Hook Head Lighthouse ist ein Leuchtturm wie aus dem
Bilderbuch. Weil er so dick ist – seine Mauern sind bis zu vier Meter stark
– täuscht man sich über seine wirkliche Höhe. Ist man schließlich alle 115
Stufen bis nach oben gekraxelt und steht auf der Aussichtsplattform, scheint
er gar nicht mehr so klein. Allerdings sind es tatsächlich nur 35 Meter, die
das rundlich-knubblige Bauwerk mit seinen schwarz-weißen Streifen über dem
wiesengrünen Land am Kap der Halbinsel Hook Head in den blauen Himmel ragt.
Mit feuchten Augen schauen alle auf die stürmische Keltische See – nicht
aber, weil deren Anblick so traurig ist, sondern weil der Wind so heftig
weht, dass die Tränen von ganz alleine fließen.
Eugenie, unsere Führerin, die eigentlich Schweizerin
ist, aber ihre Wahlheimat Irland wie ihre Westentasche kennt, erzählt uns
die Geschichte von Hook Head Lighthouse, dem ältesten in Betrieb
befindlichen Leuchtturm der Welt. „Es waren Mönche und Nonnen, die aus
christlicher Nächstenliebe Signalfeuer an den Küsten Irlands errichteten und
dafür sorgten, dass sie immer brannten. So halfen sie Fischern und
Seeleuten, sich auf dem Meer bei Nacht oder schlechtem Wetter zu orientieren”,
berichtet sie.
Hier, am äußersten Rand von Hook Head (irisch Rinn
Duáin) im Südosten Irlands, soll bereits im fünften Jahrhundert ein
Leuchtfeuer Schiffe und Boote geleitet haben. Errichtet wurde es von dem
walisischen Heiligen Dubhán, der die Halbinsel für den Bau eines Klosters
auserkoren hatte. Nach dessen Tod übernahmen Mönche für die nächsten 700
Jahre die Betreuung der Feuerbake. Zwischen den Jahren 1170 und 1184 bauten
an ihrer Stelle die Normannen einen festen Leucht- und Wachtturm aus lokalem
Naturkalkstein und gebranntem Kalk, vermengt mit Ochsenblut. Sogar heute
kann man stellenweise noch Spuren dieses Blut-Kalk-Gemischs unter dem
Farbanstrich erkennen.
Im Jahre 1665 erteilte König Charles II. (1630 bis
1685) Sir Robert Reading (etwa 1640 bis 1689) das Patent, sechs Leuchttürme
an der irischen Küste zu errichten und privat zu betreiben – einen davon auf
Hook Head. Dieser entstand nicht völlig neu, denn er wurde auf die
Grundmauern seines alten normannischen Vorgängers gesetzt. Eine Neuerung
Readings war auch die Glaslaterne, die das Leuchtfeuer aus glühender
Holzkohle vor Wind und Wetter schützen sollte. Nach Beschwerden einiger
Seeleute über die mangelnde Helligkeit des Feuers wurde die Kohle im Jahre
1791 durch eine Walöl-Lampe ersetzt.
Seine heutige äußere Form erhielt Hook Head
Lighthouse 1860 durch die Leuchtturmspitze mit der großen Laterne. Die drei
roten Streifen, mit denen der Turm zu diesem Zeitpunkt noch angestrichen
war, wurden später gegen schwarze getauscht und auf zwei reduziert. Mit aus
Paraffinöl erzeugtem Gaslicht wurde ab 1871 geleuchtet. 1911 erhielt der
Turm ein mechanisches Uhrwerk, das alle 25 Minuten ein regelmäßiges
Blitzlicht ermöglichte. Seit 1972 funktioniert alles im Hook Head Lighthouse
elektrisch, seit 1996 automatisch. Damit ist das maritime Urgestein heute
eines von 80 irischen Leuchttürmen, die allesamt computergesteuert sind.
Bietet das Wetter wie heute klare Sicht, kann man
vom „Balkon” des Leuchtturmes bis auf die
andere Seite des Waterford Harbour sehen. Die Stadt Waterford, heute nur
fünftgrößte der Inselrepublik, wurde 914 nach Christus von den Wikingern
gegründet und war, genau genommen, Irlands erste richtige Stadt. Heute
erinnert dort eigentlich
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nur der dicke Reginalds Tower, ein Teil der alten Wikingerfestung, an die
Zeit der nordischen Eroberer. Wir gönnen uns den Spaß und bewegen uns bei
dieser Reise im Linksverkehr von Ort zu Ort. Von Hook Head aus sind wir
schnell in Passage East. Dort geht die Autofähre nach Waterford.
Im 18. Jahrhundert insbesondere durch Handel mit dem kanadischen Neufundland
reich geworden, entwickelte sich die Hafenstadt zu einem bedeutenden
Wirtschaftsstandort. Im 19. Jahrhundert blühten Glas- und
Schiffsbauindustrie. Maritime Traditionen werden in Waterford bis heute
gepflegt. Ein Höhepunkt waren im Juli 2011 die internationalen „Tall Ships’
Races” – die „Großsegler-Rennen”,
eine Langstreckenregatta für Großsegler und andere Segelschiffe mit
überwiegend jungen Besatzungen.
Nicht weit von Waterford, etwa zehn Kilometer
nördlich von Cahir, besuchen wir einen Ort, dessen Geschichte so weit
zurückreicht, dass er eng mit den irischen Mythen und Legenden verwoben ist:
Rock of Cashel, ein von Ruinen gekrönter monolithischer Felsen. Einige
Jahrhunderte lang Sitz der Könige von Munster, gilt die mystische Stätte von
jeher als Schlafplatz der Feen.
Nachgewiesen ist, dass auf dem Rock of Cashel Sankt
Patrick wirkte. Im Jahre 450 taufte der Heilige hier König Aengus. „Nach
einer Legende soll er ihm dabei versehentlich seinen Bischofsstab in den Fuß
gestoßen haben”, erzählt uns Eugenie. „Da
der König glaubte, das dies Teil des Rituals sei, ertrug er den Schmerz
tapfer. Später nahm der Volksmund den Vorfall spottend zum Anlass, um zu
behaupten, dass die Christianisierung Irlands doch nicht ganz unblutig
gewesen sei”, so die Führerin.
Die ältesten Teile des mittelalterlichen
Gebäudeensembles sind der Rundturm aus dem elften Jahrhundert und die 1127
vom ersten Erzbischof von Cashel errichtete und nach ihm benannte Cormac’s
Chapel – der erste und komplett erhaltene romanische Kirchenbau Irlands, ein
Kleinod sakraler Architektur. Die Kathedrale stammt aus dem 13., die
Bischofsburg aus dem 15. Jahrhundert.
Weiter geht die Fahrt nach Sligo, der größten Stadt
im Nordwesten der Insel. Die touristische Attraktivität des sympathischen
Örtchens hält sich in Grenzen. Umso Aufregenderes gibt es in ihrem Umland zu
erleben. Sligo ist von zwei Bergen umgeben – dem Ben Bulben und dem
Knocknarea. Vor letzterem liegt der 4.000 Jahre alte Friedhof des Volkes der
Fir Bolg, das sich hier mit mehr als 200 Dolmen, Steinkreisen und
pyramidenartigen Steinhaufen verewigte. Auch wenn heute nur noch teilweise
erhalten, gilt das bronzezeitliche Gräberfeld weltweit als eine der
bedeutendsten Fundstätten dieser Art.
Berühmt ist der Berg Knocknarea, der eigentlich eher
ein Hügel ist, aber vor allem wegen des Steingrabes auf seinem Gipfel – der
letzten Ruhestätte der sagenumwobenen Königin Maeve oder Medbh. Sie ist die
Hauptheldin des keltischen Epos „Tain Bo Cuailnge”,
dem „Rinderraub von Cooley”. Am Anfang der
Geschichte steht ein Ehestreit, in dem es darum ging, wer von beiden Gatten
der reichere war. Sieger war Medbhs Mann, König Aillil, denn er besaß den
großen weißen Stier Finnbenach. Um ihn zu übertrumpfen, ließ Medbh den
ebenbürtigen schwarzen Stier Donn stehlen. Ein langes, langes Heckmeck
begann, artete in einen
Krieg aus und nahm seinen Lauf, bis alles in einer
blutigen Schlacht endete.
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