Manche Schiffe haben es besonders eilig, in Dienst
gestellt zu werden. Zu diesen gehört die NORWEGIAN
GETAWAY, der neueste Flottenzuwachs der
amerikanischen Kreuzfahrt-Reederei Norwegian Cruise Line (NCL). Bestellt im
Oktober 2010 für eine Ablieferung „im Frühjahr 2014”, war im Herbst 2012 auf
der Meyer Werft in Papenburg noch nicht einmal der Kiel des Schiffes gelegt,
da meldeten Reederei und Werft, dass das Schwesterschiff der 2013
abzuliefernden NORWEGIAN BREAKAWAY
bereits „Ende Januar 2014” übergeben werden sollte und damit drei Monate
früher als geplant. Am Ende waren die letzten Arbeiten an dem Schiff sogar
schon am 20. Dezember 2013 abgeschlossen – Zeit genug also für die
Besatzung, sich in Ruhe mit dem Schiff und seiner Technik vertraut zu
machen. Auch erlaubte die verfrühte Ablieferung vor der Fahrt über den
Großen Teich zwei Mini-Kreuzfahrten im Ärmelkanal für zahlendes Publikum
sowie eine Vorstellungsfahrt für Reisebüro- und Pressevertreter.
Eine schwimmende Kleinstadt
Seit ihrer Taufe in Miami am 7. Februar ist die NORWEGIAN
GETAWAY ganzjährig auf einwöchigen
Kreuzfahrten in der Karibik unterwegs, doch schon vier Wochen zuvor gab sich
der Himmel über Rotterdam zumindest Mühe, dem Schiff meteorologisch einen
möglichst milden Einstand zu bereiten. Von Schnee und Eis ist am 11. Januar
keine Spur, als sich der neue Stolz der Norwegian Cruise Line der Fachpresse
und diversen Reisebüro-Mitarbeitern vorstellt. Und die sind von Beginn an
schwer beeindruckt, was bereits beim Anblick des wahrhaft riesigen Schiffes
beginnt. 324 Meter lang, 40 Meter breit und 55 Meter hoch ist die NORWEGIAN
GETAWAY, und von den insgesamt 18 Decks
sind allein sieben reine Passagierdecks. Mühelos hat es der Flottenneuzugang
in die Top 10 der größten Kreuzfahrtschiffe der Welt geschafft, wo das
Schiff mit seiner Tonnage von 146.600 BRZ aktuell Rang 8 belegt und mit
einer Kapazität für 4.028 (5.088) Passagiere sogar Rang 4. Stolze 27 „Dining
Options” bietet die GETAWAY ihren Gästen,
vom riesigen Büffetrestaurant „Garden Café” hoch oben auf Deck 15 bis hin zu
den kleinen, aber feinen Spezialitätenrestaurants „Le Bistro“,„Teppanyaki”
und „Ocean Blue” auf den Decks 6 und 8. Hinzu kommen noch 22 Bars und
Lounges, zwischen denen die Passagiere an Bord wählen können. Eine
Verabredung „an der Bar” ist also zum Scheitern verurteilt auf diesem
Schiff, davon gibt es schlicht zu viele auf der NORWEGIAN
GETAWAY. Kein Wunder, dass NCL angesichts
dieser Größe und Vielfalt weniger von einem Schiff als vielmehr von einem
„Freestyle Cruising Resort” spricht und dem „größten Spektakel auf hoher
See”. Doch wie genau muss man sich das vorstellen?
Legally Blonde
Genug also der Zahlen. Es ist 20 Uhr, wir sitzen im
gemütlichen „Cagney’s Steakhouse”, einem zuzahlungspflichtigen
Spezialitätenrestaurant, in dem die Reederei „perfekt gebratene Steaks”
verspricht. Doch sie verspricht nicht zu viel. Schon die Auswahl fällt
schwer, denn neben verschiedenen Rindersteaks stehen auch Lamm und sogar
Bison auf der Karte, und sich für nur eine einzige der vielen Beilagen zu
entscheiden, ist fast unmöglich. Doch als das Essen serviert wird, verfliegt
jeder Zweifel. Das Steak ist hauchzart, die gedünsteten Kartoffeln sind
herrlich und der Rotwein köstlich. Dazu gedimmtes Licht, Kerzenschein und
plötzlich Reise-Erinnerungen an Oklahoma und Texas. Was will man mehr? So
könnte eigentlich ein perfekter Abend schon enden, und doch war dies erst
der Auftakt. Denn gleich anschließend geht es ins riesige, 787 Gäste
fassende Getaway Theater im vorderen Teil des Schiffes, wo mehrmals
wöchentlich das Broadway-Musical „Legally Blonde” (Natürlich blond) zur
Aufführung kommt. Sieben Nominierungen für den Tony Award hat das Musical
bei seiner Premiere 2007 erhalten, nachdem bereits der Kinofilm, auf dem die
Show basiert, 2001 für zwei Golden Globes nominiert gewesen war. Wer den
Film mochte, dem wird auch das Musical gefallen, das laut, aber nicht
schrill, bunt, aber nicht grell und fröhlich, aber nicht platt daherkommt.
Ob es den europäischen Massengeschmack trifft, mag dahingestellt sein, aber
das muss es auch gar nicht, schließlich ist die NORWEGIAN
GETAWAY nicht der neue Stern von
Rotterdam, sondern „Miami’s ultimate ship”.
Norwegian Getaway lights up Miami
Unter dem Motto „Norwegian Getaway lights up Miami”
standen die Einführungsfahrten des Schiffes vor ihrer Indienststellung, und
dass die NORWEGIAN GETAWAY
in besonderem Maße auf Kreuzfahrten ab Miami zugeschnitten ist, entgeht
einem an Bord kaum. Denn das Schiff wurde nicht nur von den Cheerleadern des
American Football-Teams „Miami Dolphins” getauft und von dem in der Stadt
ansässigen Künstler David „LEBO” Le
Batard mit einem unverwechselbaren Außenanstrich versehen, sondern erinnert
auch an und unter Deck alle paar Meter an den Sunshine State im Süden der
USA. Und da Florida in viel stärkerem Maße als New York, wo die NORWEGIAN
BREAKAWAY stationiert ist, von latein-amerikanischen Zuwanderern und deren
Kultur beeinflusst ist, liegt auf deren Vorlieben auch ein Schwerpunkt bei
der Gastronomie auf der GETAWAY. Der
„Tropicana Room” z. B. ist nach Aussagen der Reederei „vom Glanz und Glamour
des Nachtlebens von Miami Beach der 1940er und 1950er Jahre inspiriert”,
während die Passagiere im „Flamingo Bar & Grill“ Gerichte mit
lateinamerikanischem Flair finden. Die Herausstellung dieser Merkmale ist
jedoch auch nötig, denn natürlich hat die NORWEGIAN
GETAWAY in Miami viel mehr Konkurrenz als
die NORWEGIAN BREAKAWAYin
New York. So gehen allein am Wochenende 01./02. März 2014 nicht weniger als
23 große Passagierschiffe von Häfen in Florida aus auf Karibik-Kreuzfahrt.
Und dann müsse man ja den Amerikanern auch noch das Freestyle
Cruising-Konzept mühevoll erklären, das die Europäer im Gegensatz dazu
sofort verinnerlicht hätten, so Reederei-Präsident Kevin Sheehan anlässlich
der Presse-Vorstellung der NORWEGIAN GETAWAY.
Auf den Schiffen seiner Reederei gebe es keine festen Tischzeiten mehr,
keine Kleiderordnung und auch keine festen Tages-
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abläufe, stattdessen die freie Wahl unter vielen
verschiedenen Restaurants und Unterhaltungsdarbietungen.
Die Water Front
Speziell für Kreuzfahrten in wärmeren Gewässern
entworfen worden ist die Water Front auf Deck 8. Diese folgt einer Idee, die
naheliegender nicht sein könnte, die bisher aber seltsamerweise kaum eine
Reederei konsequent verfolgt hat: So verfügen sämtliche auf dem Deck
gelegenen Cafés und Restaurants nicht nur über einen Eingang zur Arkade
mittschiffs, sondern genauso auch über eine Öffnung nach draußen zum
Promenadendeck hin. Je nach Witterung kann man seine Pizza, seinen Cocktail
und/oder sein Steak also drinnen oder draußen genießen, eine frische Brise
und den Klang der Wellen inklusive, wenn es Letzteres sein soll. Diese Idee
ist genauso simpel wie genial und haucht der Tradition der alten
Linienpassagierschiffe neues Leben ein, auf denen sich früher ein Großteil
des öffentlichen Lebens auf dem Promenadendeck abgespielt hat – Small Talk,
interessierte Blicke von Passagier zu Passagier und Freizeitbeschäftigungen
aller Art inklusive. Doch auch über Deck 8 hinaus verfehlt die Water Front
ihre Wirkung nicht. Wer z. B. in einer warmen karibischen Sommernacht
einfach bei zugezogenem Vorhang seine Balkontür offen lässt, kann statt in
steriler Stille z. B. zu den Klängen der Live-Musik aus der Grammy
Experience einschlafen oder im Bett Songs wie „Hotel California” hören, die
spät abends aus der Sunset Bar nach draußen dringen.
Magier, Musiker und manch kurze Nacht
Im Illusionarium ist die Musik der Wellen zugegeben
weit weg. In dem auf Deck 6 gelegenen Raum, der am Eingang in Form von
Plakaten und Artefakten Jules Verne und Houdini Tribut zollt und innen mit
der Illusion einer kuppelförmigen Decke aufwartet, findet zwölf mal während
jeder der einwöchigen Kreuzfahrten der NORWEGIAN
GETAWAY eine magische Show statt, welche
die Gäste buchstäblich verzaubert. Denn es sind keine simplen
Taschenspielertricks, die hier dargeboten werden, sondern höhere Formen der
Magie, welche die Zuschauer nicht nur ständig aufs Neue überraschen, sondern
diese an der einen oder anderen Stelle auch mit in die Show einbeziehen.
Darüber hinaus ist auch der Sound im Illusionarium bombastisch, und zu essen
gibt es ebenfalls. Allerdings würden hier manch einem schon ein paar Snacks
reichen, ansonsten verpasst man einfach zu viel von der Show! Ähnlich
unvergesslich sollen auf der NORWEGIAN GETAWAY
auch die Musik-Darbietungen im Grammy Experience werden, einem Nachtklub auf
Deck 8 des Schiffes. Dort werden sowohl Artefakte des Grammy-Museums in Los
Angeles ausgestellt als auch Konzerte von Künstlern stattfinden, die bereits
einen Grammy gewonnen haben oder für einen solchen nominiert sind. Sogar
eine reine Grammy-Kreuzfahrt ist geplant.
Das „Howl at the Moon” hingegen ist ein Pub, in dem
bekannte Rock- und Pop-Klassiker an zwei Klavieren performt werden. Dies
kann durchaus als regelrechtes Duell daherkommen, und mitgesungen bzw. mit
den Füßen gestampft werden darf natürlich auch. Wenn es hier an der Bar mal
länger dauert, dann nur deshalb, weil der Nachtklub so beliebt ist, dass man
kaum treten kann vor lauter Gästen. Und wem selbst dies noch nicht genug
Musik und Unterhaltung gewesen ist, der kann den Abend schließlich in der
Bliss Lounge ausklingen lassen, die eigentlich Bliss Disco heißen müsste,
und wo man problemlos bis in die frühen Morgenstunden hinein tanzen und
feiern kann.
Ein Schiff für alle Geschmäcker
Keine Frage – NCL meint es ernst mit dem Slogan
„Miami’s ultimate ship”, denn es gibt kaum eine Zielgruppe, auf welche die NORWEGIAN
GETAWAY nicht abzielt. Selbst das oberste
Luxussegment des Marktes spricht das riesige Schiff an. Mit dem
Suiten-Komplex „The Haven” verfügt die GETAWAY nämlich über ein „Schiff im
Schiff”, eine erste Klasse quasi, die ihr eigenes Restaurant, eine eigene
Cocktail-Bar und einen eigenen Concierge-Service bietet. Selbst einen
Extra-Pool gibt es für die Bewohner der 42 Suiten und Villen hoch oben auf
Deck 15 und 16.
Doch auch für Familien mit Kindern ist die NORWEGIAN
GETAWAY ideal. Nicht nur gibt es auf dem
Pooldeck den Nickelodeon Aqua Park mit Kinder-Pool, Rutsche und
Wasserspielen, sondern unter Deck auch die Splash Academy, in der
ausgebildete Betreuer Kinder-Unterhaltung für verschiedene Altersgruppen
bieten.
Selbst Singles sind an Bord willkommen, eine
Zielgruppe, die bei fast allen anderen großen Reedereien eher
stiefmütterlich behandelt wird. Auf der NORWEGIAN
GETAWAY gibt es jedenfalls 59
Studio-Kabinen zur Einzelbelegung, auch dies eine Innovation, welche die
Reederei mit der NORWEGIAN EPIC
und NORWEGIAN BREAKAWAY
eingeführt hatte.
Und so kann man am Ende kaum anders, als dieses
Schiff zutiefst beeindruckt zu verlassen. Da mag man den für ein Schiff
dieser Größe fast winzigen Pool bemängeln oder die Tatsache, dass keines der
beiden Promenadendecks auf den Decks 7 und 8 rundum begehbar ist. Oder dass
ausgerechnet die Farbe Rosa sehr stark dominiert bei Teppichböden, Möbeln,
Wänden und Beleuchtung. Dass die viel beschworene Freiheit des
Freestyle-Konzepts für manch einen schon dort endet, wo man alleine eine
Stunde fürs Durcharbeiten des Bordprogramms braucht. Doch daran, dass der NORWEGIAN
GETAWAY ab 2014 in der Karibik der gleiche
schnelle Erfolg beschieden sein wird wie seit 2013 der NORWEGIAN
BREAKAWAY in New York, dürften kaum
Zweifel bestehen. Sonst hätte NCL wohl kaum bereits im Oktober 2012 bzw. im
Sommer 2013 die Order für zwei weitere Schiffe dieses Typ bekanntgegeben;
die NORWEGIAN ESCAPE
und NORWEGIAN BLISS
sollen 2015 bzw. 2017 in Dienst gestellt werden.
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