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Herbert Fricke · Ressortleiter HamburgMagazin
Von der Kunst, das Alter auf See zu genießen Kreuzfahrten als LebenselixierJünger werden wir alle nicht. Aber möglicherweise klüger. In all den Medizin-Reports in Fernsehen und Rundfunk, in Zeitungen und Zeitschriften, in mehr oder weniger klugen oder bunten Blättern – überall wird tagein tagaus geredet und geschrieben über tausend Pillen, Spritzen, Pülverchen – und bei all den Horror-Stories über Parkinson und Alzheimer und Pflegestufen und Rollatoren vermisse ich den jahrhundertelang überlieferten und wahr gebliebenen Begriff: Altersweisheit. Gibt es die nicht mehr? Sollte es vor lauter pharmazeutischer Geschäftemacherei keinen gesunden Menschenverstand mehr geben? Werden denn Lebenserfahrung und Wissen mit Millionenaufwand einfach so hinweggeworben? Muss denn alles und jedes, jedes wirkliche oder eingebildete „Leiden“ mit Medikamenten behandelt werden? Jedes kleinste Zipperlein? Müssen Millionen Menschen wirklich täglich Milliarden an Pillen schlucken? Die Fernseh-Werbung, achten Sie mal darauf, besteht mittlerweile zu 80 Prozent aus Werbung für Arzneimittel, für Pillen, allen voran für Schmerztabletten, Schmerz-Salben, Abführmittel und „Schlankheits”-Pülverchen. Sind wir wirklich eine so leidende Gesellschaft, die sich nur noch mit Pillen und Tropfen über Wasser halten kann? Oder ist da nicht schon eine gewisse Degeneration im Gange? Haben wir wirklich nur noch vegane oder laktosefreie Probleme? Und muss jedes Unwohlsein wirklich bombardiert werden mit all den Chemie-Kanonen? |
Fragen Sie nicht Ihren Arzt oder Apotheker, denn die leben ja von dem angeblich so schlimmen Gesundheitszustand der Bevölkerung … Bei meinen Kreuzfahrten erlebe ich anderes. Da blühen die Senioren auf. Da kann man nämlich als „Leidender” kaum Mitleid auf sich ziehen. Gespräche über Krankheiten sind an weiß gedeckten Tischen verpönt. Beim Filet mignon möchte man nichts über Fettabsaugen hören. Da will man lieber die Kunst der Köche genießen als über Offene Beine oder Magenverengung zu diskutieren. An Bord können manche Lahme auf einmal wieder gehen, da entdecken die Dünnen das Essen und die Dicken den Sport. Da will man sich mit den anderen Alten messen und erlaubt sich kein Gejammer. Schiffsreisen sind für Ärzte und Heilpraktiker und Apotheker der reine Gewinnausfall. Der Schiffsarzt zeigt auch meist nur wenig Mitleid und beschränkt sich auf wirklich notwendige Behandlungen. Mit einem Wort: Schiffsreisen machen gesund! Das mag am Wetter liegen, an frischer Luft und frischem Wind. An der Neugier auf den nächsten Hafen. An Vorträgen über Land und Leute. An Darbietungen guter Künstler. An Kunst, Artistik und Musik. Vor allem aber an meist guter Laune, die das Bordleben so mit sich bringt. Wer den Klippenspringern in Acapulco zuschaut, oder dem Kamelrennen in Agadir, wer die Große Moschee in Abu Dhabi besucht oder den Tulpenmarkt in Amsterdam, wer die Wassermassen am Niagara hinunterschießen sieht oder in der Gondelbahn hoch auf den Tafelberg schwebt, der redet nicht über künstliche Hüftgelenke oder Arthrosen, und ich habe sogar Passagiere gesehen, die vor irgendeiner spontanen Begeisterung sogar ihren Krückstock haben stehen lassen. Es ist die Atmosphäre an Bord, die das Wehklagen so abwegig macht. Da wird – häufiger jedenfalls als an Land – getanzt, gelacht, getrunken. Der Seereisende ist auf See, um sich zu amüsieren, um seine Freiheit zu genießen. Seetage sind auch Seelentage. Wer auf der Liege an Deck in den Himmel schaut, oder mit den Ellenbogen auf der Reling über’s unendliche Meer, der fühlt sein eigenes Leben, wie es dahingleitet, so wie das Schiff durch die Wogen ‒ und wer weiß denn wann es verlischt … Der will genießen, was davon noch verblieben ist. Der Mensch auf See fühlt sich als Teil der ewigen Natur. Und die Natur, die interessiert sich wenig für Herzschrittmacher oder Stents. Wer je den riesigen Mond hinter den grünen Klippen von Tahiti hat untergehen sehen, der weiß, dass dieser Mond auch ohne blutdrucksenkende Mittel untergeht. Romantik kennt kein Rheuma. Und Lebenslust braucht keine Pülverchen. Weder Aufputschmittel noch Schlaftabletten bestimmen die Tage und Nächte an Bord. Sondern einzig und allein die Lust am Leben. Es gibt kluge Menschen, die bleiben an Bord. Die haben sich ihre eigene Rechnung aufgemacht und verwandeln ihre Kabine zu ihrer Schwimmenden Seniorenresidenz. Die haben sich ausgerechnet, wieviel sie an Land für ihr Dasein zahlen müssten, wieviel für Essen und Trinken und Auto und Miete und Gas und Wasser und Strom ‒ oder für ein adäquates Altersheim an Land. Sie vergleichen die Kosten. Und diese klugen Leute sind dann zu dem Schluss gekommen: ich bleibe an Bord! Hier sehe ich das Meer und die Welt, erlebe interessante Häfen und Kulturen, sehe viele Länder und Leute, hier habe ich Vollpension und ärztliche Notfall-Betreuung, hier lerne ich meist liebenswerte Menschen kennen, habe Theater und Kino, die Seeleute kennen mich alle mit Namen, der Kapitän und die Offiziere, die Stewards und Stewardessen, alle sind freundlich und hilfsbereit. Und auch die Verbindung zur Welt reißt ja nicht ab in unseren Zeiten modernster Kommunikation. Im Bordfernsehen bekommt man Nachrichten aus aller Welt, meist auch die deutschen Sender. Man ist an Bord längst nicht mehr so isoliert, wie es Seeleute in früheren Zeiten waren. Ich habe schon so etliche Dauergäste an Bord getroffen. Unglücklich war keiner von ihnen. Auch einsam war kein einziger. Fragen Sie mal nach Alterseinsamkeit an Land. Aber da sind wir wieder bei den Pillen. An Land werden gern Psychopharmaka für die Seele verschrieben. Pillen als Lebens- und Liebesersatz. So etwas braucht an Bord kein Mensch. Und der Cognac, der ist zollfrei. Die Flagge an Land hängt meist schlaff herab. Die auf See, die flattert im Wind des Lebens. Kommen Sie gut durch den Winter. Ob an Land beim Schneeschippen. Oder an Bord beim Champagner. Herzlich, Ihr Herbert Fricke |
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