AUSGABE 3/2012
hr

Foto: Egon Giebe, SeereisenMagazin Der Hamburger Herbert Fricke ist jahrelang zur See gefahren, auf Frachtern, Expeditions- und Kreuzfahrtschiffen rund um den Globus,

bevor er von der Nautik zum Journalismus wechselte.

   

Am Morgen, es war erst vier!, pochte es an unserer Kabinentür. Schlaftrunken und unbekleidet wankte ich hin und öffnete. Der Dritte Offizier entschuldigte sich und sagte: »Der Kapitän möchte Ihnen ein besonderes Erlebnis vermitteln. Die Einfahrt in den Panamakanal. In 20 Minuten erreichen wir die erste Schleuse!« »Okay, wir kommen auf die Brücke. Und vielen Dank!«

Ich rüttelte an Body. Ungnädig drehte sie sich auf die andere Seite: »Nein, nicht schon wieder! Ich bin total müde!« Es kostete mich viel Geduld und Überzeugungskraft, sie aus ihrem Tiefschlaf hochzubringen, ihr zu erklären, welch ein besonderes Ereignis auf uns warte. Mürrisch fragte sie: »Eeeh?« Aber dann kapierte sie, schwankte ins Bad, weckte sich selbst mit kaltem Wasser, warf den kurzen Seidenfummel von gestern Abend übern Kopf, zuppelte ihn zurecht, das schwarze Minikleid von H&M oder Joop oder Escada oder was weiß ich von wem, malte routiniert noch über ihre Lippen, schlupfte schlaftrunken in ihre schwarzen Pumps vom Abend, wobei ich dachte: Wie total passend - Stilettos ausgerechnet da oben auf der Brücke! -, aber das alles war mir scheißegal, Hauptsache, jetzt rauf auf die Brücke!

Ich schnappte meine Kamera, und rechtzeitig standen wir fünf Minuten später in der Brückennock. Die Kanaleinfahrt lag wie ein unwirklicher Trichter vor uns in der Morgendämmerung. Dann ratterten sie heran, schemenhaft aus dem frühen Morgendunst wie Höllenmaschinen aus dem Jenseits, die berühmten Loks an beiden Seiten des Kanals, und zogen uns langsam in die erste Schleusenkammer. Überall Scheinwerfer, blinkende Lichter, Kommandos, Tuten, Hupen. Wir waren fasziniert von unserer Einfahrt in den Panamakanal und auch noch die ganze 82 Kilometer lange Kanalpassage lang. Der Kapitän wusste und erklärte viel. Wir dankten ihm, dass er uns hatte wecken lassen: »Superidee, herzlichen Dank!«

Aber ich vermute, vor allem wollte er Body auf der Brücke haben. Wollte sie wiedersehen nach diesem Abend an seinem Captain's Table. Er hatte ein paar Mal mit ihr getanzt. Ich weiß, das reicht bei ihr, um Männer unruhig zu machen. Mir war es ja nicht anders ergangen. Und sie spielte sie gerne, ihre optischen Unschuldsspielchen, ihre Kurzkleidkindfrauraffinesse. Hier oben neben dem Rudergänger hatte sie auch ihre Müdigkeit vergessen. Und vertraute wohl unbewusst auf die Wirkung der noch frischen Morgenbrise.

Denn draußen in der Nock ließ sie ihr Röckchen so im Winde flattern, dass es dem Kapitän kaum entgehen konnte, wie überstürzt sie sich vorhin, nach dem plötzlichen Kanalalarm, angezogen haben musste. Ich sah das auch, aber dennoch keinen Anlass, sie auf ihr Versäumnis hinzuweisen oder gar ihren Slip aus der Kabine raufzuholen. Sogar der Lotse bezog jetzt häufig zwei Meter hinter ihr seine Ausguckposition.

Der Chiefmate musste grinsen und orderte später unser Frühstück auf die Brücke.

 

»Bitte, nimm Platz hier auf dem Schenkelbrett!« sagte er zu ihr. Dieser Ausdruck stammt aus der Walfangfahrt: Aufs Schenkelbrett stützt sich der Harpunier beim Schuss. Der Chiefmate meinte allerdings etwas ganz anderes.

Aber bei aller Leichtigkeit der Seide war Body doch auch sachlich äußerst interessiert. Wir sprachen mit dem Kapitän und mit dem Lotsen über die dramatische Geschichte des Kanals, über die vielen Tausend Malaria-Opfer, die beim Bau ums Leben kamen, über die schon seit mehr als 300 Jahren geplant gewesene und dann doch erst vor 100 Jahren tatsächlich gegrabene Verbindung zwischen beiden Weltmeeren. Gegraben mit Hunderttausenden von Schaufeln, ohne Bagger, ohne Raupen, nur mit einfachstem Gerät quer durch die Sümpfe Panamas.

So diskutierten wir über die enorme wirtschaftliche Bedeutung des Kanals für den Welthandel. Vor seiner Inbetriebnahme musste ja der raue Riesenumweg rund Kap Hoorn gesegelt werden. Und über die strategische Bedeutung dieser einmaligen Wasserstraße. Auch über die Breite des Kanals, die die modernen Schiffsgrößen begrenzt. Und dass der Kanal deshalb jetzt verbreitert wird. Und wir redeten über die politische Bedeutung des Kanals, über die Rolle der Schutzmacht USA in der fesselnden Geschichte dieses einzigartigen Bauwerks, über die Situation seit der Übernahme durch Panama.

Aber all das Historische wurde immer dann ganz unbedeutend, wenn Body in den Wind hinausging. Dann brach der Lotse seine Darlegungen mitten im Satz abrupt ab, um draußen dringende nautische Probleme zu erledigen. Dann untersuchte der Kapitän ein ums andere Mal den völlig intakten Tochterkompass hinter Bodys Fähnchen im Wind. Und ich erkannte: Ein spannendes Enthüllungstuch ist eben immer wirkungsvoller als noch so gebildete Gedanken. Aussichten schlagen Einsichten fast immer.

So wurden unsere klugen Erkenntnisse immer wieder vom Winde verweht, während die Kanal-Lokomotiven unser Schiff von Schleuse zu Schleuse zogen. Alles sehr spannend, nur kam der Kapitän bodymäßig nicht so zum Zuge wie die Loks an beiden Seiten. Denn Body kehrte von ihrem kurzen Toiletten- und Kabinengang am Nachmittag zwar frisch gewaschen und gekämmt, aber mit langer Hose auf die Brücke zurück. Schade, dachte der Kapitän, aber sagte es nicht, weil: Was sollte er denn sagen?

Und so staunten wir Panama-City und der Kanalausfahrt entgegen und speicherten dieses Erlebnis auf unserer mentalen Festplatte. Dort werden wir es bewahren, bis Herr Alzheimer eines Tages die Löschtaste drückt. Doch dazu möge es nie kommen, denn gemeinsame Erlebnisse sind wie Pattex für die Seele, sie schweißen mehr zusammen als Liebesschwüre oder Ehe-Eide. Der Panamakanal, die Cuna-Indianer und mein blaues Auge gehören zur Schweißnaht zwischen Body und mir.

hr
Foto: Delius Klasing, Bielefeld

Ein sehr amüsantes Kaleidoskop besonderer Begegnungen

an Bord.

 

Herbert Fricke

Gespräche an der Reling
Auf allen Schiffen dieser Welt ist die Reling der beste und beliebteste Treff für einen Gedankenaustausch, für alte Vorurteile und neue Einsichten, für flache und tiefere Gespräche, mal ernst, mal heiter, mal ganz albern. Kaum an anderer Stelle hat man soviel Zeit und Muße für Meditation und Mediation, für Reflexionen und Reflexe. An der Reling gewinnt man Einsichten, hier verfliegen Gedanken in unendliche Fernen, oder man kommt sich dort sehr nah.

Auf seinen vielen Seereisen an Bord ganz verschiedener Schiffe hat sich der Autor Herbert Fricke mit den unterschiedlichsten Menschen unterhalten: Mit Passagieren und Seeleuten, mit Kapitänen, Klugscheißern und Kapitalisten, mit Weisen oder Besserwissern, mit Frauen, Männern, Verstehern und Verständnislosen, auf jeden Fall mit einer bunten Vielfalt interessanter Menschen.

Herausgekommen ist ein sehr amüsantes Kaleidoskop besonderer Begegnungen an Bord. Das Buch hat keine feste Handlung und gerade das macht es so spannend. Es verrät, dass der Autor Kreuzfahrten als schönste aller Reisemöglichkeiten empfindet, aber er stellt seine Gesprächspartner und ihre Ansichten, auch seine eigenen, ironisch immer wieder neu in Frage. Ganz nebenbei gewinnt man äußerst interessante Einblicke in Häfen und Länder und fremde Gestade.

Erschienen im Delius Klasing Verlag, Bielefeld (ISBN 3-7688-1853-5 / ISBN 978-3-7688-1853-7). 158 Seiten, gebunden, Format 18,6 x 12,8 cm, 12,90 €.

Amazon/Gespräche oder Redaktion@SeereisenMagazin.de

hr
Foto: Delius Klasing, Bielefeld Es sind bittere und
süße, verzweifelte
oder glückliche
Geständnisse, die
Herbert Fricke hier
aufgeschrieben hat.

Herbert Fricke

Geständnisse an der Reling
Die Weite des Meeres, die entspannte Atmosphäre an Bord, die Besinnung auf das eigene Leben – all das macht Menschen auf See offener und gesprächsbereiter als die Alltagsenge irgendwo zu Hause. Erst recht an der Reling, wo einem die Seeluft um die Nase weht, wo man allein ist mit sich, seinen Gedanken und einem fremden Gegenüber. Und so kommt es oft zu überraschenden Geständnissen, zu denen es anderswo nicht kommen würde.
Es sind bittere und süße, verzweifelte oder glückliche Geständnisse, die Herbert Fricke auf seinen vielen Kreuzfahrten rund um den Globus erfahren hat. Wie bitter zum Beispiel das Geständnis einer stumm gemachten jungen Frau, die es wagte, sich gegen eine übermächtige Mafia zu stellen. Oder die Geschichte eines sehr alten Mannes, der nach fast 70 Jahren das Trauma seines eigenen Versagens eingesteht. Wie bittersüß das Schwangerschafts-Geständnis der jungen Zahlmeisterin, die sich während einer Kutschfahrt auf der Krim verliebte ... Niemand, so scheint es, kann ein Leben lang ein aufwühlendes oder beglückendes Geheimnis in seinem Innersten bewahren, ohne es irgendwann mit irgendwem zu teilen. Am liebsten an der Reling.

Erschienen im Delius Klasing Verlag, Bielefeld (ISBN-10: 3768826325 / ISBN-13: 978-3768826327). 192 Seiten, gebunden, Format 18,6 x 12,8 cm, 12,90 €.

Amazon/Geständnisse oder Redaktion@SeereisenMagazin.de

 

Seemann und Journalist

Der Hamburger Herbert Fricke ist jahrelang zur See gefahren, auf Frachtern und Passagierschiffen rund um den Globus, bevor er von der Nautik zum Journalismus wechselte. Zunächst als Zeitungsreporter und Fotograf, später als Rundfunkreporter und Moderator hat er von den Brennpunkten der Welt berichtet, für Sender der ARD, vor allem für NDR, Deutschlandfunk und Deutsche Welle. Dabei hat er seine maritime Kompetenz auch journalistisch genutzt. Vor allem in seinen Reportagen von Bord des Hospitalschiffes HELGOLAND in Vietnam, des Rettungsschiffes CAP ANAMUR im Südchinesischen Meer, des Expeditionsschiffes METEOR im Indischen Ozean, des einzigen atomgetriebenen Frachters unter deutscher Flagge, der OTTO HAHN, oder von Bord der im großen Bittersee eingeschlossenen Frachter MÜNSTERLAND und NORDWIND.

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