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Die MONT ST MICHEL passiert die Befestigungsanlage des „Round Tower” in Portsmouth. Foto: Kai Ortel, Berlin |
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Kai Ortel Über den Ärmelkanal einmal anders
Mit der MONT ST MICHEL von
Portsmouth in die Normandie
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Zugegeben, die bekannteste, weil kürzeste Fährlinie über den Ärmelkanal ist die Verbindung zwischen Dover und Calais. Doch wer von der Normandie oder der Bretagne aus nach England will, hat noch andere Möglichkeiten. Die komfortablen Nachtfähren von Brittany Ferries zählen zu allererst dazu. Die 1972 gegründete Reederei verbindet die Häfen Le Havre, Caen (Ouistréham) und Cherbourg in der Normandie bzw. St. Malo in der Bretagne mit dem südenglischen Portsmouth, wobei ab Cherbourg eine Schnell- und ab Le Havre eine Frachtfähre eingesetzt wird. Für Passagiere mit „Kind und Kegel” sind dagegen die Verbindungen ab Caen (der Anleger in Ouistréham befindet sich etwa 14 Kilometer außerhalb des Stadtzentrums) und St. Malo erste Wahl. Die Linie Caen - Portsmouth wird dreimal täglich bedient, mit Abfahrten von fünf bis sechs Stunden Dauer am Morgen, am Nachmittag und am späten Abend (über Nacht). Zum Einsatz kommen die beiden 1992 und 2002 gebauten Fährschiffe NORMANDIE und MONT ST MICHEL, welche die populäre Route seit ihrer Indienststellung ganzjährig bedienen. Letztgenanntes Schiff besteigen wir an einem sonnigen April-Nachmittag in Portsmouth. Zur Fähre geht es vom Terminal mittels eines Shuttle-Busses, der die Passagiere am Kai absetzt. Dort sind es ein paar Rolltreppen oder ein Fahrstuhl, ehe man aufs Bootsdeck der MONT ST MICHEL gelangt – fast wie auf einem Kreuzfahrtschiff, nur ohne Foto-Stopp und Desinfektionsspray. Ganz nach Kreuzfahrt-Art erfolgt dann aber die Begrüßung: ein freundliches „Bonjour” von einem Besatzungsmitglied in tadelloser Uniform, und schon spürt man, dass man auf einem französischen Schiff ist. Die MONT ST MICHEL legt um kurz vor 15 Uhr mit ein paar Minuten Verspätung ab. Dicker schwarzer Rauch kommt dabei aus dem Schornstein – ob das wohl das berühmte Niedrigschwefel-Dieselöl (LSDO) ist, das zu benutzen die Reedereien in Nord- und Ostsee seit Anfang 2015 gezwungen sind? Eigentlich gehörte die MONT ST MICHEL zu den drei Fähren, die Brittany Ferries auf LNG-Betrieb umstellen wollte. Das Umbau-Vorhaben wurde jedoch seitens der Reederei wieder aufgegeben, als sich herausstellte, dass der französische Staat hierfür keine Beihilfen gewährten konnte. Nun bekommt die MONT ST MICHEL stattdessen einen Scrubber, aber auch das erst im Herbst 2015. Bis dahin muss sie mit Niedrigschwefel-Dieselöl fahren, um die seit Jahresanfang geltenden neuen Abgasnormen einzuhalten. Statt der Kurzstrecke Calais - Dover eine der Brittany Ferries-Routen von oder nach Portsmouth zu wählen, lohnt sich übrigens schon deshalb, weil das Ein- und Auslaufen in diesem Hafen zu den interessantesten in ganz England gehört. Der Marinestützpunkt Portsmouth ist der größte in Großbritannien, so dass hier zu jeder Zeit zwei bis drei Dutzend Kriegsschiffe aller Art zu sehen sind, darunter an diesem Apriltag auch der (ausgemusterte) Flugzeugträger HMS ILLUSTRIOUS. Darüber hinaus befindet sich in Portsmouth ein U-Boottrainingszentrum, die Akademie der Royal Navy mit deren „Übungsschiff” HMS BRISTOL sowie natürlich neben den weiteren Museumsschiffen WARRIOR und MARIE ROSE auch eines der berühmtesten Schiffe überhaupt, Nelson’s VICTORY. Die Großfähren nach Frankreich werden zudem beim Ein- und Auslaufen von den Tages- und Schnellfähren zur Isle of Wight begleitet, die an betriebsamen Tagen fast im Halbstundentakt zwischen Portsmouth und der Urlauberinsel pendeln. Eines ist sicher: Zu sehen gibt es immer etwas, wenn eine der Brittany Ferries-Fähren den „Continental Ferry Port” erreicht oder verlässt. Einmal auf See, lässt die MONT ST MICHEL nichts vermissen, das einem die Überfahrt über diesen mittleren Teil des Ärmelkanals so angenehm wie möglich macht. Die öffentlichen Räume des Schiffes verteilen sich über drei Decks, die durch ein zentrales Atrium miteinander verbunden sind. Zwei Restaurants gibt es an Bord (das Büffetrestaurant „La Galerie” und das a la Carte-Restaurant „Les Romantiques”), dazu ein Café, die schicke „Blue Note Bar”, mehrere Geschäfte und sogar zwei kleine Kinos, in denen es auch während der Tagesfahrten Vorstellungen gibt. Damit ist die MONT ST MICHEL gleich ein doppelter Anachronismus, denn die meisten Fährreedereien in Nordeuropa haben nicht nur ihre Bordkinos schon vor vielen Jahren abgeschafft, sondern ihre oft kaum frequentierten a la Carte-Restaurants gleich mit. Selbst ein Unterhaltungsprogramm gibt es auf der Fahrt nach Caen, und das in der Vorsaison. Der Ablauf hängt auf einem Zettel an der Rezeption aus und weist als ersten Punkt das „Balloon Bingo” für Kinder aus. Und gut besucht ist es auch, immerhin nutzen nicht nur Familien die lange Überfahrt, um an Bord eine Fahrpause einzulegen, sondern auch viele Klassenfahrten auf ihrem Weg zwischen England und Frankreich. Die Vorab-Reservierung eines Liegesessels wäre in meinem Fall jedoch nicht nötig gewesen, denn das Schiff ist an diesem April-Mittwoch nicht einmal halbvoll. Außerdem sind die öffentlichen Räume an Bord großzügiger, wenn auch etwas nüchterner und funktionaler gestaltet als auf der BRETAGNE, mit der wir am Vortag gefahren sind. Geradezu ideal insbesondere für Tagesfahrten im Sonnenschein sind dagegen die riesigen Außendecks achtern, die sich ebenfalls über gleich drei Decks (8, 9 und 10), erstrecken. Der Ärmelkanal selber ist im Übrigen so ruhig wie ein Ententeich an diesem Tag, da fällt es nicht schwer, im Liegestuhl für ein paar Minuten „abzuschalten” und die Seele baumeln zu lassen. Das klappt aber auch unter Deck, wo die Musik und die Geräuschkulisse in den öffentlichen Räumen bei weitem nicht so laut und anstrengend sind wie auf anderen Fährschiffen. Dazu alles pikobello sauber (innen wie außen) und auch noch freier W-LAN-Empfang im halben Schiff – was will man mehr? Am späten Nachmittag befindet sich dann ein Großteil des Schiffes im Mittagsschlaf. Der „Name that Tune”-Wettbewerb in der „Blue Note Bar” ist nur mäßig besucht, dafür haben sich die Räume mit Ruhesesseln zu diesem Zeitpunkt hübsch gefüllt. Meine eigene Nachmittagsruhe dauert hier allerdings nur so lange, bis die Frau neben mir plötzlich lautstark auf ihren Mann einzureden beginnt, warum denn auf ihrem Tablet offline nichts mehr so funktioniert wie online. Da ziehe ich dann doch lieber die Ruhe des Sonnendecks in Kombination mit dem iPod vor. Leben kommt erst wieder ins |
Schiff, als es auf den Abend zugeht, wo der Magen sich zurückmeldet und auch das Unterhaltungsprogramm mit dem unvermeidlichen Bingo-Spiel um 19:00 Uhr auf seinen Höhepunkt zusteuert. Lustigerweise beginnt die Bedienung in der Caféteria bei meiner Bestellung tapfer in Englisch, wechselt dann aber doch irgendwann ins Französische zurück und verspricht mir meine Pizza in „cinq minutes”. Naja, dafür reicht mein Schulfranzösisch zum Glück noch. Nur dass das Gericht am Ende wenig stilvoll auf einem Pappteller und mit Plastikbesteck daherkommt, ist dann doch eher weniger „chic”. Das Bingo nebenan ist irgendwann zu Ende, stattdessen haben Take That und Robbie Williams die Beschallung aus der Konserve übernommen – auch hier in vertretbarer Lautstärke übrigens und in toller Klangqualität. Das blecherne Geschepper aus den betagten Lautsprechern so manch älterer Ostseefähren sucht man auf der MONT ST MICHEL jedenfalls vergeblich. Gegen 19:30 Uhr geht am Horizont die Sonne unter, und an Deck wird es merklich kühl. Bis Caen ist es da noch eine Stunde, aber plötzlich macht sich Aufbruchsstimmung breit an Bord. „We hope you choose Brittany Ferries again”, heißt es zum Abschied von der Stimme aus dem Bordlautsprecher, aber hat man denn eine andere Wahl? P&O hat seine letzte Verbindung in diesem Teil des Ärmelkanals bereits 2005 eingestellt und DFDS Seaways (LD Lines) 2014. Seitdem besitzt Brittany Ferries westlich der Route Dieppe - Newhaven faktisch ein Monopol. Um 20:20 Uhr schließlich macht die MONT ST MICHEL an diesem Abend im Hafen von Ouistréham fest, und schon um 20:28 Uhr beginnt die Ausschiffung der Fußpassagiere. Das nennt man wohl „deutsche” Pünktlichkeit. Wer nun auf französischem Boden seine Reise fortsetzt, muss jetzt seine Uhr umstellen, denn der Kontinent ist der Insel zeitlich um eine Stunde voraus. Als eine Stunde später das Boarding für die Rückfahrt der MONT ST MICHEL nach Portsmouth beginnt, ist es also schon 22:30 Uhr Ortszeit, doch die Einschiffung verläuft am Ende genauso effizient wie noch kurz zuvor die Ausschiffung. Nach dreifacher Bordkarten- und Passkontrolle (am Check-In-Schalter, am Zoll im Terminal und schließlich auf der Gangway) gelangen die Fußpassagiere zügig an Bord, wo trotz des französischen Heimathafens und trotz der französischen Besatzung interessanterweise englische Zeit gilt. Für die Nachtfahrt zurück nach Portsmouth haben wir eine Innenkabine gebucht, die im Gegensatz zur BRETAGNE von der Verbindung nach St. Malo ohne Fernseher auskommen muss. Und auch das schöne Duschgel und das Stück Seife mit Brittany Ferries-Logo fehlt auf der MONT ST MICHEL, dafür gibt es auf diesem Schiff einen Spender an der Wand. Auch eine größere Anzahl Steckdosen vermisst man schmerzlich, wenn man es gewöhnt ist, jede Nacht den iPod, die Kamera und das Smartphone gleichzeitig aufzuladen. In Kabine 7901 kommt man jedenfalls um ein spontanes „Schnick Schnack Schnuck” um die einzige Steckdose weit und breit nicht herum. (Der Kamera-Akku gewinnt am Ende.) Um 23:00 Uhr französischer Zeit (22:00 Uhr Schiffszeit) soll die Brittany-Fähre wieder ablegen, doch zunächst tut sich noch nichts, das auf eine baldige Rückfahrt schließen ließe. Erst gegen 22:15 Uhr geht ein Rumpeln durch das Schiff, das auch erst nach zehn Minuten wieder aufhört, um einem monotonen Schnarren zu weichen. Die MONT ST MICHEL hat den Schutz der Orne-Mündung mit einer Viertelstunde Verspätung verlassen und befindet sich wieder im Ärmelkanal. Wer es mag, kann nun an der abendlichen Variante des „Name that Tune”-Contest teilnehmen oder aber sich im Bordkino „Shades of Grey” ansehen, je nach persönlicher Vorliebe. Die meisten zieht es jedoch nach einem letzten Imbiss in ihre weichen Kabinenbetten, denn die Nacht ist kurz auf der Fährlinie Caen - Portsmouth. Sobald die Fähre nämlich auf englischer Seite die flachen Gewässer des Solent erreicht, ist es mit der Nachtruhe wieder vorbei. Das ist bei einer fahrplanmäßigen Überfahrt gegen 5:30 Uhr am nächsten Morgen, als die Vibrationen so weit zunehmen, dass man sich zwar in seinem Bett noch einmal umdrehen, aber dennoch nicht mehr weiterschlafen kann. Und dies ist nur Teil 1 der dreiteiligen Weckprozedur. Um 5:45 Uhr erklingt plötzlich zwei Minuten lang Musik aus den Bordlautsprechern und um 6:00 Uhr schließlich die offizielle Weckdurchsage, dass das Schiff pünktlich in Portsmouth ankommen wird. Und da kommen sie auch schon wieder in Sicht: die WARRIOR, die VICTORY und der Spinnaker Tower, jener 170 Meter hohe Aussichtsturm, der seit 2005 weithin sichtbar die Hafeneinfahrt von Portsmouth markiert. Um 6:45 Uhr schließlich legt die MONT ST MICHEL wieder im Continental Ferry Port an; pünktlich auf die Minute und ohne dass man nach vierzehn Stunden an Bord irgendetwas zu kritisieren hätte. Das sollen die Fähren zwischen Calais und Dover erst einmal besser machen! www.brittanyferries.de
Technische Daten der MS MONT ST MICHEL
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Die MONT ST MICHEL auslaufend Portsmouth. Foto: Kai Ortel, Berlin |
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Kiosk und Arkade laden während der Überfahrt zum Verweilen ein. Foto: Kai Ortel, Berlin |
Die elegante Blue Note Bar wird tagsüber und abends für Spielwettbewerbe und Live-Musik genutzt. Foto: Kai Ortel, Berlin |
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Das Büffet-Restaurant „La Galerie”. Foto: Kai Ortel, Berlin |
Das A la Carte-Restaurant „Les Romantiques”. Foto: Kai Ortel, Berlin |
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Über ein zentrales Atrium gelangen die Passagiere zu den Decks 8 und 9. Foto: Kai Ortel, Berlin |
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Auslaufen aus Portsmouth: links die Fähre zur Isle of Wight, im Hintergrund der „Spinnaker Tower”. Foto: Kai Ortel, Berlin |
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Nelsons VICTORY (1765) in ihrem Museums-Trockendock; gegenwärtig werden mit Hilfe von Kränen die Masten des Schiffes ausgebessert und erneuert. Foto: Kai Ortel, Berlin |
Portsmouth Waterfront mit dem Museumskriegsschiff WARRIOR von 1860. Foto: Kai Ortel, Berlin
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Marinebasis Portsmouth mit dem Flugzeugträger ILLUSTRIOUS. Foto: Kai Ortel, Berlin |
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