Eigentlich muss es doch jetzt richtig aufregend
werden. Es ist frühester Morgen, kurz nach Vier, draußen der Himmel noch
schwarz. Ein paar Sterne, am Horizont eine Handvoll flackernder Lichter,
weit weg. Aber hier, auf dem Schiff, da geht's doch jetzt noch richtig zur
Sache. Denkt man. Wir gehen los. Die Gänge sind still, die große Halle auch.
Sechs Lifte hängen apathisch in den Seilen. So leise haben wir das Schiff
noch nie erlebt. Und so leer. Alle Bars dunkel und kalt. Das Casino lange
geschlossen. Der einsame Zocker, sackweise Jetons neben sich, findet hier
nicht statt. Oder sitzt er im Restaurant, löffelt eine Brühe und zählt den
Gewinn? Tut er nicht. Halb Fünf ist nicht die Zeit, um irgendwo zu sitzen.
Es ist jener Moment im 24-Stunden-Takt, in dem auf den öffentlichen Decks
noch alles ruht, auch Küche und Keller. Fast alles, jedenfalls. Auf den
endlosen Gängen begegnet uns ein Security Team, Asiaten, man denkt
unwillkürlich an kleine Kampfsportler und lächelt lieber freundlich. „You
need help, Sir?” , fragt der eine, lächelt nicht, und man beeilt sich mit
Antwort: „No, thanks, just an early walk”. Der Kampfsportler fragt dann noch
nach der Kabinennummer, sicherheitshalber, dann ist er sowas wie zufrieden,
nickt seinen Kollegen an und geht langsam weiter.
Wir sind auf dem Weg nach Fort Lauderdale, schon
seit 13 Tagen. Was gerade beginnt, ist Tag 14, in spätestens 90 Minuten wird
die ECLIPSE am Kai von Port Everglade festmachen. Und ein paar andere
Cruiser ebenfalls. Schnell mal mit einem Lift rauf auf Deck16. Überhaupt:
Was ist das für ein Schiff? Die ECLIPSE, schneeweiß und mit Glas verkleidet
wie ein modernes Hochhaus, wurde bei der Meyer Werft in Papenburg gebaut.
Sie wirkt wie ein beinahe noch klassischer Liner. Nur reichlich größer als
die Dampfer von damals. 20 Decks von unten nach oben, 2.800 Passagiere,
1.400 Köpfe Crew. Die Kabinen, die heutzutage Rooms − Zimmer − heißen, sind
klein, aber gut ausgestattet. Wer innen fahren will, sollte bereits eine
gewisse Vorliebe für die Gruft entwickelt haben. Besser die Rooms mit
Seeblick, die Luke ist rund oder eckig. Oder gleich ein Balkonzimmer, dank
bodentiefer Fenster extrem hell und luftig, aber auch nicht wirklich
deutlich größer als die Innenkabinen. Erst ab dem Wort Suite gibt es
reichlich Quadratmeter, aber gleichzeitig legen die Preise extrem sportlich
zu.
Mehr als ein Dutzend Fahrstühle verschieben die
Gäste, die schärfsten sausen in der Großen Halle auf und ab. Es gibt
natürlich alles an Bord, auch ein wahnwitzig teures Krankenhaus, allerdings
keine Kirche, was immer wieder beklagt wird. Und schnell ist die ECLIPSE
auch nicht, dafür treibstoffeffizient. Während die legendäre QE2 auf
Transatlantik-Touren meist an der 30-Knoten-Kante fuhr − sie konnte übrigens
lässig 34 Knoten auflegen −, bleibt die ECLIPSE deutlich unter 20. Dafür
dauert die Reise halt länger, was niemanden wirklich stört. Das Schiff ist,
dank moderner Antriebstechnik, völlig vibrationsfrei. Nur ganz oben, auf dem
Rasen von Deck 16 und direkt unterhalb des gewaltigen Schornsteins, merkt
man, was da unten im Maschinenraum abgeht. Überhaupt ist es dort oben sehr
sensationell, bei Tag wie bei Nacht. Dank des Designs kommt man auch ganz
oben überall ins Freie, vorn, in der Mitte und achtern. Und kann meilenweit
sehen.
Jetzt, auf unserer frühmorgendlichen Wanderung durch
das Schiff, hat der Himmel da draußen einen federleichten lachsroten Stich,
vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall sind die flackernden Lichter plötzlich
ziemlich nahe, zwei, drei. Es sind Schiffe, na klar. Und voraus liegt Land.
Noch ein Stück weg, doch die Einfahrt in den Hafen von Lauderdale ist
bereits klar zu erkennen. Wir fahren so langsam, dass wir Blumen pflücken
könnten. Aber die anderen Schiffe um uns herum tun das auch und halten
Abstand, es ist wie in einer Einflugschneise, da kann auch keiner mal eben
überholen und vor dem anderen landen.
Wir denken zurück an die Abfahrt in Southampton,
gefühlt weit weg, doch tatsächlich ist das gerade zwei Wochen her. Die
ECLIPSE war dort zu Hause, sechs Sommermonate. Da saugt sie sich alle 10
Tage voll mit britischen Menschen, fährt ein bisschen im Skandinavischen
herum oder rund um Britannien, was auch gern genommen wird. Ist in Europa
der Sommer rum, kommt der Abschied. Dann, nach der Transatlantik-Überfahrt,
liegt die ECLIPSE sechs Monate in ihrem zweiten Heimathafen. Von dort wird
sie den Winter über vorzugsweise Amis durch die Karibik schippern.
Doch bis Fort Lauderdale regiert noch die englische
Kreuzfahrtdirektorin, gewichtig, blond und intensiv. Madam spricht gerne und
laut davon, wie wunderbar weltberühmt ihre Künstler sind. Sie schwärmt, wie
beautiful die ECLIPSE doch sei. Und der wundervolle Kapitän Manetas, ein
Grieche, wahrhaft unschlagbare Besetzung für jede Traumschiff-Verfilmung,
groß, herrlich und natürlich unübertrefflich. Überhaupt ist alles mindestens
wundervoll bei Frau Direktor. Sie wird in Lauderdale für die kommenden
US-Gäste durch einen wunderbaren amerikanischen Cruisedirector ersetzt.
So wundervoll sind sie gern bei Celebrity, den
Eigentümern der ECLIPSE. Celebrity kam einst aus Griechenland und gehört
seit 1997 zur mächtigen Royal Caribbean-Kreuzfahrtgruppe. Dort ist Celebrity
für das Fünf-Sterne-Segment zuständig − eine Art Audi im Volkswagen-Konzern.
Das geht schon klar, Celebrity-Schiffe sind technisch prima, sauber und
beliebt, das Essen an Bord ist sehr gut bis vorzüglich. Das Spitzenpersonal
kommt immer aus Griechenland. Mag sein, dass die Griechen ordentliche
Seefahrer sind − wenn sie aber was anderes als griechisch sprechen sollen,
kommt es fast zwangsläufig zu schweren Verständigungsproblemen. Das Schiff
ist zudem ein schwimmendes Museum, die Kunst an Bord füllt einen
erstaunlichen Katalog. Es gibt aber auch richtige
Kritikpunkte. Die ECLIPSE hat auf jeder Reise mehr von Warenhaus und
Billigstbasar. Schlimmer: außer der − mäßig bestückten − Bibliothek gibt es
kaum Ruhezonen, und auch dort wird es immer wieder grottenlaut. Frau
Kreuzfahrtdirektor ist allgegenwärtig und unüberhörbar. Wer will, kann sich
von ihr den ganzen Tag verplanen lassen, und den nächsten auch. Wer nicht
will, hat es deutlich schwerer. Immerhin hat man genug Zeit, um Geduld zu
üben.
Normalerweise fahren die Kapitäne zwischen Europa
und Florida die gemütliche atlantische Tour über Madeira nach Punta Delgada
auf den Azoren, vielleicht noch ein Statiönchen in Nassau und dann heim nach
Port Everglade. Doch diesmal hat die Reederei der ECLIPSE eine andere Route
verordnet. Kaum raus aus dem Hafen von Southampton, war's das auch mit
Europa. Nächster Stopp, wenn alles glatt läuft, in neun Tagen, Sint Maartin
in der Karibik. Zwar ist das Inselchen im weitesten Sinne gerade noch
europäisch − jeweils halb niederländisch und französisch, doch zuallererst
ist es mal schwer karibisch. Von dort hüpft die ECLIPSE nach St. Thomas auf
den Virgin Inseln, dann auf die Bahamas und nach Nassau. Da ist die
Sightseeingtour zu Ende, die allerletzte Etappe führt geradenwegs nach
Lauderdale.
Wie an der Schnur gezogen wirkt die Route. Vom
Solent in den Ärmelkanal und die Celtic Sea. Dann nimmt die ECLIPSE
bolzgeraden Kurs auf den Kai von Sint Maarten. Auf der Brücke kurbelt die
kommenden acht Tage niemand am Rad, weder Steuermann noch Kollege Autopilot.
Die Strecke ist ein Selbstläufer, das Wetter
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perfekt, die See liegt meist glatt wie ein Spiegel,
die englischen Novembergrade sind bald vergessen, es wird Tag für Tag
wärmer. Und so tut die Mehrheit der Reisenden nach Kräften, was man halt so
tut: Frühstück, Sonnenbaden, Essen, Ruhen, Trinken, Essen, die Show von
Perry Grant mitnehmen, Trinken, Schlafen. Und wer bitte ist Perry Grant?
Perry Grant ist Celebritys Goldschatz unter den
Entertainern. Er wirkte eine Weile in der Londoner Szene, schaffte sich rauf
bis zur Royal Performance, blond, frech und schwul wie die Sünde. Doch egal,
wie entsetzt die Queen gewesen sein mag: auf dem Schiff, wo er im eleganten
Michael's Club Hof hält, ist er ein Volltreffer und Darling einer
verschworenen, süchtigen Fangemeinde. Dabei ist die Show raffiniert einfach
und allabendlich gleich − Sing-a-long für sehr Erwachsene, zwischendurch
kleine, mitunter höchst sarkastische Talks mit Gästen, ein paar dreiste
Scherze, die vor allem die älteren Damen begeistert beklatschen, und Dönekes
aus den glanzvollen 40er Jahren, als Hollywood noch Hollywood war. Dieser
Mix ist derart attraktiv, dass Scharen von Engländern vor der Buchung
konkret nachfragen, ob Parry Grant an Bord ist − und dann um jeden Preis
blind buchen. Solche Gäste, auch als „Grant Pack” bekannt, füllen Abend für
Abend beide Shows des selbstbewussten Entertainers. Und keine Frage: wer
einen Platz im meist hoffnungsvoll überfüllten Michael's Club findet, kommt
wieder. Wir auch, am liebsten jeden Abend.
Dann kommt Sint Maartin,
rotweissblau-niederländisch. Es ist jene Insel, auf der sich direkt an der
Küste der weltberühmte Princess Juliana Airport befindet. Hier donnert zum
Entzücken der Badegäste in der Sunset Bar täglich ein Jumbo aus Amsterdam in
Griffhöhe über den Strand. Wenn er wieder startet, bläst der volle Schub
ganz Mutige zig Meter wie Fliegen ins Wasser. Ihren Kreuzfahrthafen haben
die Maartener vor ein paar Jahren auf Stand gebracht − mit reichlich
EU-Geld, wie gemunkelt wird. Das hat gepasst. Heute liegen hier bis zu fünf
Kreuzfahrer gleichzeitig, während die französische Hälfte der Insel,
Saint-Martin, den Cruiseboom verschlafen hat. Es gibt Leute, die darüber
nicht traurig sind, und tatsächlich scheint der französische Sektor der
leicht elegantere, auf jeden Fall schönere Teil.
Was geht in Sint Maarten? Alles, was in der ganzen
Karibik geht, und nichts anderes. Hier wird mit Schmuck, Uhren, T-Shirts,
Handtaschen und Schnaps gehandelt. Und die Geschäfte lohnen sich, zumindest
für den örtlichen Kaufmanns-Adel, der am Kontrollhebel sitzt.
Durchschnittlich 6.000 Touristen fluten die Insel jeden Morgen, spätestens
gegen 17 Uhr schwappen sie zurück auf ihre Dampfer. Dann kehrt Ruhe auf der
Insel ein, erst jetzt entfalten Hauptstadt und umliegende Örtchen wie
Philipsburg und Marigot ihren ganz besonderen Charme. Da sitzen die
Boat-People längst wieder in ihren klimatisierten Schiffsrestaurants und
essen garantiert gräten- und geschmacksfreien Fisch.
Dann kommt auch schon St. Thomas. Das gehört den
USA, und vor den Besuch ihrer Insel setzen die Amerikaner die generelle
Einreisekontrolle für alle. Der Einfachheit halber kommen die Kontrolleure
mit ihrer Computerausrüstung an Bord, nehmen im Theater Platz und winken
2.800 Reisende durch. Allerdings versagt die Technik mitunter, dann wird per
Hand gearbeitet. An solchen Tagen stehen die Passagiere schon mal ein paar
Stunden in der Schlange quer durchs Schiff. Schummeln geht nicht, die
Beamten gehen nicht von Bord, ehe auch der Letzte abgefertigt ist.
St. Thomas ist einen Tick größer als Sint Maartin,
aber spürbar organisierter. Maartin ist schwarz, Thomas auch, aber anders.
Während dort hinter den Kulissen manches tief im Argen liegt, ist hier der
American Way angesagt. Auch hier liegt ein Kreuzfahrer neben dem anderen,
aber die Besucher werden mit spürbar mehr Stil abgekocht.
Und schließlich, nach einem weiteren Seetag, Nassau,
Bahamas. Der Anleger liegt in unmittelbarer Nachbarschaft vom Atlantis
Paradise Island. Nette Umgebung: Die ECLIPSE macht neben DISNEY’S DREAM,
CARNIVAL SENSATION, NORWEGIAN EPIC und einem P&O-Dampfer fest. Mehr Schiff
geht nicht, mehr Mensch allerdings auch nicht. Die meisten schieben sich
durch die Bay Street, rauf und runter und rein in jeden Shop. Andere haben
den gemein teuren Landausflug „Bahama Beaches” gekauft und gehen schwimmen.
Wieder andere fahren mit dem Taxi zum pinkfarbenen Atlantis Paradise Hotel
und staunen. Kaum jemand erkundet die Insel auf eigene Faust. Dabei würde
sich das lohnen − man springt in irgendeinen Linienbus und fährt mit, bis
man keine Lust mehr hat. Das kostet zwei, drei Dollar und macht allemal mehr
Spaß als irgendetwas anderes. Freilich entdeckt der Bustourist nach kurzer
Fahrt das Nassau hinter der bunten Karibikfassade − ein milder bis
ausgewachsener Schock. Die einheimischen Mitfahrer erweisen sich dagegen als
hilfsbereit und überaus freundlich.
Als die ECLIPSE ablegt, wird es schon dunkel.
DISNEY’S DREAM war schon in der hellen Sonne das schönste Schiff weit und
breit. Jetzt, in der Dämmerung, knipst der Disney-Kapitän seine Lämpchen an
und löst damit helle Begeisterung aus. Wir treiben langsam davon. Eine halbe
Stunde später das letzte Dinner, dann Koffer packen. Das Gepäck wird um 22
Uhr abgeholt und zum Ausschiffen am nächsten Morgen bereitgestellt.
Es ist unsere letzte ECLIPSE-Nacht, und wer die
Reise nicht genossen hat, ist nicht von dieser Welt. Zu wenig Stopps, sagt
ein englisches Ehepaar mürrisch, das es wohl nicht geschafft hat, sich an
Bord weit genug aus dem Weg zu gehen. Die meisten aber sehen die Sache
anders, auch wenn wir jetzt, halb sechs hoch oben auf dem berühmten
ECLIPSE-Rasen, niemanden mehr irgendwie befragen können. Aber das kann ja
auch ein gutes Zeichen sein.
Diese kurze letzte Etappe von Nassau hat den
Vorteil, dass man ziemlich sicher früh am Morgen in Florida anschlägt, kurz
vor sechs. Und genau so ist es. Das Schiff dockt pünktlich wie der
sprichwörtliche Maurer in Fort Lauderdale an. Der amerikanische Lotse, der
die Hafeneinfahrt durchsteuert hat, gibt die ECLIPSE an Kapitän Manetas
zurück. Der Grieche leitet das Anlegemanöver eigenhändig − in blütenweißer
Uniform. Dann ist die ECLIPSE vertäut, die Landungsbrücken fahren heran, und
höllisch laute amerikanische Lastwagen entladen das Gepäck.
Bis zum Nachmittag, wenn das Schiff wieder rausgeht,
bleibt gerade genug Zeit für amerikanische Bürokratie. Die gesamte Crew wird
pingelig gecheckt, gleichzeitig wird das Schiff gesperrt, auf den Kopf
gestellt und vielleicht wieder freigegeben. Vielleicht aber auch nicht. In
der verbleibenden Zeit müssen Vorräte frisch gebunkert werden, von Alkohol
bis Zigarren, und das für die nächsten 14 Tage. Dann landen allein 70.000
Eier und 15.000 Kilo Rindfleisch im Kühlschrank. Und weil Amis gern die
Korken knallen lassen, packen die Sommeliers 1.000 Flaschen Schampus in den
Weinkeller.
So ist es eben: Nirgendwo ist die Welt so ruhig wie
auf hoher See. Aber wohl auch nur, weil die See dafür gesorgt hat, dass die
Menschen zwar wiederkommen, aber nicht einfach mal so für immer dort bleiben
können.
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