AUSGABE 4/2012
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Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther, Stralsund Bilderbuch-Vulkan auf den Kurilen.

   

Dr. Peer Schmidt Walther Premieren Abenteuer in unaussprechlichem Seegebiet 

„Och, Ochots – wie bitte? Ein Zungenbrecher, der selbst gestandene Seeleute ins Stottern bringt. Die Quizfrage gilt dem Ochotskischen Meer. Irgendwo östlich vom Schwarzen Meer, so tippen sie, soll es liegen – und hauen voll daneben. Wie es scheint, immer noch ein „weißer Fleck im Bewusstsein vieler Menschen.

 

Schlägt man im Atlas allerdings den Nordpazifik auf, wird man seine geographischen Koordinaten finden: eingeschlossen von der nordjapanischen Insel Hokkaido im Süden, den Kurilen im Südosten, Kamtschatka im Nordosten, dem ostsibirischen Festland im Nordwesten und Sachalin im Westen. Ein Exot unter den Meeren. Bis 1990 Terra incognita, weil Sperrgebiet für Russen und Ausländer.

„Das Ochotskische Meer, gestehen die weit gereisten Passagiere, „hat noch gefehlt in unserer Sammlung. So jedenfalls empfinden die meisten, die sich auf der HANSEATIC für den 3585-Seemeilen-Rundkurs eingeschifft haben: gleichgesinnte Enthusiasten auf hohem Niveau, die auch der stolze Preis nicht schreckt. Die Hobby-Entdecker begeistern sich für die kalten, klaren Weiten der unberührten Landschaften nördlicher Breiten samt ihrer spezifischen Tier- und Pflanzenwelt. Vom Hafen Otaru auf Hokkaido ging der 123 Meter lange 8376-Tonner im Juni 2012 unter Führung seines bewährten Kapitäns Thilo Natke in See. Der Niedersachse kennt sich aus in den Extremgebieten dieser Erde wie kein Zweiter. Immer wieder erschließt er seetouristisch Neues wie zum Beispiel die Wrangel-Insel in Nordost-Sibirien, das nordpolare Franz-Joseph-Land oder Neu-Kaledonien im Südpazifik. 

 

Weckruf zur Sicherheit 

„Meine Damen und Herren, Sie sind hier nicht zur Erholung, stimmt die Expeditionsleiterin ihre Gäste auf die kommenden 17 Tage ein. Natürlich augenzwinkernd. Und sie legt nach: „Wir fahren auf einem Expeditionskreuzfahrtschiff, da werden wir Sie, verspricht die junge Frau, „schon müde kriegen.

Wie, das erfahren die rund 80 Gäste aus aller Herren Länder schon am nächsten Tag, der mit durchdringendem Seevogel-Geschrei beginnt. Weckruf à la HANSEATIC. Zunächst steht allerdings Sicherheit auf dem Lehrplan des Zweitem Offiziers: Alarmsignale, Gebrauch der Rettungsweste, Einweisung in die Bootsstationen, Verhalten an Bord, im Zodiac-Schlauchboot und an Land. Nach diesem Auftakt, der den vielen Wiederholern schon in Fleisch und Blut übergegangen ist, eine deutsch-englische Lektoren-Einführung. Diplomgeologe Dr. Wolfgang B. doziert im Hörsaal der Lounge über die Region: „Die 1200 Kilometer lange Inselkette bildet die weltweit aktivste Vulkankette. Sie enstand vor 46 Millionen Jahren zunächst untermeerisch, als sich zwei ozeanische Schollen aneinander rieben und Magma an die Oberfläche quoll. Didaktisch eindrucksvoll demonstriert er 4,6 Milliarden Jahre Erdgeschichte an einem 46 Meter langen Faden. Nur 20 Zentimeter davon repräsentieren symbolisch die Entstehung der Kurilen. Geologisch ein Sekunden-Bruchteil. 

Auf den 56 Inseln, so der Wissenschaftler, gibt es rund 100 Vulkane, von denen noch ein Drittel aktiv ist. Viele von ihnen – der höchste, Mount Alaid, ragt 2400 Meter auf – mit der charakteristischen Kegelform. Ausbrüche, Erd- und Seebeben sind keine Seltenheit. Manche Gebiete dürfen daher auch nicht betreten werden.

Erste Station: die Zwillings-Inseln Chernye Bratya, Schwarze Brüder. Auf der jederzeit offenen Brücke drängeln sich die Seh-Leute, um nichts zu verpassen. Die Gipfel hüllen sich zwar geheimnisvoll in Wolken, sind aber ansonsten harmlos. Während „unser Anlandungs-Eiland von freundlichem Grün überwuchert ist, gibt sich der schwarzfelsige Blutsverwandte abweisend schroff. Auf „braune Würste am Klippenfuß, so Kapitän Natke, sollten wir während der Vorbeifahrt achten. Bis auf weiteres stellt er seine Lautsprecher-Durchsagen ein, um die Seelöwen nicht zu stören. In ihren Jagdgründen tummeln sich auch zahlreiche russische Fischdampfer. Allerdings weniger sensibel.

 

Zwischen Plan A, B und C 

Auf Yankicha wird uns der Boden spürbar heiß unter den Füßen. Aus dem Einsturzkrater, einer Caldera, quellen dicke Dampfschwaden. Höllischer Schwefelgestank kriecht sogar bis in die Klimaanlage der ankernden HANSEATIC. Das Erkundungsteam prescht per Zodiac voraus. Alles klar! Kapitän Natke nach der täglichen Wetter- und Positionsmeldung über den Bordlautsprecher: „Bitte stellen Sie sich auf eine nasse Landung ein! Also – wie eigentlich immer – Gummistiefel anziehen. Der erste Anlauf am Vormittag ist ausgefallen: Wasserstand zu niedrig, eine Felsbarre zu hoch. Je nach Situation disponieren Natke und sein Team immer wieder um. „Gerade das, meint ein Passagier, „macht ja das Besondere an dieser Expeditionsreise aus. Niemand ist unzufrieden, im Gegenteil. Wenn Plan A nicht klappt, dann kommt eben B zum Zug oder auch C. Für den Ersten Offizier, bisher auf Containerfrachtern befahren, ist das eine Herausforderung: „Langeweile oder Wiederholungen kenne ich hier nicht.

Glück gehabt: Sonne satt und spiegelglatte See. In diesem ansonsten eher unruhigen Meer nicht gerade eine Selbstverständlichkeit. Wie sich noch zeigen wird. Leider auch verbunden mit ausgefallenen Landgängen. Stattdessen nicht minder prickelnde Ausweichziele.

Heißes Wasser sprudelt überall aus den Erdlöchern von Yankicha. Einige Mutige wälzen sich genüsslich in dem Naturbad. Zum Abkühlen tauchen sie unter in dem nur fünf Grad kalten Salzwasser-Kratersee. Andere erklimmen die Flanken mit fantastischer Aussicht über die atemberaubende, zerklüftete Vulkanlandschaft. Dichte, hohe Grasmatten dienen als Hosenbodenrutsche. In kindlicher Freude rauschen sie zu Tal. Ein paar zutrauliche schwarze Polarfüchse am Strand kümmert das wenig. Menschen sind ihnen unbekannt. Die Pelztiere, auf die Dutzende von Kameras gerichtet sind, räkeln sich vor ihrem Bau in der Sonne und genießen es sichtlich, im Mittelpunkt zu stehen.

 

Große Stars mit scharfen Zähnen 

Wie auch wenig später die braunen Speck-Kolosse der Stellerschen Seelöwen und Nördlichen Seebären von Ostrov Srednego. Per Zodiac umkreisen wir die kargen Felseilande. Dabei verheddert sich in den Schrauben ständig zäher Kelp, von dem sie die Bootsführer immer wieder befreien müssen. Die bis zu 200 Meter langen Riesenalgen, sie gelten als längste Lebewesen der Welt, bilden an der Oberfläche dichte Teppiche, die im Wasser wie Wälder anmuten. Eine Kostprobe schmeckt nach salzigem Sauerampfer. „Sieht aus, als könnte man auch drüber laufen, meint jemand. Doch die neugierig neben uns auftauchenden und scheinbar mit ihren Flossen winkenden Tiere beweisen das Gegenteil. Von ihren erhöhten Sonnenlogen weht beißender Gestank herüber. Über allem thronen massig die großen Stars: in tiefem Bass röhrende Clan-Chefs. Ihre rosa Rachen sind mit scharfen Zähnen gespickt.

Auch auf Ostrov Broutona sind Stars heimisch, allerdings viel kleinere: Scharen von Hornlunden. Einen hat der Ornithologie-Lektor später sogar eingefangen zum Foto-shooting aus nächster Nähe. Die lustig-bunten Vögel gelten als pazifische Verwandte der europäischen Papageientaucher. In riesigen Kolonien nisten sie auf schroffen Felsvorsprüngen einträchtig mit schwarz-weißen, auch als „Mini-Pinguine bekannten Lummen, Sturmtauchern, Eissturmvögeln, Alken, Meeresscharben, Kormoranen und Teisten, um nur einige zu nennen. Über ein Sechstel der gesamten Kurilen-Population ist hier heimisch. Ohrenbetäubend ihr tierisches Krächz-Konzert. Dazu ein Bombardement von ätzenden Kot-Geschossen aus der Luft, in der ein Flug-Chaos zu herrschen scheint.

Die beiden Ornithologen beantworten schon im Zodiac geduldig Fragen. Bei Rückblick und Vorschau am Abend, kurz Recap genannt, bringen sie dann Klarheit in die Köpfe der Passagiere, die schon etwas müde geworden sind. Bereits früh am Morgen nämlich hat sie die Expeditionsleiterin mit ihrem Weckruf aus süßem Schlummer gerissen. Das lohnt sich immer, finden alle, denn jeder Tag bringt Unbekanntes, Neues und Überraschungen.

 

Zwischen heißem und kalten Krieg 

Von hoher Brückenwarte beobachtet Naturfan Thilo Natke unablässig die See. Wenn sich etwas bewegt, greift er spontan zum Mikrofon: „Meine Damen und Herren, schauen Sie mal nach Backbord, etwa in Richtung elf Uhr, da blasen zwei Pottwale”. Prompt ändert er den Kurs des Schiffes und folgt dem Weg der Tiere, bis sie in Fotoreichweite kommen. Dazu liefert er Informationen wie ihre erstaunlichen Tauchzeiten von 90 Minuten und -tiefen bis 1200 Meter. Auch Finn-, Grönland- , Grauwale und Orcas werden gesichtet und sind eine Attraktion. Sie suchen in dem nahrungsreichen, kalten Auftriebswasser nach Nahrung. Die Relingsgäste greifen zu ihren Ferngläsern und geraten beim Whale-watching – vor Sachalin kommem wir per Zodiac in Greifnähe an die Riesen heran – jedes Mal in Verzückung. So auch später bei drei Kamtschatka-Bären. Natke, dem das sichtlich Spaß macht, dreht dann spontan auf Sichtweite heran.

Eins von vielen weiteren Highlights: als zur Pool-Deck-Glühweinparty possierliche Seeotter vor und neben dem Schiff auftauchen. In bequemer Rückenlage knacken sie mit ihren Pfoten-Händen Muscheln, die hier reichlich vorkommen. Die Szenerie ist eingerahmt von schneegefleckten Bergflanken. Zum Abendessen kontrastiert ein klassisch schöner Schichtvulkan schwarz gegen den rot glühenden Sonnenuntergangs-Himmel. Kurze Zeit später wird das reale Traumbild von dichtem Nebel verschluckt.

 

Scheinbares Naturparadies 

Ums blanke Überleben ging es einst auch auf der nächsten Insel Onekotan. Eine windschiefe Hütte mit allerlei gut erhaltenen Einrichtungsgegenständen, als wären sie gerade noch benutzt worden, zeugt davon. Die ehemalige Funkstation soll im letzten Weltkrieg hart umkämpft gewesen sein, wie wir von unserem Lektor erfahren. Er führt eine Wandergruppe durch den reißenden Fluss über einen Steilküstenpfad auf die weite Hochfläche. Die üppig blühende Tundra ist übersät mit Grasbuckeln. „Vom Bodenfrost aufgeworfen, erklärt er, denn das Klima sei hier im langen Winter sehr hart, trotz der niedrigen Breitenlage. Zurückzuführen auf den küstenparallel verlaufenden kalten Kurilen-Strom aus der Arktis. Teppiche von süßen Krähenbeeren verlocken ständig zu „Vitamin-Pausen. Einige pflücken sie händeweise für ihr Frühstücks-Müsli an Bord. Dr. Reiner K. ist nicht zu bremsen beim Anblick von leuchtenden Steinpilzkappen. In der Kombüse wird daraus ein köstliches Zwischengericht gezaubert.

Nach schweißtreibender Wanderung freut man sich auf ein Bad im trinkwasserklaren Gewässer, aus dem auch der Durst gestillt werden kann, majestätische Vulkankulisse

 

inklusive. Wie man sieht, lauter Bedingungen, die auch heute noch das Überleben sichern würden. Kreisrunde Wälle am Treibholz übersäten Flussufer indes verraten eine aufgelassene Siedlung. Offenbar ist es doch nicht so weit her mit dem sorglosen Ausharren in diesem scheinbaren Naturparadies.

Zurück schweben wir förmlich über Baumkronen von Erlen, Weiden und Kiefern – zäher subarktischer Krüppelwuchs zwischen zehn Zentimetern und Brusthöhe. Ein wahrhaft „riesiges Gefühl.

Weniger das in den Knochen. Muskelkater und Kniegelenkschmerzen – körperliche Erinnerung an das anstrengende Auf und Ab der Buckelwiesen – zwingen erst mal auf die Koje. Bis zum Abendessen. Dann nämlich sorgen der Küchenchef und seine Mannen für Kalorien-Nachschub. Die Tundra-Wanderer spüren, was sie getan haben. Und die Expeditionsleiterin hat Recht behalten: Wir sind hier nicht (nur) zur Erholung ...

 

Weltnaturerbe und Kaviar 

Kamtschatka Steuerbord voraus! Mit dieser 1200 Kilometer langen und bis zu 450 Kilometer breiten Halbinsel, so groß wie Deutschland, streckt das russische Riesenreich seinen Arm tief in den Nordpazifik aus, informiert das Reise-Begleitheft. Und: „Da es mit seinen 29 aktiven Vulkanen, heißen Quellen und Geysiren einzigartige Schönheiten birgt, sind Teile Kamtschatkas als Weltnaturerbe anerkannt.

Neben der Oblykovina-Flussmündung setzen wir unseren Fuß erstmals auf russisch-fernöstliches Festland. Hinter dem Strandwall glauben die Ankömmlinge im seichten Wasser neben springenden Lachsen einen langen grauen Felsrücken zu sichten – oder doch nicht? Der Lektor und Diplom-Biologe klärt auf: „Gestein steht hier nicht an. Das ist ein gestrandeter Grönland-Wal.“ Allgemeines Staunen. Auch beim Anblick der anscheinend noch bewohnten, aber völlig verkommenen Container-Hütte. Ringsum ein Chaos aus Tonnen, Leinen, Plastik-Müll, ausgenommenen Fischkadavern und Netzen. Plötzlich steht ein junger Mann im Eingang: „Privjet! Hallo! Etwas verlegen lächelnd ob unseres „Überfalls, bittet er – „pajalsta! – in die Unterkunft. Zerwühlte, schmutzige Betten, Kleidung, wacklige Stühle und ein klappriges Tischchen bilden das „Ambiente. Arnold Schwarzenegger zeigt auf einem Poster seine „Terminator-Muskeln. In einer Waschschüssel goldgelbe beerengroße Lachseier. Dazu Brot und Tee. Ein köstliches Gastmahl. „Besser als Stör-Kaviar, findet ein Mitfahrer genüsslich kauend. Mancher klemmt einen Dollar-Schein unter seinen Trinkbecher.

 

Schwarzer Planet an Steuerbord 

Alex, Ende Zwanzig, haust hier mit vier Kollegen. Sibirische Überlebenskünstler. Sie kommen aus der einige hundert Kilometer entfernten Halbinsel-Hauptstadt Petropawlowsk-Kamtschatski. Einziges weibliches Wesen: Kätzchen Anja, das vergnügt zwischen dem Müll herumtollt. Von Juni bis September, übersetzt Mari, fischen sie Lachse. „Produktionsergebnis der kurzen Saison: 20 Tonnen Kaviar, das Kilo zu 20 Rubel. Ein schöner Batzen für die freien Unternehmer, mit dem sie und ihre Familien gut über den langen Winter kommen. Anders der etwa fünfzigjährige Einsiedler Igor in der Erineiska-Bucht auf dem sibirischen Festland. Nur hat er andere Motive: Harte Schicksalsschläge vertrieben ihn in die Wildnis – für immer. Einzige Lebensgrundlage ist das, was die Natur so bietet: Fische, Tiere, Pilze, Beeren, Kräuter. Jemand bringt ihm einen abgelegten Pullover mit. Der Mann bedankt sich überschwänglich.

Die beiden wettergegerbten Wildhüter, denen wir später auf der Fedora-Insel begegnen, leben schon seit zwölf Jahren in ihrer Station, drei Tagesmärsche von der nächsten Ansiedlung entfernt. Ein junger Betriebswirt aus Wladiwostok verbringt einen Natur-Urlaub bei ihnen – Zubrot für die Männer, deren selbstgewählte Isolation die wenigsten nachvollziehen können. Wolodjas Taiga-Lieder zur Gitarre klingen schwermütig. Auch nach dem „Ankerplatz der Hölle. So nannte der russische Ex-Sträfling und Schriftsteller Warlam Schalamow die Stalinschen Straflager des Archipel GULAG, in denen zwischen 1932 und 1954 zwölf bis fünfzehn Millionen Menschen umkamen. Der einstige Verwaltungssitz Magadan des „Schwarzen Planeten wird zwangsweise an Steuerbord liegen gelassen. Die Stadt mit der finsteren Vergangenheit ist, wie Klaus Bednarz in seinem Buch „Östlich der Sonne beschreibt, nach wie vor „Grenzgebiet, Sperrzone, nur mit besonderer Genehmigung zu betreten. Außerdem gelte die Hafenstadt als besonders kriminelles Pflaster. Wir tuckern nachdenklich auf unsere Luxus-Insel zurück.

Alex und seine Aussteiger-Kumpels auf Zeit hingegen sind weltverbunden. Alle paar Tage fährt ein Sil-Gelände-LKW vor und holt die begehrte Ware ab. Im Gegenzug karrt er frisches Brot und andere Lebensmittel aus dem 40 Kilometer entfernten Dorf heran. Lektor Tim J. ergänzt die Lieferung außerplanmäßig durch eine Stange Zigaretten und Streichhölzer. Alex revanchiert sich mit einem Sack voll frisch gefangener Lachse. Als ein Entenschwarm schnatternd über die Hütte sirrt, erwacht sofort sein Jagdinstinkt. Wir wollen so ein Geschenk nicht und winken eiligst ab. Er lässt  enttäuscht die Flinte sinken.  

 

Landen wie die Entdecker 

An Backbord das zerklüftete Kap Juschneu – Herausforderung für Wassersportler, die Gegend auf eigene Faust zu erkunden. HANSEATIC hält dafür Einer- und Zweier-Kajaks bereit. Kapitän Natke gibt angesichts der ruhigen, nur von Schwell bewegten See sein Go. Wir genießen die motorlose Stille und gleiten zwischen den schäumenden Lava-Klippen hindurch. Unterwasserfelsen bremsen manchmal abrupt knirschend die rasante Surftour. Hoch über uns steil aufragend und fast schon bedrohlich das Kap, westlichster Punkt Kamtschatkas. Wir landen an wie Entdecker und stiefeln in haushohe Brandungshöhlen, die von stürmischeren Zeiten künden.  Bei der Rückfahrt gegen die Wellen schwappt schon mal ein Schwall kalten Wassers in die offenen Sitzluken der tanzenden Boote. Ein Abenteuer der besonderen Art. Wie die anschließende Bären-„Jagd per Schiff, Fernglas und Zodiac am Kap Utkholoksky, einer Mischung aus Helgolands „Langer Anna, Zuckerhut und skandinavischen Schären. HANSEATIC dreht nach Nordwesten ab. Allmählich schrumpfen die Bären zu braunen Punkten. Abenddunst legt zarte Schleier über die bizarre schwarze Felskulisse, an der die Wellen weiß aufschäumen. Es sind die gleichen Brecher und doch immer wieder neue: wie das Leben – ständig in Bewegung, philosophiert ein Mitpassagier.

 

Nicht nötig zu arbeiten

Von Existenzproblemen berichtet Ian S. in seinem Einführungs-Vortrag über Sachalin. Bezeichnender Titel: „Alle möchten gerne von hier flüchten. Lange Zeit übte die abgeschiedene 948 Kilometer lange Insel mit den imposanten Bergketten eine besondere Anziehungskraft auf Entdecker aus. Ab 1869 nutzte Russland sie als Verbannungsort für Kriminelle und Revolutionäre, später Stalin für politische Gefangene. Nur die Japaner kamen freiwillig. Sie kämpften um die Öl- und Kohlevorkommen. Von 1925 bis 1946, so Iange sicherte ihnen die Sowjetunion Förderrechte zu. Heute bohren vor der Küste russisch-amerikanische Joint-Venture-Firmen gemeinsam nach dem schwarzen Gold. Keine Chance für die meisten Russen. Sie möchten weg aus dieser isolierten, kaum erschlossenen Grenzregion. Doch ein Umzug ins russische „Mutterland ist für die Vergessenen unerschwinglich, denn mit der Wende kam die Arbeitslosigkeit. Staatliche Fürsorge von einst wich erbarmungslos der „neuen Ökonomie.

Was wissen die fröhlich tanzenden Oroken-Schulkinder schon davon, die uns in der Nobilski-Bucht empfangen? Ihre bunten einheimischen Trachten wollen weder zum grauen regenverhangenen Himmel noch zur Situation in ihrer Heimat passen, erst recht nicht die reich gedeckten Tische. „Früher, kratzt sich Wladimir, ein krummbeiniger, scheinbar altersloser Gnom, seinen struppigen, von Machorka-Qualm gegilbten Bart, „war alles kostenlos. Damals hatten wir es nicht nötig zu arbeiten. Er nimmt einen kräftigen Schluck aus der Wodka-Flasche der Marke „Ochotskisches Meer und schimpft: „Heute dagegen müssen wir für alles bezahlen. Da verstehe einer noch diese Welt! Das alte Denken ist, so zeigt sein Beispiel, nicht totzukriegen..

Befragt, wie sie sich als Vertreterin der jungen Generation ihre Zukunft vorstelle, antwortet Gymnasiastin Tanja spontan: „Bloß weit weg von hier und in Sankt Petersburg Raumfahrttechnik studieren”. Die Sechzehnjährige hat wahrlich hochfahrende Pläne. Ob sie damit Glück haben wird? Plötzlich auftauchende Grenzsoldaten, die nicht fotografiert werden wollen, repräsentieren nach wie vor eine alles beherrschende und bremsende Staatsgewalt.

 

Winken mit den Flossen

Beim übernächsten Landgang in Korsakov spüren wir die hautnah. Penible Pass- und Gesichtskontrollen, untermalt von zackigen Marsch-Rhythmen einer Armee-Kapelle, ziehen sich hin. Schnell noch Brot und Salz zur Begrüßung, dann endlich dürfen die Busse in die 35 Kilometer entfernte Sachalin-Hauptstadt Yushno Sakhalinsk starten. Ein monumentaler Lenin steht dort, von Hochzeitsgesellschaften umschwärmt, unverändert an seinem Platz. Unsere erstaunte Frage nach dem Warum beantwortet Reiseleiter Nicolai dialektisch: „Warum nicht? Das ist Geschichte. Vor 15 Jahren kam er von der Wolga in den Fernen Osten: „In der Hoffnung, hier mehr zu verdienen und besser zu leben, aber sehen Sie selbst. Fazit des Kultur-Ausflugs mit Stadtrundfahrt, Museums- und Kirchenbesuch, Spezialitäten-Essen, folkloristischer Gesangsvorführung und Shopping: Russland extrem – zwischen Gegenwart und Vergangenheit, Luxus und Armut.

Die 15.000 Nördlichen Seebären samt 400 Stellersche Seelöwen indes kümmert das alles nicht im geringsten. Sie bleiben ihrer Tjuleni-Insel, einem nur 700 Meter langen Felsen-Eiland, das wir anlaufen, nach langen pazifischen Wanderungen treu. Wegen der Jungenaufzucht. An Land und im Wasser wimmelt es von kleinen und großen braunen Körpern, die sich räkeln, spielerisch aus den Fluten katapultieren oder mit den Flossen winken.

Beraterin Olga fühlt sich in der inzwischen heruntergekommenen Forschungsstation fast wie zu Hause. Dreizehn Jahre verbrachte sie hier als Biologin. „Rabota – ich hatte Arbeit, lautet die schlichte Erklärung der rothaarigen Russin. Wie sie das ohrenbetäubende Gebrüll und den beißenden Gestank ausgehalten habe, wollen wir wissen. „Alles Gewohnheit, winkt sie lächelnd ab.

„Das war, prustet der triefnasse Zoologie-Lektor begeistert, „das tierischste Highlight!. Ein überkommender Brecher hat ihn im rückkehrenden Zodiac voll erwischt. 

Mit jeder Seemeile Kurs Zielhafen Petropawlowsk auf Kamtschatka versinkt Sachalin achteraus im „Meer der Verdammten. Hapag-Lloyd Kreuzfahrten/HAN1211

Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther, Stralsund Die HANSEATIC liegt vor Anker, ihre Passagiere werden mit Zodiacs ausgebootet.

Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther, StralsundEinfahrt mit dem Zodiac in einen Kurilen-Krater ...

 

Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther, Stralsund

... und Anlandung der Passagiere in der Krater-Bucht.

Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther, StralsundFlussufer-Wanderung und ... 

Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther, Stralsund... Flussdurchquerung auf einer Kurilen-Insel.

Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther, StralsundHeißer Kurilen-Landgang zu ...

Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther, Stralsund... Quellen, aus denen kochendes Wasser sprudelt. 

Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther, Stralsund

Ein Vulkan spiegelt sich im Meer.

Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther, StralsundTausende Seelöwen auf Sachalin.

Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther, Stralsund Ein Seebär-Baby ohne jegliche Scheu.

Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther, StralsundDieser Papageientaucher ist an Deck gelandet.

Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther, StralsundEin zutraulicher Kurilen-Polarfuchs. 

Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther, StralsundEin Lachs kämpft gegen den Strom.

 

Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther, Stralsund

Nicht schön, aber praktisch, weil Mücken nicht sehr beliebt sind.

Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther, StralsundBrandung an der Küste Kamtschatkas.

 

Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther, StralsundVulkan-Küste auf den Kurilen.

Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther, StralsundEine Einsiedlerhütte in Ostsibirien ...

 

Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther, Stralsund ... mit einfachster Einrichtung, wie dieser Schlafplatz ... 

Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther, Stralsund

... aber Lachs-Kaviar satt.

 

Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther, Stralsund

Der ostsibirischer Wildhüter Wolodja spielt Taiga-Lieder. 

Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther, Stralsund

Süße Krähenbeeren verlocken ständig zu „Vitamin-Pausen”.

Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther, StralsundWilde Beeren-Pracht überall.

Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther, StralsundHANSEATIC-Kapitän Thilo Nadke auf der Brücke.

 

Karte: Kapag-Lloyd Kreuzfahrten, Hamburg

Die Routenkarte dieser Reise vom 12. bis 30. Juni 2012.

Foto: Dr. Peer Schmidt-Walther, StralsundDie HANSEATIC hinter einem Strandwall.

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