Die Seele nährt sich von dem, worüber sie sich freut. Dazu zählen
die karibischen Farben, die der Phantasie keine Grenzen setzen. Was für
Europäer das Europäische Mittelmeer ist, ist für die Amerikaner das
Amerikanische Mittelmeer. Die US-Statistik spricht von mehr als zehn
Millionen Kreuzfahrern im Jahr.
Nach Zahl und Größe führen amerikanische
Gesellschaften bei Schiffsneubauten. Wegen der enormen Nachfrage. Kein
Wunder, wenn man die Bilder von fantastischen Inselträumen, schneeweißem
Puderzucker-Strand und sattgrünen, sich im sanften Passatwind wiegenden
Palmen und türkisfarbenem Wasser im Kopf hat. Wer ließe sich da nicht
verführen?
Karibik, das klingt nach Musik, fröhlichem Lachen,
üppiger Blumenpracht und verlockenden Gewürzen. Schon Kolumbus und seine
Männer haben sich von diesen Reizen betören lassen. Bis heute gelten die
Inseln im Karibischen Meer als paradiesisch – zumindest für Touristen. Wie
eine Handvoll Edelsteine, mit elegantem Schwung in weitem Bogen ausgeteilt,
so sehen die karibischen Inseln auf den ersten Atlas-Blick aus.
Jede ist ein Unikat, ein Juwel für sich. Erst aus
der Nähe betrachtet, beginnen sie zu schillern. Die Vielfalt auf engstem
Raum ist beispiellos: zwischen Kakteenwüsten und tropischen Wäldern ist
alles dabei. Die Inseln, ein Kosmos im Kleinen, jede eine Welt für sich.
Koloniale Pracht, pralle Natur, idyllische
Fischerdörfer, in denen die Zeit stehen geblieben zu sein scheint und
schlichte Lebensfreude dominiert, markieren den Kurs des „Traumschiffes”.
Steelband-Klänge hinter Lagerschuppen-Kulisse weisen
akustisch den Weg. Wir sind am Ziel. Das Begrüßungsbuffet auf dem Achterdeck
passt zum blechern hämmernden Karibik-Trommel-Sound der dunkelhäutigen
Musiker im grellbunten Rasta-Wollmützen-Look.
Dinner-time, Kleidung: as you like it, vom T-Shirt
bis zum Smoking ist alles vertreten.
Um Mitternacht heißt es für die Seeleute: „Klar vorn
und achtern!” und für uns: Augen zu, dem
ersten karibischen Seetag entgegen.
Frühmorgendliche Impressionen. Vor dem Fenster
taucht zum Greifen nah ein vulkanisch-schwarzer Felsklotz mit
tropisch-grünem Überzug auf, gesäumt von einem weiß schäumenden
Brandungskranz, unterbrochen nur von hellsandigen hotelfreien
Mini-Traumstränden.
Zum Open-Air-Frühstück lassen wir uns den
karibischen Traum-Blick optisch auf der Zunge zergehen. Auch wenn uns der
Nordost-Passat die frischen Brötchen nicht gönnt und mitleidlos vom Teller
fegt.
Elegant wedelt unser Schiff, in der karibischen
Dünung rollend, durch die Kette der größeren und kleineren
Grenadinen. Einzige sich schnell verwischende Spur: eine weiß bis
türkis brodelnde Wasserschleppe. Der Kreuzfahrtdirektor, als „Voice of the
bridge” überall per Deckslautsprecher
vernehmbar, lockt auf das sichtbegünstigte Vorschiff. Bei plus 27 Grad
Celsius erfährt man Position und Inselnamen samt Informationen über Flora
und Fauna – manch einer sogar beim Morgennickerchen im Liegestuhl.
Die gegen Mittag drohend heraufziehenden Wolkentürme
sind nicht etwa ein schlechtes Omen, sondern klimatisch-routinemäßige
Vorboten des äquatorialen Zenitalregens. Minuten später, nach Öffnung der
himmlischen Schleusen, ist das Panorama wieder gesprenkelt von blendend
weißen Buchten, passatgetriebenen Segelyachten, grün-braunen
Inselskulpturen. Wie blank geputzt – einfach schön!
Ausschlafen, vorsichtige Bekanntschaft mit einer
erbarmungslosen Sonne, baden in türkisfarbenen Karibik-Wellen vor
Passat-gebeugter Palmenkulisse: genau das richtige „hang-loose”-Programm.
„Maschine Stopp!”
Philippinische Matrosen lassen die beiden Verkehrsboote zu Wasser. Erste
Station: der filmreife Korallen-Sandklecks Palm
Island. Ein fußläufiges Traum-Inselchen wie aus dem Prospekt und, der
Name verrät es schon: palmenüberwuchert. Eine schier überwältigende
Schönheit! Buchten, Barbecue und Steel-Band inbegriffen. „Südsee”-Einsamkeit
kann dennoch jeder dort genießen.
Landgang zum
Baden, Schnorcheln, Segeln um die Inseln zu den Tobago Cays.
Steelband-Klänge und Grilldüfte treiben die Kreuzfahrer wieder am Strand
zusammen. Man hüte sich vor dem früchtegespickten Rum-Punsch!
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Die Kombination mit
der fast senkrecht
brennenden Sonne erhöht die Wirkung. Im Übrigen ist der
Anker-„Parkplatz”
vor der Insel auf yachtgroße Cruiser zugeschnitten. Den ganz dicken ist er
verschlossen; nicht nur weil ringsum Korallenbänke lauern, sondern auch
wegen „Touristen-Überflutungsgefahr”
des Eilands. Recht so! Am Spätnachmittag sind die Urlauber in den sündhaft
teuren Bungalows wieder allein in ihrem Paradies.
Hinter einem
Mini-Grenadinchen ein nordisch-kühler „Gruß aus Kiel”:
ein Dreimaster, der sich den Winter über auf Segelkreuzfahrt in der Karibik
tummelt, im Sommer in Nord- und Ostsee. Die keineswegs „tropisch”
versinkende Sonne zeichnet scharfe Konturen von seiner Takelage, während die
Rollbewegungen in der jetzt stetig querkommenden Atlantikdünung zunehmen.
Fliegende Fische und
Schwertfische spielen sich als „Lotsen”
auf und weisen uns scheinbar den Kurs. Am nächsten Tag rasselt der Anker in
einer Bucht an der Westspitze von Tobago in den Grund. Einheimische wissen
zu berichten, dass die Insel Robinson Crusoes Zuflucht war – seine Höhle
soll zu besichtigen sein.
Bade-, Schnorchel- oder einfach nur Erkundungspause.
Aus der distanzierten Relingsperspektive ein wahrhaft karibisches Paradies.
Ein anderes, nicht minder
erstaunliches Überwasser-Bild: Matrosen ernten Palmwedel und verfrachten sie
per Beiboot zum Schiff. Von Land beobachten wir kurz darauf eine
Metamorphose, unser Schiff im „Urwald-Look”
oder ein „Palmenhain zur See”.
So präsentiert sich das Achterdeck zur „Karibischen Nacht”
mit Riesenbuffet, Windlichtern und überdröhnt von Steelband-Klängen.
Frühaufstehern
präsentiert sich ein beeindruckendes Schauspiel: die grünüberzogenen Pitons
von St. Lucia, eines der Wahrzeichen der Karibik, vor aufgehender Sonne.
Nach 157 Seemeilen sind wir am Treffpunkt von Atlantik und Karibik. Schon
zehn Seemeilen zuvor hat sich der Schwefel-Vulkan im Inneren der Insel,
dessen Energie seit kurzem genutzt wird, durch seine fauligen Dämpfe
angekündigt, die der Nordost-Passat auf See hinaus weht. Manch ein
unwissender Passagier glaubte Nase rümpfend, Schlimmeres zu riechen.
Ankern fast im Dorf
Soufrière. Die frühe Sonne lässt die Kokospalmen-Kronen silbrig erglänzen.
Kinder und Jugendliche in untergangsreifen Ruderbooten „bellen”
fordernd „Coin! Coin! Coin!”
nach oben und tauchen blitzschnell, wenn Quarters blinkend in die Tiefe
trudeln.
Während einige dem von
Regenwald eingeschlossenen Schwefel-Vulkan einen respektvollen Besuch
abstatten, chauffieren andere durch Bananen-, Kaffee-, Kakao- und
Kokosplantagen nach Castries, dem Hauptstadt-Hafen. Wir hingegen genießen
noch die Abkühlung an dem hinter Felsen versteckten Traumstrand von Anse
Chastnet und lassen uns nachmittags an den dramatisch aufragenden
Zwillings-Gipfeln vorbei und dicht unter dem bergigen grünen Land nach
Castries schippern.
Der amphitheatrische Naturhafen von Castries samt
Anlegemanöver an einer kurzen Betonpier erfordert jetzt die volle
Aufmerksamkeit des Kapitäns. Auslauf für das Schiffsvolk von Mittag bis
Mitternacht durch die proppevolle, quirlig-bunte Insel-Kapitale mit
ebensolchen Märkten. Im nahen Norden locken weite Strände. Andere wiederum
tauchen in die (noch) dichten Bergregenwälder ab.
Im (Katzen-)Nachtsprung
„versegeln”
wir nach dem französischen Martinique. Zum Freiluft-Frühstück diesmal Hafen-
und Stadtkulisse von Fort-de-France. Die Karib-Indianer nannten sie „Madinia”,
„Insel der Blumen”.
Dieses Attribut wird erst während einer mehrstündigen Straßenkreuzfahrt
deutlich, die mit öffentlichen Mini-Bussen bis nach St. Pierre führt. 1902
wurde der malerische Ort vom legendären Mont Pelée und seinem vulkanischen
Auswurf völlig vernichtet.
Ein blutroter
Sonnenuntergangshimmel, an dem sich das legendäre Kreuz des Südens
abzuzeichnen beginnt, und ein tropisch-laues Lüftchen. Herausragender Punkt
am Ende des Tagesprogramms: Captains-Abschieds-Dinner ist angesagt: mit
Wunderkerzen-sprühendem Einmarsch der Stewards, untermalt von den „Ohs!”
und „Ahs!”
des erwartungsvollen Publikums.Die Insel versinkt mit ihren Lichtern
im sternefunkelnden Nachthimmel. Wir gleiten über Nacht bis zum nächsten
Morgen ihrem nächsten Ziel entgegen.
Zeitvertreib bis zum
nächtlichen Abflug: noch einen Tag die Karibik-Traumstrände und
Schnorchelgründe von Barbados genießen – oder, wer’s kann, eine
Nachprogramm-Woche lang oder mehr dranhängen.
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