Grönland um etwa 1000 n. Chr.: Leif Erikson, der
Sohn von Erik dem Roten, eine der schillerndsten Persönlichkeiten unter den
nordischen Siedlern Grönlands, kehrte nach einjähriger Abwesenheit mit
seinem Drachenboot nach Südgrönland zurück und erzählte, er habe ein Land
gefunden, „in dem der Tau wie Honigwasser schmeckt, das Vieh im Winter im
Freien nächtigen kann und unübersehbare Wälder Holz in Hülle und Fülle
liefern”. Er habe es „Vinland” genannt, weil es dort auch Weinstöcke und
Reben gebe. Soweit die „Grönlandsaga”, eine um 1200 entstandene
Familienchronik über das rund 500 Jahre vor Kolumbus erfolgte erstmalige
Betreten amerikanischen Bodens durch die Wikinger – die sich allerdings
dieser Sternstunde der Geschichte der Menschheit nicht bewusst waren. Leif
Erikson soll aber nicht der Erste Europäer in Amerika gewesen sein – diese
Ehre soll derselben Saga zufolge einem gewissen Björn Herjolfson gebühren.
Ab Ende des 8. nachchristlichen Jahrhunderts waren
die Wikinger aus ihrer skandinavischen Heimat in zwei Richtungen in die
damalige Welt aufgebrochen: jene aus Schweden über die Ostsee, durch das
heutige Polen und Russland, dann die nach Süden laufenden Flüsse
stromabwärts in das Schwarze Meer und bis vor Konstantinopel – es waren
teils Plünderungszüge, teils Handelsfahrten, es kam aber auch, wie der Fall
des Wikingers Rurik zeigt, zu Staatsgründungen. Er begründete die bis 1589
herrschende Dynastie der Rurikiden in Russland.
Die Wikinger aus Norwegen wandten sich zunächst mit
Plünderungszügen in den Norden und Westen des Atlantik und den
westeuropäischen Küsten zu, drangen über viele Flüsse landeinwärts vor,
siedelten sich dann der Reihe nach auf den Orkney- und Shetland-Inseln, den
Färöer-Inseln, in Britannien und Irland, sowie an der nordfranzösischen
Küste (Normannenland – Normandie) an. Von letzterem Gebiet aus erfolgte eine
neue Invasion in England (1066), sowie in das Mittelmeer, wo sie in
Unteritalien und Sizilien hochentwickelte Staaten gründen sollten.
Ein OSEBERG-Wikingerschiff im
Wikingerschiff-Museum in Oslo.
Foto: Hofi0006, GNU-Lizens für freie Dokumentation
Vordringen nach Island in den sogenannten Sagas aufgezeichnet
Die Wikinger kannten zwei Typen von Schiffen:
Handelschiffe (Knerrir, Ez. Knörr), sowie Kriegsschiffe. Erstere waren
breiter und tiefer als die Kriegsschiffe (ausgegrabene Exemplare, z.B. das
berühmte OSEBERG-Schiff
waren zwischen 16 und 22 Meter lang und 24 bis 28 t schwer, doch
dürften die über den Atlantik segelnden Schiffe noch größer gewesen sein.
Bei den Handelsschiffen lag die Betonung mehr auf Fahrten unter Segel, sie
hatten weniger Ruder, um in Häfen manövriert werden zu können. Umso mehr
Ruder gab es bei Kriegsschiffen, um überall, auch bei Fahrten auf Flüssen in
das Landesinnere, landen zu können. Die Segel hatten hier geringere
Bedeutung. Die Durchschnittsgeschwindigkeit der Kerrir lag bei 4 bis 6
Knoten, sie konnten also pro Tag bei günstiger Wetterlage 180 bis 260
Kilometer zurücklegen. Bei besonders günstigem Wetter waren
Spitzengeschwindigkeiten von 13 Knoten möglich.
Ab 874 erlebte Island eine Einwanderungswelle aus
Norwegen, zunächst an der Süd- und Westküste, später auch in seinem
nördlichen Teil. Gegen 900 n. Chr. sollen bereits etwa 30.000 „Nordmänner”
in Island gelebt haben. Um 930 erfolgte mit dem ersten Zusammentreten des
Althing, einer Art Parlament, die Staatswerdung dieser Atlantikinsel –
seitdem gilt Island als älteste Republik Europas. All dies geht aus dem
berühmten „Landnamabok” (Landnahmebuch) und den isländischen Sagas hervor
(Berichte, Erzählungen, Chroniken, nicht Sagen wie wir sie verstehen). Die
etwa um 1050 bis 1100 als mündliche Erzähltradition entstandenen Sagas sind
erst um etwa 1300 niedergeschrieben worden. Sie sind in altnordischer
Sprache verfasst, die dem heutigen Isländisch so ähnlich ist, dass die
Isländer die Sagas ohne Schwierigkeiten lesen können. Alle Sagas haben einen
historischen Kern, sie sind aber immer mit etwas Vorsicht zu genießen, weil
bei ihnen oft Dichtung und Wahrheit gemischt sind.
Geschichte Eriks des Roten und seiner Familie in der Grönländersaga
Die Sagas, insbesondere die Graenlendigasaga
(Grönländersaga) oder Erikssaga berichten auch über die Besiedelung
Grönlands durch die Wikinger. Danach kam ein gewisser Erik Thorvaldson,
genannt „Rauda” (der Rote) als junger Mann mit seinem Vater Thorvald, der
wegen einiger Morde für „vogelfrei” oder „friedlos” erklärt wurde und
deshalb Norwegen verlassen musste, nach Island, wo sie sich im Nordwesten
der Insel niederließen. Erik
heiratete Thorshilda Jörundardottir, deren Vater ihnen ein Bauerngut am Rand
seiner Besitztümer vermachte. Ähnlich wie sein Vater wurde auch Erik in
Fehden verwickelt, es hieß, er habe einige Männer aus Rache für den Mord an
einigen seiner Sklaven getötet. So wurde er auch „friedlos” und für drei
Jahre aus Island verbannt.
Als erster Europäer wandte er sich nach einem von
einem gewissen Gumbjörn um 900 gesichteten, von Treibeis umgebenen Land mit
schneebedeckten Bergen westlich von Island, von dem man in Island einiges
wusste. Erik beschloss, sich dorthin zu wenden und nahm der Saga zufolge mit
einigen Begleitern 982 oder 983 Kurs in Richtung Westen. Die Männer
erreichten die Küste des geheimnisvollen Landes, die aber zunächst keine
Landung erlaubte. So ließen sie sich zusammen mit Eismassen offensichtlich
unter Ausnützung einer an der Ostküste Grönlands laufenden Meeresströmung
(sie ist heute als Ostgrönland-Strom bekannt) in südlicher Richtung treiben.
Um die Südspitze (dem heutigen Kap Farvel) herum gelangten sie zu einer
Gegend, von der sich zahlreiche Fjorde in das Inland zogen, wo es grüne
Täler und Wiesen, klimatisch bevorzugte Plätze und fischreiche Bäche und
Gewässer gab. Die Küstengewässer waren dort von Robben und Walen bewohnt.
Erik nannte das Land Grön- (Grün-)Land und war entschlossen, sobald er
wieder nach Island zurückkehren könne, potentielle Siedler zu überreden, mit
ihm nach Grönland zu fahren und sich in dem von ihm gesichteten Fjordgebiet
dauernd niederzulassen.
Der Aufbruch aus Island erfolgte 985 der Saga
zufolge mit 35 Schiffen, jedes von ihnen mit 20 Männern und Frauen an Bord,
sowie Vieh, Hausrat und Fangnetzen. Nur 14 Schiffe sollen die Küste
Ostgrönlands erreicht haben, die anderen waren
entweder umgekehrt oder untergegangen. Man darf nicht vergessen, dass sie
eine Strecke von über 1000 Kilometer über offenes Meer zurücklegen mussten –
durch die oft von schweren Stürmen heimgesuchte heutige Dänemark-Straße. Für
die Navigation standen nur Erfahrungen und keine Instrumente zur Verfügung.
Man orientierte sich damals nach der Sonne und bei Nacht nach Sternen, nach
auffälligen Felsen und kleinen Felsinseln, den Schären. Auch Seevögel und
die Meeresströmungen wurden damals zur Bestimmung von Position und Kurs
herangezogen.
Erik hatte jedem Mann einen eigenen Fjord
versprochen, er selbst hatte schon bei seinem ersten erzwungenen Aufenthalt
in Grönland seinen Platz ausgesucht – zu innerst des nach ihm benannten
Fjordes (der später Skovfjorden hieß und heute in der Inuktitut-Sprache der
Eingeborenen den Namen Tunulliarfik trägt. Dort gründete er sein Großgehöft
Brattahlid („Steiler Hang”) – allerdings standen seine Häuser, wie die
freigelegten Fundamentreste zeigen, vor einem Steilhang auf relativ ebenen
Gelände in Ufernähe des Fjordes. Erik verteilte die Siedler in zwei
Regionen: Vesterbygden in der Gegend der heutigen grönländischen Hauptstat
Nuuk (Gothab) und Österbygden (die Region seines Gehöfts bis weiter
südöstlich gegen Qaqortog (Julianehab, zu deren Häuptling er sich erhob).
Günstigere
klimatische Verhältnisse in Grönland vor 1000 Jahren
Die Nordmänner hatten in der Gründungszeit Glück mit
dem Klima, das damals ungefähr jenem von Norwegen entsprach – lange
Schönwetterperioden im Sommer mit vorherrschenden Ostwinden und eher milde
Winter. Man konnte also damals so leben, wie man es von seiner ehemaligen
Heimat her gewohnt war. Jeden Sommer trafen Schiffe aus Norwegen ein,
beladen mit den notwendigsten Gütern wie Getreide, Holz, Geräte, Werkzeuge
und Waffen aus Metall. Als Gegenleistung lieferten die Nordmänner ihre
Produkte – Felle und Pelze von Polartieren, Walross- und Narwalzähne, unter
Umständen auch junge lebende Eisbären. Diese waren als Geschenke für Könige,
höhere Würdenträger und Häuptlinge bestimmt.
Die Siedlungsgebiete wurden in den folgenden
Jahrzehnten vergrößert – bald zählte man
etwa 80 Gehöfte in Vesterbygden und cirka 250 in Österbygden. Obwohl
die klimatischen Bedingungen in Grönland damals besser als heute waren,
dürfte es für die Siedler doch ein hartes Leben gewesen sein, dessen
Grundlagen Viehzucht, Jagd und Fischfang bildeten. Es gab keine
geschlossenen Siedlungen, die einzelnen Gehöfte lagen weit voneinander.
Angesichts der Auseinandersetzungen mit der Natur und den täglichen Sorgen
konnten die Siedler auch keine künstlerische Kreativität entwickeln.
Niedergang der Siedlungstätigkeit ab etwa 1150
Etwa um 1000 n. Chr., zeitgleich mit der Bevölkerung
Islands (dort durch Beschluss des Althing) erfolgte die Bekehrung der
Siedler zum Christentum. So waren die Gattin Eriks des Roten, Thorshilda
(oder Tjodhilda) und sein Sohn Leif bereits Christen (Das Denkmal Leif
Eriksons in Islands Hauptstadt Reykjavik, ein Geschenk der USA aus dem Jahr
1930 aus Anlass des 1000-Jahr Jubiläums des Althing, zeigt Leif mit einem
Kreuz in der Hand). Thorshilda ließ, von ihrem heidnisch gebliebenen Gatten
toleriert, in Brattahlid die erste Kirche Grönlands erbauen, deren
Fundamente noch heute vorhanden sind. 1070 erfolgte die Gründung des
Bischofssitzes Gardar nicht weit von Brattahlid entfernt.
Die grönländischen Nordmänner hatten etwa bis 1150
ihre beste Zeit, dann bahnte sich ihr Niedergang an. Klimaverschlechterung
und dadurch bedingte Änderung der Ernährungsgewohnheiten, das Vordringen der
von den Wikingern „Skrälliger” genannten Inuit (Eskimos), die Unterbrechung
der Schiffsverbindungen nach Norwegen und Island, aber auch Seuchen und
körperliche Degeneration dürften dafür
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verantwortlich sein, dass das Siedlungsgebiet
Vesterbygden nur bis etwa 1350, Österbygden bis etwa 1500 bestand. Die
Bewohner waren einfach weg, Anzeichen von Kämpfen oder Gewaltanwendung sind
nie entdeckt worden. Die Verbindung Grönlands zu Europa riss bis 1721 ab,
als der protestantische dänische Missionar Hans Egede nach Grönland kam.
Björn Herjolfson vermutlich erster Europäer auf
amerikanischem Boden
Der Grönlandsaga zufolge erfuhr der junge, von einer
Handelsmission aus Norwegen nach Island zurückgekehrte Björn Herjolfson,
dass sein Vater Herjolf Bardarson zusammen mit Erik dem Roten nach Grönland
emigriert sei. Er wollte ihm folgen. An der Südspitze Grönlands wurde aber
sein Schiff durch Stürme vom Kurs abgebracht.
Nach mehreren Tagen Navigierens
in Sturm und Nebel gerieten er und die Schiffsbesatzung an ein ebenes
und bewaldetes Land und einige Inseln, das, weil es dort keine Gletscher
gab, nicht Grönland sein konnte.
Man schlug daraufhin den Kurs in Richtung Nord und
dann Richtung Ost ein, um Grönland zu erreichen, nach einigen Tagen hatte
man Erfolg. Endlich auf dem neuen Grundbesitz seines Vaters gelangt,
erzählte Björn von dem gesehenen Land, was den Eindruck auf die Zuhörer
nicht verfehlte. Erik der Rote und sein Sohn Leif erfuhren von Björns
Entdeckung bei seiner Irrfahrt und beschlossen, dies nachzuprüfen. Leif
kaufte Björns Schiff, bemannte es mit 35 Leuten und verließ Grönland in
nordwestlicher Richtung durch die heutige Davis-Straße wobei er offenbar die
entlang der grönländischen Küste nordwärts sich bewegenden Meeresströmung,
dem Irminger-Strom, ein Zweig des Golfstromes, nützte. Schließlich wandte er
sich nach Westen und erreichte ein ödes Land aus Gestein und Gletschern, das
Helluland (Steiniges Land) genannt wurde – vermutlich die heutige kanadische
Insel Baffin-Land. Offenbar unter Ausnützung des hier aus dem Norden
kommenden Labrador-Stromes gelangte man auf Südkurs an eine sandige Küste
mit dahinter liegenden Wäldern, das die Ankömmlinge Markland (Waldland)
nannten.
Schließlich erreichten Leif und seine Mannen ein
Land mit den von Björn geschilderten Vorzügen. Es wurde beschlossen, dort
Hütten zu errichten und den Winter zu verbringen. Das zuletzt entdeckte Land
wurde von Leif, der nach seiner Rückkehr nach Grönland den Beinamen „hinn
heppni” (der Glückliche) erhielt, Vinland (Weinland?) genannt. Man dürfte an
der Nordspitze der Insel Neufundland
gelandet sein. Auf ihrer cirka 1300 Seemeilen langen Reise mussten
sich die Nordmänner auf Richtungsangaben und Land-Besonderheiten
verlassen, die von den ersten Reisenden gesehen worden waren.
Kolumbus’ Entdeckung Amerikas dürfte nur eine „Wiederentdeckung” gewesen
sein
Die Saga berichtet von späteren weiteren
Expeditionen von Angehörigen der Sippe Eriks nach Vinland und
Auseinandersetzungen mit den dortigen Eingeborenen. Später ging die Kenntnis
von dieser Entdeckung verloren. Es dürfte aber die „Entdeckung” Amerikas
durch Kolumbus historisch streng genommen nur eine „Wiederentdeckung”
gewesen sein. Kolumbus selbst bekam bekanntlich nicht mit, dass er eine neue
Welt entdeckt habe. Bis zu seinem Tod im Jahr 1506 nahm er an, nach Indien
gelangt zu sein.
1992, zur 500-Jahr-Feier dieser „Wiederentdeckung”
Amerikas gaben die Färöer-Inseln, Island und Grönland einen gemeinsamen
Briefmarkenblock heraus, in dem im oberen Teil (mit abgebildetem
Wikingerschiff) der Entdeckung Amerikas durch Leif Erikson um 1000 n. Chr.,
darunter jener von Kolumbus 1492 (mit abgebildetem Flaggschiff SANTA MARIA)
gedacht wurde.
Wo lag „Vinland”?
Zum Namen Vinland stellte der norwegische Forscher
Helge Ingstad die Theorie auf, dass „Vin” nicht nur Wein, sondern auch
„Weide” für Vieh bedeuten konnte, das die Wikinger bei ihren Fahrten an Bord
hatten. Deswegen könnte Vinland auch weiter nördlich gelegen sein, als die
Wissenschaftler glaubten. Ingstad hielt Vinland identisch mit der
kanadischen Insel Neufundland. Sollte der Ausdruck „Vin” sich tatsächlich
von „Wein” ableiten (der altnordische Ausdruck für Traube heißt „Vinber”),
könnte damit auch der Wilde Wein, Preiselbeeren oder Heidelbeeren gemeint
sein, die in Neufundland und auch benachbarten Regionen zu finden seien. Die
Nordmänner kannten alle diese Beeren von Norwegen her und wussten daraus
eine Art Wein herzustellen. Für die genannten Beeren hatten sie aber eigene
sprachliche.
Eine
Rekonstruktion eines Wikinger Langhauses in L' Anse aux Meadows auf
Neufundland. Foto: D. Gordon E.
Robertson, GNU-Lizens für freie Dokumentation
Wurde L’ Anse aux Meadows von Leif Erikson gegründet?
An der Nordspitze von Neufundland waren kurz vor
1969 auf einem L’ Anse aux Meadows genannten Platz (der Name stammt vom
gleichnamigen nächstgelegenen Dorf) Fundamentreste von neun in einzelne
Räume unterteilte Häuser entdeckt und freigelegt worden. Spätere Grabungen,
an denen sich Archäologen aus Island, Norwegen, Schweden, Kanada und den USA
beteiligten, bei denen weitere Häuser-Fundamentreste und auch Kleinfunde
entdeckt wurden, ließen keinen Zweifel daran, dass diese Siedlungsreste auf
Wikinger aus der Zeit um 1000 n. Chr. zurückgingen.
Und alles spricht dafür, dass es sich um die von
Leif Erikson angelegte Siedlung handelt. Sie dürfte in den Jahren ihrer
Existenz knapp über 100 Einwohner gehabt haben. Die Bauweise (Wände und
Dächer aus Grasziegeln) kann man heute noch gelegentlich in Island sehen.
Vermutlich hat die Siedlung nur einige Jahre existiert und dürfte freiwillig
aufgegeben worden sein. Sonst wären sicher im Nahbereich Reste einer Kirche
oder ein Friedhof entdeckt worden. Wegen der Überzahl an Eingeborenen in der
Gegend und der großen Entfernung von Grönland scheint sich die Siedlung
„nicht rentiert” zu haben. Ihre Bewohner gingen der Jagd, der Fischerei und
Sammeltätigkeit zur Versorgungszwecken (z.B. Beerenpflücken) nach.
Wenig Auswanderungslust von Grönland nach Vinland
Der Name L’ Anse aux Meadows
scheint eine Verballhornung von L’ Anse a la Meduse (Quallenbucht) zu
sein. Die Namensgebung in der betreffenden Gegend scheint auf französische
Ursprünge zurückzugehen. Erst ab etwa 1835 siedelten sich Engländer in der
Gegend an, worauf eine „Anglisierung” geografischer Bezeichnungen im
östlichen Kanada erfolgte.
Von L’ Anse dürften in den Jahren der Existenz der
Siedlung Nordmänner kleine Expeditionen in andere Teile Vinlands unternommen
haben. Vinland dürfte auch New Brunswick, Nova Scotia, die Prince Edward
Island und den Golf, in den der St. Lorenz-Strom mündet, umfasst haben. Holz
und Früchte dürften nach L’ Anse gebracht worden sein, um nach Grönland
verschifft zu werden. Vinland muss zur Zeit der Anwesenheit der Nordmänner,
besonders wo viele Wälder und üppiger Pflanzenwuchs war, relativ dicht
bevölkert gewesen sein: im südlichen Teil lebten Algonkin-Indianerstämme, in
Neufundland und im Süden Labradors Vorfahren der Beatbuk- und Innu-Eskimos,
im Norden Labradors die Dorset-Eskimos.
Eine „Auswanderungslust” aus Grönland nach
Nordamerika bestand nicht, da hier reiche Weiden vorhanden waren und man die
für das Alltagsleben notwendigen Dinge aus Europa beziehen konnte. Auch
waren die Siedlungen in Grönland zu klein, um für weiter westliche
Siedlungstätigkeit ausreichend für „menschlichen Nachschub” zu sorgen. Und
so kam die nordische Expansion in westlicher Richtung allmählich zum Stehen.
L’ Anse aux Meadows ist heute Kanadisches Nationaldenkmal und
UNESCO-Weltkulturerbe
Die Ortschaft L’ Anse aux Meadows, nach der die
Ausgrabungsstätte benannt ist, wurde um 1835 gegründet, sie lebt von
Fischfang und ein wenig Viehzucht und Holzfällerei. Einen Straßenanschluss
gibt es erst seit 1966, vorher war die Stätte nur per Boot erreichbar. Zwei
kleinere Dörfer befinden sich noch in der Nähe. Um die Ausgrabungsstätte hat
Kanada einen etwa 80 Quadratkilometer großen Nationalpark geschaffen, die
Stätte selbst ist für Kanada ein Nationaldenkmal und von der UNESCO zum
Weltkulturerbe erklärt. Das Hauptkontingent der Besucher sind Bürger der USA
und Kanadas, aber immer mehr Besucher stellen sich auch aus Europa ein, da
hier vor der Küste viele Kreuzfahrtschiffe auf dem Weg von Europa und
Grönland nach Kanada und den USA – und umgekehrt – vor Anker gehen.
Unweit der Ausgrabungen, wo 1979 drei ehemalige
Häuser mit Grasziegeln nachgebaut wurden, entstand ein Touristenzentrum mit
einem kleinen Museum für Kleinfunde, das den Dörfern in der Umgebung, die
längere Zeit unter Abwanderung litten, neue Jobs verschaffte. In einem der
benachbarten Dörfer, Norstead, wurde ein Wikinger-Handelsplatz nachgebaut,
in einem nachgebauten Bootshaus befindet sich das 12t schwere, nachgebaute
Wikingerschiff SNORRI. Auch ein nachgebildeter Runenstein, wie sie vor allem
in Schweden zu finden sind, ist dort zu sehen.
Brattahlid – ein bekanntes grönländisches Touristenzentrum
Im grönländischen Brattahlid, ebenfalls ein
Nationaldenkmal, erinnern nur mehr vereinzelte freigelegte Haus- und
Stallfundamente, sowie die Grundmauern zweier ehemaliger Kirchen an die
Siedlungstätigkeit der Wikinger hier vor über 1000 Jahren. Erik dem Roten
ist ein Denkmal gewidmet – in Form eines Metallreliefs, das ihn in einem
Boot mit Dreizack zeigt. Das Bildnis erinnert fast an antike Darstellungen
des Meeresgottes Neptun. An einer nahegelegenen Felswand hat ein dänischer
Künstler aus Metallplatten gefertigte heidnische und christliche Symbole
angebracht.
Brattahlid wird von Grönland-Touristen sehr häufig
besucht, es ist auf zwei Wegen leicht erreichbar: von Narsarsuaq mit seinem
Hotelkomplex und dem nahegelegenen Flughafen, der von vielen Maschinen aus
Dänemark und Island angeflogen wird, genügt eine Fjordüberquerung mit dem
Boot. Kreuzfahrtschiffe aus Europa und Island fahren über Qaqortoq
(Julianehab) den einstigen Eriksfjord hinauf. Viele legen in der kleinen
Stadt Narsaq an, wo man eine Fabrik zur Verpackung fertig panierter Fische
besichtigen kann, und fahren dann nach Qassiarsuq weiter, wo die Überreste
von Brattahlid in wenigen Minuten zu Fuß erreichbar sind.
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