Zwölf Stunden hin, 36 Stunden zurück,
und das 365 Tage im Jahr bei Wind und Wetter. Täglich befahren die
Schiffe der Reederei Imperial den Rhein zwischen Rotterdam und
Duisburg, eine echte Herkules-Aufgabe. Peer Schmidt-Walther war an
Bord dabei und hat sich damit einen Traum erfüllt.
Die Schubboot-Crew auch, jeder auf
seine Weise. Obwohl die Arbeitsbedingungen kein Zuckerschlecken
sind: 14 Tage bleiben sie an Bord, wobei auch mal, gelinde gesagt,
die Nächte kürzer werden können ‒ je nachdem wann geladen oder
gelöscht werden muss. „Aber das ist eben in der Schifffahrt nun mal
so”, zuckt Matrose Kai die Schultern. Im Winter, wenn die
Koppeldrähte vereisen oder auch brechen können und es überall glatt
ist, wird es richtig hart und auch nicht ungefährlich.
„Da brauchst du keine Mucki Bude”,
lächelt er, „das hier ist Training pur und gratis”. Ob sich in dem
schweren Beruf auch schon mal Frauen versucht hätten? „Nee”, meint
Christoph, „das is nix für die, allein schon wegen der schweren
Stahldrähte”. Mit denen werden, auch wenn sie eisüberkrustet sind,
die Bargen nach einem scheinbar komplizierten System gekoppelt und
dann durch Winden per Hand und elektrisch gespannt. „Unterwegs”,
erklärt Kai, „müssen sie immer wieder nachgespannt werden”.
Reiner Männerladen mit Perspektive
Neben dem Decksdienst bekocht Matrose
Kai auch seine Kollegen, die von seinen Künsten am Herd in der engen
Kombüse voll überzeugt sind: „Was der Kai da zaubert ‒ Hut ab”. Am
vergangenen Sonntag gab’s zum Beispiel Rouladen mit Klößen „nach Art
von Oma”, davor gefüllte Paprika. „Wir sind ein reiner Männerladen”,
grinst Nils, „da muss jeder fast alles können”. Ob es so was wie
einen Essensfahrplan gebe? „Nö”, meint Kai, „man sieht im
Proviantraum nach und überlegt sich was”, lautet seine simple
Antwort.
Gelernt hat der gebürtige
Neustrelitzer mit Wohnsitz auf der idyllischen Ostsee-Insel
Hiddensee sein Binnenschiffer-Handwerk heimatnah: auf den
Mecklenburgischen Seen bei der Weißen Flotte in Mirow. „Aber ich
wollte dann doch mal raus und was anderes sehen”, bekennt er, „denn
ich möchte ja auch noch weiter kommen”. Nächstes Ziel des
ehrgeizigen jungen Mannes: Kapitän.
A propos: Für den seit 45 Jahren
rhein- und schubboot-erfahrenen HERKULES II-Kapitän, Hans Riesch,
gebürtig aus dem brandenburgischen Pritzwalk, ist „das Unangenehmste
die Nebelfahrt: trotz aller Radar-, River-Pilot, Haupt- und
Flankenruder-Technik sowie Bugruderanlage der Schubleichter”. Bis
man sich nämlich an die „undurchdringliche Suppe gewöhnt hat, kann
es in bestimmten Situationen schon zu spät sein”. Vorausschauend
fahren zu können, „das ist hier ein absolutes Muss”, erklärt Riesch.
Gerade zieht er die Maschinenfahrhebel zurück, um einem von achtern
heran preschenden 6.000-Tonnen-Freifahrer kollegial das gefahrlose
Überholen ohne Ansaugeffekt zu ermöglichen. „Aber es gibt auch
Rowdys unter den Kollegen”, kritisiert Riesch, „die haben keine Zeit
und reduzieren ihr Tempo nicht. Da knirschen und krachen die Drähte,
und diese Jagerei kann dann ins Auge gehen”.
Fast gleichzeitig konzentriert er
sich schon auf die Ansteuerung der nächsten Flussschleife.
Problematisch sei außerdem der niedrige Pegelstand von 2,60 Meter
bei 2,40 Meter Bargentiefgang. Im Mannesmann-Stahlwerk-Hafen
Duisburg-Schwelgern müssen die beiden Bargen mit Koks – eine
Gesamtpartie von 40.000 Tonnen für Brasilien – sogar um etliche
Tonnen geleichtert werden. Kapitän Riesch bespricht sich mit
Steuermann Ricardo: kein Risiko.
Schwingungsfrei zur Nordsee
Um 01 Uhr 30 ist es schließlich
soweit. Die Hafenschuber haben den Konvoi aus sechs gekoppelten
Leichtern – jeweils drei nebeneinander – zusammengestellt. HERKULES
II schiebt sich von hinten heran und wird gekoppelt, so dass
Steuermann Ricardo, mit ihm auf Wache ist Matrose Steve aus
Duisburg, problemlos mit Bug voraus die Ausfahrt zum Rhein ansteuern
kann. Zurück bleibt die von tausenden Lampen angestrahlte rostrote
Industriekulisse, über der Dampfschwaden in den Nachthimmel quellen.
Ein gespenstisches Bild, zumal man nirgends auch nur einen Menschen
sieht.
Jetzt endlich ist Feierabend für den
Rest der Crew. Die Aufbauten sind vibrationsfrei auf Gummi gelagert,
was Erschütterungen durch die drei Diesel verringert. So findet
jeder ein paar Stunden Nachtruhe.
Mit 18 Kilometern pro Stunde rauscht
der 35 Meter breite Talzug Rotterdam entgegen. 220 Kilometer in 17
Stunden. Bis man Salzluft schnuppert. Im Dintelhaven schwimmt
HERKULES II dann im Nordsee-Wasser und manövriert seine Leichter in
die Parkposition. Mit lautem Poltern rauschen ihre Bug- und
Heckanker in die aufschäumende trübe Brühe. Das Hafenbecken ist von
Erz- und Kohlebergen umzingelt, über die Schornsteine von
gigantischen Bulkcarriern ragen. Ihre Erzfracht mit bis zu 330.000
Tonnen, wie von der PEENE ORE, dem größten deutschen Schiff, karren
sie überwiegend aus Brasilien und Südafrika heran.
Ein Riese überragt schließlich alles:
Das holländische Kranschiff THIALF, größtes seiner Art mit 14.000
Tonnen Hebefähigkeit für den Offshore-Einsatz, schiebt mit
Nordsee-Kurs vorbei. HERKULES II wirkt dagegen wie ein Zwerg. Der
wächst aber im Dintelhaven auf immerhin 270 Meter Länge, 23 Meter
Breite mit rund 10.000 Tonnen Erz und Kohle an. In nur zwei Stunden
hat der bullige Hafenschuber den Bergzug zusammengestellt: sechs
Bargen zu je zwei gekoppelt. „In jeder liegen normalerweise 2.600
Tonnen, aber jetzt sind’s 1.000 weniger”, bedauert Kapitän Riesch,
„der Pegel erlaubt nicht mehr”.
Der kleine Schuber-Kollege wird um
Unterstützung gebeten, „wenn der nicht seitlich drücken würde”, ist
Riesch froh, „kämen wir mit unserem Geschleuder nicht um die Ecke”.
28 Stunden mit 7,5 bis 8 Kilometern
pro Stunde, vorbei an wenig anziehenden Industrieanlagen,
gemütlichen Orten, einsamen weißen Stränden, auf denen sich auch
Kühe und Pferde tummeln. „Schön war mal das Silvesterfeuerwerk in
Dordrecht”, erinnert sich Riesch, „und wir haben mit alkoholfreiem
Sekt angestoßen”.
Versorgung – alles im Fluss
6.000 PS leisten die Maschinen, die
der fröhliche Elsässer Christoph betreut: „Die drei Deutz-Diesel
laufen schon seit der Indienststellung 1982, und zwar einwandfrei.
Verbrauch: 20.000 Liter pro Reise, 400 bis 500 pro Stunde”. Und er
hat Spaß an seinem Job, „sonst wär das hier die Hölle”, lacht er und
bereitet sich vor auf die Übernahme von 45 Tonnen Treibstoff. Der
kommt mit einem Bunkerboot alle zwei Reisen längsseits, was „unsere
schwimmende Tankstelle ist, denn das spart Zeit”. Anlegen kann man
mit dem Riesenteil ohnehin nicht, also muss alles „im Fluss”, mithin
während der Fahrt passieren.
Auch die Proviantübernahme aus der
Fähre RHEINFELS. Der Schiffsführer hat Verständnis für seine
Ex-Imperial-Kollegen und kommt auf Seite, an Deck einen LKW mit
Lebensmitteln und Getränken: die Menage. „Wir machen Unmögliches
möglich”, lautet sein Motto.
Alle packen zu, so dass das Geschäft
in wenigen Minuten erledigt ist und der
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Fährmann seine Flussquerung und der
HERKULES II-Schubverband ihre Fahrt fortsetzen können. Für die
übersetzenden PKW-Fahrer eine willkommene Abwechslung mit
Foto-Shooting-Pause. Für den Sonnenuntergang, der den Fluss und die
brodelnde Hecksee geradezu vergoldet, hat niemand ein Auge,
geschweige denn ein „romantisches Gefühl”. Die große
Deutschland-Flagge, extra zur Fußball-Weltmeisterschaft zwischen den
Abgaspfosten gesetzt, wedelt dazu träge im Abendwind.
Gemeinsam mit ihrer Schwester Nummer XVI ist Nummer II das
stärkste Schubboot auf dem Rhein mit Abmessungen wie bei einem
respektables Seeschiff. „Mächtig gewaltig!”, wie Egon Olsen von der
gleichnamigen Bande zu sagen pflegte. Nicht ohne Stolz nennen die
sieben Männer „ihren Dampfer” auch „TITANIC des Rheins”. „Dass ich
mal deren Kapitän werden würde”, schmunzelt Hans Riesch, schon lange
in einem kleinen Westerwald-Dorf zu Hause, „hätte ich mir nicht
träumen lassen”.
Sein Jugendtraum indes war es, zur See zu
fahren, „aber hier ist neben Navigation auch Fahrkunst gefordert,
das hat mich gereizt”. Was man ihm ohne weiteres abnimmt, wenn man
ihn am Fahrpult beobachtet. Den Joystick bewegt er geradezu
spielerisch mit leichter Hand und seine „Rhein-TITANIC” folgt ihm
willig. Wobei ihm immer noch ein lockerer Spruch über die Lippen
kommt: „Einmal fuhr eine Rollator-Omi neben uns her und war immer
noch schneller als wir mit unseren sieben Kilometern Bergfahrt”.
Arbeitsfamilie und ab nach Hause
Schiff und Crew sind nur ein
Steinchen im Mosaik der Imperial Shipping Holding, die zur
südafrikanischen Imperial-Gruppe gehört, einem weltweit tätigen
Logistik-Konzern mit über 51.000 Angestellten. Allein auf
europäischen Binnengewässern bewegen die Imperial-Schiffe jährlich
über 60 Millionen Tonnen Fracht. In Duisburg beliefert die Reederei
unter anderem die Hüttenwerke Krupp-Mannesmann mit Erzen und Koks
vom Seehafen Rotterdam.
Dass aber Kohle aus Brasilien und
Südafrika ins Ruhrgebiet verschifft wird oder Koks von Duisburg nach
Brasilien, ist für den Laien schon verwunderlich, während der
Fachmann sagt: „Die Ladung sucht sich ihren Weg”. Will sagen: Der
Preis ist entscheidend, wie (fast) alles im Leben. Die HERKULES
II-Männer wundert das nicht.
Nach 14 Tagen ist Freischicht. Dann
gibt’s nur noch eins für die Schubboot-Fahrer – auf dem Rhein wird
das Riesenteil trotz allem „Boot” genannt –: ab nach Hause. Das
haben sie zwischen Hiddensee, Duisburg und Straßburg gemeinsam.
„Sich an den Landrhythmus zu gewöhnen”, meint Nils, „das dauert
immer ein paar Tage, aber dann muss man auch schon wieder los”.
Irgendwie sind sie, die sich über
Jahre kennen und ein eingespieltes Team „ohne viele Worte” bilden,
schon so eine Art „Arbeits-Familie”. Sie fühlen sich an Bord der
bärenstarken HERKULES II fast schon wie zu Hause. So jedenfalls
sehen es die Steuerleute Ricardo aus Freiberg bei Dresden und Denis
aus Duisburg. Für beide Binnenschiffer eine Herausforderung. Aber
mit den Partikulieren, die zum Wochenende an Land festgemacht haben,
möchten sie nicht tauschen: „Die sind immer an Bord, während wir
alle zwei Wochen zu Hause abschalten können”. Unterm Strich heißt
das: ein halbes Jahr harte, aber gut bezahlte Arbeit an Bord –
„immer mit Landkontakt und ohne Seegang”, so Denis zufrieden – und
ein halbes Jahr an Land. Damit können sich die HERKULES II-Crew und
ihre Familien arrangieren.
MS HERKULES II
Baujahr: 1982; Bauwerft: De
Biesbosch, Dordrecht/Niederlande; Ex-Name: ALBERT AUBERGER
(Compagnie National Fluvial, Strasbourg); Hauptmaschinen: 3 x Deutz,
3 Schrauben, KW/PS: 4.410 / 5.997; Geschwindigkeit (max.) zu Berg: 8
km/h, zu Tal (max.) 18 km/h; Länge: 40,00 m, Breite: 13,00 m,
Tiefgang: 1,90 m; Bergfahrt (28 – 35 Std.): 6 Leichter;
Schubtonnage (max.): 17.500 t (Schubverband-Gesamtlänge 270 m, 23 m
breit), Talfahrt: je 3 Leichter im Päckchen, Gesamtlänge 190 m, 35 m
breit (normalerweise leer, Fahrtzeit 12 – 15 Std.); Ladung: Erz,
Kohle; Besatzung: 7; Schichtbetrieb: je zwei Mann 6 Stunden, 14
Dienst an Bord, danach 14 Tage Freizeit; Aufbauten schwingungsfrei
auf Gummisockeln gelagert; Flagge: Deutschland; Heimathafen:
Duisburg.
Von der Schlepp- zur
Schubschifffahrt
Bis 1957 wurde die Binnenschifffahrt
auf dem Rhein noch von der Schleppschifffahrt bewältigt. Mit sechs
Schleppkähnen erreichte ein Verband eine Länge bis zu 1,5 Kilometern
mit einer Ladungsmenge von rund 6.000 Tonnen. Damit waren die
zunehmenden Transportmengen nicht mehr zu bewältigen. Gefordert
wurden starre Leichterverbände nach US-Vorbild. Schon 1931 startete
der Bayerische Lloyd einen Versuch auf der Donau mit dem Stoß- und
Schubboot UHU. Auf dem Rhein war die französische Reederei CGNR 1957
Vorreiter mit einem zum Schubboot umgebauten Schlepper, der mit
seinem Verband von Straßburg nach Rotterdam fuhr. Heute fahren
Schubboote mit bis zu 17.500 Tonnen Ladung (je nach Pegel)
regelmäßig auf dem Rhein. PSW
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