EDITORIAL | AUSGABE 3/2013 | ||||||
Dieter Bromund · Ressortleiter NordseeMagazin
Wird Bremerhaven Schule machen?
Wie oft kann man einen Ort besuchen, bis man satt
ist? Wie viele Stunden, wie viele Tage dort verbringen? Was muss man gesehen
haben, was nicht unbedingt und was vermisst man? In einer Podiumsdiskussion während der
Berliner Internationalen Tourismus Börse auf dem Stand von Bremen /
Bremerhaven stellte John Will als Moderator neue Ziele unter dem Titel
„Markenwelten” vor. Man könne künftig neben dem Bekannten
auch die Beck’s Bier Braustätte und die Mercedeswerke in
Bremen und in Papenburg die Meyer Werft besichtigen. Warum nicht? In keiner zweiten Stadt werden so viele
weithin bekannte Marken gemanagt oder produziert wie in Bremen, von Jacobs
Kaffee und Melitta Kaffee, bis zu Kellogg’s, Hachez oder Kraft. Der eine oder andere
Hersteller bietet schon heute Besichtigungen an, Schülern, Studierenden,
Hausfrauengruppen, Kegelclubs, Fachleuten. Warum also seine Tore nicht auch
für Kreuzfahrer öffnen? Auf Flussreisen von Phoenix
mit der MS CALYPSO steht die Meyer
Werft schon lange auf dem Programm. Bremen sollen neue Ziele nur
recht sein, denn es besteht eben nicht nur aus dem Dom, dem
Schütting, der Böttcherstraße, dem Schnoor und der Schlachte. Bremens Bild
prägen auch hier produzierte Marken, weltberühmte ebenso wie nur in
Deutschland bekannte. Und Bremerhaven hat zwar seine Havenwelten, den Zoo
am Meer, das Auswanderer Haus, das Schiffahrtsmuseum, das Klimahaus und
„Die letzte Kneipe vor New York” in einem sehr geschäftigen Hafenteil. Aber
Neues tut gut, zumal die Seestadt schon lange bei Kreuzfahrten
Ankommende und Abreisende im Blick hat, die ein paar Tage vorher und
nachher bleiben sollen. Die Suche nach neuen Zielen macht also Sinn. Während die Schiffe immer größer werden und die Attraktionen an Bord immer vielfältiger, bis eines Tages das Schiff nicht nur das Mittel, sondern das einzige Ziel der Reise ist, vergrößert sich die Zahl der Ziele an Land kaum. |
Selbst eine Stadt wie St. Petersburg hat auch nur eine übersichtliche Zahl von Palästen, Kirchen, Museen und Bühnen zu bieten. Von Cobh aus im Süden Irlands kann man nur begrenzt
viele historische Immobilien anfahren oder Landschaften aus dem Bus
genießen. Ob aber der Reisende solche Beschränkung auch erkennt? Kluge Reisende stopfen Hafenaufenthalte eh nicht randvoll mit Ausflügen. Und mitfühlende Lektoren oder Reiseleiter warnen sogar davor. Es gibt eben auch ein Leben an Land, das man ohne Ausflug privat erleben kann. Reykjavik fühlt sich anders an als Thorshavn, Stockholm anders als Oslo, aber das erfährt man nur auf eigenen Füßen. Tallinn ist begehrenswert anders als Riga. Solange auf Autobahnen immer wieder mal und
unvorhergesehen Staus auftreten, wird kein Veranstalter das pünktliche
Ablegen seines Schiffes riskieren, bloß weil 40 Leute
von Bremerhaven aus das reizvolle Münster in Westfalen ansehen
wollen. Es gibt also Fahrgrenzen für Ziele.
Von Bremerhaven aus denkt man über exklusive Angebote in Hannover
oder Hamburg nach. Neue Ziele sucht man besser im sicheren Radius. Warum
nicht Einrichtungen, in denen Marken entstehen? Brauereien in Bremen,
Schnapsbrenner an der Ems, Aalräuchereien in Bad Zwischenahn, Teemischer in
Leer? Wer würde sich für solche Ziele erwärmen? Deutsche
oder Ausländer? Die Markenfreaks, die ewigen Shopper? Wie oft muss man
Bremerhaven anlaufen, bis man satt ist oder alles gesehen hat? Und würde man
eine Reise buchen, bloß um zu besichtigen, wie ein gutes Bier entsteht oder
zu sehen, wie ein Auto zusammengebaut oder über eine Teststrecke gejagt
wird? Neue Ziele sind zunächst etwas für
den Veranstalter. Warum sollte man neben geschichtsträchtigen
Gebäuden, Altstadtbummel und Abendkonzert
nicht auch Fischverarbeitung, Teeverkostungen oder Käseproduktion
anbieten. Mehr als Papier kostet so ein Angebot den Veranstalter zunächst ja
nicht, wenn Touristikleute an Land die Vorarbeiten leisten. Und andere oder
neue Ausflugsziele machen eine Reise immer noch attraktiver. Programme und Hafenanläufe werden mindestens zwei
Jahre im Voraus geplant. Darum müssten sich eigentlich auch Ereignisse an
Land mit den Liegezeiten von Schiffen verbinden lassen. Im kanadischen
Saguenay präsentierten hunderte von Laiendarstellern eine hinreißende
Bühnenshow über die Geschichte ihrer Stadt, als die MS ARTANIA
festgemacht hatte. Warum könnte also ein internationales Blasmusiktreffen in
Riga in zwei Jahren nicht dann stattfinden, wenn mehrere
Kreuzfahrtschiffe festgemacht haben? Könnte nicht auch manches, was eine Gegend
auszeichnet, endlich anschaulich gemacht werden? Der weltweit einzigartige
handgewebte Tweed auf Harris findet
bisher nicht statt, weil die Hütten der Weber zu klein sind für größere
Gruppen. Wie kann man das unvergleichliche Teufelsmoor bei Bremen für
Gruppen erlebbar machen? Was leistet ein Hafen? Reedereien und Veranstalter sind schon auf dem Weg,
Marken zu werden, über die Größe, den Preis und die Ringe am Schornstein
hinaus. Phoenix zeichnet sich durch andere Features aus als Hapag-Lloyd. Auch viele Städte betreiben längst Marketing und
versuchen, sich als Marke ein unverwechselbares Profil zu geben, mit dem sie
beispielsweise Industrien oder Touristen gewinnen wollen. In Bremerhaven und Berlin haben sich Marketingleute,
Forscher, weitsichtige Politiker und Touristiker an einen Tisch gesetzt oder
sich auf einem Podium getroffen (siehe
NordseeMagazin dieser Ausgabe auf Seite 19) und darüber diskutiert, was
eine Zielgruppe noch an Bremerhaven
interessieren könnte, außer „botanischen Gärten und Kathedralen”, wie John Will, Inhaber einer Bremer
Kommunikationsagentur, in seiner Einladung schrieb. In der Kreuzfahrt beginnt offenbar das, was es im
klassischen Marketing bei Verbrauchs- und Gebrauchsgütern schon lange gibt.
Man entwickelt als Veranstalter allein oder mit möglichen Partnern ein
Konzept, das als Idee bei der angepeilten Zielgruppe getestet und danach
gegebenenfalls korrigiert oder verworfen wird. Dann folgt ein Testmarkt, der
Sicherheit gibt, so oder so. Nicht alles überlebt ihn. Was überlebt, weil es
akzeptiert wird, kommt auf den großen Markt. Was Bremerhaven auf der ITB in Berlin angestoßen
hat, wird also hoffentlich weiter Schule machen. Gute Reise und immer auch einen schönen Landgang,
Ihr Dieter Bromund |
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