Herbert Fricke · Ressortleiter HamburgMagazin
„Lieber ’ne schneidige Kollision als ein lasches Manöver!” Das war mal der
Leitspruch nicht nur der nautischen Draufgänger, der Seefahrer, der
Freibeuter, der Entdecker und Navigatoren. Früher ging es oft durch’s
politische Wildwasser, durch Strudel und Wellen und Stürme, vorbei an
gefährlichen Untiefen und Klippen. Heute dümpeln die trägen Kähne der
Politik im seichten Gewässer deutscher Angepasstheit, heute treiben unsere
eigentlich seetüchtigen Schiffe auf voll durchregulierten künstlichen
Wasserstraßen und Kanälen. Früher schwammen nur tote Fische mit dem Strom.
Heute lassen sich auch die lebendigen flussabwärts treiben. Früher wurde um
die Zukunft gekämpft, zum Beispiel lautstark in den Parlamenten. Heute wird
mehr still gemauschelt, zum Beispiel in den Hinterzimmern der Parteien.
Nein, früher war nicht alles besser. Aber manches auch nicht schlechter. Und
vor allem: es war spannender: die Seefahrt und die Politik. Und ihre vielen
Gemeinsamkeiten.
Vergleichen wir doch nur mal die Besatzungen − der
Staatsschiffe und der Parlamente und Parteien. Früher ging es heiß her in
den deutschen Parlamenten. Strauß und Wehner, Schmidt und Kohl, Renger,
Weizsäcker, Schröder, Fischer. Und heute? Frau Nahles-Schales, ach Gott, und
Herr Dobrinth, Herr Pofalla-Eigenweichensteller, und Herr … wie heißt der
eigentlich, der grüne Oberstotterer mit den blondgetönten Mädchenlocken?
Eigentlich ist sein Name auch egal, auf die Typen kommt es an. Und die
gibt’s nicht mehr. Alles rundgelutschte Selbstbedienungsfunktionäre. Wenn
sie Luft holen, weißt Du schon, was jetzt gleich kommt − an auswendig
gelernten statement-Floskeln. Alles von enorm staatstragender
Langweiligkeit. Die app-süchtige Jugend hat sich längst abgewendet von den
labernden Polit-Egomanen. Und die bemerken das nicht einmal.
Diese Entwicklung ist gefährlich. Vor allem für diese merkwürdig
schläfrige Generation 50 minus selbst. Wie lassen die sich abzocken und
hinter’s Licht führen, zum Beispiel mit den Rentengeschenken. Schröder und
seine Agenda 2010 sahen
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noch die Rente mit 67 vor, absehbar mit 70! Sehr vernünftig, weil ja
der medizinische Fortschritt die Menschen viel länger arbeitsfähig
leben lässt als früher. Und was machen Nahles und Konsorten grinsend?
Verkürzen das Arbeitsleben auf 63 Jahre! Gießen einen warmen Sozialregen
nach dem anderen über die ja keineswegs ausgetrocknete Rentner-Landschaft.
Weil Rentner ihr millionenköpfiges Stimmvieh sind und gepäppelt werden
sollen. Alles zu Lasten der nächsten Generationen. Alles zu Lasten der
Kinder und der Kindeskinder. Schon jetzt müssen zwei Arbeitnehmer einen
Rentner finanzieren. Alles läuft auf den Kollaps hinaus. Folgen eines
unverantwortlichen Salon-Sozialismus’ einer wahlerfolgsgeilen GroKo. Sie
kennen die Folgen für die Jungen, aber es kümmert sie nicht.
Niemand missgönnt den Rentnern, die ihr Leben lang
gearbeitet und eingezahlt haben in die Sozialkassen der Bundesrepublik, ihre
wohlverdiente Rente oder auch Pension. Aber kein vernünftiger Mensch kann
begründen, warum jemand gerade jetzt – in Zeiten von Vollbeschäftigung und
Arbeitskräftemangel – schon zwei Jahre früher aus dem Berufsleben
ausscheiden sollte als alle Berufsgenerationen zuvor? Die gesundheitliche
Versorgung ist besser, die meisten Arbeitsplätze sind aufgrund des
technischen Fortschritts bequemer, die Menschen sind mental wach und
belastbar, alle Ärzte raten zur geistigen und körperlichen Beschäftigung und
auch zur beruflichen Herausforderung – nicht jeder gehört ja zu den viel
zitierten Dachdeckern oder Betonarbeitern, die körperlich früher
verschlissen sind! Inzwischen arbeiten 75 Prozent aller Arbeitnehmer am
Schreibtisch und am Bildschirm, im Büro oder zuhause, Roboter haben die
Fließbänder abgelöst – also gibt es keinen vernünftigen Grund für solche
unvernünftigen Wahlgeschenke auf Kosten künftiger Generationen. Frau Nahles
hat da eine sozialpolitische Revolution auf den Weg gebracht, die schon bald
ihre Kinder fressen wird. Und alle am Regierungstisch der Großen Koalition
haben den Schwachsinn abgenickt, weil keiner als „unsozial” gebrandmarkt
werden wollte – und doch zutiefst unsozial gehandelt hat. Bloß kapiert haben
es nur wenige der karrieregeilen Merkelmarionetten.
Und die „Jungen” selber? Die Generation 50 minus?
Die schweigt und verschläft und versündigt sich − an sich selbst und ihren
Kindern. Kein Protest, nicht einmal Fragen, alles wird stoisch hingenommen,
eine merkwürdige Ignoranz der eigenen Zukunft gegenüber. Oder fressen die
Kinder der digitalen Revolution ihren Missmut nur innerhalb des Netzes
weniger lautstark in sich hinein? Aber auch von einem shitstorm gegen Nahles
habe ich nichts gehört. Liegt diese Gleichgültigkeit vielleicht auch daran,
dass viele der Betroffenen zur Erben-Generation gehören? Dass ihnen ihr
vermeintlicher Wohlstand den eigenen Blick auf die politische Zukunft trübt?
Kann diese voll durchdigitalisierte Generation (zu einem Viertel schon aus
sozial wenig abgesicherten Leih-Arbeitern!) nicht mehr selbst kopfrechnen?
Sehen die 30-, 40-, 50-Jährigen ihr Leben noch lebensversichert, obwohl doch
jeder von ihnen wissen müsste, dass nahezu jedes Versorgungsmodell und alle
bisherigen Rentensysteme schon jetzt am Boden sind? Werden sie von ihrer
Alles-ist-gut-Kanzlerin eingelullt wie fröhliche Selfie-Fußball-Bubis in
Brasilien? Und werden sie von den Gewerkschaften verraten, deren Funktionäre
ja offenbar viel mehr an ihrer eigenen beitragsfinanzierten Zukunft
interessiert sind als am grundlegenden Wandel gegenwärtiger und künftiger
Arbeitsbedingungen?
Vor hundert Jahren hat man auch geglaubt,
unsinkbare Schiffe bauen zu können. Die TITANIC ist aber dennoch abgesoffen.
Und unser so schönes, sicheres Staatsschiff braucht nur einen einzigen
politischen Eisberg zu rammen, und schon kentert es, trotz aller
scheinheiligen finanzpolitischen Sicherheitsversprechen. Die 53er sind auf
die Straße gegangen (in der damaligen DDR). Die 68er sind auf die Straße
gegangen (in der damaligen BRD). Jetzt geht niemand auf die Straße. Public
viewing yes, public protests no. Und Aufstände der politischen Vernunft? Auf
gar keinen Fall! Immer schön leise, immer angepasst, auf gar keinen Fall
eine „Abmahnung” im digitalen Lebenslauf.
Aber wie soll man auch eine Generation wachrütteln,
die den Schlaf der Selbstgerechten aus Berlin verordnet bekommt? Die den
alten und verlogenen Sprüchen immer noch glaubt („die Renten sinn sischäh”).
Ich werde dieses Editorial sicher speichern. Damit meine Kinder und Enkel in
20 Jahren nicht sagen können, sie hätten von nichts gewusst. „Ihr hättet ja
mal was sagen müssen!” Ich hab’s hiermit getan. Nicht zum ersten und nicht
zum letzten Mal. Aber wie viele Steuerleute, wie viele Auguren haben ihre
Warnungen schon vergeblich in den Wind gebrüllt. Der Wind kann nicht lesen.
Der Wind kann nicht hören. Der Wind kann nur wehen. Auch in 20 Jahren noch.
Aber dann aus einer anderen Richtung …
Alles Gute, Ihr Herbert Fricke
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