Herbert Fricke · Ressortleiter HamburgMagazin
IN LUV UND LEE
HIGHTEC AUF SEE
In der internationalen Seeschifffahrt zeichnet sich
eine technische Revolution ab, die in ihrer Bedeutung mit dem Wechsel vom
Segelschiff zum Dampfer vergleichbar ist, oder mit der Entwicklung vom
kohle-befeuerten Dampfschiff zum schweröl-betriebenen Motorschiff. Es geht
um die Steuerung von Seeschiffen, um deren äußere und innere Form und um
deren Umweltverträglichkeit. Seit rund zehn Jahren arbeiten Werften und
Konstrukteure in aller Welt daran, den enormen Kraftstoff-Verbrauch der
immer größeren Schiffe zu senken und gleichzeitig die Manövrierfähigkeit der
Riesenpötte entscheidend zu verbessern. Anlass sind die Kosten
/ Nutzen-Rechnungen aller Reedereien. Und Anlass sind auch die für die
gewaltigen Schiffe oft zu kleinen und beengten Häfen und Hafenbecken.
Seit altersher werden Schiffe über das Ruderblatt
oder die Ruderblätter gesteuert. Das funktioniert auf Hoher See, wo ja sehr
selten abrupte Kursänderungen vorgenommen werden müssen. Beim Manövrieren in
den Häfen hat sich dieses uralte Steuerungssystem aber zunehmend als wenig
praktikabel erwiesen. Trotz Bugstrahl-Ruder und trotz leistungsstarker
Querstrahler muss häufig immer noch die Hilfe von Schleppern in Anspruch
genommen werden, vor allem wenn es gilt, in enge Lücken an den Piers hinein
zu bugsieren. So sind die Schiffbau-Ingenieure darauf gekommen, die alten
Ruderanlagen in Frage zu stellen, und statt mit den Ruderblättern schneller
und wirkungsvoller mit den Propellern selbst zu steuern.
Dazu wurde der sogenannte pod-Antrieb erfunden und in den letzten Jahren
immer weiterentwickelt.
Pod ist englisch und bedeutet „Gondel”.
Die Schiffs-Schrauben, in der Seefahrt international „Propeller”
genannt, befinden sich jetzt in drehbaren Gondeln unter dem Kiel. Diese
Gondeln können von der Brücke aus in jede beliebige Richtung gedreht werden
und so selbst größte Schiffe metergenau manövrieren. Die Propeller werden
nicht mehr, wie bisher, über lange schnell rotierende Wellen von den
gewaltigen und ps-starken Schiffsmaschinen angetrieben, sondern elektrisch
über völlig neu entwickelte Makro-Elektro-Aggregate. Der Treibstoff dient
jetzt also dazu, die extrem leistungsstarken Generatoren im unteren
Maschinendeck zu betreiben. Und nicht mehr, wie bisher, die riesigen
Hauptmaschinen mit bis zu zwölf mächtigen Zylindern, und auch nicht mehr die
Hilfsdiesel für die Stromversorgung in den Häfen. Diese Umstellung vom
traditionellen Schiffsmotor auf den Elektro-Antrieb spart etwa ein
|
|
Viertel des Treibstoffs ein und verursacht
erheblich weniger ruß- und schwefelhaltige Abgase.
Mit dieser technischen Revolution im Schiffbau
ändert sich auch das Berufsbild des Schiffs-Ingenieurs. Und die Ausbildung
an den Seefahrt-Schulen. Denn nicht nur die Ingenieure, auch die Nautiker
müssen völlig umdenken und anders ausgebildet werden, als noch vor wenigen
Jahren. Größter Entwickler des neuen Schiffs-Antriebs ist der Schweizer
ABB-Konzern mit Sitz in Zürich. Hervorgegangen aus der einstigen Weltfirma
Brown-Boveri, beschäftigt der Konzern heute 145.000 Mitarbeiter
in aller Welt. Viele davon sind mit der grundlegenden
Innovation in der Seeschiffahrt befasst. In vielen Monaten harter
Entwicklungsarbeit müssen konstruktive Kinderkrankheiten
überwunden und technische Verlässlichkeit erreicht werden. Das gilt nicht
nur für die internationale Kreuzfahrt, sondern auch für die
Handels-Schifffahrt. Denn auch die Container-Riesen sind ja immer größer
geworden. Schiffe mit einer Länge von 400 Metern verlangen nach neuen
technischen Lösungen.
Lotsen, Kapitäne und Reeder sind von dem neuartigen
Schiffsantrieb und der enorm verbesserten Manövrierfähigkeit begeistert. Als
eines der ersten großen pod-angetriebenen Schiffe wird die neue AIDAprima
über die Meere gleiten. Das Wort „gleiten”
ist absichtlich gewählt, denn der neue Antrieb erzeugt unter dem
Schiffsrumpf zusätzlich einen Blasenteppich, der den Reibungswiderstand
mindert und so ebenfalls zu einer Reduktion des Brennstoff-Verbrauchs führt.
Und dann Teil 2 der technischen Revolution: das
Aussehen der zukünftigen Schiffe! Es wird sich ändern,
weil es gerade in der Kreuzfahrt nicht mehr darauf ankommt, möglichst hohe
Geschwindigkeiten zu erreichen. Die Anlaufhäfen liegen dichter zusammen, als
bei früheren globalen Routenplanungen. Messungen in den
Schiffbau-Versuchsanstalten haben ergeben, dass der senkrechte Bug, wie wir
ihn beispielsweise von der TITANIC und
der legendären KAP ARKONA
der Hamburg-Süd her kennen, bei niedrigeren Geschwindigkeiten das Meer viel
effektiver und kostensparender teilt, als der ausladende geschwungene
Vordersteven der neueren Schiffs-Generationen. Man wird sich daran gewöhnen,
dass künftige Kreuzfahrtschiffe wieder so aussehen wie vor 60 und 70 Jahren.
Bei der Marine hat man ja schon immer auf die formale Eleganz und auf den
Wulstbug unter Wasser verzichtet.
Auch das Innenleben moderner Kreuzfahrtschiffe wird
sich absehbar ändern, und zwar zugunsten der Passagiere. Denn immer mehr
Werften waren dazu übergegangen, die Gänge und die Kabinen immer niedriger
zu konstruieren. Natürlich, um die Kapazität der Schiffe
zu erhöhen. So können ein, zwei Decks mehr übereinander gebaut werden. Diese
Bauart erhöht also das Volumen an nutzbarem Schiffsraum, sorgt aber auch für
weniger Wohlbefinden der Passagiere. Groß gewachsene Menschen gehen auf
manchem der neuen Riesenschiffe wie automatisch leicht gebückt durch die
langen Gänge, weil sie befürchten, an die Decke zu stoßen. Das ist zwar
nicht der Fall, aber die niedrigere Deckenhöhe gibt ihnen ein bedrückendes
Gefühl. Schon jetzt erkennen etliche Reedereien, dass die schiere Größe die
Kreuzfahrtschiffe nicht attraktiver macht. Sondern vielfach das Gegenteil
bewirkt. Also ist man dabei, umzudenken.
Den dritten Teil der technischen Revolution bilden
die neuen Filtersysteme, über die wir ja schon in der letzten Ausgabe des
Seereisenmagazins ausführlich berichtet haben. Durch diese kostspieligen,
aber effektiven Filtersysteme ist es möglich geworden, die Ruß- und
Abgaswerte der großen Kreuzfahrtschiffe entscheidend zu vermindern. Außerdem
gehen immer mehr Reedereien dazu über, in den Häfen den Landstrom zu nutzen
und während dieser Zeit alle Hilfsaggregate abzuschalten. Zum maritimen
Umweltschutz zählt natürlich auch die immer häufigere Verwendung von
Flüssiggas in der Schifffahrt. LNG bedeutet soviel wie „Natural Liquid Gas”.
Es wird mit Gastankern aus Nordafrika und aus dem Arabischen Golf
nach Nordeuropa transportiert und soll auf immer mehr Schiffen das
umweltbelastende Schweröl ablösen. Wir haben im SeereisenMagazin ausführlich
darüber berichtet, wie immer mehr Häfen dabei sind, LNG-Tankstellen für
Kreuzfahrtschiffe und Handelsschiffe einzurichten. Das Ganze ist bisher mehr
ein Problem der Infrastruktur als der Technik.
Alles in allem lässt sich also sagen, dass die
internationale Kreuzfahrt am Beginn einer neuen Ära steht. Jetzt wird es
darum gehen, die Akzeptanz der (zu?) groß gewordenen Schiffe in den
reizvollsten Häfen zu erhalten, dem Gigantismus ein Ende zu setzen, die
Anlaufhäfen nicht mit unkontrollierbaren Menschenmengen zu überschwemmen,
dem gesamten maritimen Tourismus-Segment neue Attraktion zu verleihen und
diese immer noch schönste Art des Reisens weiter populär und anziehend zu
erhalten. Dies wird nicht leicht sein, zumal durch politische
und militärische Ereignisse manches traditionelle Fahrtgebiet eingeschränkt
werden könnte. Hamburg als Tor zum Norden ist zwar Nutznießer
dieser Entwicklung, aber noch schöner wäre eine weltweit uneingeschränkte
Kreuzfahrt mit den wunderbaren neuen Schiffen.
Herzlich, Ihr Herbert Fricke
|