Seereisenmagazin Die ganze Welt der Kreuzfahrt

 

Editorial Ausgabe 5/2014

hr

Foto: Herbert Fricke, Hamburg 

Herbert Fricke · Ressortleiter HamburgMagazin

Gefahr oder Chance? Gigantomanie auf See

Die  „Grenzen des Wachstums” hat schon der Club of Rome vor Jahren angemahnt, diese legendäre Versammlung ökonomischer Hochintelligenz. Wir schauen heute mit Skepsis auf den Kreuzfahrtmarkt. Es gibt etliche Beispiele in der Wirtschaft und auch in der Natur, das Wachstum um jeden Preis ziemlich negativ enden kann. Rosen, die nicht beschnitten werden, sprießen sich zu Tode. Weinstöcke, die länger nicht beschnitten werden, bilden keine Reben mehr und trocknen ein. Blumen können so lange „ins Kraut schießen”, bis sie „eingehen wie eine Primel”. In der Wirtschaft spricht man vom „Ballon-Effekt”. Ein Ballon kann nur so lange aufgeblasen werden, bis er platzt. Wann platzt der Kreuzfahrt-Ballon?

In der Handelsschifffahrt hatten wir das gerade in den letzten Jahren. Reedereien fast aller Seefahrtsnationen gaben bei chinesischen, koreanischen, japanischen, französischen, finnischen und amerikanischen Werften so viele Neubauten in Auftrag, bis der Markt nicht nur „gesättigt” war, sondern regelrecht überquoll von überzähliger Tonnage. Es gab auf einmal viel mehr Schiffe, als Ladung zu befördern war. Riesige Containerschiffe konnten  zehnmal mehr Container befördern, als die bis dahin bekannten Frachter. Diese schwimmenden Container-Burgen sind inzwischen fast 400 Meter lang und über 30 Meter hoch. Also auch eine navigatorische Herausforderung, die noch nicht bestanden ist. Die Frachtraten brachen ein, etliche renommierte Reedereien gingen pleite, Schifffahrtsbanken gerieten ins Trudeln, Investoren trauern um ihre verlorenen Millionen.

Jetzt boomt der Kreuzfahrtmarkt. Eigentlich ja ein gutes Zeichen. Immer mehr Touristen

entdecken die Kreuzfahrt als ihre neue Reise-Art, immer mehr Schiffe laufen vom Stapel, immer mehr Kabinen stehen zur Verfügung. Aber auch auf diesem Feld könnte die gegenwärtige Gigantomanie bald böse enden. In diesem und im nächsten Jahr liefert – beispielsweise – die Meyer Werft in Papenburg an amerikanische Auftraggeber wahre Riesenpötte ab. Größere Schiffe als je zuvor. Das sind schwimmende Städte mit Platz für fast sechstausend Passagiere und rund dreitausend Mann Besatzung. Und Schiffe mit zehntausend Menschen an Bord tauchen schon auf am Kreuzfahrt-Horizont. Das ist nicht mehr Utopie, sondern beängstigende Wirklichkeit. Solche Schiffe sind anzusehen wie etwa die Fassade von Riesen-Siedlungen wie der Neuen Vahr in Bremen, der Plattenbau-Silos zwischen Rostock und Warnemünde, des Hamburger Betonstadtteils Steilshoop … nur dass die Schiffs-Wohnblöcke schwimmen und ihr Plattenbau stählern ist.

Will man wirklich in einem schwimmenden Riesen-Hotel mit sechs- oder siebentausend Gästen Urlaub machen? Wer kann diesen maritimen Massentourismus noch sicher „händeln”? Wie sieht es aus mit der Sicherheit auf diesen Schiffen mit 14 Decks und Menschenmassen in den engen Gängen? Wie lange dauert es, bis man einen solchen Stahl-Koloss auf Hoher See evakuieren kann? Nach Monsterwelle, Feuer oder Kollision? Diese und andere Bedenken haben nichts mit Panikmache zu tun. Es sind ganz nüchterne Beobachtungen ‒ Costa in memoriam …

Ein anderes Problem ist das ökonomische. Zunächst wird er anhalten, der Boom neugieriger Touristen, die vorher nie auf einem Kreuzfahrtschiff gewesen sind. Aber was kommt dann? Der sogenannte „Malle-Effekt”? Als alle Mallorca kannten, als auch der letzte Billig-Tourist die Insel entdeckt und ausgekostet hatte, da plötzlich brach sie ab, die Malle-Manie der Briten und der Deutschen. Der Ballermann hatte ausgeballert, Dutzende großer Hotels machten dicht, für die Masse Mensch war Malle ausgelutscht.

Schon jetzt unterbieten sich alle möglichen travel services und Reise-Agenturen mit Billig-Angeboten für dies und das und jenes Schiff. Man kann Innenkabinen schon schnäppchenbuchen für einen täglichen Passagepreis weit unter dem für’s Taxi zum Flughafen. Das Publikum, pardon, das ist dann auch entsprechend. Die Ballermänner erobern ihre Riesenpötte. Eleganz und Luxus gehen baden. Aber ist das wirklich von Nachteil? Vielleicht soll es so sein. Wahrscheinlich geht es auch sozial bald viel gerechter zu auf Hoher See und in fernen Häfen.

Apropos Häfen: da entsteht gerade das nächste Problem. Venedig als attraktivster Kreuzfahrthafen hat damit angefangen, Riesenschiffen die Zufahrt zu verwehren. Immer mehr bisherige Kreuzfahrt-Destinationen folgen dem venezianischen Beispiel. Man will weder die nachhaltige Beschädigung von Wasserwegen durch die Schiffs-Giganten noch die Luftverschmutzung noch die Touristenmassen, die wenig Nutzen und viel Ärger bringen. Die meisten der Passagiere strömen nur für zwei, drei Stunden an Land, kaufen wenig, verstopfen alles, und essen und trinken – das können sie billiger und „all inclusive” vorausbezahlt an Bord.

Außerdem, das ist eine Folge des Kreuzfahrtbooms, liegen oft mehrere dieser Riesenschiffe gleichzeitig an den Terminals. In St. Petersburg – beispielsweise – bis zu zehn Schiffe im Caree. Ähnlich ist es in Genua, in Miami, auf Teneriffa, in Barcelona, Kopenhagen und demnächst in Hamburg. Wahrscheinlich sägt die Kreuzfahrtindustrie an dem Wirtschaftszweig, auf dem sie selber sitzt. Keiner kann das wollen. Wir vom SeereisenMagazin schon gar nicht. Aber wir sind ja auch dazu da, Gefahren zu erkennen. Die Italiener und die Amerikaner bauen wie wild. Auch die deutsche Kreuzfahrt-Szene ist betroffen. TUI Cruises und AIDA bauen um die Wette, fünf Schiffe, zehn Schiffe, zwanzig Schiffe – eine Schiffstaufe jagt die nächste, jedes Schiff ein bisschen größer, es scheint ein Sog, der schnell zum Strudel werden könnte … 

Aber zum Glück gibt es ja auch noch eine Reihe kleinerer Einheiten. Wohlfühlschiffe mit ihrem besonderen Flair.  Ich wünsche Ihnen gute Reise, wenig Herbst-Stürme, und die Muße abzuschalten. Die Sorgen, den Stress und auch das notebook auf ihren Knien.

Gute Reise – Ihr Herbert Fricke   

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