BINNEN IN MECKLENBURG-VORPOMMERN | AUSGABE 3/2012 | ||||||
Netzfiligran an der Müritz. |
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Mecklenburg-Vorpommern – Land am Wasser: mittendrin und zur Hälfte
drumherum. Inzwischen weiß das jedes Kind zwischen Haff und Elbe, Ostsee und
Müritz. Per Boot lassen sich preiswert, nerven- und umweltschonend nutzen:
sage und schreibe 340 Kilometer Ostsee-Außenküste, 1.130 Kilometer Bodden-
und Haffküste, 60 Inseln, 2.013 Seen und 26.000 Kilometer Fließgewässer. Da
ist für jeden Geschmack was drin. Kajak-Träume auf dem Amazonas des Nordens. Das dünne blaue Schlängelband des Peene-Flusses
fällt mir beim Kartenstudium kaum ins Auge. „Die Landschaft des Urstromtals
um so mehr”, macht
mich Antje Enke, die Leiterin der Kanustation Anklam neugierig. Die
Peene – noch so etwas wie ein Geheimtipp? Auf jeden Fall ein Abenteuer.
„Mit über 100 schiffbaren Kilometern ist sie nicht nur der längste und tiefste Fluss des nordöstlichen deutschen Bundeslandes”, weiß Antje, „sondern gilt außerdem als das idyllischste Fließgewässer Norddeutschlands”. Ein unzerstörtes, kaum besiedeltes Paradies, das kürzlich dafür mit dem EDEN-Award für sanften Tourismus ausgezeichnet und damit geadelt wurde. Jährlich nutzen das etwa 10.000 Naturbegeisterte.
Antje und die rund 25 Mitarbeiter vom Netzwerk „Abenteuer Flusslandschaft”
sind immer dann zur Stelle, wenn man sie braucht. „Unterm Kiel haben wir genug Wasser”,
scherzt Antje und erklärt mir dann, dass „die natürliche Tiefe des Flusses
zwischen drei und vier Metern liegt, aber das Gefälle auf 100 Kilometer
gerade mal 28 Zentimeter beträgt”. Weil
die Strömung so schwach sei, könne ich trotzdem ohne großen Kraftaufwand
„gegenan” fahren. Die Freuden der
Langsamkeit und Entschleunigung stellen sich fast von selbst ein. Ein
bisschen aufgeregt bin ich nur, als ein Biber knapp vor meiner Kajaknase
ungerührt die Ufer wechselt. Die biegsamen Schilfhalme neigen sich unter dem
Wasserschwall meines Paddels respektvoll zur Seite. „Blumenpflücken
inbegriffen”, erinnere ich mich an Antjes
lockere Worte und kann es kaum fassen, dass es so was Exotisches in
Deutschland noch gibt. Sie selbst nutzt dieses Angebot, um oft nach getaner
Arbeit mit ihrem Zedernholz-Kanadier „nach wenigen Paddelschlägen die Stille
des Flusses zu spüren”.
Wie zur Bestätigung treiben schwimmende Gras- und
Blumeninseln auf mein Boot zu: Amazonas-Impressionen en miniature. „En gros”
habe ich sie schon des öfteren erlebt. Mecklenburg-Vorpommern kann ihnen
durchaus sein klares Wasser reichen. Stunden später nach vielen hundert muskelstärkenden Paddelschlägen auf dem Kummerower See: Als glutroter Ball taucht die Sonne hinter den gewellten Bornitzbergen unter den Horizont. Bilder des Greifswalder Romantikers Caspar David
Friedrich steigen vor mir auf, überlagern die traumhafte Realität.
„Hier bliwt allens bi’n ollen!”,
stellte dazu schon der mecklenburgische Heimatdichter Fritz Reuter auf
Plattdeutsch fest. Übersetzt heißt das: „Hier bleibt alles beim Alten!”
Ein Glück!, denke ich erleichtert und steure das Dörfchen Salem an. Das
heißt so viel wie Frieden, auf Arabisch, aber durchaus passend.
Auch dass die Müritz, das altslawische „Meerchen”,
durch Stille glänzen kann. Sie kann auch anders, wenn die Winde sie als
Spielpartnerin entdecken. Ein paar Fischer lassen ihre Netze nach nächtlichem
Fang in der Morgensonne trocknen, während ich als touristischer Hobby-Angler
– in Mecklenburg-Vorpommern angelscheinfrei –
regungslos am Schilfrand in meinem Kahn sitze und auf einen Biss
warte. Aus dem Uferwald weht der Wind Vogelstimmen herüber.
Sie locken wie Sirenen. Doch ich bleibe – wie meine Nachbarn ein paar
hundert Meter weiter – standhaft. Nur eine zuckende Pose könnte mich jetzt
aus der Starre locken. Langsam kriecht die Sonne über den Schilfrand des
mit 14 mal 29 Kilometern größten deutschen Binnensees und verdrängt einzelne
Nebelschwaden. Bald strahlt der scheinbar endlose Seespiegel. „Jetzt müssten
sie nur noch beißen”, murmele ich vor mich
hin. Sie, das sind Barsche, Hechte, Zander und Aale, aber auch die große und
kleine Maräne. Sie sind, so habe ich mal gelesen, ein Indiz für besonders
sauberes Wasser.
„Fisch gibt’s hier
satt”, meint Berufsfischer Steffen
Steinbeck im Warener Hafen, „da kommt niemand zu kurz”.
Auch Nicht-Angler, die bei ihm den tagesfrischen Fang – nach dem
einprägsamen Motto „Regional – beste Wahl”
begutachten. Steffen Steinbeck und seinen rund 31 Kollegen sei Dank, die
seit 60 Jahren in der Fischerei Müritz-Plau organisiert sind, der mit
26.000 Hektar größten Binnenfischerei Deutschlands. Leben können
sie von dem, was die Natur ihnen bietet, ganz gut, sagt Firmenchef Sebastian
Paetsch junior, den „der Umgang mit Natur und Fisch schon seit seiner Jugend”
begeistert. Touristen verkauft er auch Angel-Tagestickets. Über 1000 pro
Jahr. Beliebt seien auch seine geführten Angeltouren. |
„Beim
morgendlichen Netze aufnehmen in freier, klarer Luft. Die Stimmung auf dem
Wasser ist immer wieder atemberaubend”.
Und er schwärmt: „Die einmalige Natur hat fast schon heilende Kräfte für die
Seele”. Dabei könne er komplett
abschalten. Während die Fischer von heute unter Motor auf Fang
gehen, „war das früher gaaanz anders”,
sagt Paetsch und meint die Zeesenboote, auf Plattdeutsch verkürzt Zeesboote
genannt. „Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts”,
erklärt er, „wurde damit gefischt”. Bis in
die 70er Jahre waren sie, sagt er mir, in der DDR auf Bodden, Haff und Sund
im Einsatz: rund zehn Meter lang, robust aus Holz breitrumpfig, flach und
gaffelgetakelt.
Kirsten Dubs hat damit immer noch zu tun. Sie ist
nicht etwa Fischerin, sondern Bootsbauerin im betriebsamen Fischereihafen
Freest am buchtenreichen Greifswalder Bodden, der sich hier weit zur Ostsee
öffnet, zwischen Rügen und Usedom. Sie restauriert, wie man in der Halle sieht, nicht
nur solche alten Segler, „sondern ich baue auch komplett neue”,
ist sie stolz. Das ist ihre kreative Art, die Zeit zu verbringen. Wobei sie
noch eine ganze Palette von Wasser-Aktivitäten anbieten kann. Viele Urlauber
wiederum verbringen damit ihre Urlaubszeit. Die Fahrt mit einer Zeese ist ein Höhepunkt: wenn
die teerbraunen Segel an den beiden Masten aufsteigen und sich knatternd
langsam mit Wind füllen, der Holzrumpf sich schräg legt, einen
Schaumstreifen hinter sich her zieht und ein paar Möwen hungrig im
Kielwasser schreien. Der Küsten-Ohrwurm „Wo die Ostseewellen trecken an den
Strand ...” kommt mir in den Sinn, und ich
beginne ihn zu summen. Wie eine Feder zieht die Zeese dahin, losgelöst von
Zeit und Raum – zum Luftholen und Ballast-über-Bord-Werfen.
Die Skipperin am Ruder ist natürlich Kirsten Dubs. Sie hält auf die Rügensche Halbinsel Groß Zicker zu, deren lehmgelbe, von der See angenagte Steilküste voraus leuchtet. Hier hat einzig die Natur das Sagen, die die Küste nach ihren Plänen gestaltet: mit Findlingen übersät, Stand aufhäuft und Treibgut anspült. Die gischtige Luft schmeckt salzig, legt sich uns auf die Haut. Ich habe das Gefühl, auf See zu sein, aber mit doch Land vor Augen. Von Ferne grüßen die gotischen Backsteintürme der
Hansestadt Greifswald. Bis Kirsten nach einer zünftigen Wende wieder den
Heimathafen ansteuert. Der ablaufende Film könnte „Wasserträume”
heißen. „Rund um die Boddengewässer”,
informiert sie, „kann man Zeesen mit Skipper chartern und so einen
wunderschönen Tag unter historischen Segeln erleben”.
Wie wir heute. Eine ganz andere Wasserfreiheit kann man als Skipper
erleben, zum Beispiel auf dem Schweriner See.
Der schneeweiße fast 13 Meter lange Liner lässt mein
Herz höher schlagen. Eine Schnupper-Kreuzfahrt der besonderen Art liegt vor
mir und meiner Boots-Frau. Dank Einweisung kann ich unseren „Luxusliner”
führerscheinfrei aus dem Kuhnle-Tours-Marina-Hafen
am Schweriner See manövrieren. Mit stolzgeschwellter Brust und Überblick vom
Freiluft-Steuerstand aus. Das türmchenbewehrte „Märchen”-Schloss
der Landesregierung lassen wir erst mal an Steuerbord liegen. Ein munterer Westwind hat den Seespiegel aufgeraut.
Frisches Waldgrün in verschiedenen Schattierungen spielt Horizont. Zwischen
den Stämmen drängeln sich Freizeithütten ans Licht, Boote dümpeln an den
Stegen. Die Dampfer der Weißen Flotte liegen noch fest vertäut an den
Pfählen und warten auf Gäste. Der zweitgrößte See des Landes bietet ihnen
auf rund 25 Kilometer Länge Natur pur. Allerdings im Schnelldurchgang. Wir hingegen tuckern im Zehn-Kilometer-„Tempo”
gemächlich dahin. Quer über den See. Mit 360-Grad-Panoramablick vom Oberdeck
auf Wälder, Wiesen und Felder. Und die Sonne lacht dazu.
Eine windgeschützte Bucht bei Zippendorf verlockt
zum Ankern und Übernachten. Das klare Gewässer, wurde vor rund 10.000 Jahren
von eiszeitlichen Gletschern ausgeschürft. Zwei mächtige Buchenstämme dienen achtern als
Festmacher an Land. Ihre grünen Kronen breiten sie schützend über dem Boot
aus. Aus der Kombüse duftet es appetitanregend. Meine
Boots-Frau selbst am Herd, und ich als Skipper spendiere schon mal ein Glas
Wein. Leckere Düfte lassen Gaumenfreuden ahnen. Der Wind spielt mit dem ankernden Boot. „Drehendes Restaurant mit See- und Grünblick”, kommentiert das meine Reisebegleiterin. Der Abend klingt aus bei Wein und Kerzenschein im gemütlichen Salon. Leise plätschern Wellen gegen den Rumpf – eine traumhafte Einschlafmelodie in kuschligen Kojen. Der Wind lässt die Blätter rauschen, durch die der Honigmond blinzelt. Kuckuck und Nachtigall schicken ihre Melodien über das Gewässer. In der Marina heißt es für uns am nächsten Morgen: Ende der Reise. Abwechslungsreiche See-Meilen, ein Bruchteil von vielen hundert möglichen auf Europas größter Wasserlandschaft, liegen hinter uns. Und der See-Mann in mir freut sich, mal wieder „richtig Kapitän” gewesen zu sein. |
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Der Autor als Hausboot Skipper mit einer KORMORAN von Kuhnle Tours auf dem Schweriner See. |
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Blick in eine Hausboot-Kabine. |
Hausboot-Salon mit Innensteuerstand. |
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Die Kuhnle Werft im Hafendorf bei Rechlin an der Müritz. |
Das Müritz-Gold – leckere geräucherte große Maränen. |
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Das Peenetal ist das größte zusammenhängende Niedermoorgebiet Mitteleuropas. |
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Stolpe wurde als schönes Peene-Dorf ausgezeichnet. |
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Die SAXONIA von Phoenix Reisen am Anleger von Stolpe an der Peene. |
Das Gutshaus von Loitz an der Peene. |
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Kanufahrer auf der unteren Peene. |
Biber kreuzt den Bootskurs auf der Peene. |
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Zeesenboot unter Vollzeug auf dem Bodden. |
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Eine Boddenlandschaft auf Rügen. |
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