Frachtflieger 

 

Seereisenmagazin Ausgabe 2-2014 

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Vor 
	dem Riesenrumpf der MD-11FVor dem Riesenrumpf der MD-11F.

 

Dr. Peer Schmidt-Walther

Ein Seemannstraum – per Frachter in die Luft

Mit Lufthansa-Cargo-MD-11F in einer Woche um die halbe Welt

Zugegeben, von TEU verstehe ich mehr als von VIC. Aber immer, wenn ich mich auf der Seite www.flightradar24 getummelt habe, überkamen mich ein bisschen Neid und viel Neugier. Vor allem auf die Luftfrachter. Wofür ein Containerschiff Wochen durch die See stampfen muss, das packt ein Cargo-Flugzeug in einem Luftsprung von nur wenigen Stunden. Der Autor wollte deshalb die zuckenden kleinen gelben Flieger nicht nur sehnsüchtig auf der Bildschirmkarte verfolgen, sondern auch mal live dabei sein. Auf der Brücke, pardon: im Cockpit natürlich. 

Das war mir auf dem Flug von Kanada in die USA allerdings noch nicht vergönnt. Ich wunderte mich jedoch, wieso zwei Uniformierte mit goldenen Streifen unter den Passagieren saßen. Aber man kann ja mal fragen, dachte ich mir, und steuerte einfach auf die beiden zu. Ob sie nicht eigentlich ins Cockpit gehörten, begann ich das Gespräch. Wie sich schnell herausstellte, waren es zwei Lufthansa-Cargo-Piloten. Die hatten gerade ihre Fracht in der kanadischen Metropole Toronto abgeliefert und waren auf dem Weg nach New York, wo sie nach einem Tag Pause die nächste Maschine nach Frankfurt übernehmen sollten. Spontan fragte ich, ob ich denn irgendwann mal mitfliegen könnte, um darüber zu berichten. Aus meiner wenig fachlich beleckten Sicht als Seemann und Schifffahrtsjournalist, der mit allen Wassern der Weltmeere gewaschen ist. Kapitän Jörg Degen gefällt die Idee und er bietet spontan an, das prüfen zu lassen: „Sie hören dann von mir.

 

Networking the world

Jörg Degen hielt lufthanseatisch Wort. Schon nach wenigen Tagen kam Antwort: „Wir würden gern mal mit Ihnen darüber reden. Also auf an den Main. Im LH-Airbus A 321 von Tegel nach Frankfurt hatte ich den Sitzplatz 11F – ein Fingerzeig? Kapitän Jörg Degen nahm mich am Lufthansa-Cargo-Zentrum in Empfang. Mit dazu gesellte sich Tim Holderer, Communications-Referent und Senior First Officer MD-11F. Gemeinsam klärten wir die Modalitäten für meinen Mitflug als „Frachtbegleiter. „Wir brauchen nur noch einen Termin, erklärte Degen zuversichtlich, „dann kanns losgehen.

Von Tim Holderer erfahre ich, dass die Frachttochter des Lufthansa-Konzerns zu den größten Cargo-Fluggesellschaften der Welt gehört und sich auf den sicheren und minutenpünktlichen Transport wertvoller Fracht spezialisiert hat wie Medikamente, Tiere, Obst, Blumen, Ersatzteile, Elektronik. Die Frachtgruppe Goldbarren, Kunstwerke oder Geld wird von den Abfertigungsspezialisten nur kurz VIC genannt, Very Important Cargo. „Das alles muss schnell von einem Ende der Welt zum anderen geschafft werden, erklärt er. Luftfracht werde eigentlich nur gebucht, wenn die Fracht entweder so extrem eilig, schnell verderblich oder wertvoll sei, dass Spediteure sie nicht in einen Container verladen können, der wochenlang auf See ist. Wie viel die Luftfracht prozentual in der Exportbilanz ausmache? Die Antwort erstaunt: nur ein Prozent, dafür rund 35 vom Wert her, bezogen auf das Volumen aller Verkehrsträger. Wobei zusätzlich die Frachtkapazitäten von über 300 Passagierflugzeugen des Konzerns vermarktet werden, was etwa der Hälfte der von Cargo transportierten Menge entspricht.

18 dreistrahlige Lufthansa-Cargo-Maschinen vom rund dreiundzwanzig Jahre alten, aber zuverlässigen Typ McDonnell-Douglas MD-11F – und seit 19. November einen sparsameren und leiseren Neuzugang vom Typ Boeing 777 F „Triple Seven, der erste von fünf – bewältigen seit zwanzig Jahren ihr Fracht-Pensum von rund 1,8 Millionen Tonnen jährlich: in Umläufen mit einem Streckennetz von 300 Zielen auf vier Kontinenten. „Networking the world, lautet denn auch konsequenterweise der Spruch auf dem Schlüsselanhänger, den Tim um den Hals hängen hat. Wobei auch die Vernetzung auf dem Land- und Seeweg gemeint ist. Kurios-elementare Beobachtung am Rande: Flugzeuge haben unter den Flügeln eine kilometerstarke Luft-, Schiffe unterm Kiel eine ebensolche Wassersäule. Sprachlich gibt es eine Reihe von Übereinstimmungen: zum Beispiel Back- und Steuerbord, Laderaum, Trimm, (Flug-)Hafen, Kompasskurs. Und Strecken werden, nicht nur bei Wasserflugzeugen, in Nautical Miles, Seemeilen, gemessen. „Aber, wendet Tim ein, „hier geht es nicht um Stunden oder Tage, sondern um Minuten.  

 

Fliegen ohne Boarding pass

Mitte November ist es schließlich soweit: Mein Traum soll tatsächlich in Erfüllung gehen – unfassbar, weil normalerweise so gut wie unmöglich. Aus Sicherheitsgründen, wie es heißt, aber ich habe nach gründlicher Hintergrund-Überprüfung offenbar problemlos alle Hürden nehmen können. „Wollen Sie nur nach Frankfurt oder noch weiter? Als die Tegeler LH-Check-in-Kollegin Sharjah hört, fragt sie erstaunt zurück: „Ohne Boarding pass? Ja, ohne den – zum ersten Mal in meinem Leben.

Unter Seeleuten und Piloten ist es üblich, sich zu duzen. Jörg bietet das beim Briefing spontan an, und man fühlt sich sofort in den Kreis der sympathischen Lufthanseaten aufgenommen. Kapitän und First Officer (FO) haben dann nur noch Augen für ihre Bildschirme: Flugstrecke, Wetter, Besonderheiten. „Anfangs noch leichter Tail Wind, Wind von achtern, erklärt Jörg die Lage, „sieht insgesamt gut aus. Sie wählen den kürzesten Weg – „um Sprit zu sparen und weil es um Minuten geht, sonst kommt der Umlaufplan durcheinander, so Tim – aber die beiden machen sich auch Gedanken über Ausweichhäfen aufgrund möglicher Wetteränderungen.

 

Millionenschwere 9 PS-VIC an Bord

Wir Vier besteigen den Crew-Bus. Dann stehen wir vor „unserem mächtigen Großraumflugzeug-Frachter von 115 Tonnen Leergewicht, 61,20 Meter Länge, 51,70 Meter Spannweite und 18 Meter Höhe. Beeindruckend. Seine Kennung D-ALCG. „Wobei, klar, D für Deutschland steht, erklärt Jörg, „A heißt schwerer als 20 Tonnen, LC bedeutet Lufthansa Cargo und die Buchstaben A bis S sind die individuellen Kennzeichen der einzelnen Maschinen. Alle 18 MD-11F-Haudegen sind – bis auf ihre Kennung – noch namenlos, was sich aber ändern soll. Nach der werksneuen „Triple-Seven, die auf „Good Day USA! getauft wurde, sollen auch alle anderen Frachter einen Gruß-Namen bekommen.

Die riesige Klappe des Frachtraums reckt sich in den Abendhimmel, den Scheinwerfer taghell erscheinen lassen. Es herrscht Hochbetrieb. Dick verschnürte Paletten werden auf einen Hublader gerollt und vom Verladepersonal im MD-11F-Bauch verstaut. Drei Container bleiben bis zum Schluss draußen. Nur durch ihr Schnauben – anders als die übrige anonyme Ladung – macht sich der Inhalt bemerkbar: Pferde. Ihre Begleiter, zwei holländische Pferdewirte von einem Gestüt, verraten mehr: „Das sind Renn- und Reitpferde des Scheichs von Sharjah. Wert zwischen einem und fünf Millionen Euro. Also Quasi-VIC. Sie seien Vielflieger, höre ich, weil sie vom brütend heißen Golf-Sommer auf die grünen Wiesen von Europa gebracht werden.  

 

Gebetsmühle Check list

Zum Schluss werden in Kühlboxen noch Verpflegung und Getränke gebracht. Die Kaffeemaschine verbreitet einen gemütlichen Duft in der kleinen Crew-Kabine. Dann heißt es: Klappe zu, Ladearbeiter samt Techniker von Bord und Ground Check. Kapitän Jörg Degen streift die Sicherheitsweste über und verlässt über die Gangway sein „268,8-Tonnen-Luftschiff – inklusive 93,8 Tonnen Maximal-Ladung und 60 Tonnen Kerosin –, um die Maschine von außen zu kontrollieren. Ich darf dabei sein.

Er leuchtet per Taschenlampe den Rumpf ab, lässt den Lichtstrahl durch die 2,33 Meter hohen Triebwerkseinlässe über die Turbinenschaufeln gleiten, richtet ihn in die Schächte des Fahrwerks, überprüft Positionslaternen und Reifen. „Alles einwandfrei, befindet Jörg und klettert wieder ins Cockpit. Hier wartet Tim schon mit der „Checklist, die nahezu gebetsmühlenartig abgearbeitet werden muss. „Wir können das auch aus dem Kopf, geht Tim auf meinen fragenden Blick ein, „aber hier darf kein einziger Punkt durch Vergessen unterschlagen werden. Sicherheit hat nun mal oberste Priorität. Jörg hakt im englischen Okay-Dialog mit Tim alles ab: „Dann können wir ... Über Funk meldet sich der Fahrer des PS-starken Pushback Trucks unter der Bugnase, der die MD-11 von der Parkposition wegziehen soll: „Kleinen Moment noch ...  

 

Mal auf einem Frachter mitfahren

Eigentlich sollte es früher losgehen, um für unterwegs über dem Schwarzen Meer angesagten Gegenwind, head wind, auszugleichen. Wie gesagt, es geht um Minuten. Zum Zeichen, dass keine Hindernisse mehr rund um die Maschine stehen, reckt ein Techniker seinen rechten Daumen, Jörg quittiert mit seinem: „Alles klar, und Tim meldet das dem Tower. Der Truck zieht an und bringt seinen Riesenanhang in Rollposition, wo der Fahrer abkoppelt und das letzte Klarzeichen gibt. D-ALCG, Flugnummer LH 8458, rollt, angetrieben durch die eigene Kraft der Triebwerke, auf einem der zahlreichen Taxiways zur Startposition. Jörg steuert das Bugrad per Hand und muss in jeder Kurve weit ausholen, da die Haupt-Fahrwerksräder starr sind. Wie bei einem Fernlaster mit Sattelauflieger. Geschwindigkeit: etwa 15 Knoten – was der Geschwindigkeit so manch eines Frachtschiffs in voller Fahrt entspricht. „Wir sehen die immer nur unter uns dahin schleichen, meint Jörg, der seinerseits einen Traum hat: „Mal auf einem Frachtschiff mitfahren, wenns Dienstplan und Familie erlauben.

Angekommen und Stopp. Funkverkehr mit dem Fluglotsen im Tower: „Lufthansa 8458 cleared for takeoff, vernehme ich über den Kopfhörer. Angeschnallt mit Oberkörper- und Beingurten, warte ich angespannt in meinem erhöhten Sitz zwischen Kapitän und FO auf das Kommando-Prozedere. Vor mir leuchtet in bunten Farben die Instrumententafel und beleuchtet die Gesichter schemenhaft. Durch die großen Fenster – von Insidern wird das Cockpit daher auch liebevoll „Wintergarten der Lüfte genannt – schweift der 180-Grad-Blick vom strahlenden Flughafengebäude über die voraus blinkende Startbahn, deren gelbe Lichter sich nach hinten perspektivisch zu einem Punkt verengen.

 

Kommando-Prozedere vor Flug-Physik

„Take off!, gibt Kapitän Jörg auf Lotsen-Anweisung an seinen FO das Kommando, der die Maschine steuert. Die drei General-Electric-Turbinen heulen auf: Beginn des Startlaufs. „Go! heißt der nächste Schritt, wenn der Start nicht mehr abgebrochen werden kann. Die Lichter an Back- und Steuerbord flitzen immer schneller vorbei, verwandeln sich zu einer durchgehenden Leuchtspur. Dann um 22.20 Uhr, 40 Minuten vor dem Beginn des Nachtflugverbots, das Finale: „Rotate! Abheben bei 330 Stundenkilometern oder 178 Knoten mit 57.160 Pounds Maximal-Schub. Tim zieht die Maschine hoch, steil reckt sie ihre Nase in den Himmel. Die Bodenlichter verquirlen in den Wolken, als D-ALCG sich in die Kurve legt und eine Schleife zieht. Auf 33.000 Fuß lässt Tim die MD-11F klettern, trimmt sie waagerecht und steuert die Automatik auf 135 Grad ein. „Die MD-11F, erklärt Jörg, „ist eines der anspruchsvollsten Großflugzeuge und dem Piloten bleibt weniger Zeit zu reagieren. Warum? Sie hat die gleiche Bauweise wie die Passagierversion, ist aber, um Fracht fliegen zu können, für höhere Start- und Landegewichte zugelassen.

Die Lichtpünktchen von Würzburg und Nürnberg verabschieden sich durch Wolkenlücken. Weiter führt der Kurs, wie das Navigationsdisplay zeigt, über die Alpen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Rumänien, Ukraine, Türkei, Irak, Kuwait bis zu den Vereinigten Arabischen Emiraten am Persischen Golf. „Jeder Überflug muss schon lange im Voraus angemeldet werden, erklärt Jörg, „was natürlich auch mit Kosten verbunden ist.

 

Romantik im Mondschein mit Elmsfeuer

Dinner time: Der Kapitän höchstpersönlich erwärmt in der Galley das Business-Class-Abendessen: ob Lachs, Steak, Huhn oder Lasagne – wir haben die Auswahl. Dazu werden selbstverständlich nur alkoholfreie Getränke serviert. Das übernehmen Jens und ich, die Frachtbegleiter, als „Saftschubser ehrenhalber. Gegessen wird mit Tablett auf den Knien im Cockpit. Regelrecht romantisch wird es, als der Vollmond ins Cockpit blinzelt und die wolkenfreie türkische Schwarzmeerküste mit dem tief verschneiten Pontischen Gebirge in ein magisches Licht taucht. Eine Sicht, wie man sie nur aus dem Cockpit haben kann. Noch nie war ich den Sternen so nahe. Tim empfindet das immer wieder genauso.

Wenig später: Über dem Irak tobt ein Gewitter, die Maschine wird gerüttelt und geschüttelt, grüne Elmsfeuer zucken beängstigend über die Frontscheiben. Für Kapitän und FO gibt es keine Ruhepause, im Gegensatz zur Seefahrt. Dort steht vier bis sechs Stunden lang immer nur ein Mann auf der Brücke. Jörg begründet knapp und Tim ergänzt: „Toilette natürlich ja, aber ein Nickerchen nein”. „Eine Wachablösung ist aus Sicherheitsgründen nicht erlaubt. Plötzlicher Druckabfall oder Sauerstoffverlust kann zur Ohnmacht führen. Folglich müssen immer zwei Mann vorn sein.

Hoch konzentriert geht der FO den Landeanflug auf Sharjah an. Bis an Backbord die 828 Meter aufragende Beton- und Glasnadel des Burj Khalifa, höchstes Gebäude der Erde, im Wüsten-Morgendunst auftaucht. Salzhaltige Luft verklebt die Frontscheiben, so dass Tim die Scheibenwischer einschalten muss. Nach sechs Stunden Flugzeit und 2.707 Nautischen Meilen setzt der Frachter watteweich auf und wir werden in die Gurte gepresst. Frankfurter Zeit: 04.15, Ortszeit: 07.05. Rumpelnd rollt D-ALCG zu ihrer Position vor einer Frachthalle. „Nur 50 Tonnen Spritverbrauch dank Jet stream, ist Senior-FO Tim zufrieden, „bleiben noch knapp acht in den Tanks, die für eine Reserve-Flugstunde reichen.

 

City-Blick und Kurzschlaf

Die Tür öffnet sich. „Zabaach Alchär. Guten Morgen”, werden wir vom arabischen Lademeister auf der Gangway begrüßt. Sommerlich warme Luft – 18 Grad mehr als in Frankfurt – schlägt uns entgegen.

„Zuerst müssen die Pferde raus, melden sich die Tierpfleger zu Wort, als die Ladepforte ausschwenkt. Tatsächlich, nur Minuten später stehen die drei Boxen neben der Maschine. Neugierig strecken die Edelblüter ihre Köpfe heraus und lassen sich streicheln. Als ob nichts gewesen wäre. Der Crew-Bus steht schon vor dem Terminal bereit. Über die beidseitig 16-spurige Autobahn schleichen wir im morgendlichen Stop-and-Go ins zehn Kilometer entfernte Dubai, barrierefrei. Grenzen gibt es in den VAE nicht.

Frühstückspause im bombastischen Intercontinental, denn die Zimmer sind noch nicht frei. Endlich können wir uns verziehen, nicht ohne uns zu 17 Uhr in der goldglänzenden Lobby verabredet zu haben. Auf dem Programm: nur noch Klamotten runter, duschen und schlafen. Der Blick schweift hinüber zu den Wolkenkratzern von Dubai City.

 

Piraten und Gourmetfreuden

„Reiseleiter Jörg, wie Tim statt Uniform in legerem Freizeitlook, schlägt vor, nach einer Schlafpause per Taxi in die Altstadt zu fahren. Endstation die Baniyas Road am Dubai Creek. Wir gönnen uns einen frisch gepressten Maracuja-Saft und bummeln am Kai entlang, an denen hoch beladene hölzerne Dhaus festgemacht haben. Kartons mit Fernsehern, Waschmaschinen und Computern stapeln sich unbewacht auf der Pier. Seeleute, Piraten aus 1001er Nacht nicht unähnlich, turnen auf den Warenstapeln herum.

In den Basaren des Alten Souk schnuppern wir Orient pur, lassen uns mit einer traditionellen Abra-Fähre – ein Muss in Dubai – tuckernd über den Creek setzen und tauchen ab in das „Al Shindaga Historical Heritage Village der komplett in altarabischem Lehmbau-Stil restaurierten Altstadt. Gourmetfreuden krönen den Abend, denn die Luftfracht-Schiffer können diese Nacht durchschlafen. Wir speisen fürstlich unter Palmen bei Mondschein im weichen Nachtwind. Seeleuten im Container-Zeitalter sind derartige Freuden eher selten vergönnt.

Gnadenlos klingelt um 05.15 Uhr das Kapitäns-Wecktelefon. „Guten Morgen, meldet sich Jörg gut gelaunt, „na, schon munter? In einer Stunde treffen wir uns unten. Punkt 06.15 Uhr gehts in einer halben Stunde zurück zum Airport, auch auf der Gegenseite nur in achtspurigem Schleichtempo. 

 

Luftbild-Geographie aus erster Hand

Wieder die obligatorischen  Kontrollen, bis wir endlich vor unserem nächsten Frachter stehen. Diesmal ist es D-ALCA, die erste MD-11F, die an Lufthansa ausgeliefert wurde. Diesmal sind nur 7,7 Tonnen Fracht im Laderaum. „Leichtgewicht, für unseren Flug und sparsamen Verbrauch nur von Vorteil, freut sich der Kapitän, „auch wenn wir natürlich viel lieber voll beladen fliegen. Pünktlich um acht Uhr meldet die Flugnummer LH 8470 „klar zum Abflug. Nachdem der Pushback Truck rückwärts gezogen und abgekoppelt hat, rollt die Maschine zügig zur Startposition und hebt voll im Plan um 08.15 Uhr ab.

Die Luft ist klar – aus dem Cockpit ein filmreifer Seh-Genuss: Luftbild-Geographie hautnah. Unter uns gleitet mit knapper Schallgeschwindigkeit die Wüsten-Gebirgslandschaft von Oman hindurch. Zeit zum Schauen bleibt bei der Höhe allemal. Nach der Halbinsel Mussandam queren wir die schmale Straße von Hormuz, durch die spielzeugklein gewaltige Supertanker im Schneckentempo schäumen.

Entlang der siedlungsleeren iranischen Küste mit endlosen weißen Sandstränden schießt LH 8470 nach Südosten: über Pakistan mit dem mächtigen Indus hinweg und hinein nach Indien, bis an Backbord eine schneebedeckte Gebirgskette auftaucht: der nepalesische Himalaya, mit über 8.000 Metern höchstes Gebirge der Welt. Es scheint, als würden wir unterhalb der vereisten Gipfelflur fliegen, tatsächlich aber, weil wir mit dem Startgewicht von weniger als 160 Tonnen relativ leicht sind,  in 41.000 Fuß, also rund 4.500 Meter höher. Dann zeigt er sich in unfassbaren rund 200 Meilen Abstand fast zum Greifen nahe: der Mount Everest, König aller Berge. Jens reicht gekonnt – denn seine Stewardqualitäten hat er nicht verlernt – das Lunch für den Verzehr auf Knien. „Alltag für uns, kommentiert das der Kapitän und lässt sichs mit Gebirgsblick schmecken.

Kontrastprogramm Bangladesh mit dem ausschweifend pendelnden Ganges-Bramaputra-Delta. Myanmar, das ehemalige Birma, zeigt tropisch-üppiges Grün. Krass: Außentemperatur: winterlich-hocharktische minus 60 Grad, Backofen am Boden bei über plus 30 Grad Celsius. „Da unten am rechten Flussufer, zeigt Jörg auf die PC-Karte, „verläuft die chinesische Grenze, die ich mit eigenen Augen sehe. Wir schweben über das Reich der Mitte und landen nach einer großen Schleife über das Lichtermeer und die Südchinesische See auf der Insel Lantau mit dem weitläufigen Flughafen von Hong Kong. Wieder butterweich und minutengenau: um 19.00 Uhr, fernöstliche sieben Stunden voraus gegenüber Frankfurt und 16 Grad wärmer. 3.417 Meilen oder sieben Flugstunden von Sharjah entfernt. „Langstrecke ist Reisen, immer was Neues, grinst Tim, „aber Kurzstrecke, das bedeutet Fliegen pur.

 

Avenue of Stars mit Bauernnacht

Unkompliziert die Immigration, schnell der Crewbus-Transfer nach downtown Hong Kong Island, dem früheren Victoria: auf einem gut ausgebauten Highway am Hafen entlang mit unzähligen Containerfrachtern, die Wochen bis hierher gebraucht haben, und Wohnmaschinen aus tausenden von erleuchteten Waben. Im „Renaissance-Hong Kong Harbour-View-Hotel sind wir angemeldet. Unsere Lufthansa-Cargo-Residenz bis zum nächsten Abend. Der City-Hafen-Blick aus dem 39. und höchsten Stock auf die in allen Farben schillernde Metropole ist geradezu atemberaubend. Nur aus der MD-11F ist er natürlich besser, anders eben.

Munter, wie wir noch sind, hält uns nichts im Hotel. An der nahe gelegenen Wan Chai Ferry Pier gehen wir an Bord. Stampfend und rollend im Schwell der vielen Boote schippern wir mit einer der grün-weißen legendären Star-Line-Fähren über den Victoria Harbour nach Kowloon auf dem chinesischen Festland. Vom Heck aus bestaunen wir die grell illuminierte Skyline von Hong Kong Island. Vom angestrahlten Clock Tower, Big Ben in London nachempfunden, lassen wir uns im Menschenstrom über die berühmte Avenue of Stars treiben. Hin und wieder wandert der Blick auch zur Sternkulisse, vor der Flugzeuge wie zum Abschied blinkend über die Stadt düsen.

Gegenüber vom HK Space und Museum of Art tauchen wir ab in die koloniale Glitzerwelt des „Peninsula, dem bekanntesten und wohl ältesten Hotel von Hong Kong. In der Sky Bar mit Harbour-Blick gönnen wir uns ein Bier und lauschen den Klängen einer Jazz-Band. Zurück geht es per Taxi durch den Cross Harbour Tunnel ins Hotel. „Wir können ausschlafen, freuen sich Jörg und Tim auf die „Bauernnacht, „bis morgen um zehn Uhr!

 

Subtropisch-sibirisches Temperaturgefälle

13 Uhr: Treffen mit der Crew und auf zu neuen Ufern. Die doppelstöckige Uralt-Straßenbahn rumpelt mit uns durch die Gloucester Road. Zu Fuß geht es bei plus 23 Grad weiter durch fernöstliches Getümmel zur Talstation der „The Peak Tram Station. Die Standseilbahn aus schweizerischer Produktion zieht uns hinauf zum 550 Meter hohen Gipfel, dem die schillernde Stadt zu Füßen liegt. Zurück nehmen wir staunend den Weg durch subtropische Vegetation, in der unter Brettwurzel-Baumriesen auch eine riesige Vogelvoliere versteckt ist. Ein schneller Imbiss „beim Chinesen und dann ruft schon wieder das Bett.

Zwei Stunden bleiben zum Packen, Ausstrecken und Duschen, bis uns der Bus um 19.45 Uhr wieder abholt. Unser neues Zuhause für gut sechs Stunden: D-ALCO mit der Flugnummer LH 8453. Die beiden Piloten absolvieren ihre Außen- und Innenchecks. Klappen dicht, Taxiway und ab gehts – mit letzten Blicken herab auf die Glühwürmchen der Weltmetropole, bis wir wieder über den Wolken schweben. Unsere Route führt über chinesisches Tief- und Hochland mit der seit Karl May und Sven Hedin bekannten Wüste Takla Makan sowie über den fast 7.000 Meter hohen Tienschan-Rücken, das Himmelsgebirge. Seine Spitzen, mystisch vom Mondlicht bestrahlt – scheinen am Rumpf zu kratzen, „aber wir sind noch 2.000 Meter drüber, beruhigt Jörg. Kein Licht flackert zu uns nach oben, alles menschenleer und minus 30 Grad am Boden kalt.

 

Frostiger Empfang und „Wassermusik

„Guten Morgen, weckt mich Jörg über Bordlautsprecher, aus meinem Liegesessel-Schlummere, „noch eine halbe Stunde bis zur Landung. Um 02 Uhr kommt an Backbord voraus Almaty in Sicht. Nach 2.453 Meilen und einem Spritverbrauch von 55 Tonnen wegen heftigem Headwind setzt unser Frachter mit einem Landegewicht von 222 Tonnen sanft auf. Temperaturschock beim Öffnen der Tür: minus 14 Grad. Tschapka-Fellmützen tragende Kasachen begrüßen uns. Braunkohle-Geruch wie zu DDR-Zeiten ätzt die Nasenschleimhäute. „Jeder Flughafen, schnuppert Jörg, „hat seinen spezifischen Geruch.

Wir müssen das Gepäck ins Wageninnere wuchten, weil die Bus-Heckklappe eingefroren ist. Durch die tief verschneite Vorstadt mit windschiefen Holzhäuschen rollen wir über autofreie mehrspurige Boulevards ins hypermoderne Zentrum mit seinen angestrahlten Protzbauten, zum Teil noch in stalinistischem Stil. Erdöl und -gas haben diese Monumental-Show möglich gemacht. Stop vor dem scheunentorgroßen Empfangsbereich des „Intercontinental Almaty. Eine zehn Meter hohe, mit bunten Kugeln behängte Tanne suggeriert Weihnachtsstimmung, sanfte Klänge umwehen uns: Händels „Wassermusik. Künstliche Palmen recken sich im Atrium in die Höhe. Noch ein schnelles Frühstück, dann ab in die Falle. Ab vier Uhr heißt es nur noch Ausschlafen bis zum Aufwachen. Und Tschüss bis 14 Uhr. 

 

Mit dem Kapitän Schlitten gefahren

Sonnenschein und knackiger Frost. Dick vermummt machen wir uns auf einen kilometerlangen Sightseeing-Marsch durch die schachbrettartig angelegten Straßen von Almaty, „Herkunftsstadt der Apfelbäume, architektonisches Kontrastprogramm inklusive. Nobelkarossen beherrschen den unablässig fließenden Verkehrsstrom.

Tim führt uns bis vor eine Seilbahnstation im Stadtteil Satpaeva. In fünf Minuten landen wir – nach tiefen Einblicken in kasachische Hinterhöfe – auf 1.100 Meter Höhe des Kok-Tobe. Der Blick nach Osten zum überpuderten Tienschan ist atemberaubend. Mehr noch das anschließende Rodelvergnügen, wobei wir mit dem Kapitän Schlitten fahren dürfen. Danach sind wir hungrig und steuern das Restaurant an, vor dem wärmende Holzfeuer brennen. „Heute ist Captains Dinner, lädt Jörg uns zu kasachischen Spezialitäten ein. Bei Sonnenuntergang machen wir uns zu Fuß auf den Rückweg, denn sitzen müssen wir noch lange genug.

Erbarmungslos werden wir um ein Uhr früh geweckt. Abfahrt zwei Uhr. Wieder ein Kontrollmarathon, diesmal durch den Passagierbereich. D-ALCI steht mit 90 Tonnen vollbeladen vor uns. Unter der neuen Flugnummer LH 8575 rollen wir an, um 03.45 Uhr über den Taxiway und heben um vier Uhr ab mit Heimatkurs. Vorbei am Balchaschsee, queren voller Verpflegungsration die Hungersteppe, den Aralsee, das Kaspische Meer, die Ukraine und schließlich Polen, über dem wir sogar meinen Geburtsort im Wartheland streifen.

Punkt 05.30 Uhr, das Nachtflugverbot gilt jetzt nicht mehr, setzt Tim den Riesenvogel nach sieben Stunden, 2.965 Meilen und 55 Tonnen Spritverbrauch routiniert-gekonnt auf die Frankfurter Landebahn. Auf dem „Tacho stehen jetzt rund 22.000 eindrucksreiche Kilometer, einmal halb um die Welt – und das in nur einer Woche: mit Be- und Entladen hochwertiger Fracht, Technik-Checks, Ruhepausen, Klimawechsel. „Da sag noch einer, lächelt Tim, „Cargo sei langweilig. Jörg greift das auf: „Tja, mit Cargo kann man was erleben”.

Eine Woche später dampfe ich bereits auf Höhe Null mit 1.100 Containern durchs Mittelmeer nach Nahost und halte meine Cargo-Erlebnisse fast schon wieder für einen Traum. www.lh-cargo.de      

 

Flugzeugtyp

McDonnell Douglas MD-11F; 1985 als Nachfolger für die DC-10 konzipiert; 1990 absolvierte der Prototyp seinen Jungfernflug; Rumpf wurde um 5,66 Meter verlängert, Seitenleitwerk um ein Drittel verkleinert, hat größere Tragflächen, sparsamere Triebwerke sowie Winglets an den Flügelenden zur Reduzierung des Widerstands und Treibstoffverbrauchs; insgesamt wurden 200 Maschinen ausgeliefert, die erste erhielt Finnair 1990, die letzte Lufthansa Cargo 2001; bis zur Auslieferung der Boeing 777F im Jahre 2007 galt die MD-11F als das modernste und produktivste Frachtflugzeug ihrer Klasse, die einen optimalen Kompromiss in der Größe darstellt; viele im Passagierbetrieb unrentable MD-11 wurden in Vollfrachter umgebaut, aber auch als kombinierte Version (MD-11 C) angeboten, die beide Funktionen verband (im vorderen Rumpfteil Passagiere, hinten Fracht), sowie die MD-11 CF als Convertible mit einer möglichen Umrüstung zum Passagier- oder Frachtflugzeug innerhalb von zwei Tagen.

 

Technische Daten

61,20 m Länge; 51,70 m Spannweite; 18 m Höhe Seitenleitwerk; 6,02 m Rumpfdurchmesser; Flügelfläche: 338,9 qm; 3 Mantelstromtriebwerke: Pratt & Whitney PW 4460 (je 266,9 kN) oder General Electric CF6-80C2D1F (je 273,57 kN Startschub), max. Schub: 57.160 pds; 2,33 Meter Triebwerksdurchmesser, 4,3 t Gewicht (80 % der Luft gehen durch die Turbine, 20 % werden für Verbrennung genutzt); 967 km/h (7.800 m Höhe) max. Geschwindigkeit; 7.242 km max. Reichweite bei voller Zuladung; 94.922 kg max. Zuladung; 285.990 kg max. Startgewicht; Crew: 2.

Eine 
	Lufthansa Cargo MD-11F beim LandeanflugEine Lufthansa Cargo MD-11F beim Landeanflug.

Flugkapitän Jörg Degen und First Officer Tim Holderer beim 
			Briefing im Cargo-Gebäude vor dem Abflug. Jörg hakt im englischen 
			Okay-Dialog mit Tim alles ab.Flugkapitän Jörg Degen und First Officer Tim Holderer beim Briefing im Cargo-Gebäude vor dem Abflug. Jörg hakt im englischen Okay-Dialog mit Tim alles ab.

Gruppenbild mit Kapitän (links), Autor und First Officer in 
			Frankfurt am Main

Gruppenbild mit Kapitän (links), Autor und First Officer in Frankfurt am Main.

Der 
	technische Geräte Check im CockpitDer technische Geräte Check im Cockpit.

Kapitän Degen beim Ground-Check an den BugrädernKapitän Degen beim Ground-Check an den Bugrädern.

Ein 
			Spezial-Tankwagen pumpt Sprit an Bord

Ein Spezial-Tankwagen pumpt Sprit an Bord. 

Ladung 
			wird mit vereinten Kräften in Position gebrachtLadung wird mit vereinten Kräften in Position gebracht.

Der 
			Pushback-Truck hat angepacktDer Pushback-Truck hat angepackt.

Spezial 
	Aircargo Container im LaderaumSpezial Aircargo Container im Laderaum.

Flugkapitän 
	Degen holt Essen aus der Galley und bedient die beiden PferdepflegerFlugkapitän Degen holt Essen aus der Galley und bedient die beiden Pferdepfleger.

 

Die 
	wertvollen Pferde in ihren Boxen werden rund um die Uhr betreutDie wertvollen Pferde in ihren Boxen werden rund um die Uhr betreut.

Angekommen 
	in Sharjah und Luke aufAngekommen in Sharjah und Luke auf.

Auch 
	diese Pferdebox ist gut in Sharjah angekommenAuch diese Pferdebox ist gut in Sharjah angekommen.

 

Mango-Erfrischung 
	für die Crew in DubaiMango-Erfrischung für die Crew in Dubai.

Im 
	Heritage Center von DubaiIm Heritage Center von Dubai.

 

Open-Air 
	Dinner in DubaiOpen-Air Dinner in Dubai.

Himalaya 
	mit Mount Everest querab an BackbordHimalaya mit Mount Everest querab an Backbord.

Mit 
	der legendären Star Ferry fährt man in Hong Kong von Kowloon nach VictoriaMit der legendären Star Ferry fährt man in Hong Kong von Kowloon nach Victoria.

 

Zwei 
	Welten prallen in Hong Kong aufeinanderZwei Welten prallen in Hong Kong aufeinander.

Blick vom Hongkong Peak auf die City
Blick vom Hongkong Peak auf die City.

Freizeitvergnügen 
	Schlittenfahren hoch über Almaty – früher Alma-ata – inFreizeitvergnügen Schlittenfahren hoch über Almaty – früher Alma-ata – in ...

 

Kasachstan. Zivil entspannte Runde der Crew in der Hotel Lobby 
	in Almaty

... Kasachstan. Zivil entspannte Runde der Crew in der Hotel Lobby in Almaty.

First Officer Tim Holderer, Flugkapitän Jörg Degen und 
		Flugbegleiter Jens vor einem Weihnachtsbaum in Almaty, Kasachstan

 First Officer Tim Holderer, Flugkapitän Jörg Degen und Flugbegleiter Jens vor einem Weihnachtsbaum in Almaty, Kasachstan.

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