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Vor dem Riesenrumpf der MD-11F. |
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Dr. Peer
Schmidt-Walther Ein Seemannstraum – per Frachter in die Luft Mit Lufthansa-Cargo-MD-11F in einer Woche um die halbe Welt |
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Zugegeben, von TEU verstehe ich mehr als von VIC.
Aber immer, wenn ich mich auf der Seite
www.flightradar24 getummelt habe, überkamen mich ein bisschen Neid und
viel Neugier. Vor allem auf die Luftfrachter. Wofür ein Containerschiff
Wochen durch die See stampfen muss, das packt ein Cargo-Flugzeug in einem
Luftsprung von nur wenigen Stunden. Der Autor wollte deshalb die zuckenden
kleinen gelben Flieger nicht nur sehnsüchtig auf der Bildschirmkarte
verfolgen, sondern auch mal live dabei sein. Auf der Brücke, pardon: im
Cockpit natürlich. Das war mir auf dem Flug von Kanada in die USA
allerdings noch nicht vergönnt. Ich wunderte mich jedoch, wieso zwei
Uniformierte mit goldenen Streifen unter den Passagieren saßen. Aber man
kann ja mal fragen, dachte ich mir, und steuerte einfach auf die beiden zu.
Ob sie nicht eigentlich ins Cockpit gehörten, begann ich das Gespräch. Wie
sich schnell herausstellte, waren es zwei Lufthansa-Cargo-Piloten. Die
hatten gerade ihre Fracht in der kanadischen Metropole Toronto abgeliefert
und waren auf dem Weg nach New York, wo sie nach einem Tag Pause die nächste
Maschine nach Frankfurt übernehmen sollten. Spontan fragte ich, ob ich denn
irgendwann mal mitfliegen könnte, um darüber zu berichten. Aus meiner wenig
fachlich beleckten Sicht als Seemann und Schifffahrtsjournalist, der mit
allen Wassern der Weltmeere gewaschen ist. Kapitän Jörg Degen gefällt die
Idee und er bietet spontan an, das prüfen zu lassen: „Sie hören dann von mir”. Networking the world Jörg Degen hielt lufthanseatisch Wort. Schon nach
wenigen Tagen kam Antwort: „Wir würden gern mal mit Ihnen darüber reden”.
Also auf an den Main. Im LH-Airbus A 321 von Tegel nach Frankfurt hatte ich
den Sitzplatz 11F – ein Fingerzeig? Kapitän Jörg Degen nahm mich am
Lufthansa-Cargo-Zentrum in Empfang. Mit dazu gesellte sich Tim Holderer,
Communications-Referent und Senior First Officer MD-11F. Gemeinsam klärten
wir die Modalitäten für meinen Mitflug als „Frachtbegleiter”.
„Wir brauchen nur noch einen Termin”,
erklärte Degen zuversichtlich, „dann kann’s
losgehen”. Von Tim Holderer erfahre ich, dass die Frachttochter des Lufthansa-Konzerns zu den größten Cargo-Fluggesellschaften der Welt gehört und sich auf den sicheren und minutenpünktlichen Transport wertvoller Fracht spezialisiert hat wie Medikamente, Tiere, Obst, Blumen, Ersatzteile, Elektronik. Die Frachtgruppe Goldbarren, Kunstwerke oder Geld wird von den Abfertigungsspezialisten nur kurz VIC genannt, Very Important Cargo. „Das alles muss schnell von einem Ende der Welt zum anderen geschafft werden”, erklärt er. Luftfracht werde eigentlich nur gebucht, wenn die Fracht entweder so extrem eilig, schnell verderblich oder wertvoll sei, dass Spediteure sie nicht in einen Container verladen können, der wochenlang auf See ist. Wie viel die Luftfracht prozentual in der Exportbilanz ausmache? Die Antwort erstaunt: nur ein Prozent, dafür rund 35 vom Wert her, bezogen auf das Volumen aller Verkehrsträger. Wobei zusätzlich die Frachtkapazitäten von über 300 Passagierflugzeugen des Konzerns vermarktet werden, was etwa der Hälfte der von Cargo transportierten Menge entspricht. 18 dreistrahlige Lufthansa-Cargo-Maschinen vom rund
dreiundzwanzig Jahre alten, aber zuverlässigen Typ McDonnell-Douglas MD-11F
– und seit 19. November einen sparsameren und leiseren Neuzugang vom Typ
Boeing 777 F „Triple Seven”,
der erste von fünf – bewältigen seit zwanzig Jahren ihr Fracht-Pensum von
rund 1,8 Millionen Tonnen jährlich: in Umläufen mit einem Streckennetz von
300 Zielen auf vier Kontinenten. „Networking the world”,
lautet denn auch konsequenterweise der Spruch auf dem Schlüsselanhänger, den
Tim um den Hals hängen hat. Wobei auch die Vernetzung auf dem Land- und
Seeweg gemeint ist. Kurios-elementare Beobachtung am Rande: Flugzeuge haben
unter den Flügeln eine kilometerstarke Luft-, Schiffe unterm Kiel eine
ebensolche Wassersäule. Sprachlich gibt es eine Reihe von Übereinstimmungen:
zum Beispiel Back- und Steuerbord, Laderaum, Trimm, (Flug-)Hafen,
Kompasskurs. Und Strecken werden, nicht nur bei Wasserflugzeugen, in
Nautical Miles, Seemeilen, gemessen. „Aber”,
wendet Tim ein, „hier geht es nicht um Stunden oder Tage, sondern um Minuten”. Fliegen ohne Boarding pass Mitte November ist es schließlich soweit: Mein Traum
soll tatsächlich in Erfüllung gehen – unfassbar, weil normalerweise so gut
wie unmöglich. Aus Sicherheitsgründen, wie es heißt, aber ich habe nach
gründlicher Hintergrund-Überprüfung offenbar problemlos alle Hürden nehmen
können. „Wollen Sie nur nach Frankfurt oder noch weiter?”
Als die Tegeler LH-Check-in-Kollegin Sharjah hört, fragt sie erstaunt
zurück: „Ohne Boarding pass?”
Ja, ohne den – zum ersten Mal in meinem Leben. Unter Seeleuten und Piloten ist es üblich, sich zu
duzen. Jörg bietet das beim Briefing spontan an, und man fühlt sich sofort
in den Kreis der sympathischen Lufthanseaten aufgenommen. Kapitän und First
Officer (FO) haben dann nur noch Augen für ihre Bildschirme: Flugstrecke,
Wetter, Besonderheiten. „Anfangs noch leichter Tail Wind, Wind von achtern”,
erklärt Jörg die Lage, „sieht insgesamt gut aus”.
Sie wählen den kürzesten Weg – „um Sprit zu sparen und weil es um Minuten
geht, sonst kommt der Umlaufplan durcheinander”,
so Tim – aber die beiden machen sich auch Gedanken über Ausweichhäfen
aufgrund möglicher Wetteränderungen. Millionenschwere 9 PS-VIC an Bord Wir Vier besteigen den Crew-Bus. Dann stehen wir vor „unserem” mächtigen Großraumflugzeug-Frachter von 115 Tonnen Leergewicht, 61,20 Meter Länge, 51,70 Meter Spannweite und 18 Meter Höhe. Beeindruckend. Seine Kennung D-ALCG. „Wobei, klar, D für Deutschland steht”, erklärt Jörg, „A heißt schwerer als 20 Tonnen, LC bedeutet Lufthansa Cargo und die Buchstaben A bis S sind die individuellen Kennzeichen der einzelnen Maschinen”. Alle 18 MD-11F-Haudegen sind – bis auf ihre Kennung – noch namenlos, was sich aber ändern soll. Nach der werksneuen „Triple-Seven”, die auf „Good Day USA!” getauft wurde, sollen auch alle anderen Frachter einen Gruß-Namen bekommen. Die riesige Klappe des Frachtraums reckt sich in den
Abendhimmel, den Scheinwerfer taghell erscheinen lassen. Es herrscht
Hochbetrieb. Dick verschnürte Paletten werden auf einen Hublader gerollt und
vom Verladepersonal im MD-11F-Bauch verstaut. Drei Container bleiben bis zum
Schluss draußen. Nur durch ihr Schnauben – anders als die übrige anonyme
Ladung – macht sich der Inhalt bemerkbar: Pferde. Ihre Begleiter, zwei
holländische Pferdewirte von einem Gestüt, verraten mehr: „Das sind Renn-
und Reitpferde des Scheichs von Sharjah. Wert zwischen einem und fünf
Millionen Euro”.
Also Quasi-VIC. Sie seien Vielflieger, höre ich, weil sie vom brütend heißen
Golf-Sommer auf die grünen Wiesen von Europa gebracht werden.
Gebetsmühle Check list Zum Schluss werden in Kühlboxen noch Verpflegung und Getränke gebracht. Die Kaffeemaschine verbreitet einen gemütlichen Duft in der kleinen Crew-Kabine. Dann heißt es: Klappe zu, Ladearbeiter samt Techniker von Bord und Ground Check. Kapitän Jörg Degen streift die Sicherheitsweste über und verlässt über die Gangway sein „268,8-Tonnen-Luftschiff” – inklusive 93,8 Tonnen Maximal-Ladung und 60 Tonnen Kerosin –, um die Maschine von außen zu kontrollieren. Ich darf dabei sein. Er leuchtet per Taschenlampe den Rumpf ab, lässt den
Lichtstrahl durch die 2,33 Meter hohen Triebwerkseinlässe über die
Turbinenschaufeln gleiten, richtet ihn in die Schächte des Fahrwerks,
überprüft Positionslaternen und Reifen. „Alles einwandfrei”,
befindet Jörg und klettert wieder ins Cockpit. Hier wartet Tim schon mit der
„Checklist”,
die nahezu gebetsmühlenartig abgearbeitet werden muss. „Wir können das auch
aus dem Kopf”,
geht Tim auf meinen fragenden Blick ein, „aber hier darf kein einziger Punkt
durch Vergessen unterschlagen werden. Sicherheit hat nun mal oberste
Priorität”.
Jörg hakt im englischen Okay-Dialog mit Tim alles ab: „Dann können wir ...”
Über Funk meldet sich der Fahrer des PS-starken Pushback Trucks unter der
Bugnase, der die MD-11 von der Parkposition wegziehen soll: „Kleinen Moment
noch ...” Mal auf einem Frachter mitfahren Eigentlich sollte es früher losgehen, um für
unterwegs über dem Schwarzen Meer angesagten Gegenwind, head wind,
auszugleichen. Wie gesagt, es geht um Minuten. Zum Zeichen, dass keine
Hindernisse mehr rund um die Maschine stehen, reckt ein Techniker seinen
rechten Daumen, Jörg quittiert mit seinem: „Alles klar”,
und Tim meldet das dem Tower. Der Truck zieht an und bringt seinen
Riesenanhang in Rollposition, wo der Fahrer abkoppelt und das letzte
Klarzeichen gibt. D-ALCG, Flugnummer LH 8458, rollt, angetrieben durch die
eigene Kraft der Triebwerke, auf einem der zahlreichen Taxiways zur
Startposition. Jörg steuert das Bugrad per Hand und muss in jeder Kurve weit
ausholen, da die Haupt-Fahrwerksräder starr sind. Wie bei einem Fernlaster
mit Sattelauflieger. Geschwindigkeit: etwa 15 Knoten – was der
Geschwindigkeit so manch eines Frachtschiffs in voller Fahrt entspricht.
„Wir sehen die immer nur unter uns dahin schleichen”,
meint Jörg, der seinerseits einen Traum hat: „Mal auf einem Frachtschiff
mitfahren, wenn’s
Dienstplan und Familie erlauben”. Angekommen und Stopp. Funkverkehr mit dem Fluglotsen
im Tower: „Lufthansa 8458 cleared for takeoff”,
vernehme ich über den Kopfhörer. Angeschnallt mit Oberkörper- und
Beingurten, warte ich angespannt in meinem erhöhten Sitz zwischen Kapitän
und FO auf das Kommando-Prozedere. Vor mir leuchtet in bunten Farben die
Instrumententafel und beleuchtet die Gesichter schemenhaft. Durch die großen
Fenster – von Insidern wird das Cockpit daher auch liebevoll „Wintergarten
der Lüfte”
genannt – schweift der 180-Grad-Blick vom strahlenden Flughafengebäude über
die voraus blinkende Startbahn, deren gelbe Lichter sich nach hinten
perspektivisch zu einem Punkt verengen. Kommando-Prozedere vor Flug-Physik „Take off!”,
gibt Kapitän Jörg auf Lotsen-Anweisung an seinen FO das Kommando, der die
Maschine steuert. Die drei General-Electric-Turbinen heulen auf: Beginn des
Startlaufs. „Go!”
heißt der nächste Schritt, wenn der Start nicht mehr abgebrochen werden
kann. Die Lichter an Back- und Steuerbord flitzen immer schneller vorbei,
verwandeln sich zu einer durchgehenden Leuchtspur. Dann um 22.20 Uhr, 40
Minuten vor dem Beginn des Nachtflugverbots, das Finale: „Rotate!”
Abheben bei 330 Stundenkilometern oder 178 Knoten mit 57.160 Pounds
Maximal-Schub. Tim zieht die Maschine hoch, steil reckt sie ihre Nase in den
Himmel. Die Bodenlichter verquirlen in den Wolken, als D-ALCG sich in die
Kurve legt und eine Schleife zieht. Auf 33.000 Fuß lässt Tim die MD-11F
klettern, trimmt sie waagerecht und steuert die Automatik auf 135 Grad ein.
„Die MD-11F”,
erklärt Jörg, „ist eines der anspruchsvollsten Großflugzeuge und dem Piloten
bleibt weniger Zeit zu reagieren. Warum? Sie hat die gleiche Bauweise wie
die Passagierversion, ist aber, um Fracht fliegen zu können, für höhere
Start- und Landegewichte zugelassen”. Die Lichtpünktchen von Würzburg und Nürnberg
verabschieden sich durch Wolkenlücken. Weiter führt der Kurs, wie das
Navigationsdisplay zeigt, über die Alpen, Tschechien, Slowakei, Ungarn,
Rumänien, Ukraine, Türkei, Irak, Kuwait bis zu den Vereinigten Arabischen
Emiraten am Persischen Golf. „Jeder Überflug muss schon lange im Voraus
angemeldet werden”,
erklärt Jörg, „was natürlich auch mit Kosten verbunden ist”. Romantik im Mondschein mit Elmsfeuer Dinner time: Der Kapitän höchstpersönlich erwärmt in
der Galley das Business-Class-Abendessen: ob Lachs, Steak, Huhn oder Lasagne
– wir haben die Auswahl. Dazu werden selbstverständlich nur alkoholfreie
Getränke serviert. Das übernehmen Jens und ich, die Frachtbegleiter, als
„Saftschubser”
ehrenhalber. Gegessen wird mit Tablett auf den Knien im Cockpit. Regelrecht
romantisch wird es, als der Vollmond ins Cockpit blinzelt und die
wolkenfreie türkische Schwarzmeerküste mit dem tief verschneiten Pontischen
Gebirge in ein magisches Licht taucht. Eine Sicht, wie man sie nur aus dem
Cockpit haben kann. Noch nie war ich den Sternen so nahe. Tim empfindet das
immer wieder genauso. Wenig später: Über dem Irak tobt ein Gewitter, die Maschine wird gerüttelt und geschüttelt, grüne Elmsfeuer zucken beängstigend über die Frontscheiben. Für Kapitän und FO gibt es keine Ruhepause, im Gegensatz zur Seefahrt. Dort steht vier bis sechs Stunden lang immer nur ein Mann auf der Brücke. Jörg begründet knapp und Tim ergänzt: „Toilette natürlich ja, aber ein Nickerchen nein”. „Eine Wachablösung ist aus Sicherheitsgründen nicht erlaubt. Plötzlicher Druckabfall oder Sauerstoffverlust kann zur Ohnmacht führen. Folglich müssen immer zwei Mann vorn sein”. Hoch konzentriert geht der FO den Landeanflug auf
Sharjah an. Bis an Backbord die 828 Meter aufragende Beton- und Glasnadel
des Burj Khalifa, höchstes Gebäude
der Erde, im Wüsten-Morgendunst auftaucht. Salzhaltige Luft verklebt die
Frontscheiben, so dass Tim die Scheibenwischer einschalten muss. Nach sechs
Stunden Flugzeit und 2.707 Nautischen Meilen setzt der Frachter watteweich
auf und wir werden in die Gurte gepresst. Frankfurter Zeit: 04.15, Ortszeit:
07.05. Rumpelnd rollt D-ALCG zu ihrer Position vor einer Frachthalle. „Nur
50 Tonnen Spritverbrauch dank Jet stream”,
ist Senior-FO Tim zufrieden, „bleiben noch knapp acht in den Tanks, die für
eine Reserve-Flugstunde reichen”.
City-Blick und Kurzschlaf Die Tür öffnet sich. „Zabaach Alchär. Guten Morgen”, werden wir vom arabischen Lademeister auf der Gangway begrüßt. Sommerlich warme Luft – 18 Grad mehr als in Frankfurt – schlägt uns entgegen. |
„Zuerst müssen die Pferde raus”,
melden sich die Tierpfleger zu Wort, als die Ladepforte ausschwenkt.
Tatsächlich, nur Minuten später stehen die drei Boxen neben der Maschine.
Neugierig strecken die Edelblüter ihre Köpfe heraus und lassen sich
streicheln. Als ob nichts gewesen wäre. Der Crew-Bus steht schon vor dem
Terminal bereit. Über die beidseitig 16-spurige Autobahn schleichen wir im
morgendlichen Stop-and-Go ins zehn Kilometer entfernte Dubai, barrierefrei.
Grenzen gibt es in den VAE nicht. Frühstückspause im bombastischen Intercontinental,
denn die Zimmer sind noch nicht frei. Endlich können wir uns verziehen,
nicht ohne uns zu 17 Uhr in der goldglänzenden Lobby verabredet zu haben.
Auf dem Programm: nur noch Klamotten runter, duschen und schlafen. Der Blick
schweift hinüber zu den Wolkenkratzern von Dubai City. Piraten und Gourmetfreuden „Reiseleiter” Jörg, wie Tim statt Uniform in legerem Freizeitlook, schlägt vor, nach einer Schlafpause per Taxi in die Altstadt zu fahren. Endstation die Baniyas Road am Dubai Creek. Wir gönnen uns einen frisch gepressten Maracuja-Saft und bummeln am Kai entlang, an denen hoch beladene hölzerne Dhaus festgemacht haben. Kartons mit Fernsehern, Waschmaschinen und Computern stapeln sich unbewacht auf der Pier. Seeleute, Piraten aus 1001er Nacht nicht unähnlich, turnen auf den Warenstapeln herum. In den Basaren des Alten Souk schnuppern wir Orient
pur, lassen uns mit einer traditionellen Abra-Fähre – ein Muss in Dubai –
tuckernd über den Creek setzen und tauchen ab in das „Al Shindaga Historical
Heritage Village”
der komplett in altarabischem Lehmbau-Stil restaurierten Altstadt.
Gourmetfreuden krönen den Abend, denn die Luftfracht-Schiffer können diese
Nacht durchschlafen. Wir speisen fürstlich unter Palmen bei Mondschein im
weichen Nachtwind. Seeleuten im Container-Zeitalter sind derartige Freuden
eher selten vergönnt. Gnadenlos klingelt um 05.15 Uhr das
Kapitäns-Wecktelefon. „Guten Morgen”,
meldet sich Jörg gut gelaunt, „na, schon munter? In einer Stunde treffen wir
uns unten”.
Punkt 06.15 Uhr geht’s
in einer halben Stunde zurück zum Airport, auch auf der Gegenseite nur in
achtspurigem Schleichtempo. Luftbild-Geographie aus erster Hand Wieder die obligatorischen
Kontrollen, bis wir endlich vor unserem nächsten Frachter stehen.
Diesmal ist es D-ALCA, die erste MD-11F, die an Lufthansa ausgeliefert
wurde. Diesmal sind nur 7,7 Tonnen Fracht im Laderaum. „Leichtgewicht, für
unseren Flug und sparsamen Verbrauch nur von Vorteil”,
freut sich der Kapitän, „auch wenn wir natürlich viel lieber voll beladen
fliegen”.
Pünktlich um acht Uhr meldet die Flugnummer LH 8470 „klar zum Abflug”.
Nachdem der Pushback Truck rückwärts gezogen und abgekoppelt hat, rollt die
Maschine zügig zur Startposition und hebt voll im Plan um 08.15 Uhr ab. Die Luft ist klar – aus dem Cockpit ein filmreifer
Seh-Genuss: Luftbild-Geographie hautnah. Unter uns gleitet mit knapper
Schallgeschwindigkeit die Wüsten-Gebirgslandschaft von Oman hindurch. Zeit
zum Schauen bleibt bei der Höhe allemal. Nach der Halbinsel Mussandam queren
wir die schmale Straße von Hormuz, durch die spielzeugklein gewaltige
Supertanker im Schneckentempo schäumen. Entlang der siedlungsleeren iranischen Küste mit
endlosen weißen Sandstränden schießt LH 8470 nach Südosten: über Pakistan
mit dem mächtigen Indus hinweg und hinein nach Indien, bis an Backbord eine
schneebedeckte Gebirgskette auftaucht: der nepalesische Himalaya, mit über
8.000 Metern höchstes Gebirge der Welt. Es scheint, als würden wir unterhalb
der vereisten Gipfelflur fliegen, tatsächlich aber, weil wir mit dem
Startgewicht von weniger als 160 Tonnen relativ leicht sind,
in 41.000 Fuß, also rund 4.500 Meter höher. Dann zeigt er sich in
unfassbaren rund 200 Meilen Abstand fast zum Greifen nahe: der Mount
Everest, König aller Berge. Jens reicht gekonnt – denn seine
Stewardqualitäten hat er nicht verlernt – das Lunch für den Verzehr auf
Knien. „Alltag für uns”,
kommentiert das der Kapitän und lässt sich’s
mit Gebirgsblick schmecken. Kontrastprogramm Bangladesh mit dem ausschweifend
pendelnden Ganges-Bramaputra-Delta. Myanmar, das ehemalige Birma, zeigt
tropisch-üppiges Grün. Krass: Außentemperatur: winterlich-hocharktische
minus 60 Grad, Backofen am Boden bei über plus 30 Grad Celsius. „Da unten am
rechten Flussufer”,
zeigt Jörg auf die PC-Karte, „verläuft die chinesische Grenze”,
die ich mit eigenen Augen sehe. Wir
schweben über das Reich der Mitte und landen nach einer großen Schleife über
das Lichtermeer und die Südchinesische See auf der Insel Lantau mit dem
weitläufigen Flughafen von Hong Kong. Wieder butterweich und minutengenau:
um 19.00 Uhr, fernöstliche sieben Stunden voraus gegenüber Frankfurt und 16
Grad wärmer. 3.417 Meilen oder sieben Flugstunden von Sharjah entfernt.
„Langstrecke ist Reisen, immer was Neues”,
grinst Tim, „aber Kurzstrecke, das bedeutet Fliegen pur”. Avenue of Stars
mit Bauernnacht Unkompliziert die Immigration, schnell der
Crewbus-Transfer nach downtown Hong Kong Island, dem früheren Victoria: auf
einem gut ausgebauten Highway am Hafen entlang mit unzähligen
Containerfrachtern, die Wochen bis hierher gebraucht haben, und
Wohnmaschinen aus tausenden von erleuchteten Waben. Im „Renaissance-Hong
Kong Harbour-View-Hotel”
sind wir angemeldet. Unsere Lufthansa-Cargo-Residenz bis zum nächsten Abend.
Der City-Hafen-Blick aus dem 39. und höchsten Stock auf die in allen Farben
schillernde Metropole ist geradezu atemberaubend. Nur aus der MD-11F ist er
natürlich besser, anders eben. Munter, wie wir noch sind, hält uns nichts im Hotel.
An der nahe gelegenen Wan Chai Ferry Pier gehen wir an Bord. Stampfend und
rollend im Schwell der vielen Boote schippern wir mit einer der grün-weißen
legendären Star-Line-Fähren über den Victoria Harbour nach Kowloon auf dem
chinesischen Festland. Vom Heck aus bestaunen wir die grell illuminierte
Skyline von Hong Kong Island. Vom angestrahlten Clock Tower, Big Ben in
London nachempfunden, lassen wir uns im Menschenstrom über die berühmte
Avenue of Stars treiben. Hin und wieder wandert der Blick auch zur
Sternkulisse, vor der Flugzeuge wie zum Abschied blinkend über die Stadt
düsen. Gegenüber vom HK Space und Museum of Art tauchen wir
ab in die koloniale Glitzerwelt des „Peninsula”,
dem bekanntesten und wohl ältesten Hotel von Hong Kong. In der Sky Bar mit
Harbour-Blick gönnen wir uns ein Bier und lauschen den Klängen einer
Jazz-Band. Zurück geht es per Taxi durch den Cross Harbour Tunnel ins Hotel.
„Wir können ausschlafen”,
freuen sich Jörg und Tim auf die „Bauernnacht”,
„bis morgen um zehn Uhr!” Subtropisch-sibirisches Temperaturgefälle 13 Uhr: Treffen mit der Crew und auf zu neuen Ufern.
Die doppelstöckige Uralt-Straßenbahn rumpelt mit uns durch die Gloucester
Road. Zu Fuß geht es bei plus 23 Grad weiter durch fernöstliches Getümmel
zur Talstation der „The Peak Tram Station”.
Die Standseilbahn aus schweizerischer Produktion zieht uns hinauf zum 550
Meter hohen Gipfel, dem die schillernde Stadt zu Füßen liegt. Zurück nehmen
wir staunend den Weg durch subtropische Vegetation, in der unter
Brettwurzel-Baumriesen auch eine riesige Vogelvoliere versteckt ist. Ein
schneller Imbiss „beim Chinesen”
und dann ruft schon wieder das Bett. Zwei Stunden bleiben zum Packen, Ausstrecken und
Duschen, bis uns der Bus um 19.45 Uhr wieder abholt. Unser neues Zuhause für
gut sechs Stunden: D-ALCO mit der Flugnummer LH 8453. Die beiden Piloten
absolvieren ihre Außen- und Innenchecks. Klappen dicht, Taxiway und ab geht’s
– mit letzten Blicken herab auf die Glühwürmchen der Weltmetropole, bis wir
wieder über den Wolken schweben. Unsere Route führt über chinesisches Tief-
und Hochland mit der seit Karl May und Sven Hedin bekannten Wüste Takla
Makan sowie über den fast 7.000 Meter hohen Tienschan-Rücken, das
Himmelsgebirge. Seine Spitzen, mystisch vom Mondlicht bestrahlt – scheinen
am Rumpf zu kratzen, „aber wir sind noch 2.000 Meter drüber”,
beruhigt Jörg. Kein Licht flackert zu uns nach oben, alles menschenleer und
minus 30 Grad am Boden kalt.
Frostiger Empfang und „Wassermusik „Guten Morgen”,
weckt mich Jörg über Bordlautsprecher, aus meinem Liegesessel-Schlummere,
„noch eine halbe Stunde bis zur Landung”.
Um 02 Uhr kommt an Backbord voraus Almaty in Sicht. Nach 2.453 Meilen und
einem Spritverbrauch von 55 Tonnen wegen heftigem Headwind setzt unser
Frachter mit einem Landegewicht von 222 Tonnen sanft auf. Temperaturschock
beim Öffnen der Tür: minus 14 Grad. Tschapka-Fellmützen tragende Kasachen
begrüßen uns. Braunkohle-Geruch wie zu DDR-Zeiten ätzt die
Nasenschleimhäute. „Jeder Flughafen”,
schnuppert Jörg, „hat seinen spezifischen Geruch”. Wir müssen das Gepäck ins Wageninnere wuchten, weil
die Bus-Heckklappe eingefroren ist. Durch die tief verschneite Vorstadt mit
windschiefen Holzhäuschen rollen wir über autofreie mehrspurige Boulevards
ins hypermoderne Zentrum mit seinen angestrahlten Protzbauten, zum Teil noch
in stalinistischem Stil. Erdöl und -gas haben diese Monumental-Show möglich
gemacht. Stop vor dem scheunentorgroßen Empfangsbereich des
„Intercontinental Almaty”.
Eine zehn Meter hohe, mit bunten Kugeln behängte Tanne suggeriert
Weihnachtsstimmung, sanfte Klänge umwehen uns: Händels „Wassermusik”.
Künstliche Palmen recken sich im Atrium in die Höhe. Noch ein schnelles
Frühstück, dann ab in die Falle. Ab vier Uhr heißt es nur noch Ausschlafen
bis zum Aufwachen. Und Tschüss bis 14 Uhr. Mit dem Kapitän
Schlitten gefahren Sonnenschein und knackiger Frost. Dick vermummt
machen wir uns auf einen kilometerlangen Sightseeing-Marsch durch die
schachbrettartig angelegten Straßen von Almaty, „Herkunftsstadt der
Apfelbäume”,
architektonisches Kontrastprogramm inklusive. Nobelkarossen beherrschen den
unablässig fließenden Verkehrsstrom. Tim führt uns bis vor eine Seilbahnstation im Stadtteil Satpaeva. In fünf Minuten landen wir – nach tiefen Einblicken in kasachische Hinterhöfe – auf 1.100 Meter Höhe des Kok-Tobe. Der Blick nach Osten zum überpuderten Tienschan ist atemberaubend. Mehr noch das anschließende Rodelvergnügen, wobei wir mit dem Kapitän Schlitten fahren dürfen. Danach sind wir hungrig und steuern das Restaurant an, vor dem wärmende Holzfeuer brennen. „Heute ist Captains Dinner”, lädt Jörg uns zu kasachischen Spezialitäten ein. Bei Sonnenuntergang machen wir uns zu Fuß auf den Rückweg, denn sitzen müssen wir noch lange genug. Erbarmungslos werden wir um ein Uhr früh geweckt.
Abfahrt zwei Uhr. Wieder ein Kontrollmarathon, diesmal durch den
Passagierbereich. D-ALCI steht mit 90 Tonnen vollbeladen vor uns. Unter der
neuen Flugnummer LH 8575 rollen wir an, um 03.45 Uhr über den Taxiway und
heben um vier Uhr ab mit Heimatkurs. Vorbei am Balchaschsee, queren voller
Verpflegungsration die Hungersteppe, den Aralsee, das Kaspische Meer, die
Ukraine und schließlich Polen, über dem wir sogar meinen Geburtsort im
Wartheland streifen. Punkt 05.30 Uhr, das Nachtflugverbot gilt jetzt nicht mehr, setzt Tim den Riesenvogel nach sieben Stunden, 2.965 Meilen und 55 Tonnen Spritverbrauch routiniert-gekonnt auf die Frankfurter Landebahn. Auf dem „Tacho” stehen jetzt rund 22.000 eindrucksreiche Kilometer, einmal halb um die Welt – und das in nur einer Woche: mit Be- und Entladen hochwertiger Fracht, Technik-Checks, Ruhepausen, Klimawechsel. „Da sag’ noch einer”, lächelt Tim, „Cargo sei langweilig”. Jörg greift das auf: „Tja, mit Cargo kann man was erleben”. Eine Woche später dampfe ich bereits auf Höhe Null
mit 1.100 Containern durchs Mittelmeer nach Nahost und halte meine
Cargo-Erlebnisse fast schon wieder für einen Traum.
Flugzeugtyp McDonnell Douglas MD-11F; 1985 als Nachfolger für
die DC-10 konzipiert; 1990 absolvierte der Prototyp seinen Jungfernflug;
Rumpf wurde um 5,66 Meter verlängert, Seitenleitwerk um ein Drittel
verkleinert, hat größere Tragflächen, sparsamere Triebwerke sowie Winglets
an den Flügelenden zur Reduzierung des Widerstands und Treibstoffverbrauchs;
insgesamt wurden 200 Maschinen ausgeliefert, die erste erhielt Finnair 1990,
die letzte Lufthansa Cargo 2001; bis zur Auslieferung der Boeing 777F im
Jahre 2007 galt die MD-11F als das modernste und produktivste Frachtflugzeug
ihrer Klasse, die einen optimalen Kompromiss in der Größe darstellt; viele
im Passagierbetrieb unrentable MD-11 wurden in Vollfrachter umgebaut, aber
auch als kombinierte Version (MD-11 C) angeboten, die beide Funktionen
verband (im vorderen Rumpfteil Passagiere, hinten Fracht), sowie die MD-11
CF als Convertible mit einer möglichen Umrüstung zum Passagier- oder
Frachtflugzeug innerhalb von zwei Tagen.
Technische Daten 61,20 m Länge; 51,70 m Spannweite; 18 m
Höhe Seitenleitwerk; 6,02 m Rumpfdurchmesser; Flügelfläche: 338,9
qm; 3 Mantelstromtriebwerke: Pratt & Whitney PW 4460 (je 266,9 kN)
oder General Electric CF6-80C2D1F (je 273,57 kN Startschub), max.
Schub: 57.160 pds; 2,33 Meter Triebwerksdurchmesser, 4,3 t Gewicht (80
% der Luft gehen durch die Turbine, 20 % werden für Verbrennung
genutzt); 967 km/h (7.800 m Höhe) max. Geschwindigkeit;
7.242 km max. Reichweite bei voller Zuladung; 94.922 kg max. Zuladung; 285.990
kg max. Startgewicht; Crew: 2. |
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Eine
Lufthansa Cargo MD-11F beim Landeanflug. |
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Der technische Geräte Check im Cockpit. |
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Spezial Aircargo Container im Laderaum. |
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Flugkapitän Degen holt Essen aus der Galley und bedient die beiden Pferdepfleger. |
Die wertvollen Pferde in ihren Boxen werden rund um die Uhr betreut. |
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Angekommen in Sharjah und Luke auf. |
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Auch diese Pferdebox ist gut in Sharjah angekommen. |
Mango-Erfrischung für die Crew in Dubai. |
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Im Heritage Center von Dubai. |
Open-Air Dinner in Dubai. |
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Himalaya mit Mount Everest querab an Backbord. |
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Mit der legendären Star Ferry fährt man in Hong Kong von Kowloon nach Victoria. |
Zwei Welten prallen in Hong Kong aufeinander. |
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Blick vom Hongkong Peak auf die City. |
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Freizeitvergnügen Schlittenfahren hoch über Almaty – früher Alma-ata – in ... |
... Kasachstan. Zivil entspannte Runde der Crew in der Hotel Lobby in Almaty. |
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First Officer Tim Holderer, Flugkapitän Jörg Degen und Flugbegleiter Jens vor einem Weihnachtsbaum in Almaty, Kasachstan. |
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