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Herbert Fricke · Ressortleiter HamburgMagazin Gefahr oder Chance? Gigantomanie auf See Die „Grenzen des Wachstums” hat schon der Club of Rome vor Jahren angemahnt, diese legendäre Versammlung ökonomischer Hochintelligenz. Wir schauen heute mit Skepsis auf den Kreuzfahrtmarkt. Es gibt etliche Beispiele in der Wirtschaft und auch in der Natur, das Wachstum um jeden Preis ziemlich negativ enden kann. Rosen, die nicht beschnitten werden, sprießen sich zu Tode. Weinstöcke, die länger nicht beschnitten werden, bilden keine Reben mehr und trocknen ein. Blumen können so lange „ins Kraut schießen”, bis sie „eingehen wie eine Primel”. In der Wirtschaft spricht man vom „Ballon-Effekt”. Ein Ballon kann nur so lange aufgeblasen werden, bis er platzt. Wann platzt der Kreuzfahrt-Ballon? In der Handelsschifffahrt hatten wir das
gerade in den letzten Jahren. Reedereien fast aller Seefahrtsnationen gaben
bei chinesischen, koreanischen, japanischen, französischen, finnischen und
amerikanischen Werften so viele Neubauten in Auftrag, bis der Markt nicht
nur „gesättigt” war, sondern regelrecht überquoll von überzähliger Tonnage.
Es gab auf einmal viel mehr Schiffe, als Ladung zu befördern war. Riesige
Containerschiffe konnten zehnmal mehr Container befördern, als die bis
dahin bekannten Frachter. Diese schwimmenden Container-Burgen sind
inzwischen fast 400 Meter lang und über 30 Meter hoch. Also auch eine
navigatorische Herausforderung, die noch nicht bestanden ist. Die
Frachtraten brachen ein, etliche renommierte Reedereien gingen pleite,
Schifffahrtsbanken gerieten ins Trudeln, Investoren trauern um ihre
verlorenen Millionen.
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entdecken die Kreuzfahrt als ihre neue
Reise-Art, immer mehr Schiffe laufen vom Stapel, immer mehr Kabinen stehen
zur Verfügung. Aber auch auf diesem Feld könnte die gegenwärtige
Gigantomanie bald böse enden. In diesem und im nächsten Jahr liefert –
beispielsweise – die Meyer Werft in Papenburg an amerikanische Auftraggeber
wahre Riesenpötte ab. Größere Schiffe als je zuvor. Das sind schwimmende
Städte mit Platz für fast sechstausend Passagiere und rund dreitausend Mann
Besatzung. Und Schiffe mit zehntausend Menschen an Bord tauchen schon auf am
Kreuzfahrt-Horizont. Das ist nicht mehr Utopie, sondern beängstigende
Wirklichkeit. Solche Schiffe sind anzusehen wie etwa die Fassade von
Riesen-Siedlungen wie der Neuen Vahr in Bremen, der Plattenbau-Silos
zwischen Rostock und Warnemünde, des Hamburger Betonstadtteils Steilshoop …
nur dass die Schiffs-Wohnblöcke schwimmen und ihr Plattenbau stählern ist. Will man wirklich in einem schwimmenden
Riesen-Hotel mit sechs- oder siebentausend Gästen Urlaub machen? Wer kann
diesen maritimen Massentourismus noch sicher „händeln”? Wie sieht es aus mit
der Sicherheit auf diesen Schiffen mit 14 Decks und Menschenmassen in den
engen Gängen? Wie lange dauert es, bis man einen solchen Stahl-Koloss auf
Hoher See evakuieren kann? Nach Monsterwelle, Feuer oder Kollision? Diese
und andere Bedenken haben nichts mit Panikmache zu tun. Es sind ganz
nüchterne Beobachtungen ‒ Costa in memoriam … Ein anderes Problem ist das ökonomische.
Zunächst wird er anhalten, der Boom neugieriger Touristen, die vorher nie
auf einem Kreuzfahrtschiff gewesen sind. Aber was kommt dann? Der sogenannte
„Malle-Effekt”? Als alle Mallorca kannten, als auch der letzte
Billig-Tourist die Insel entdeckt und ausgekostet hatte, da plötzlich brach
sie ab, die Malle-Manie der Briten und der Deutschen. Der Ballermann hatte
ausgeballert, Dutzende großer Hotels machten dicht, für die Masse Mensch war
Malle ausgelutscht. Schon jetzt unterbieten sich alle möglichen
travel services und Reise-Agenturen mit Billig-Angeboten für dies und das
und jenes Schiff. Man kann Innenkabinen schon schnäppchenbuchen für einen
täglichen Passagepreis weit unter dem für’s Taxi zum Flughafen. Das
Publikum, pardon, das ist dann auch entsprechend. Die Ballermänner erobern
ihre Riesenpötte. Eleganz und Luxus gehen baden. Aber ist das wirklich von
Nachteil? Vielleicht soll es so sein. Wahrscheinlich geht es auch sozial
bald viel gerechter zu auf Hoher See und in fernen Häfen. Apropos Häfen: da entsteht gerade das nächste
Problem. Venedig als attraktivster Kreuzfahrthafen hat damit angefangen,
Riesenschiffen die Zufahrt zu verwehren. Immer mehr bisherige
Kreuzfahrt-Destinationen folgen dem venezianischen Beispiel. Man will weder
die nachhaltige Beschädigung von Wasserwegen durch die Schiffs-Giganten noch
die Luftverschmutzung noch die Touristenmassen, die wenig Nutzen und viel
Ärger bringen. Die meisten der Passagiere strömen nur für zwei, drei Stunden
an Land, kaufen wenig, verstopfen alles, und essen und trinken – das können
sie billiger und „all inclusive” vorausbezahlt an Bord. Außerdem, das ist eine Folge des Kreuzfahrtbooms, liegen oft mehrere dieser Riesenschiffe gleichzeitig an den Terminals. In St. Petersburg – beispielsweise – bis zu zehn Schiffe im Caree. Ähnlich ist es in Genua, in Miami, auf Teneriffa, in Barcelona, Kopenhagen und demnächst in Hamburg. Wahrscheinlich sägt die Kreuzfahrtindustrie an dem Wirtschaftszweig, auf dem sie selber sitzt. Keiner kann das wollen. Wir vom SeereisenMagazin schon gar nicht. Aber wir sind ja auch dazu da, Gefahren zu erkennen. Die Italiener und die Amerikaner bauen wie wild. Auch die deutsche Kreuzfahrt-Szene ist betroffen. TUI Cruises und AIDA bauen um die Wette, fünf Schiffe, zehn Schiffe, zwanzig Schiffe – eine Schiffstaufe jagt die nächste, jedes Schiff ein bisschen größer, es scheint ein Sog, der schnell zum Strudel werden könnte … Aber zum Glück gibt es ja auch noch eine Reihe kleinerer Einheiten. Wohlfühlschiffe mit ihrem besonderen Flair. Ich wünsche Ihnen gute Reise, wenig Herbst-Stürme, und die Muße abzuschalten. Die Sorgen, den Stress und auch das notebook auf ihren Knien. Gute Reise – Ihr Herbert Fricke
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