Editorial 

 

Ausgabe 6-2013 

hr

Herbert Fricke 

Herbert Fricke · Ressortleiter HamburgMagazin

 

IN LUV UND LEE

HIGHTEC AUF SEE

 

In der internationalen Seeschifffahrt zeichnet sich eine technische Revolution ab, die in ihrer Bedeutung mit dem Wechsel vom Segelschiff zum Dampfer vergleichbar ist, oder mit der Entwicklung vom kohle-befeuerten Dampfschiff zum schweröl-betriebenen Motorschiff. Es geht um die Steuerung von Seeschiffen, um deren äußere und innere Form und um deren Umweltverträglichkeit. Seit rund zehn Jahren arbeiten Werften und Konstrukteure in aller Welt daran, den enormen Kraftstoff-Verbrauch der immer größeren Schiffe zu senken und gleichzeitig die Manövrierfähigkeit der Riesenpötte entscheidend zu verbessern. Anlass sind die Kosten / Nutzen-Rechnungen aller Reedereien. Und Anlass sind auch die für die gewaltigen Schiffe oft zu kleinen und beengten Häfen und Hafenbecken.

Seit altersher werden Schiffe über das Ruderblatt oder die Ruderblätter gesteuert. Das funktioniert auf Hoher See, wo ja sehr selten abrupte Kursänderungen vorgenommen werden müssen. Beim Manövrieren in den Häfen hat sich dieses uralte Steuerungssystem aber zunehmend als wenig praktikabel erwiesen. Trotz Bugstrahl-Ruder und trotz leistungsstarker Querstrahler muss häufig immer noch die Hilfe von Schleppern in Anspruch genommen werden, vor allem wenn es gilt, in enge Lücken an den Piers hinein zu bugsieren. So sind die Schiffbau-Ingenieure darauf gekommen, die alten Ruderanlagen in Frage zu stellen, und statt mit den Ruderblättern schneller und wirkungsvoller mit den Propellern selbst zu steuern.  Dazu wurde der sogenannte pod-Antrieb erfunden und in den letzten Jahren immer weiterentwickelt.

Pod ist englisch und bedeutet „Gondel. Die Schiffs-Schrauben, in der Seefahrt international „Propeller genannt, befinden sich jetzt in drehbaren Gondeln unter dem Kiel. Diese Gondeln können von der Brücke aus in jede beliebige Richtung gedreht werden und so selbst größte Schiffe metergenau manövrieren. Die Propeller werden nicht mehr, wie bisher, über lange schnell rotierende Wellen von den gewaltigen und ps-starken Schiffsmaschinen angetrieben, sondern elektrisch über völlig neu entwickelte Makro-Elektro-Aggregate. Der Treibstoff dient jetzt also dazu, die extrem leistungsstarken Generatoren im unteren Maschinendeck zu betreiben. Und nicht mehr, wie bisher, die riesigen Hauptmaschinen mit bis zu zwölf mächtigen Zylindern, und auch nicht mehr die Hilfsdiesel für die Stromversorgung in den Häfen. Diese Umstellung vom traditionellen Schiffsmotor auf den Elektro-Antrieb spart etwa ein

Viertel des Treibstoffs ein und verursacht erheblich weniger ruß- und schwefelhaltige Abgase.

Mit dieser technischen Revolution im Schiffbau ändert sich auch das Berufsbild des Schiffs-Ingenieurs. Und die Ausbildung an den Seefahrt-Schulen. Denn nicht nur die Ingenieure, auch die Nautiker müssen völlig umdenken und anders ausgebildet werden, als noch vor wenigen Jahren. Größter Entwickler des neuen Schiffs-Antriebs ist der Schweizer ABB-Konzern mit Sitz in Zürich. Hervorgegangen aus der einstigen Weltfirma Brown-Boveri, beschäftigt der Konzern heute 145.000 Mitarbeiter in aller Welt. Viele davon sind mit der grundlegenden Innovation in der Seeschiffahrt befasst. In vielen Monaten harter Entwicklungsarbeit müssen konstruktive Kinderkrankheiten überwunden und technische Verlässlichkeit erreicht werden. Das gilt nicht nur für die internationale Kreuzfahrt, sondern auch für die Handels-Schifffahrt. Denn auch die Container-Riesen sind ja immer größer geworden. Schiffe mit einer Länge von 400 Metern verlangen nach neuen technischen Lösungen.

Lotsen, Kapitäne und Reeder sind von dem neuartigen Schiffsantrieb und der enorm verbesserten Manövrierfähigkeit begeistert. Als eines der ersten großen pod-angetriebenen Schiffe wird die neue AIDAprima über die Meere gleiten. Das Wort „gleiten ist absichtlich gewählt, denn der neue Antrieb erzeugt unter dem Schiffsrumpf zusätzlich einen Blasenteppich, der den Reibungswiderstand mindert und so ebenfalls zu einer Reduktion des Brennstoff-Verbrauchs führt.

Und dann Teil 2 der technischen Revolution: das Aussehen der zukünftigen Schiffe!  Es wird sich ändern, weil es gerade in der Kreuzfahrt nicht mehr darauf ankommt, möglichst hohe Geschwindigkeiten zu erreichen. Die Anlaufhäfen liegen dichter zusammen, als bei früheren globalen Routenplanungen. Messungen in den Schiffbau-Versuchsanstalten haben ergeben, dass der senkrechte Bug, wie wir ihn beispielsweise von der TITANIC und der legendären KAP ARKONA der Hamburg-Süd her kennen, bei niedrigeren Geschwindigkeiten das Meer viel effektiver und kostensparender teilt, als der ausladende geschwungene Vordersteven der neueren Schiffs-Generationen. Man wird sich daran gewöhnen, dass künftige Kreuzfahrtschiffe wieder so aussehen wie vor 60 und 70 Jahren. Bei der Marine hat man ja schon immer auf die formale Eleganz und auf den Wulstbug unter Wasser verzichtet.

Auch das Innenleben moderner Kreuzfahrtschiffe wird sich absehbar ändern, und zwar zugunsten der Passagiere. Denn immer mehr Werften waren dazu übergegangen, die Gänge und die Kabinen immer niedriger zu konstruieren.  Natürlich, um die Kapazität der Schiffe zu erhöhen. So können ein, zwei Decks mehr übereinander gebaut werden. Diese Bauart erhöht also das Volumen an nutzbarem Schiffsraum, sorgt aber auch für weniger Wohlbefinden der Passagiere. Groß gewachsene Menschen gehen auf manchem der neuen Riesenschiffe wie automatisch leicht gebückt durch die langen Gänge, weil sie befürchten, an die Decke zu stoßen. Das ist zwar nicht der Fall, aber die niedrigere Deckenhöhe gibt ihnen ein bedrückendes Gefühl. Schon jetzt erkennen etliche Reedereien, dass die schiere Größe die Kreuzfahrtschiffe nicht attraktiver macht. Sondern vielfach das Gegenteil bewirkt. Also ist man dabei, umzudenken.

Den dritten Teil der technischen Revolution bilden die neuen Filtersysteme, über die wir ja schon in der letzten Ausgabe des Seereisenmagazins ausführlich berichtet haben. Durch diese kostspieligen, aber effektiven Filtersysteme ist es möglich geworden, die Ruß- und Abgaswerte der großen Kreuzfahrtschiffe entscheidend zu vermindern. Außerdem gehen immer mehr Reedereien dazu über, in den Häfen den Landstrom zu nutzen und während dieser Zeit alle Hilfsaggregate abzuschalten. Zum maritimen Umweltschutz zählt natürlich auch die immer häufigere Verwendung von Flüssiggas in der Schifffahrt. LNG bedeutet soviel wie „Natural Liquid Gas. Es wird mit Gastankern aus Nordafrika und aus dem Arabischen Golf nach Nordeuropa transportiert und soll auf immer mehr Schiffen das umweltbelastende Schweröl ablösen. Wir haben im SeereisenMagazin ausführlich darüber berichtet, wie immer mehr Häfen dabei sind, LNG-Tankstellen für Kreuzfahrtschiffe und Handelsschiffe einzurichten. Das Ganze ist bisher mehr ein Problem der Infrastruktur als der Technik.

Alles in allem lässt sich also sagen, dass die internationale Kreuzfahrt am Beginn einer neuen Ära steht. Jetzt wird es darum gehen, die Akzeptanz der (zu?) groß gewordenen Schiffe in den reizvollsten Häfen zu erhalten, dem Gigantismus ein Ende zu setzen, die Anlaufhäfen nicht mit unkontrollierbaren Menschenmengen zu überschwemmen, dem gesamten maritimen Tourismus-Segment neue Attraktion zu verleihen und diese immer noch schönste Art des Reisens weiter populär und anziehend zu erhalten. Dies wird nicht leicht sein, zumal durch politische und militärische Ereignisse manches traditionelle Fahrtgebiet eingeschränkt werden könnte. Hamburg als Tor zum Norden ist zwar Nutznießer dieser Entwicklung, aber noch schöner wäre eine weltweit uneingeschränkte Kreuzfahrt mit den wunderbaren neuen Schiffen.

Herzlich, Ihr Herbert Fricke

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