„Meerstadt ist Stralsund, vom Meer erzeugt,
dem Meere ähnlich. Auf das Meer ist sie bezogen, in ihrer Erscheinung und
ihrer Geschichte”. So schwärmte schon die Schriftstellerin Ricarda Huch Ende
des 19. Jahrhunderts in ihrem Gedicht. Heute schwärmt man nicht mehr,
sondern kalkuliert ökonomisch. Wobei Freude durchaus angebracht ist.
Wie ging es los? Aus einem slawischen Fährdorf
hervorgegangen, erhielt Stralsund 1234 lübisches Stadtrecht, ist also heute,
2012, respektable 778 Jahre alt. Die Meeresorientierung der Hansestadt
resultiert nicht nur aus ihrer hervorragenden Lage am Strelasund. Während
der Blütezeit der Hanse stieg sie zur klassischen Zwischenhandelsstadt auf.
Besonders weil die Warenströme von und nach Russland, Skandinavien und
Westeuropa überwiegend über den Seeweg flossen. Bis zu 300 Schiffe führten
damals die sundische Flagge. Heute ist es gerade mal der 1600-Tonnen
Küstenfrachter MS FREDO,
der den Namen der Hansestadt am Heck und ihre rote Flagge im Mast trägt.
Glanz und Reichtum von damals manifestieren sich
noch bis heute im historischen Stadtkern sowie in den mittelalterlichen
profanen und sakralen Bauten. Unzweifelhaft hat zu diesem einstigen
blühenden Glanz das Schutz- und Trutzbündnis Hanse beigetragen. An dessen
Zusammenhalt hatten überwiegend Kaufleute Interesse. Dass dabei auch der
Glaube eine Rolle spielte, zeigt ein Schnitzwerk in St. Nikolai: das
Nowgorodfahrergestühl, Spende der Hanse. Die Reisen ins russische Nowgorod
sollten immer unter einem guten Stern stehen. Nicht nur das, ist doch
zusätzlich noch diese älteste Pfarrkirche der Stadt dem Schutzpatron der
Seefahrer geweiht. Der heilige Nikolaus sollte auch seine schützende Hand
über den Rat halten, der in der Kirche wichtige Sitzungen abhielt und
Gesandte empfing.
Wie die mittelalterliche Wirtschaft konzipiert war –
von Anfang an zum Wasser orientiert –, ließ sich auch aus der Stadtanlage
ablesen: Die dekorativsten Tore standen an der Wasserseite in Hafennähe, an
der auch die größten Straßen endeten.
Als die Hanse im 14. Jahrhundert ihren Höhepunkt
erreichte, existierten allein 13 Schiffbauplätze in Stralsund, denn der
Hafen war günstig von zwei Seiten aus anlaufbar. So kam viel Geld in die
Stadtkasse: durch Tuche, Vieh, Erze, Getreide, Pelze, Bier und Fisch. Das
Haus der Schiffer-Compagnie in der Frankenstraße weist noch heute darauf
hin, dass sich die Fahrensleute zusammenschlossen, um ihre Rechte zu
schützen und zu verteidigen.
Aber auch die Kultur galt es zu schützen, zum
Beispiel durch die 1256 erstmals erwähnte mittelalterliche Stadtbefestigung.
Am Knieper-, Fähr- und Frankenwall kann man noch Reste davon anschauen, aber
auch rekonstruierte Mauer-Partien; dafür ist der Fährwall mit Mauer-Zinnen
und Schießscharten eine beredtes Zeugnis. Ein besonders gut erneuertes
gotisches Backsteingebäude ist das ehemalige Katharinenkloster, das heute
das bekannte Deutsche Museum für Meereskunde beherbergt.
Vom Rugianer Fürsten Witzlaw I erhielt die Stadt ihr
Stadtrecht und trat 1278 der Hanse bei. Der Hafen, älter als die Stadt, war
damals ungeschützt. Kleinere Schiffe wurden bei ungünstigem Wetter auf den
Strand gezogen. Führte ein Schiff Güter mit, musste es ankern und die Waren
auf flachgehende Fahrzeuge umladen.
Die Bewohner hatten vor den Toren der Stadt, die
sich zu einer Festlandsburg entwickelt hatte, hölzerne Brücken gebaut, an
denen die kleinen Fahrzeuge anlegen konnten. In der Hafenordnung von 1278
wird schon darauf hingewiesen, dass zum Löschen der Ladung die eigens dafür
gebauten Prähme zu benutzen sind und für die Benutzung eine Abgabe an den
Rat zu zahlen ist.
Später wurden die Hafenanlagen vor der Stadtmauer
durch ein Bollwerk aus Steinen befestigt, mehrmals zerstört, doch jeweils in
gleicher Art wieder aufgebaut. Durch die optimale Lage und die günstigen
Wasserverhältnisse konnte sich die Stadt gut weiterentwickeln.
Nach dem Dreißigjährigen Krieg gehörte die Stadt für
etwa 160 Jahre zu Schweden; die Spuren sind noch heute sichtbar.
Der steigende Umschlag an den Brücken zwang den Rat
der Stadt, die Hafen- und Umschlagsverhältnisse grundlegend zu verändern.
Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Brücken durch Kaimauern ersetzt, das
Hafenbecken ausgebaggert und mit dem Baggergut neues Gelände geschaffen.
Im Zuge der verkehrstechnischen Erschließung des
Hinterlandes sollte im Jahre 1863 der Hafen an die Eisenbahn angeschlossen
werden. Dazu mussten aber die bestehenden Hafen- und Kaiverhältnisse erneut
verändert werden. Der vor der Stadtmauer und dem Uferbollwerk verlaufende
vier Meter breite Festungsgraben wurde in den Jahren 1862 bis 68 auf 2,80
Meter Tiefe ausgebaggert und auf 26,40 Meter verbreitert. Dadurch entstanden
in diesem neuen Binnenkanälen Liegeplätze für kleinere Seeschiffe und
Binnenfahrzeuge. Der durch das Erweitern und Ausbaggern gewonnene Boden
diente zum Auffüllen und Vortreiben der davor liegenden Hafeninseln. Inseln
und Kanäle wurden durch massive Kaimauern eingefasst. Der Verkehr zwischen
Stadt und Hafen lief über vier Drehbrücken über das Kanalsystem. Die
Bauarbeiten veränderten das Hafenbild grundsätzlich, es ist aber im
Wesentlichen noch heute vorhanden.
In unmittelbarer Nachbarschaft zur P+S Werft
befindet sich der Seehafen Stralsund, in dem jährlich über eine Million
Tonnen Güter umgeschlagen werden. Erfolgsschlager ist der Gipsumschlag mit
allein 873.600 Tonnen – und rapide steigender Tendenz. Auch bei Getreide/Raps
(insgesamt 90.000 Tonnen) stieg die Ausfuhr um 42.000 Tonnen, bei Baustoffen
(insgesamt 70.000 Tonnen) wurde um 26.000 Tonnen zugelegt.
Deutlich angestiegen um 11.300 auf 18.500 Tonnen ist der
Schrottumschlag. Der wird nach Abschluss des Südhafen-Ausbaus vom Nordhafen
dorthin verlagert, wo mehrere
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Unternehmen der Stahlbranche angesiedelt sind. Ein
neuer Umschlag-Rekord ist damit vorprogrammiert. Von den rund 500 Schiffen,
die Stralsund 2009 anliefen, kamen die meisten aus Skandinavien.
Stolz war man bei der SWS Seehafen Stralsund GmbH
darauf, dass 2010 1,4 Millionen Tonnen Umschlag erreicht wurden – eine
Steigerung von rund 25 Prozent gegenüber dem Krisenjahr 2009. Dies teilte
der Leiter Marketing und Vertrieb, Sören Jurrat, mit.
Markant gestiegene Exporte von Gips und
überproportionale Importe von Stammholz machten den Hauptanteil des
Positivtrends in 2010 aus. REA-Gips hat sich in den letzten Jahren zur
dominierenden Gutart aller im Seehafen Stralsund umgeschlagenen Güter
entwickelt. Mit dem Jahresergebnis von über 415.000 Tonnen wurde das bisher
beste Umschlagresultat seit der Aufnahme der Kooperation mit der
Kraftwerksindustrie in 2000 erreicht – im Zeitraum 2000 bis 2010 wurden
bisher mehr als 2,6 Millionen Tonnen Gips über die Stralsunder Hafenanlagen
verschifft, mit der Jahrestonnage 2010 wurde der Wert aus 2000 nahezu
verzehnfacht.
Neue Liegeplätze mit einem großzügigen
Flächenangebot sind entstanden, um den Umschlag weiter zu steigern. Die
Übergabe der Güter zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern ist
unproblematisch. Zudem gibt es von Hafen eine direkte Anbindung zum
Autobahnzubringer und weiter zur Küstenautobahn A 20. Auch soll der Hafen
zum Eisenbahnknotenpunkt im Güterverkehr werden. Knapp 10.000 Waggons werden
jährlich be- und entladen.
Einen weiteren Aufschwung hat auch die Vertiefung
der Ostansteuerung auf 7,50 Meter bewirkt; ebenso die Ausbaggerung der
Nordansteuerung auf 4,50 Meter sowie die vier neuen Liegeplätze im
Frankenhafen. 2007, im 55. Jahr des Seehafen-Bestehens,
ist die dritte Ausbaustufe des Südhafens mit einer Kailänge von 400
Metern oder drei weiteren Liegeplätzen abgeschlossen worden.
Dies alles sind natürlich Garanten für die
Ansiedlung neuer Unternehmen.
Auf dem Gelände des in diesem Bereich neu
entstandenen Martitimen Industrie- und Gewerbeparks haben sich weitere
Produktions- und Dienstleistungsunternehmen angesiedelt. So stellen moderne
Unternehmen montagefertige Stahlbauteile für den Schiffbau und für andere
stahlverarbeitende Unternehmen her.
Kailänge: |
2800 Meter |
Territorium (einschließlich Wasserfläche): |
80 Hektar |
Wassertiefe: |
50 Meter |
Liegeplätze:
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25 |
Gedeckte Lagerfläche: |
3000 Quadratmeter |
Freilager: |
60.000 Quadratmeter |
Silokapazität: |
30.000 Tonnen |
Kühlhauskapazität: |
3000 Quadratmeter |
In der rasch wachsenden Kreuzfahrtbranche werden
frische Ideen gebraucht. Zum Beispiel der Zusammenschluss von Ostseehäfen,
den man auch die „moderne Hanse” nennen
könnte.
„Cruise Baltic”
lautet der offizielle Name der Organisation. Unter dem Slogan „10 countries
on a string” (Eine Kette von zehn Ländern)
haben sich insgesamt 19 Ostseehäfen zusammengeschlossen, um den Nutzen ihrer
Geschäfte gemeinsam zu mehren. Nur sind nicht – wie einst im Mittelalter –
Handel und Kaufleute der Deutschen Hanse das Ziel, sondern „Traumschiff”-Reedereien.
Die Städte haben erkannt, dass sie im Werben um
Kreuzfahrtschiffe in Wirklichkeit keine Gegner, sondern Partner sind: Je
mehr Schiffe im Sommer die Ostseeregion besuchen, desto mehr Anläufe von
Kreuzfahrtschiffen können die Häfen verzeichnen. Eine Partnerschaft mit
Synergieeffekten. So sieht es auch Stralsunds Touristik-Chefin Birgit Wacks,
die den Gedanken unterstützt: „Stralsund würde von seiner Mitgliedschaft
nachhaltig profitieren”. Unter dem Siegel
der „Neuen Hanse” könnte viel
wirkungsvoller bei Reedereien und Veranstaltern für mehr Anläufe von Fluss-
und Hochseekreuzfahrtschiffen werben.
Bis zu 139 Anläufe mit 16.215 Passagieren konnte die
Stralsunder Hafen- und Lagerhausgesellschaft (SHL) zeitweilig (2002) im
Nordhafen registrieren. Die Nachfrage in diesem jungfräulichen Fahrtgebiet
stieg bis dahin so stark an, dass sich die Reedereien (allen voran das
holländisch-schweizerische Unternehmen Scylla AG mit
MS SWISS
CORAL und MS
SAXONIA) dazu entschlossen, weitere für
das Revier maßgeschneiderte Schiffe zu bauen. Insgesamt wurde es schließlich
ein Dutzend.
2007 hingegen wurden nur noch 54 Anläufe mit 9311
Passagieren registriert. Kapitän Johann Magner, seit 1994 Pionier im Revier,
der auch die Peene und den Darß erstmals ansteuerte, kennt Gründe für den
Rückgang: „Zum einen ist das Interesse an dem ostdeutschen Nostalgie-Revier
allmählich erschöpft, zum anderen ist das relativ hohe Preisniveau
weitgehend unverändert geblieben”.
Aber auch seegängige Kreuzfahrtschiffe bis rund 7000
BRZ steuerten in den vergangenen Jahren durch das reizvolle Revier zwischen
Rügen und dem vorpommerschen Festland den Sund an wie die RENAISSANCE
V, SUNBAY II, LILI
MARLEEN, KRISTINA
REGINA, BREMEN
und VISTAMAR. An den Planungen für ein
Kreuzfahrtterminal auf der Insel Dänholm vor der Rügenbrücke wird bereits
gearbeitet.
Nach der Eröffnung des Ozeaneums auf der nördlichen
Hafeninsel im Sommer 2008 haben wieder mehr Kreuzfahrer den Sund
angesteuert. In diesem Zusammenhang wird auch an eine Belebung des
Bäderverkehrs von den Seebrücken Rügens und Usedoms zur neuen Attraktion des
Hafens gedacht (eine Route zur Seebrücke in Devin mit der Weißen Flotte gibt
es schon). Ein weiteres Highlight neben Segelschulschiff
GORCH FOCK
(I) und Rügenbrücke. Die Meer- und Hafenstadt Stralsund mausert sich wieder
zum maritimen Mittelpunkt des Nordostens.
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