Segelreise 

 

Ausgabe 2-2014 

hr

Die GREIF unter vollen Segeln auf der Ostsee.Die GREIF unter vollen Segeln auf der Ostsee.

 

Dr. Peer Schmidt-Walther

GREIF − Luftholen und Segel setzen

Großsegler-Atmosphäre zwischen Greifswald, Usedom und Rügen

„Was, da sollen wir rauf?” Ungläubig und auch etwas ängstlich legt Stephanie ihren Kopf ins Genick, um die beiden fast 30 Meter hohen Masten zu bestaunen. Sie sind eine Herausforderung für die frisch zusammen gewürfelte Crew, die sich neugierig auf das eintägige Ostsee-Segelabenteuer eingelassen hat. Und sie wollen es alle wissen. Doch vor der Praxis kommt die (gar nicht) graue Theorie: Was sie hier vom Ersten Steuermann Roland hören, können sie „nicht nur sehen, sondern auch gleich einsehen, vieles auch anfassen beim Anpacken”.

 

Praxisnahes Flaggschiff

Wie ein Feuerwerk prasseln neue Begriffe auf sie ein, doch die Einweisung in Schiff und Bordgepflogenheiten muss sein. Sie, das sind zum einen die Betriebsangehörigen der Agrargenossenschaft Groß Kiesow: „Das ist”, sagt jemand, „wie das Luftholen vor der großen Ernte”. Ihr Jahresausflug von der vorpommerschen Scholle auf die schwankenden Planken der Schonerbrigg GREIF. Das Flaggschiff von Mecklenburg-Vorpommern ist aber auch Lernort: für Studentinnen der Fachhochschule Stralsund. Zu ihrem Touristik-Studium gehört das besonders praxisorientierte Fach Maritimer Tourismus, das der Autor unterrichtet. „Wir wollen nicht nur Wissen anhäufen”, sagt Stephanie, „sondern auch fühlen, wie Wind und Wetter direkt auf ein Schiff wirken”. Zu solcherart Studien eignet sich die GREIF ganz besonders.

 

Klar vorn und achtern!

Tief hängende Wolken jagen an diesem Juni-Tag unsommerlich über den Bodden. „Genau richtig für uns”, findet aber Kapitän Wolfgang Fusch, als er seine Tagesgäste an der Gangway persönlich empfängt. Seine Crew freiwilliger Helfer, die während ihres Urlaubs – aus Begeisterung für „unser Schiff” – von überall her angereist sind, warten auf der Back. Erster Offizier Aloys weist sie in ihre Aufgaben als Ausguck, Festmacher, Rudergänger und Segler ein.  

Kapitän Wolfgang Fusch, ein blonder thüringischer Bilderbuch-Seemann a la Hans Albers, gibt schließlich über Bordlautsprecher das Kommando: „Klar vorn und achtern zum Auslaufen!” Langsam tastet sich der 41 Meter lange Segler vom Heimathafen Greifswald-Wieck durch die schmale Fahrrinne nach Osten. Die roten und grünen Tonnen wirken wie eine Slalomstrecke. Der Rudergänger auf der Brücke muss aufpassen, zumal vom nahen Hafen Greifswald-Ladebow gerade der Frachter NORDHOLM ausläuft.

 

Auf Fußpferden wippen

Als endlich die Masten zum Entern freigegeben werden, sind die „Seefahrtsschüler” nicht mehr zu bremsen. Mit umgelegtem Sicherheitsgurt und wackligen Knien tasten sie sich nach oben vor, freiwillig natürlich. Bootsmann Michael – an Bord sind alle per Du – unterstützt von Deck aus stimmgewaltig den Aufwärtstrend. „Ist das super hier oben”, tönt es bald mehrstimmig von Stephanie, Melina und Cindy aus dem „Gehölz”, wie die Takelage auch heißt. Nur auf den fingerdicken Drähten der Rah-Fußpferde wippend, genießen die mutigen Studentinnen das neue Hochgefühl. Unter ihnen das schlanke weiße Schiff und in der Ferne die Türme der altehrwürdigen Hansestadt. Rügens Küsten grüßen von jenseits des Boddens als grauer Streifen herüber. Erste Regentropfen streichen über das Flaggschiff. Smutje Axels mit selbst ausgelassenem Gewürzschmalz belegte Brote trösten darüber samt Unmengen von Kaffee und Tee hinweg.   

 

Wende mit Brassen

Alle legen sich ins Zeug. Mancher Griff nach einem Tampen zum Segelsetzen geht im Eifer des ersten Manövers daneben, doch hilfreiche Ausbilderhände sind schnell zur Stelle. Wind und Segel bekommen ihre Chance. Durch die von Schaumköpfen aufgeraute See – Ost-Rügen an Backbord, Usedom an Steuerbord – rauscht der Segler bei steifem Nordwest-Wind mit Schräglage in den Greifswalder Bodden. Fast bis vors lehmgelbe Südperd-Kliff, dem Südostkap von Rügen. Bootsmann Michas Stimme ruft zum Segelmanöver: „Klar zur Wende!” Die Brassleinen werden auf der einen Seite durchgeholt, auf der anderen lose gelassen. Vorschriftsmäßig meldet der Ausguck von der Back, was er voraus durch den Regenschauer sieht: „Steuerbord 20 Grad, Fahrzeug unter Segeln!” „Wer hier nur Vorfahrt hat?”, fragt ein Landwirt, der solche Probleme mit seinem Trecker auf weiter Ackerflur nicht kennt.

  

Lob von den Profis

Ein Crew-Mitglied schlägt mit der Schiffsglocke am Fockmast acht Glasen: 12 Uhr –

und Mittag! Frotzelt über die Wechselsprechanlage Erster Steuermann Aloys prompt: „Brücke an Back: Das klingt ja noch wie ’ne Kuhglocke”. Aus Smutje Axels Mini-Kombüse duftet es schon eine Weile appetitsteigernd. Sein Chili con Carne geht weg wie warme Semmeln. In der Messe und an Deck unter Regenschutz-Persenningen löffeln sie die kräftigende Suppe und erzählen sich die Rah- und Deckserlebnisse vom Vormittag. Aus ihren Worten klingt Stolz, haben die Profis sie doch gelobt: „Das läuft ja schon ganz ordentlich mit euch!” Das Bootsmanns-Training hat schnell gefruchtet, weil alle hoch motiviert sind. Was sich auch beim anschließenden Souvenirkauf niederschlägt: Manch eine(r) streift sich ein GREIF-Shirt über oder setzt sich ein Basecap mit Schiffsmotiv auf. Nach dem Motto: „Wir gehören jetzt dazu!”

 

Maritimes Leben animiert

Auf der mit modernen nautischen Geräten ausstaffierten Brücke steht ein GREIF-„Frischling“ am hölzernen Ruder. Er überzieht die graue See mit seinem privaten, schaumigen Steuer-„Strickmuster“. Der Mann strahlt beim Blick nach achtern auf seine Zickzack-Spur im Kielwasser. Kapitän Wolfgang nimmt’s mit Humor: „Bis zurück nach Greifswald haben wir noch genügend Zeit, da können wir uns diesen Tanz ruhig leisten”.  

Auch das Rostocker Fischereiforschungsschiff CLUPEA weicht vom Kurs ab und zieht einen Foto-Kreis um die GREIF. Zweifellos ist der stolze Segler ein herrlicher Anblick. Die GREIF-Fotoamateure würden jetzt gern für Sekunden mit den Fischern tauschen.

Der Schnuppertörn geht am Nachmittag zu Ende. Viele wollen im nächsten Jahr unbedingt wiederkommen: wegen der „urigen Segelei” und dem „starken Gruppengefühl”. 

Die Fachhochschul-„Mädels” könnten sich sogar vorstellen, auf der GREIF als Hand-für Koje-Trainees anzumustern. „Vielleicht ergibt sich daraus ja auch ein Hausarbeitsthema”, meinen Cindy und Melina, „zum Beispiel ‚Synergieeffekte bei der optimalen Vermarktung eines Großseglers aus der Region’”. Das maritime Leben auf der GREIF hat sie – nicht nur akademisch – dazu animiert.

 

Das Schiff

Schonerbrigg bzw. Brigantine GREIF (Rufzeichen: DQFD) aus Stahl, 570 Quadratmeter Segelfläche, verteilt auf 15 Segel, 41 Meter lang, 7,60 Meter breit, 3,60 Meter Tiefgang (maximal), Höhe Großmast 27,20 Meter; 173 BRZ, Verdrängung 280 t, höchste Klasse des Germanischen Lloyd (100 A 5 Segelschiff), Fahrerlaubnisschein der Seeberufsgenossenschaft (SBG) als Segelschulschiff-Ausbildungsschiff (BG-Verkehr SPS-Spezialschiff), modernste Sicherheits- und Kommunikationseinrichtungen. Indienststellung 1951 als WILHELM PIECK (damaliger DDR-Präsident) für FDJ und Gesellschaft für Sport und Technik (GST), ursprünglich als Staatsyacht vorgesehen, 1991 Umbau und Modernisierung auf der Wismarer Bauwerft; Stammbesatzung und Hand-für Koje: 15 Personen, Mitsegler 30 Personen, Reeder ist jetzt die Hansestadt Greifswald. 

 

Mitsegel-Möglichkeiten

Für alle Interessenten ab 16 Jahren (30 Plätze sind vorhanden) mit der Bereitschaft, sich – je nach seinen Kräften – an den Arbeiten zu beteiligen (das Schiff ist kein Hotelschiff). Für Gruppen (Schulen, Vereine, Betriebe) eignet sich das Schiff besonders, um soziales Verhalten und Seemannschaft zu trainieren. Erwachsene können genauso einsteigen, wenn sie sich einordnen können. Segelrevier ist die Ostsee mit Häfen in Deutschland, Dänemark, Schweden, Polen, den Baltischen Republiken und Russland. Bis 2011 legte sie etwa 130.000 Seemeilen zurück und hatte 40.000 Mitsegler an Bord.

 

Unterbringung

Im Gemeinschaftslogis oder (gegen Aufschlag) in Zweimann-Kammern. Moderne Sanitäreinrichtungen (auch Duschen) sind vorhanden.

 

Kontakt

Internet: www.sssgreif.de · E-mail: GREIF-STZ@t-online.de · Telefon 03834-841424 (hier erhält man den Schiffsprospekt, die Törnpläne, auch für eine Reihe von Tagesfahrten, sowie die Preise. Telefon an Bord der GREIF 0171 639 31 49.

 

Die GREIF unter Vollzeug im Greifswalder Bodden.Die GREIF unter Vollzeug im Greifswalder Bodden.

Kapitän Wolfgang Fusch bei seiner Begrüßungsansprache von der Gangway aus.

Kapitän Wolfgang Fusch bei seiner Begrüßungsansprache von der Gangway aus.

Das Großstagsegel wird mit vereinten Kräften gesetzt

Das Großstagsegel wird mit vereinten Kräften gesetzt.

Während Zweiter Steuermann Roland Hunscha den Gebrauch der Rettungsweste demonstriert ...

Während Zweiter Steuermann Roland Hunscha den Gebrauch der Rettungsweste demonstriert ...

 

 werden von der Stamm-Besatzung Leinen aufgerollt.

... werden von der Stamm-Besatzung Leinen aufgerollt.

Stephanie braucht Hilfe beim ersten Anlegen des Sicherheitsgurtes ...

Stephanie braucht Hilfe beim ersten Anlegen des Sicherheitsgurtes ...

und lässt sich danach einige mit Gewürzschmalz belegte Brote schmecken, die Smutje Axel für die Trainees angerichtet hat, bevor es ...

... und lässt sich danach einige mit Gewürzschmalz belegte Brote schmecken, die Smutje Axel für die Trainees angerichtet hat, bevor es ...

 über die Wanten in die Höhe geht. Stephanie ist ganz locker

... über die Wanten in die Höhe geht. Stephanie ist ganz locker ...

 

und höher gehts, alle Trainees wollen nach oben.

... und höher gehts, alle Trainees wollen nach oben.

Melina klettert auf die erste Saling.Melina klettert auf die erste Saling.

 

Blick von Deck in den Fockmast mit Rigg-Kletterern.Blick von Deck in den Fockmast mit Rigg-Kletterern.

Kapitän Fusch im Gespräch mit Landwirten zur See.

Kapitän Fusch im Gespräch mit Landwirten zur See.

Landwirte beim Bier-Call nach dem Manöver.

Landwirte beim Bier-Call nach dem Manöver.

Smutje Axel in seiner Kombüse. Was er zubereitet oder kocht, ...Smutje Axel in seiner Kombüse. Was er zubereitet oder kocht, ...

z.B. sein Chili con Carne, schmeckt ganz offensichtlich den Trainees.

... z.B. sein Chili con Carne, schmeckt ganz offensichtlich den Trainees.

Autor Dr. Peer Schmidt-Walther aus Stralsund im Kabelgatt der GREIF Autor Dr. Peer Schmidt-Walther aus Stralsund im Kabelgatt der GREIF ...

... und anlässlich der Kieler Woche 1990 – PSW in der Mitte – auf der GREIF. ... und anlässlich der Kieler Woche 1990 – PSW in der Mitte – auf der GREIF.

Die Schlafmöglichkeiten: Im-Logis-mit-den-Gemeinschaftskojen ...Die Schlafmöglichkeiten: Im-Logis-mit-den-Gemeinschaftskojen ...

 oder in einer Zweibett-Kabine

... oder in einer Zweibett-Kabine.

Cindy, Stephanie und Melina posieren zum Abschied vor dem Heck der GREIF.
Cindy, Stephanie und Melina posieren zum Abschied vor dem Heck der GREIF.
hr
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