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Der Schnauzbart ist unverkennbar: „Mark Twain” fährt persönlich mit und unterhält die Passagiere mit seinen markigen und bissigen Sprüchen und Anekdoten. |
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Franz Neumeier Auf den Spuren Mark Twains Amerika so authentisch wie vielleicht nirgendwo sonst: Eine nostalgische Raddampfer-Fahrt auf dem Mississippi mit American Cruise Lines |
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Morgendämmerung, der Himmel violett-rot, das Wasser spiegelblank. Im Schaukelstuhl an Deck der QUEEN OF THE MISSISSIPPI einem Graureiher hinterher sehen, der mit majestätischen Flügelschlägen über das Wasser gleitet. Nur das Zwitschern einiger Vögel vom Ufer, das sanfte Plätschern des Wassers am Bug des Raddampfers durchbrechen die völlige Stille an diesem lauen Sommermorgen. Langsam steigt die Sonne hinter den Bäumen am Ufer des Mississippi empor und taucht die Landschaft in goldgelbes Licht. Schemenhafte Nebelfetzen schweben über dem Fluss. Wer an den Mississippi denkt, träumt von Tom Sawyers Abenteuern und dem Südstaaten-Flair aus „Vom Winde verweht”, von New Orleans, Baumwoll-Plantagen, Jazz- und Blues-Musik. Anders als auf Flusskreuzfahrten in Europa reihen sich am Mississippi und seinen Seitenarmen Ohio, Cumberland oder Tennessee keine historischen Städte aus dem Unesco-Kulturerbe aneinander wie beispielsweise an Rhein oder Donau. Bis auf einige Städte wie Cincinnati, Louisville, St. Louis, Memphis oder New Orleans sind es vor allem die kleinen, verschlafenen Örtchen des Mittleren Westens, die mit ihrem altmodischen Charme und liebenswerten Kleinigkeiten aufwarten. Die eigentliche Attraktion einer Mississippi-Reise sind aber die Menschen in diesen Dörfern und Städtchen: ganz entgegen dem Amerika-Klischee herzlich, gastfreundlich, tiefgründig. Nirgendwo lässt sich das Land und seine Geschichte so hautnah erleben – ganz besonders mit einem kleinen Schiff wie der QUEEN OF THE MISSISSIPPI mit nur rund 150 Passagieren. Da passiert es schonmal, dass man in einem Örtchen in Kentucky in ein Haus aus der viktorianischen Zeit eingeladen wird, um es auch von innen zu besichtigen. Einfach so. Zurück an Bord bietet das Flussschiff Entspannung pur. Kein aufwändiges Animationsprogramm, dafür Banjo-Musik – auch mal zum selbst ausprobieren – und gepflegte Konversation, unterhaltsame Vorträge von Mark Twain persönlich, abwechslungsreiche Landschaft vom Schaukelstuhl an der Reling aus, abends Live-Musik, Dixie-Jazz, Bluegrass, 50er- und 60er-Jahre-Sound und natürlich exquisites Südstaaten-Essen: von butterzarten Spare Ribs und Steaks über Shrimp-Gumbo-Suppe und Jambalaya bis Pecan Pie und Bourbon-Bread-Pudding. Auf der QUEEN OF THE MISSISSIPPI fahren fast ausschließlich Amerikaner im gesetzten Alter, die es im Leben zu etwas gebracht haben – oft sehr spannende Persönlichkeiten, mit denen es ein Vergnügen ist, sich beim Lunch, Dinner oder auch im Ausflugsbus ausgiebig zu unterhalten. Die relativ hohen Preise bei American Cruise Lines mögen ein Grund für das hohe Durchschnittsalter an Bord sein – unter 4.000 Dollar ist eine einwöchige Kreuzfahrt nicht zu bekommen. Etwas günstiger geht es nur auf der konkurrierenden, allerdings mit 436 Passagieren auch deutlich größeren AMERICAN QUEEN. Der andere Grund ist die fast schon liebevolle Betreuung der Passagiere durch die Crew. Da ist immer ein helfender Arm in der Nähe und die Besatzung ist fast so etwas wie ein Enkelkind-Ersatz für viele Gäste: immer ein offenes Ohr, viel Zeit für Gespräche, nie Hektik. Selbst der Kapitän ist sich nicht zu fein, mit anzupacken oder abends ausgiebig mit den Passagieren das Tanzbein zu schwingen. |
Aber auch ganz pragmatische Dinge machen das Leben leichter, wie etwa motorisierte Golfwägen, die nach dem Anlegen bereit stehen, um gehschwache Gäste die teils recht steilen Uferböschungen hinauf bringen. Bei American Cruise Lines ist das der Kern des Konzepts: Die Passagiere sollen sich auf den Schiffen wohl und geborgen fühlen wie zu Hause bei ihrer Familie. Der Begriff „Schaufelraddampfer” ist übrigens ein wenig geschummelt: Eine Dampfmaschine hat die 2012 gebaute QUEEN OF THE MISSISSIPPI nämlich nicht, stattdessen Dieselgeneratoren. Viel des Flairs historischer Raddampfer bietet das Schiff trotzdem, auch wenn das große, rote Schaufelrad am Heck nur ganz wenig zum Antrieb beiträgt. Denn bei aller Raddampfer-Nostalgie liebt Kapitän Kenny Williams die moderne Technik und besonders die beiden um 360 Grad drehbaren Z-Drive-Propeller: „Damit hat man Schub in alle Richtungen, 360 Grad, wohingegen ein Schaufelrad plus Ruder nur 40 bis 45 Grad abdecken. Mit der QUEEN OF THE MISSISSIPPI kann ich Manöver fahren, die ich mit einem konventionellen Boot nicht einmal versuchen würde”. Auf einem launischen Fluss wie dem Mississippi trägt das nicht unerheblich zur Sicherheit der Passagiere bei. Trotz aller moderner Hilfsmittel, beispielsweise die Regulierung des Wasserstands durch Dämme und Schleusen sowie GPS, Radar, Funk, Leuchtbojen, Echolot und Suchscheinwerfer bleibt eines genauso, wie es schon Mark Twain in „Life on the Mississippi” beschrieben hat. Kapitän Williams: „Als Kapitän oder Steuermann lernt man auch heute noch, den Fluss zu lesen. Wenn das Wasser ansteigt, kräuselt sich beispielsweise die Wasseroberfläche an Stellen, an denen sich neue Sandbänke bilden, die eine Woche zuvor noch nicht da waren. Oder Du fährst den Fluss hinab und plötzlich ist eine Insel verschwunden, die an einer Stelle zwei, drei Jahre lang war. Aber auf der Wasseroberfläche siehst Du ihre Spuren noch”. „Mark Twains ‚Life on the Mississippi’ ist ein wirklich gutes Buch!”, sagt Williams. Vor 130 Jahren schrieb Mark Twain darin: „Als ich ein Knabe war, gab es für uns Jungens in unserem Heimatort am Westufer des Mississippi nur ein ständiges Ziel: zur Mannschaft eines Dampfschiffs zu gehören”. Twain erfüllte sich diesen Traum und mit seinen Romanen über die Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn weckte er den Traum von den legendären Mississippi-Raddampfern in Generationen von Lesern. Zumindest als Passagier kann man sich diesen Traum auch heute noch erfüllen.
Routen-Tipps: Mississippi und Ohio River Trotz New Orleans und ehemaligen Baumwoll-Plantagen: Der Unterlauf des Mississippi zählt eher zu den unspektablen Fahrstrecken – zu viele Flutschutzdämme versperren hier die Sicht. Interessanter ist der dem Rheintal nicht unähnliche Mississippi nördlich von St. Louis bis Minneapolis. Ein Geheimtipp ist der abwechslungsreiche Ohio River mit seinen vielen Flussbiegungen. Wiederholer fahren gerne auf Cumberland oder Tennessee River, beide relativ schmal und landschaftlich reizvoll. Die 2015er Reisen
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Kein Wölkchen trübt den strahlend blauen Himmel beim Landgang in Madison, Indiana am Ohio River. |
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Im Schaukelstuhl an Deck die vorbeiziehende Landschaft genießen. |
Banjospieler Mike Gentry sitzt mit seinem Banjo auch am liebsten draußen an Deck. |
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Ungezwungen und bodenständig: Im Restaurant mit herrlichem Flussblick gibt es vor allem traditionelle, amerikanische Küche von ihrer besten Seite. |
Entspannung pur in der gemütlichen Paddlewheel Lounge mit Blick aufs Schaufelrad. |
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Eine fast schon mystische Stille herrscht beim Sonnenaufgang am Mississippi River. |
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Markenzeichen der Raddampfer: Das rhythmische Geräusch, wenn die Schaufelräder ins Wasser tauchen, hat fast schon meditativen Charakter. |
Eine alte Tradition: Drachen steigen lassen vom Heck des Dampfers aus. |
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Attraktionen an Land: der kolossale Gateway Arch in St. Louis. |
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Sonnenaufgang am Mississippi River: QUEEN OF THE MISSISSIPPI in Paducah, Kentucky. |
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