So nah kamen wir Angelas Schreibtisch noch nie. Gemächlich zieht das
futuristische Gebäude an unserer Backbordseite vorbei. Wie vielen anderen
Gebäuden in Berlin kann man sich auch dem Bundeskanzleramt sehr gut auf dem
Wasserwege nähern. Den Reichstag und das Brandenburger Tor hatten wir kurz
vorher ebenfalls beinahe zum Greifen nah. Zu sehr sollte der Steuermann
allerdings seinen Blick nicht zur Seite schweifen lassen. Es geht recht
lebhaft zu, hier auf der Spree am Regierungsviertel von Berlin.
Ausflugsschiffe mit plärrenden Lautsprechern sind hier ebenso unterwegs wie
Motoryachten aller Art. Auch die Wasserschutzpolizei patroulliert im
schicken Schiff mit Blaulicht und Bundesflagge.
Venedig ist für seine Wasserwege weltberühmt. Berlin wurde durch seinen
Reichstag und das lange geschlossene Brandenburger Tor auch weltweit
bekannt, keineswegs jedoch für seine Romantik auf dem Wasser. Geschichtlich
gesehen ist das gut nachvollziehbar. Zumal die Erinnerungen, die mit diesen
Gebäuden untrennbar verbunden sind, nicht nur positive Gefühle auslösen.
Doch von der Zahl und der Schönheit der Flüsse, Kanäle und Seen, welche die
deutsche Hauptstadt durchziehen, hätte Berlin einen besseren Ruf verdient.
Keine andere Hauptstadt Europas besitzt derart viele Wasserflächen.
Für eine Woche sind wir mit einem Hausboot von Kuhnle-Tours unterwegs. Vier
Erwachsene, die die deutsche Teilung noch aus eigenem Erleben kennen. Und
vier Kinder, für die all dies nur vergangene Geschichte sein wird. Wir
fahren mit unserem Hausboot auf der Spree, auf der Havel und auf der Dahme.
Durch den langweiligen Teltowkanal ebenso wie auf dem faszinierenden
Wannsee. An der Zitadelle von Spandau schippern wir vorbei und unter der
Glienicker Brücke durch. Hier wurden des Öfteren Spione ausgetauscht,
damals, als West-Berlin noch Frontstadt war. Im Geschichtsunterricht werden
unsere Kinder irgendwann lernen, was sich hier in Berlin alles zugetragen
hat. Richtig vorstellen wird sich das keines der Kinder jemals können, was
hier geschehen ist. Dafür genießen sie den Urlaub als kleine, stolze
Matrosen.
Übernommen haben wir unser Boot an der Charterbasis
Zeuthen, einem kleinen Ort am Rande des ehemaligen Ostteiles von Berlin.
Nach diesem recht unbekannten Ort folgt gleich schon Köpenick. Dort gab 1906
ein als Hauptmann verkleideter Schuster den preußischen Militarismus dem
Gespött der Welt preis.
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Ein Postkartenmotiv wie eh und je bleibt die
Oberbaumbrücke mit der darüber fahrenden S-Bahn.
Bis 1989 endete bald darauf der Weg von Ost nach West am
Stacheldraht. Früher sei die Navigation auf den Gewässern Westberlins nicht
so einfach gewesen, so sagt man. Denn egal in welche Richtung man unterwegs
war – überall ging es nach „Osten”.
Doch dahin kam man nicht, auch nicht auf dem Wasser. Und von Ost nach West
gelangte man erst recht nicht, jedenfalls nicht lebendig. Diese Zeiten sind
seit mehr als 20 Jahren vorbei, und dennoch bleibt der besondere Charakter
dieser Stadt bestehen.
Es ist ein Bootsurlaub der besonderen Art, den wir
in Berlin erleben. Binnenschifffahrt und Großstadtfeeling liegen
normalerweise weit auseinander. Denn anders als auf französischen Kanälen
fährt man keineswegs durch die Einsamkeit. Auf der Müritz wiederum hat man
einen recht großen See vor sich, auf dem man durchaus seine
Navigationskenntnisse anwenden kann. In Berlin hingegen fährt man nicht nach
Seekarte, sondern notfalls genügt dem Steuermann ein Stadtplan in der Hand.
Dieses Stadtleben vom Wasser macht den besonderen
Reiz aus. Baden vom Schiff aus kann man im Wannsee. Von vielen Anlegestellen
im Stadtzentrum wiederum könnte man abends problemlos ins Kino oder in die
Disco gehen. Dieses Großstadtfeeling vom Wasser hat durchaus seinen Reiz.
Berlin ist sehr gut auf Wassertouristen eingestellt und bietet zahlreiche
Bootsliegestellen „24 Stunden”
an. Auf diese Weise kann man
auf seinem Schiff dort übernachten, wo man mit einem Auto nicht einmal einen
Parkplatz finden würde.
Landstrom oder einen Wasseranschluss gibt es an
diesen Kurzzeitliegeplätzen allerdings nicht. Insofern bieten sich diese
Anlegestellen gerade für Hausboote an, die dank Duschen und Toiletten und
mit großzügigem Wasservorrat und großer Batteriekapazität wesentlich
autarker sind als die meisten Sportboote.
Allerdings: Auch für das Fahren mit einem Hausboot
ist in Berlin der Sportbootführerschein Binnen vorgeschrieben. Der
„Charterschein”
(d.h. eine dreistündige Einweisung durch den Vermieter, was z.B. auf der
Müritz als Befähigungsnachweis ausreicht) gilt nicht für Berliner Gewässer.
Berlin ist tatsächlich kein Anfängerrevier. Man muss auch berücksichtigen,
dass die Rücksichtnahme vieler Kapitäne der Ausflugsschiffe ähnlich stark
ausgeprägt ist wie die mancher Taxifahrer auf der Straße. Aber: Berlin ist
Berlin. Erst recht auf dem Wasser.
Kuhnle-Tours/Berlin
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