HOLLAND BINNEN | AUSGABE 5/2012 | ||||||
Fütterzeit im Ecomare auf Texel. Scharen von Besuchern beobachten in der Saison die Fütterung der Seehunde, die hier aufgezogen oder gesund gepflegt werden. Möwen lauern darauf, dass etwas für sie
abfällt. |
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Deutlich sichtbar steht an beiden Seiten der
MS CALYPSO
über dem Eingang zum Oberdeck der Grund für schöne Flussreisen: Eelco van
Velzen, Maassluis, 92 Paxe, 75,60 x10,50. Der Gesetzgeber
verlangt solche Angaben zur Identifikation, dem kundigen Reisenden verraten
sie dieses: Der Kapitän und Eigner hat seinen Wohnsitz in Maassluis in der
Nähe von Rotterdam. Sein Schiff, die MS CALYPSO,
kann bis zu 92 Passagiere aufnehmen. Sie ist 75,60 Meter lang und 10,50
Meter breit, also ein kleines Binnenschiff. Mit dieser Größe kann es auch
schmale Kanäle und Flüsse befahren und in den Herzen von Städten und in
kleinen Häfen festmachen. Der durchschnittliche Tiefgang von 1,20 Metern
erlaubt bei mittlerem Wind- und Seegang gerade noch Fahrten auf dem
Ijsselmeer und über die Waddenzee nach Texel.
Die MS CALYPSO
fährt fast das ganze Jahr für Phoenix Reisen in den Niederlanden und Belgien
und auf Rhein und Mosel. An Bord wird Phoenix seit fünf Jahren
durch Jeanette Christ vertreten. Sie weiß über die Niederlande alles, auch
wenn sie sich beharrlich weigert, die schwierigen Doppellaute des
Niederländischen korrekt auszusprechen. So spricht sie also von Delfsiel und
Enkhausen oder Nijmwegen und der Südersee – und niemand stört
sich daran, ist aber gespannt auf eine Reise von Emden nach Düsseldorf mit
der MS CALYPSO.
In umgekehrter Richtung ist diese Reise häufig ausgebucht. Auf unserem
Elftagetörn von Emden nach Süden waren 60 Gäste an Bord.
Um 14.30 Uhr sollte am ersten Tag in Emden die
Einschiffung beginnen. Wir kamen um 14.50 Uhr an Bord – und waren die
Vorletzten. Erst am nächsten Morgen ging’s
los – nach Leer und zurück, an Emden vorbei, nach Delfzijl. Von
dort nach Groningen und am vierten Tag nach Sneek. Am fünften übers
Ijsselmeer nach Enkhuizen und am sechsten über die Waddenzee zur Insel Texel
und zurück nach den Helder, ans Festland. Nächste Stationen – Alkmaar, durch
den Nordholland Kanal erreichbar, danach Amsterdam, dann Wijk bij Duurstede,
und schließlich Krefeld-Uerdingen, um am nächsten Morgen in Düsseldorf
auszusteigen. Wer denkt sich so eine Strecke aus? Und wer plant solche Ausflüge? Den Besuch einer der
bekanntesten Werften Deutschlands, der Meyer Werft, die tief im Binnenland
in Papenburg an der Ems Riesenschiffe für Kreuzfahrten auf den Ozeanen in
aller Welt baut, Stadtrundgänge durch Orte wie Groningen, Alkmar, Sneek,
Wijk bij Duurstede oder Nijmwegen. Eine Inselrundfahrt über Texel
stand im Programm, eine Grachtenfahrt durch Amsterdam und eine
Bustour nach den Haag und Delft. Zwei Museumsanlagen konnten besichtigt
werden, das Zuidersee-Museum in Enkhuizen und Zaanse Schans vor Amsterdam.
Es gibt Kapitäne, die so hoch über allem schweben,
dass man sie kaum anreden mag. Eelco van Velzen gehört der anderen Gruppe
an. Er spricht – und singt gelegentlich auch – mit rauer Stimme fließend
Deutsch und lädt jedermann schon bei der Begrüßung an Bord auf die Brücke
ein, die immer offen steht. Die Sitzbänke des Allerheiligsten sind also
häufig gut besetzt und man erlebt, wenn man will, Schiffsführung aus
nächster Nähe. Ein Steuerrad gibt’s nicht
mehr, der Kapitän oder seine Rudergänger steuern die
MS CALYPSO
mit einem Joystick und ein paar Hebeln. Kontakt zum Land, zu Brücken,
Schleusen und Häfen, hält man per Telefon, das eine Funkverbindung
beinhaltet. Eelco van Velzen ist also ein Kapitän zum Anfassen.
Darum gibt es eine Kapitänstafel klassischer Art bei ihm an Bord nicht. An
seinem Tisch in einer Ecke des Restaurants tauchen gelegentlich Besucher
auf, niederländische Freunde, die er zu Stopps eingeladen hat. Und gleich
links im Salon ist der erste Tisch „gereserveerd”.
Dort arbeitet Jaline, seine Frau, als Hotelmanagerin. Sie hat alles im Blick
und weiß mit der Küche, dem Service und der Bar umzugehen. Freundlich
erfüllt sie auch noch Taxiwünsche und sagt, wo was im Ort zu haben ist.
Es gibt feste Tischzeiten und eine Sitzordnung, die
die ganze Reise über beibehalten wird. Man wählt abends aus, was man am
nächsten Mittag und Abend essen will und die nicht ganz geleerte Flasche
wandert mit, vom Restaurant in den Salon. Die Stewards und Stewardessen, in
dieser Saison Tschechen, sprechen Deutsch, brauchen aber gelegentlich
Geduld. Denn was ist Restsüße oder eine Scheurebe? Aber sie revanchieren
sich auch mit Geduld, wenn man das Dessert etwa mit langen Gesprächen
ausdehnt. Andreas ist der Musiker an Bord. Zu festgesetzten
Zeiten, im Tagesprogramm ausgedruckt, erschien er im eleganten Anzug mit
offenem Hemdkragen und fütterte mit seinem Synthesizer und einer weichen
Stimme Ohren und Herzen der Reisenden im Salon. Er ist Pole und kennt
zahlreiche deutsche Schlager, singt einige mit und überrascht nachmittags
mit perlender klassischer Klaviermusik.
Am Ende der Reise hat man ein sehr intimes Bild von
den Niederlanden. Sehr früh wird dem Reisenden klar, dass dieses Land dem
Meer abgerungen wurde. Es gibt eine Karte, die anzeigt, wieweit ohne Deiche
die Nordsee reichen würde. Im Westen gibt es etwa der heutigen Küstenlinie
folgend einen schmalen Streifen Land. Das Meer hinter ihm geht etwa bis
Amersfoort und zur Drentschen Hügelkette. Polder, die bei uns Groden oder
Kooge heißen, gibt es bei unseren Nachbarn praktisch im ganzen Land, den
äußersten Süden und Osten ausgenommen. Gott schuf die Welt, bis auf die
Niederlande, das die Holländer sich selber machten, heißt es in einem
Sprichwort. Und so erlebt man die Reise dann auch.
Emden war sonntäglich protestantisch still, das idyllische Leer immer einen Bummel wert. Der Ausflug zur Meyer Werft ließ staunen. Noch war man im deutschen Binnenland auf „festem” Grund. Die Fahrt über den Dollart, Ergebnis einer gewaltigen Sturmflut im Mittelalter, bereitete auf Delfzijl vor, das sich unerwartet präsentierte. Hier begann das neue, einst dem Meer abgewonnene Land. Großflächige Industrieanlagen auf flachem Gelände unter hohem Himmel, wo waren Windmühlen, kleine Häfen? Der Hafen von Delfzijl war ein Industriedienstleister, die flach gebaute Stadt beim Morgenbummel eher verschlafen – mit einer einzigen Windmühle. Der Emskanal nach Groningen konnte Schiffe von
einiger Größe aufnehmen. Polderlandschaften links und rechts, Land, das dem
Meer abgewonnen und am Reißbrett aufgeteilt worden war. Gehöfte lagen weit
voneinander entfernt. Kleine Orte, Klinkerbauten mit weißrahmigen Fenstern
und Türen, im Regen glänzend, Werften für Flussschiffe und Kümos am Ufer.
Und dann Groningen, von Regen bedroht, fast eine Großstadt im Norden mit
bedeutender Uni und einer lebendigen Szene, auch nachts, wenn man den Regen
nicht scheute. |
In Sneek, im niederländischen Friesland, war
endgültig das erreicht, was man sich so unter Holland vorstellt. Eine
schnuckelige Altstadt, grachtendurchzogen mit schmalen Straßen und zahllosen
Giebelmustern, ein berühmtes Wassertor und eine bunte Geschichte. Der
Fremdenführer, der sich gegen den pladdernden Regen nur mit einem
Fleece-Pullover und einem Schirm schützte, sammelte seine Schäfchen in jenem
Tor und erläuterte, wie Sneek einst von Seeschiffen angelaufen werden konnte
und im Kreuzpunkt bedeutender Handelswege von Südosten nach Nordwesten und
von Ost nach West lag. Und im 20. Jahrhundert zu dem friesischen
Segelparadies wurde. Und sich nun ausdehnt. Kanäle werden befestigt, neue
Häfen geschaffen, Baugelände ausgewiesen.
In Lemmer ging’s
ins Ijsselmeer, quer rüber nach Enkhuizen mit geschäftigem Segelhafen. Die
MS CALYPSO
machte neben großen Seglern fest, die alle ihr Geld mit Ausflügen und
Ferientörns verdienen. Die kleineren, immer noch beeindruckenden
Segelyachten machten im stadtinneren Hafen fest. Und hier lag nun endlich
ein Holland, ganz wie im Bilderbuch. Das Zuidersee Museum zeigte in 130
Gebäuden Wohnungen, Werkstätten, Läden, eine Mühle und alles, was noch bis
in die Tage des Abschlussdeichs benutzt und genutzt worden war. 1932 trennte
der Deich die Nordsee von der Zuidersee und machte aus ihr das Ijsselmeer.
Die MS CALYPSO
lief zweieinhalb Stunden nach Norden, schleuste durch den Deich und lief
Texel an, die größte der westfriesischen Inseln, ein Ferienparadies, das
sich immer noch gegen die Nordsee stemmen muss. Magnet für Groß und Klein
war das Wattenzentrum Ecomar, in dem junge, verlassene oder verletzte
Seehunde aufgezogen, gepflegt und gefüttert werden. Und wo Möwen hungrig
ihren Teil der Fische abhaben wollen.
Den Helder, Flottenstützpunkt, wenig einladend, doch der Eingang zu dem bedeutenden Nordholland-Kanal nach Süden. Alkmaar am Sonntag, Drachenbootrennen und offene Läden. Zaanse Schans, nie gehört, und überraschend mitteilsam: so macht man Käse, Holzschuhe, pumpt Wasser und bietet wo es irgend geht Souvenirs an, nahrhafte und dekorative. Die Mühlen befördern immer noch Wasser aus dem Binnenland nach draußen. Moderne Technik hat in ihnen die Schöpfräder durch eine archimedische Schraube ersetzt. Und die immer gleichen Deiche sind heute wasserdichter gemacht durch Planen und Folien. Zaanse Schans, das Museumsdorf bei Amsterdam, sieht
von außen so aus wie ein Dorf aus dem vorletzten Jahrhundert, grüngiebelige,
blitzsaubere Häuser, die bei unserem Besuch strömender Regen zum Glänzen
bringt. Eine Holzschuhmacherei steht auf dem Programm. Die Klompen sind für
Hollands Image ähnlich prägend wie Tulpen und Käse. Heute werden die
hölzernen Schuhe mit Hilfe von Maschinen hergestellt. Fünf Minuten braucht
der Könner, um einen Schuh aus einem Stück Pappelholz zu drehen,
einschließlich Höhlung für Vorderfuß und Ferse. In der Käserei bieten die
jungen Verkäuferinnen in traditionelle Kostüme gekleidet Proben
an, doch die Käseherstellung geschieht mit modernsten Geräten, hygienisch
von den Besuchern durch dickes Glas getrennt. Amsterdam kündigte sich mit Lagerhäusern an. Es
wurde groß im Fernhandel der VOC, der „Vereenigden Oostindischen Compagnie”,
die zwischen 1602 und 1798 den Gewürzhandel zwischen dem fernen Osten und
Europa beherrschte und unendlichen Reichtum ins Land brachte. Grachten- und
Stadtrundfahrt standen auf dem Programm, ein abendlicher Bummel durchs
weltbekannte Rotlichtviertel entfiel mangels Interesse.
Wijk bij Duurstad kannten nicht einmal bewanderte
Hollandfahrer. Wieder ein Bilderbuchstädtchen. Nijmwegen kann man im Regen
gerade noch aushalten. Der Rhein, der seit der Grenze hier Waal heißt, war
ein Arbeitstier geworden. Die MS CALYPSO
fuhr in schnell wechselnder Gesellschaft anderer Schiffe rheinaufwärts und
begegnete zahlreichen Schwerarbeitern, die flussab liefen. Krefeld als
Nachtstopp, dann Düsseldorf. Ende der Reise. Ende? Nein, das Erleben ging
tiefer und bleibt länger als die 7 Tage mit ihren 724 Fahrkilometern.
Man kann kaum erholsamer reisen als auf einem
Flussschiff, das durch die Landschaft und über Seen gleitet. Fahrtwind und
gedämpfter Dieselklang sind die lautesten Geräusche, Möwenschreie hängen in
Holland immer in der Luft, Kühe bleiben stumm, auch Schafe schweigen selbst
in Wind und Regen. Schleusen öffnen und schließen sich leise und der Verkehr
auf begleitenden Straßen dringt kaum aufs Wasser. In Holland ist überall Himmel. Manchmal scheinen die
Pappelreihen an den Kanalufern ihn zu halten, gelegentlich verblüffen
ungewöhnlich hohe Kirchtürme den Staunenden. Die ewigen Deiche stützen das
Blau und geben den weißen bauchigen Wolken erkennbare Richtungen. Regen
überrascht hier niemanden. Schauer sind lange vorher erkennbar. Man meint,
der Wind weht in diesem Land immer von See. Und selbst in ungebrochenem
Sonnenschein und in dem Glanz weißer Strände spürt man die Ankündigung von
kommender Kühle. Sonnenuntergänge sind auf dem Land überall erlebbar, die
Sonne geht wirklich unter, wird nicht verdeckt von Hebungen und Bauten.
Ferne Baumreihen schrumpfen zu Horizonten, die wie mit einem breiten Pinsel
gemalt erscheinen. Die MS CALYPSO
fährt durch Landschaften und Dörfer, in denen die Zeit still zu stehen
scheint. Die Meister des Goldenen 17. Jahrhunderts könnten ihre Bilder
weiter malen, Türen, Giebel und Fenster, Straßenpflaster und Brücken haben
Jahrhunderte überlebt. Aber liefen damals schon Kanäle hoch über dem Land?
Was geschieht, falls ein Kanaldamm verletzt wird und das Wasser ausläuft?
Wie war das noch, wie viel der Niederlande liegt unterhalb des
Meeresspiegels?
Durch die Kanäle gleitend, wird dem Besucher aus Deutschland immer wieder bewusst, wie viel Arbeit der Mensch nicht nur in die Pflege des Landes, sondern auch in seine Entstehung gesteckt hat. Für die Niederländer ist Vieles selbstverständlich. So wird der Abschlussdeich fast kommentarlos passiert. Wir verfolgen die Reise mit einem detaillierten Atlas und sind überrascht: Polder, die es bei uns nur in Küstennähe gibt, finden wir in fast allen Teilen der Niederlande, auch dort, wo das Meer und sein Rauschen unendlich fern scheinen. Zum Abschied lädt der Kapitän auf eine weitere Reise ein, ins „Grüne Herz Hollands”, das kaum einer kennt. Er wird es mit seiner MS CALYPSO liebevoll und kenntnisreich vorstellen. PhoenixReisen |
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Die MS CALYPSO
erwartet in Emden ihre Gäste für die Reise über Holland nach Düsseldorf. |
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Bei
jedem Stadtbummel in Leer ein Stopp, der sich lohnt: Hier wird der Tee noch
so verkauft wie zu Großmutters Zeiten. |
Heimat vieler Plattbodenschiffe, der alte Hafen von Leer. |
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In
der Meyer Werft in Papenburg: Die Folie schützt in der Halle die gewaltige
Bordwand eines Ozeanriesen mit seinen Balkonen. |
Dicht an dicht liegen in einem der vielen Hafenbecken Sneeks im
niederländischen Friesland Segelyachten und Plattbodenschiffe. |
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Idylle aus vergangenen Tagen, als Boote noch vor den Häusern an Grachten
in Orten am Ijsselmeer lagen – wie heute im Zuiderseemuseum in Enkhuizen. |
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Plauderstündchen
im Dorf – zu erleben in Enkhuizen am Ijsselmeer in Museumsdorf. |
Als das Meer noch weit ins Land reichte, arbeiteten in diesen Häusern
Netzmacher für die Fischer der Zuidersee. |
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Herr der MS
CALYPSO: Kapitän Eelco van Velzen
steuert das Schiff nur mit zwei kleinen Hebeln und einem Joystick. |
Den Oever, die westliche Schleuse durch den
Abschlussdeich, der seit 1932 Nordsee und Ijsselmeer trennt. |
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Ruhe am Wochenende. Die Fischkutter, die die Woche über auf der
Doggerbank fischen, haben zum Wochenende in ihrem Heimathafen Texel
festgemacht. |
Den Oever, die westliche Schleuse durch den Abschlussdeich, der seit 1932
Nordsee und Ijsselmeer trennt. |
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Ihren eigenen Liegeplatz findet die kleine
MS CALYPSO
bei den Mühlen im Museumsdorf Zaanse Schans. |
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Delfter Porzellan, hier von Royal Delft,
gehört zu den Niederlanden wie Käse, Tulpen und Windmühlen. |
Besseres Wetter ist angesagt. Korbstühle vor der Alten Waage in Nijmwegen
halten auch pladdernden Regen aus. |
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