. Wir haben wieder Hoffnung. Schließlich wird heute
fast jede zweite Tonne Ladegut im europäischen Seeverkehr von
Küstenmotorschiffen befördert. Fragen über Fragen Wo kommt sie her, die ATOLL,
wo geht sie hin? Heimathafen ist Leer/Ostfriesland, wie das moderne
Spiegelheck verrät. Ein Anruf bei der KALAG (Karlsruher Lagerhaus AG) sorgt
für Aufklärung: „Die liegt hier bei uns, kommt von Nordengland und geht
morgen wieder raus”. Im Schiffsregister liest man über ein Schiff von 74
Metern Länge, 9,80 Metern Breite und 2,92 Meter Tiefgang mit einer
Tragfähigkeit von 1.173 tons (299 BRZ), wobei 33 Container gestaut werden
können (darum auch die Bezeichnung Semicontainerschiff); der KHD-Diesel
leistet 441 kW und garantiert 10 kn; gebaut wurde die ATOLL
1980 unter der Bau-Nr. 8005 bei der Lühring-Werft in Brake an der
Unterweser: Schwesterschiff ist das MS LAGUNE,
bereedert von Jörg Hennig, gechartert von RMS. Soweit der Steckbrief. Im
Rheinhafen heißt es bald: Luke dicht! Unsichtbare Strömungslinie Bei Stromkilometer 362 dreht ATOLL in die reißenden Hochwasserfluten des Rheinfahrwassers. „Passen Sie mal auf, wie sich das Schiff hier verhält”. Klaus Koch macht mich neugierig, als ATOLL plötzlich hart nach Steuerbord krängt, ohne dass das Ruder gelegt worden ist. Der Frachter fängt an zu schwingen und vollführt dabei seegangsmäßige Rollbewegungen. „Merken Sie, wie der Strom jetzt gegen die Backbordseite drückt? Das liegt daran, dass Sie hier auf einem Seeschiff sind, das höher ist und daher weicher reagiert als ein flaches, tiefgehendes Binnenschiff”, erläutert der Lotse die ungewöhnliche Schräglage. Bald schwenkt MS ATOLL auf den Stromstrich ein, das heißt wir folgen der unsichtbaren Strömungslinie, die auch gleichzeitig günstigstes Fahrwasser und entsprechend betonnt ist. „Aha, sie geht auf den Strich”, kommentiert mein Berliner Kollege schmunzelnd die Situation. Er hat schon dazugelernt. Bei der Ankunft im Karlsruher Hafen zeigte er auf das Schiff und meinte: „Da steht er”, doch der badische Reederei-Agent konterte: „Nein, da liegt sie”. Mit schäumender Bugwelle drängt MS ATOLL
zu Tal und hält auf die berüchtigte Engstelle unter der Straßen- und
Eisenbahnbrücke Karlsruhe-Maxau zu. Die
beiden Strompfeiler, gleichzeitig die Fahrrinnenbegrenzung, sind jetzt
blendend weiß gestrichen – aus „gutem” Grund. 1987 verfehlte ein
schweizerischer Schubverband die gefährliche Passage, prallte gegen das
Brückenfundament und versank. Wochenlang blockierten Wrackteile das
Nadelöhr, die Rheinschifffahrt war lahmgelegt, hohe Unkosten ruinierten
manchen Schiffer. Über die flachste Stelle Der Pegel Maxau,
bekannt aus den Wasserstandsmeldungen, zeigt 5,35 Meter an. „Wenn wir noch
einen halben Meter mehr Wasser unter dem Kiel hätten, könnten wir statt 20
bis zu 25 Kilometer pro Stunde laufen”, beantwortet Klaus Koch meine Frage
nach unserer Geschwindigkeit, und er ergänzt: „1,85 Meter sind vom Pegel
abzuziehen, dann hat man den maximalen Tiefgang für sein Schiff. ATOLL
ist mit drei Metern voll abgeladen. 50 Zentimeter müssen noch mindestens
‚Luft‘ bleiben, um noch halbwegs problemlos über die flachste Stelle der
Strecke zu rutschen”. Die Rechnung geht auf, rentabel ist die Fahrt nach
Karlsruhe noch bis zu einem Tiefgang von 2,80 Metern. Zugegeben, ein Handicap für Kümos sind die
sommerlich schwankenden Flusswasserstände. Manchmal, bei zu niedrigem
Wasser, ist die Reise schon in Duisburg zu Ende, so dass in normale
Binnenschiffe umgeladen werden muss. Auch die Frauen der Besatzungen, die
immer „Koffer bei Fuß stehen”, wie mir eine sagt, können ein Lied davon
singen. „Die Einlaufzeiten der Schiffe sind kaum zu kalkulieren”, meint
Steuermannsfrau Voß, und Kapitänsfrau Harms ergänzt, dass sie lieber im
Winter mitfahre: „Da ist immer genügend Wasser, so dass auf unsere Männer
Verlass ist. Und wenn Sie denken, dass wir dann kochen, haben Sie sich
geirrt. Das machen die Männer, schließlich sind wir auf Urlaub an Bord”.
Emanzipiert sind sie, die Seemannsfrauen. Einnahmen-Ausfall Gerd Voß möchte trotzdem mit keinem anderen Fahrtgebiet tauschen, wenn er von seinem „Hausfrauendampfer” spricht, auf dem man Überstunden nicht kenne („die hab ich früher in der Hochseefischerei genug machen müssen”) und der einem reichlich Familienheimfahrten beschere. Alle zehn bis vierzehn Tage sind sie wieder im Lande. Und die winterlichen Stürme? „Machen uns gar nichts. Gefahren wird bis Windstärke 8. Größeren Seegang verträgt das Schiff besser von der Seite als von vorn; da sind die Lüfter auf der Back auch zu niedrig und der Mastfuß zu schwach. Aber bei achterlicher See kommt kein Wasser an Deck. In Ballastfahrt entstehen keine Stabilitätsprobleme, weil wir die gleiche Menge Ballastwasser fahren können wie Ladung”, doziert Kapitän Harms auf der Brücke. „Probleme haben lediglich die Holländer, seitdem bundesdeutsche Kümos nicht mehr in Rotterdam löschen oder laden, sondern gleich ins Binnenland durchlaufen”, meldet sich der Lotse zu Wort, „da fallen nämlich Einnahmen aus”. Neulich seien sogar neun Kümos im Konvoi zu Berg gedampft. Ein guter Tag für die 16 freien Speziallotsen, die 15 bis 20 Reisen pro Mann und Monat absolvieren. |
Tief abgeladene Binnenfrachter werden überholt oder passieren in so dichter Folge auf Gegenkurs, manchmal bis zu drei nebeneinander, dass es beängstigend wirkt. Dichte Pappel- und Weidebestände säumen das Ufer. In einsamen Strandbuchten, die aber mangels Wasserqualität niemanden mehr zum Baden verlocken, hin und wieder eine Loreley life. Man(n) greift zum Fernglas, um sich wenigstens am sonnigen Anblick unverhüllter Schönheit zu erfreuen. Der Auto-Pilot, die Selbststeueranlage für Geradeausfahrt, sorgt jedoch für klaren Kurs. Bei Flusskurven muss allerdings manuell korrigiert werden. Ein River-Pilot, den leider noch nicht alle Kümos eingebaut haben, so der Lotse, fährt die vorher programmierten Schleifen sauber aus. „Auf Grund seiner hohen Konstruktion drängt ein Kümo dabei aus der Kurve heraus, während sich ein Binnenschiff genau entgegengesetzt verhält”. Klaus Koch kennt sich aus. Er hat andere Befürchtungen, als die riesigen Kühltürme der Kernkraftwerke von Philippsburg und Biblis in Sicht kommen: „Wenn die vorbei sind, bin ich jedesmal froh”. Gemütliche Rundungen Sein Mittagessen serviert ihm einer der drei
philippinischen Decksleute im Fahrstand. Nur der Kanarienvogel des
Steuermanns schaut ihm dabei auf den Teller. Wir dagegen tauchen ab in die
aufgeheizte Mannschaftsmesse, die auch als Kombüse fungiert. Jeder bedient
sich aus den Töpfen, die auf den Herdplatten warm gehalten werden.
Steuermann Voß hat Nudeln und Gulasch auf dem Speisenplan. Er ist heute mit
Kochen dran, umschichtig mit Kapitän Harms. Wie nahrhaft das ist, verraten
die gemütlichen Rundungen der beiden Seeleute. Gegen 12:30 Uhr stoppt die ATOLL
auf und dreht den Steven gegen den Strom. Das Anlegemanöver zum
Lotsenwechsel ist jetzt Aufgabe vom „Alten”. Klaus Koch ist zwar schon auf
dem Sprung an Land, kann sich aber ein Abschiedsflachsen nicht verkneifen:
„Kannst du das denn überhaupt?” Natürlich hat Jochen Harms kein
Rheinschifferpatent, dafür aber das Kapitänspatent auf mittlerer Fahrt. Für
den Lotsen muss seine Reederei für den hinter uns liegenden dreistündigen
Abschnitt 100 Euro plus Fahrtkosten hinblättern. Der neue Lotse klettert über die Reling und stellt
sich vor: „Hans Loose aus Neuwied von der ‚Rheinpiratenbrüderschaft‘”.
Dahinter steckt ein Nautiker mit See- und Rheinschifferpatent, der sogar als
Walfänger bis in antarktische Gewässer vorgestoßen ist. 14 bis 16 Stunden
rechnet der Speziallotse für Kümos auf Rheinfahrt für die Strecke bis
Duisburg, die er mit 250 Euro berechnet.
Mäuseturm in
Sicht Wir kommen auf das Phänomen Küstenmotorschiff auf Binnenfahrt und die enorm angestiegenen Schiffsgrößen zu sprechen, als ein Schubverband mit vier Backs vorbeirauscht: auf 280 Metern Länge werden 15.000 Tonnen Schüttgut transportiert. Looses dickstes Kümo auf dem Rhein ist das MS KARIN gewesen: 100 Meter lang, 16 Meter breit und mit 4,50 Meter Tiefgang; ein Seeschiff mit festen Brückenaufbauten (die von ATOLL ist absenkbar), 999 BRZ und 3.200 Ladetonnen. Bis nach Duisburg „schaffen” es sogar die 4.000 bis 5.000-Tonner des russischen Volgo-Balt-Typs. Selbstfahrer sind bis zu 110 Metern Länge zugelassen. Ob es denn theoretisch noch größer ginge? „Längen- und tiefgangsmäßig sicher nicht”, meint Loose, aber in die Breite könnte nach schon noch gehen; das heißt maximal bis 24 Meter, was dem Schleusenmaß von Iffezheim an der französischen Grenze entspricht”. Seit der Mainmündung
prägen Weinhänge die Ufer, werden steiler und rücken näher heran.
Hier beginnt der romantische Teil des „deutschen Schicksalstroms”. Lotse
Hans Loose sieht das berufsbedingt etwas anders: „Wenn man heil durch den
Rheingau gekommen ist, schafft man es auch
durchs ‚Gebirge‘”. Der Mäuseturm kommt nach Rüdersheim in Sicht und damit
das Binger Loch mit seiner immer noch
felsgespickten, schmalen Fahrrinne. Gleich zwei Mal hat Loose hier „weiche
Knie” bekommen, wie er freimütig gesteht: einmal an Bord der ATOLL-Schwester
LAGUNE, als plötzlich die Maschine
ausfiel. Die Reise endete in gefährlicher Schräglage auf einem
Unterwasserriff: Strandung im Rheinischen Mittelgebirge vor Aßmannshausen.
Folge waren ein Schiffsstau und Schimpftiraden der Binnen- auf die
Seeschiffer, was die denn hier überhaupt zu suchen hätten. Schweißtreibend Ausgerechnet an der gleichen Stelle hatte MS ATOLL
kurze Zeit später einen Rudermaschinenversager – auch unter Looses Kommando.
Durch ein Voll-zurück-Manöver in Kombination mit dem Bugstrahlruder konnte
er gerade noch eine Katastrophe verhindern, zumal ein Tanker dicht auf
folgte. Das Becker-Aktivruder, nur über einen zentimetergroßen Steuerknüppel
zu bedienen, hat sich hier bewährt. Kaum auszudenken, welche Folgen das auf
den meisten Binnenschiffen noch üblichen schweißtreibenden Steuerrad
verursacht hätte. Die Strömung ist an dieser Engstelle so stark, dass
manche Schiffer vorsichtshalber einen der 1.200-PS-Vorspannschlepper für 500
Euro ordern. Wir kommen ungeschoren durch, auch die (steinerne) Loreley kann uns nichts anhaben. Die
Positionslampen brennen, das Flussradar kreist; am Ufer querab der markanten Pfalz von Kaub überholt uns ein
Intercity in rasantem Tempo, rechtsseitig kommt ein Güterzug entgegen. Zwar
versucht‘s die Bahn mit Dumpingpreisen, ist aber auf unserer Strecke keine
Konkurrenz. Unser Kurs ist abgesetzt, die Decksladung Holz seefest gelascht,
die Luken über den 1.200 Tonnen Karlsruher Spanplatten dicht verschlossen.
Eine Flussnacht liegt vor uns und noch einmal Lotsenwechsel für die Distanz
Duisburg- Rotterdam. Hoffen wir, dass auch die Nordsee das unmerklich
wieder zum Seeschiff zurückverwandelte MS ATOLL
friedlich ziehen lässt, denn in drei Tagen soll der Anker vor Whitby in
England fallen. Mal sehen, wohin die nächste Reise geht: mit Weizen nach Belgien, mit Ölkoks nach Skandinavien oder mit Schrott nach Spanien? Vielleicht sogar wieder nach Karlsruhe. Der unsichere sommerliche Rhein-Pegel hat hierbei das letzte Wort.
Information Reisen auf Binnenfrachtern sind (noch) ein echter Geheimtipp für eine erlebnisreiche Kurz-Frachterreise ohne Seegang. http://frachtschiffreisen-pfeiffer.de · mail@frachtschiffreisen-pfeiffer.de · Telefon 02 02-45 23 79. |
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Köln bei Nacht, links der Dom (Hohe Domkirche St. Petrus) und rechts die Hohenzollernbrücke. Foto: GFDL Thomas Wolf www.foto-tw.de |
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Das Deutsche Eck in Koblenz an der Mündung der Mosel in den Rhein. 1897 wurde hier ein monumentales Reiterstandbild des Deutschen Kaisers Wilhelm I. errichtet. |
Die Festung Ehrenbreitstein ist eine seit dem 16. Jahrhundert bestehende Befestigungsanlage gegenüber dem Deutschen Eck am östlichen Rheinufer. |
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Die TUI ALLEGRA auf Talfahrt am Deutschen Eck in Koblenz. |
Der historische Dampfer GOETHE der Köln-Düsseldorfer passiert die ATOLL. |
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Die SWISS TIARA begegnet der ATOLL bei St. Goar unterhalb der Burg-Ruine Rheinfels. |
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Der Mäuseturm am Binger Loch. |
MS ATOLL vor Germersheim. |
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Die ATOLL am südlichsten Punkt dieser Fahrt auslaufend aus dem Rheinhafen Karlsruhe. |
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