Auf dem Bahnsteig wimmelt es nur so von
Menschen, nachdem der IC eingelaufen ist. Doch über allen stehen zwei, die
ihren Passagier und seinen Rucksack schon längst erkannt haben: Kapitän und
Taxifahrer. Auf der Treppe inszenieren sie eine Mini-La-Ola-Welle und
strahlen: „Willkommen in Hamburg!”
Überwältigend, dieser Empfang! Reibungslos der
„Check-in” am Eurokai. Kapitän Pekka Stenvik, Finne mit Hamburg-Hintergrund,
ist für den Wachmann ein alter Bekannter. Auch wir kennen uns schon von
einer spektakulären Winterreise mit seiner schmucken THETIS D, mit der er
2011 elf Frachter aus Eisnot in der Rigaer Bucht befreite. Ein paar
philippinische Seeleute stehen an der Gangway und begrüßen mich
freudestrahlend mit „Welcome home, Sir!” Und so fühle ich mich auch.
Kaffeeduft liegt in der Luft. Gelegenheit für einen ersten Klönschnack in
der Messe mit Chief Ingo Lange und Mitpassagier Klaus Schröder, ein
ehemaliger Seemann. „Ich muss mal wieder Seeluft schnuppern nach so vielen
Jahren”, bekennt der Wilhelmshavener. Und Ingo Lange indes wäre gern noch
länger an Land geblieben, um weiter an seinem Haus in Torgau an der Elbe zu
werkeln. Zwei Seemannsleben.
Überraschung auf Deck B. Meine Kabine hat eine
unverbaubare 180-Grad-Sicht nach achtern. Dazu einen gemütlichen Wohnraum
mit Tisch und Sitzecke, Kühlschrank, Satelliten-Fernseher, CD-Player,
abgetrennter Schlafraum samt breitem Bett und Schrank, Duschbad mit WC. Was
will man mehr? In dieser Mini-Suite kann man’s recht gut eine Weile
aushalten.
Um 18 Uhr soll an diesem Freitag laut Plan
ausgelaufen werden, doch wie das so ist mit Plänen: Erstens kommt es anders
...
In der blitzsauberen Kombüse hantiert Smut Enrico
Papio mit Töpfen und Pfannen. In die darf der Gast natürlich schauen und
schnuppern. Shrimps stehen heute Abend auf dem Speiseplan. Lecker, lecker.
Was einem Passagier auf Kreuzfahrtschiffen nur
selten vergönnt ist, gehört auf Frachtern zur Normalität: das tägliche
Captains dinner. Mindestens zwei Mal pro Tag. Es geht, wie könnte es anders
sein, immer wieder um Seefahrt. Klaus weiß Spannendes aus seiner frühen
Fahrtszeit während der fünfziger Jahre zu erzählen.
Immer hautnah dran am Geschehen, erfährt man auch, wie es weiter
geht. Um 22.30 Uhr soll verholt werden. „Das machen wir in Hamburg drei und
mehr Mal, um unsere Ladung von den verschiedenen Terminals zusammen zu
holen”, sagt Kapitän Pekka, „anders ist das nicht machbar”. Das bedeutet
ständige Bereitschaft und damit kaum Schlaf für die Crew.
Sonnenuntergang. Vom Peildeck aus ein Rundblick über
grell angestrahlte bunte Containergebirge und Schiffe hinüber zur
Turmkulisse der Hansestadt. Hafenromantik anno 2012. Gegenüber, in den
Villen an der Elbchaussee, gehen die Lichter an. Das Piepen der
Containerbrücken ist ständige Nachtmusik für ihre Bewohner, denn auf den
Kais wird rund um die Uhr gearbeitet.
Mit der Flut laufen auch große, tiefgehende Schiffe
ein. Vom 30 Meter hohen Peildeck aus bietet sich ein fantastisches Panorama.
Nicht nur dem Shiplover. Das
Drehmanöver des Containerriesen TIANJIN gerät, sozusagen aus der ersten
Reihe, zu einem maritimen Schauspiel.
Um 22.15 Uhr bringt ein Hafenschlepper den Lotsen,
der über den Gummi-Wulst am Bug geschickt an Land springt. Jetzt ist auch
THETIS D dran. Auf geht’s zum nächsten Liegeplatz. Die Reise ist kurz: nur
45 Minuten. Sofort packen die Containerkräne zu und THETIS D voll mit
weiteren Blechkisten. Von oben herab schaut die HANJIN EUROPE zu.
Angestrahlt von starken Scheinwerfern. Sie zählt mit über 14.000 TEU zu den
größten Containerschiffen der Welt. Dagegen wirkt unsere THETIS D geradezu
zierlich.
„Wenn wir Glück haben”, spekuliert Kapitän Pekka
Stenvik, „können wir morgen vor dem Mittagessen starten”. Ärgerliches Pech,
dass die Nordschleuse in Brunsbüttel noch kaputt ist. „Könnte auch sein”,
kalkuliert Pekka Plan B, „dass wir rund um Skagen laufen müssen, mal sehen”.
Nachtruhe? Irgendwann lässt die anspringende
Maschine den Frachter wieder erzittern: zum dritten Mal während der
Liegezeit im Hamburger Hafen. „Ist schon nervig”, meint Pekka, und seine
Philippinos lächeln nur, wie immer. Auf der anderen Seite: Wie soll man das
Problem der Feederschiffe lösen, sich ihre Ladung an verschiedenen Terminals
zusammen suchen zu müssen? Per LKW oder Bahn? „Viel zu aufwändig“, schüttelt
Pekka den Kopf. Hamburg sei ohnehin der schnellste Hafen. Wozu man an der
Elbe nur sechs Stunden braucht, ist zum Beispiel in Riga ein Akt von zwei
Tagen.
Irgendwann am frühen Morgen sind nach 1078
Containerbewegungen, sogenannte moves, 8000 Tonnen Ladung an und unter Deck
verstaut. „Doch die Charterraten liegen 50 Prozent unter ihrem normalen
Niveau“, lässt Reeder Mark Drevin aus Cuxhaven verlauten, „aber wir sehen
einen Silberstreif am Horizont“.
Am Samstag um sieben Uhr rüttelt der wieder zum
Leben erwachte 11.200-kW-Diesel am Deckshaus. Von wegen noch mal genüsslich
Umdrehen in der gemütlichen Koje! Das bedauert auch der Kapitän, der „fast
aus dem Bett gefallen“ sei. „Aber das Gute ist“, strahlt der sportlich
gestählte Mittvierziger, „dass du deine Tages-Passage durch den
Nord-Ostsee-Kanal bekommst“.
Es geht los, Stunden früher als spekuliert.
Schnelligkeit ist Trumpf bei den Hamburgern. Die meisten schlummern noch,
zumindest in den vornehmen Palästen an der Elbchaussee. Schietwetter liegt
über der Stadt, aber THETIS D und ihre Lichter spiegeln sich in den
Villen-Fenstern. Querab Teufelsbrück steigt der Hafenlotse ab mit „Tschüss
und gute Reise!“, während der Elblotsen-Kollege mit seinem „Moin!“ gewisse
Mühe hat. „Beim Treppensteigen über acht Decks“, rechtfertigt er sich,
„kommt man schon mal aus der Puste“. Er lässt sich von Pekka den Tiefgang
sagen und in den bequemen Pilotensessel vor dem Instrumentenpult fallen.
Knapp drei Stunden hat er bis zur Ablösung vor Brunsbüttel mit seiner
Beratung zu tun, obwohl Pekka das Fahrwasser wie seine Westentasche kennt.
Vorschrift ist Vorschrift.
Die philippinischen Matrosen unter Bootsmann Meliton
Adame veranstalten derweil ein Großreinschiff, das sich gewaschen hat. Die
Aufbauten und Decks triefen vor Nässe, bis wieder alles blitzblank ist und
in feinem Hellgrau – im Gegensatz zum Himmel – erstrahlt. Kadet Catalin
Zbirleci aus Rumänien braucht, weil zum Innendienst eingeteilt, kein Ölzeug
fürs Treppenhaus. Und Kapitän Pekka ist sich – Vorbild! – nicht zu schade,
zwischendurch mit einem Spezialstaubsauger die Bildschirmkonsolen zu
befreien, wie er sagt: „Denn manche Lotsen futtern zum Pott Kaffee gern auch
Kekse“.
Bis zur Brücke hinauf zieht ein ganz besonderer
Duft, den der Koch in der Kombüse lüftet: ein leckerer Linsen-Eintopf mit
Würstchen, „always on saturdays”.
Glück querab von Glückstadt: Die Sonne gewinnt
Oberhand. Um 11.20 Uhr ist es mit dem Glück vorbei. Pekka muss ankern
lassen, denn die Nordschleuse in Brunsbüttel ist nach wie vor dicht. Stau
auf Reede und Straßen, wie ein Radiosprecher meldet. „Doch hier ist´s
allemal gemütlicher“, findet Mitpassagier Klaus und studiert die übrigen
Ankerlieger per Fernglas. Kapitän Pekka checkt über Funk die Lage: „Könnte
14 Uhr werden, bis wir losfahren”. Auch der Lotse macht erst mal Pause und
vertieft sich in eine Autozeitschrift.
Genügend Zeit für die köstliche Linsensuppe bleibt
allemal, auch für ein Mittagsschläfchen.
Überraschung, als schon um 13.30 Uhr der Anker aus
dem Elbgrund rasselt und THETIS D bei strömendem Regen ihre Nase auf die
Kanaleinfahrt zu dreht. Um 14.10 wird in der Schleuse festgemacht.
Seeleute nennen ihn ganz repektlos nur den „Graben”.
Im offiziellen Sprachgebrauch bekannt als Nord-Ostsee- oder schlicht
Kiel-Kanal, heißt er in Kurzform nur NOK.
Festmacher, ehemalige Seeleute, nehmen die schweren
Leinen in Empfang. Rund 30 Minuten dauert die Fahrt im „Wasserfahrstuhl”,
bis der Nordsee-Pegel mit dem Kanalniveau übereinstimmt.
Die Zeit nutzt der Vertreter des Schiffsmaklers, um
den notwendigen „Papierkram” mit dem Kapitän zu klarieren. Natürlich geht’s
ums Geld: Eine Latte von Kanalbenutzungsgebühren ist dann fällig. So mancher
Reeder kalkuliert genauer denn je seinen Kosten-Nutzen-Vorteil. Und das
wirkt sich natürlich aus auf die Zahl der Passagen. Nicht so bei der THETIS
D. Sie passiert fast wöchentlich den NOK.
Das riesige Innentor zum Kanal öffnet sich. „Klar
vorn und achtern!” In das internationale Sammelsurium von Schiffen kommt
Bewegung. Langsam formiert sich daraus zwischen den Ortsteilen von
Brunsbüttel ein Konvoi mit Kurs Ost.
Der Wunsch der Seefahrer, den oft sturmgepeitschten
Weg um das Kap Skagen, Dänemarks Nordspitze, zu meiden, ist schon sehr alt.
Darum reicht die Vorgeschichte des Kanals auch gut tausend Jahre zurück.
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In der Wikinger-Zeit wurde die Eider befahren. Mit zunehmenden
Schiffsgrößen war auch das nicht mehr möglich. Bis 1784 der
Schleswig-Holsteinische oder Alte-Eider-Kanal fertiggestellt wurde. Nach der
Reichsgründung, als Kiel zum Marinestützpunkt der kaiserlichen Flotte
avancierte, brauchte man eine schnelle und leistungsfähige Wasserverbindung
für Kriegsschiffe zur Nordsee. Nach einer Reihe unterschiedlichster
Trassenplanungen fiel die Entscheidung zugunsten der heutigen Linienführung.
Von 1887 bis 1895 wurde die Cimbrische Halbinsel durchschnitten. Inzwischen
ist der damals Kaiser-Wilhelm-Kanal getaufte Wasserweg 117 Jahre alt.
Genau 98,7 Kilometer „Hochsee-Autobahn” mit
durchschnittlich elf Metern Tiefe liegen vor dem hochmodernen Frachter. Die
Maschinen laufen jetzt nur mit langsamer Fahrt. 15 Kilometer pro Stunde sind
das erlaubte Maximum, und „geblitzt” wird auch hier schon manchmal aus dem
Gebüsch. Auswaschungen durch Wellenschlag und andere Beschädigungen müssen
vermieden werden. Die Uferböschungen verlieren jährlich pro laufenden Meter
bis zu zehn Kubikmeter Boden. Wer soll das bezahlen? Das sind Kosten, die
durch Gebühren allein nicht gedeckt werden können. Experten wollen
allerdings wissen, dass es noch einen „Kostensenkungsspielraum” gibt. Zumal
die Zahl der Passagen ständig zunimmt und mehr Geld in die Kassen spült.
Gespart werden soll auch am Lotswesen. Neuordnungen
sind in der Diskussion. Eins dürfe jedoch nicht passieren: dass
Veränderungen zulasten von Sicherheit gehen. Die Lotsen müssen in dem engen
Kanal-Schlauch mit größter Vor- und Umsicht navigieren. Dennoch kommt es
vor, dass ein Schiff – an manchen
Stellen genügen Kursabweichungen um nur ein bis zwei Meter
–
Grundberührung hat und festkommt. Erklärung: Durch Fahrt und Schraube
wird Wasser unter dem Kiel weggesogen, es sackt auf den Grund, bleibt für
einen Moment stehen, bricht aus und ist nicht steuerbar. Darauf könne man
nur schnellstens mit entsprechenden Ruder- und Maschinenmanövern reagieren.
Wenn ein Schiff aus dem Ruder läuft, sind, so haben genügend Fälle gezeigt,
stunden- oder tagelange Wartezeiten Folge einer solchen unfreiwilligen
Blockade. Abgesehen von einem Rattenschwanz an Verlusten.
Die Verkehrslenkung hinter den Kulissen durch
erfahrene Nautiker ist deshalb eine organisatorische Meisterleistung. Ein
Schiff ist weder ein Auto noch ein Zug, die man ohne weiteres abbremsen
kann. Zusätzlich erschwerend wirken Wind und Wetter wie Nebel, Eis oder
Schneetreiben. Zu manchen Zeiten sind bis zu 250 Schiffe pro Tag im Kanal
unterwegs. Im Kanalfunk zur Lage wird mehrmals von „hohem Verkehrsaufkommen”
gesprochen. Kein Wunder bei dem Schleusen-Engpass. Und: Eine solche Masse
will koordiniert sein! Lotse und Steurer schimpfen, dass die Ausbaupläne des
NOK nach wie vor ruhen. „Wir stehen vor einem GAU”, meinen beide.
Bei Breiholz blinkt ein rot-weiß-rotes Lichtsignal.
Voraus erweitert sich das bis dahin enge Fahrwasser. THETIS D muss wie schon
zwei andere Schiffe in einer Ausweichstelle, kurz Weiche genannt, stoppen.
Zwölf solche Stopper gibt es davon im NOK. Wer warten muss, bestimmt der
PC-Lenker an Land nach Situation und Reglement. Die Schiffe werden je nach
Länge, Breite, Tiefgang und Art der Ladung in sechs Verkehrsgruppen
eingeteilt. Es dürfen, wo es eng wird, immer nur Schiffe aneinander
vorbeifahren, deren Verkehrsgruppen zusammen sechs ergeben, erklärt der
Lotse. Ansonsten ist auch die Quersumme acht erlaubt.
Der „Gegenkommer” gehört schon der Gruppe sechs an, ist aber ein noch
dickerer Brocken. Maximal dürfen 235 Meter Länge, 32,50 Meter Breite und 9,50
Meter Tiefgang nicht überschritten werden.
THETIS D wird mit
den anderen in die Weiche geschickt. Bis der langsame Konvoi durch ist. Von
der 22 Meter über dem Wasser liegenden Brückennock schweift der Blick weit
übers Land: Felder, Wiesen und Wälder. Die Männer auf der Brücke haben keine
Zeit für Romantik. Frische Wiesendüfte ziehen in die Nase. Kühe blicken
nicht mal mehr auf, wenn ein Dampfer vorbeirauscht. Hinter Büschen und
Bäumen ducken sich blitzsaubere Gehöfte. Das ist Seefahrt durch den
Bauernhof.
Der Lotse steigt vor der Station Rüsterbergen bei
Rendsburg ab. Kurze Pause. Vier Stunden konzentrierte Revierfahrt sind
stressig genug. Ein anderer
Kollege übernimmt den Job bis Holtenau. In der Brüderschaft sind 280 dieser
erfahrenen Nautiker als Freiberufler zusammengeschlossen. Die beiden Kanalsteuerer – insgesamt sind es 150
– bleiben an Bord
und wechseln sich in halbstündigem Rhythmus ab.
Plötzlich ein Gepolter in der Luft: Über die
Rendsburger Hochbrücke kriecht ein endlos langer Güterzug. Die Antennen
scheinen die Stahlkonstruktion zu streifen. Generell sind höchstens 39,50
Meter Durchfahrtshöhe erlaubt. Oder es knirscht „im Gebälk”. Zwei
norwegische Kreuzfahrtschiffe wurden sogar extra deswegen mit einem
klappbaren Schornstein ausgerüstet.
Der Blick in die Fenster von Einfamilienhäusern
längs der Böschung erinnert an den Film „Unter deutschen Dächern”.
Da sieht man Vieles ...
23.10 Uhr fest in der Schleuse Holtenau. Geschlagene
neun Stunden hat die Reise über Land auf dem „Silberband” zwischen den
Meeren gedauert, normalerweise rund zwei Stunden weniger. Das ist wie
Schleswig-Holstein mit einem „dicken Pott” im Radfahrertempo. In der Kieler
Förde liegen der Maschinentelegraf wieder „auf dem Tisch” – mit voller Fahrt
dem ersten Hafen Sankt Petersburg entgegen.
Sonntag, erster Seetag: Das Frühstück zwischen 7.30
und 8.00 Uhr fällt aus, denn Ausschlafen ist angesagt. Aber man kann sich
auch später als zu den offiziellen Zeiten aus dem Kühlschrank und dem
Kaffeeautomaten in der Messe versorgen.
An Steuerbord die Sonneninsel Bornholm. Leuchtturm
Hammeren und Burgruine Hammershus überragen die Granitrücken. Vor Gudjhem
ankert der Fünf-Sterne-Plus-Kreuzfahrer EUROPA, mit dem ich jetzt nicht
tauschen möchte. Aus der Kombüse duftet es wieder verlockend, denn in
Smutjes Pfanne brutzeln Steaks. Kapitän Pekka
spendiert dazu eine Flasche Rotwein. Die Zungen lockern sich, so dass
schnell ein munterer Messe-Klönschnack mit Eis-Dessert in Gange kommt. Das
gleichmäßige Grummeln des Diesels garantiert anschließend einen entspannten
Mittagsschlaf.
Bis zur Kaffeepause mit Kapitän und Chief im
Fernsehraum. Da versorgt man sich mit den neuesten Nachrichten (auch in der
Kabine möglich), über die diskutiert wird. Ein Satelliten-Receiver macht’s
möglich. Auch das Gratis-Scypen der Besatzungsmitglieder mit ihren Lieben
auf den fernen Philippinen. Als ich vor dem Abendessen aus der
„Finnjark”-Sauna ins bordeigene Internet-Café komme, kann ich Frau und
Kindern von Chiefcook Enrico Papio zuwinken und ihnen sagen, was für ein
guter Koch ihr Mann und Papa sei. Worüber sich alle freuen, aber auch
wundern, dass ich im „kalten Norden” mit Badehose herumlaufe und dann noch
E-Mails lese und schreibe. Auch das ein besonderer Service an Bord, „damit
die Leute Sozialkontakt behalten und bei Laune bleiben”, erklärt
Reeder-Kapitän Mark Drevin später.
Bis zum Sonnenuntergang genieße ich die Stille in
meiner Leseecke auf dem A-Deck an Steuerbordseite. Bei einem Buch und einer
Buddel Bier. An Backbord läuft der 100 Kilometer lange Gotland-Küstenfilm
ab, bis auch der von einem dramatisch wolkenden Mondhimmel abgelöst wird.
Leuchtfeuer-Blitze erhellen die Nacht für Sekundenbruchteile. Im Fernsehen
läuft – wie passend – der Film „Mythos Ostsee”, auch mit Bildern aus
Stralsund, meinem Wohnsitz.
Auf der Brücke hat jetzt Kapitän Pekka die
Acht-Zwölf-Wache. Er nutzt die Zeit, um Abrechnungen zu machen und E-Mails
zu verschicken. Aber auch für ein Gespräch über Gott und die Welt. „Das und
mein Sport halten mich wach”, sagt er und ändert den Kurs an einem Wegpunkt,
„jetzt geht’s nach Nordost auf die estnische Insel Saareema und den
Finnischen Meerbusen zu”. Also rechts herum.
Regenwolken deckeln am zweiten Seetag in Sichtweite
der estnischen Küste den Finnischen Meerbusen. Zwar gibt es wie jeden Morgen
eine fröhliche Begrüßung, wenn man an der Crew-Messe vorbeigeht, aber dann
werden die Gesichter doch ernster: Ein Erdbeben habe ihre Heimatinseln im
Pazifik erschüttert. Die Männer sind in Sorge um ihre Angehörigen, erfahren
aber doch schnell – dank Internet –, dass sie wohlauf sind. Erleichterung
macht sich breit.
Westwind schiebt von achtern, so dass THETIS D
leicht zu rollen anfängt. Ex-Matrose Klaus hätte gern mehr Schaukelei, „denn
ich würde schon mal testen, ob ich noch seefest bin”. Das Wetter tut ihm den
Gefallen nicht. Kapitän Pekka ist froh darüber, denn das spart Sprit. Mehr
als 16 Knoten, die vom Charterer Unifeeder geforderte ökonomische
Fahrtstufe, sind ohnehin nicht drin. Aber selbst die reicht noch, um die
FINNHANSA einzuholen und abzuhängen. Typ-Schwesterschiff HEINRICH EHLER
indes dreht hinter uns ab nach Nordosten mit Kurs auf Helsinki, dessen Türme
den nördlichen Horizont kratzen wie die von Tallinn auf der Südseite. Voraus
die schon russische Schäreninsel Ostrov Rodsher. Am felsigen Fuß ihres
Leuchtturms rostet schräg ein im Winter gestrandeter Frachter vor sich hin.
„Da sieht man mal wieder”, sagt Pekka nachdenklich, „welche Kraft das Eis
haben kann”.
Reederei-Neuigkeiten aus Cuxhaven erfährt man von
ihm direkt auf der Brücke. Die Charterrate sei um 2000 Euro auf 8000 pro Tag
gestiegen. Ein positives Signal wie auch die Deutsche Schifffahrtszeitung
THB auf ihrer Seite bestätigt.
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