DESTINATION | AUSGABE 3/2013 | ||||||
Auf der Seebrücke Brightons steht oder sitzt man in der ersten Reihe, wenn sich kurz vor Sonnenuntergang Tausende von Staren zu famosen Figurenflügen treffen. |
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Carsten Heinke Seebad Brighton, Großbritannien Mancher Sommergast blieb gleich für immer |
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Vorm Fenster rauscht das Meer. Möwen kreischen. Im „snooze” beginnt der Tag mit einem frischen Bio-Frühstück à la carte, handgemacht und serviert von Paul und Tony, zwei Kumpels in den Dreißigern. Sie tragen Jeans und Sneakers, lachen gern und kochen gut, verdienen ihr Geld am liebsten mit Jobs, die ihnen Spaß machen und wollten schon immer mal ein eigenes Gästehaus. Nun haben sie eins und machen es so gut, dass ein führendes britisches Reisemagazin es zum „Best-Value Urban Hotel in the UK” wählte. Denn das „Nickerchen” (was dem englischen „snooze” wohl am nächsten kommt) ist alles andere als verschnarcht. Es hat die Qualitäten eines Designhotels, ist
preiswert, unorthodox und urgemütlich. Jedes seiner zehn Zimmer ist
einzigartig, der Stil eine witzige Mischung aus Vintage, Pop und nüchternen
Formen. An den Wänden hängen Blechreklameschilder, Mona Lisas, Fotos,
Briefmarkencollagen. Ein Waschbecken ist mit roten Rosen bemalt. Neben einem
viktorianischen Sessel steht ein Plastikhocker. Der Himmel ist so blau wie der Stuhl im Frühstücksraum, die Backsteine des uralten College-Gemäuers vis-à-vis so rot wie die selbstgemachte Marmelade. John Carmichael holt das Müsli aus dem Regal und bestellt „eine vegetarische Sarah”. Er weiß eine Menge über Stadt und Land. Lange hat er für die nationale Tourismusorganisation gearbeitet, vor einigen Jahren wählte er seine Lieblingsstadt als Wohnort und arbeitet seitdem für VisitBrighton, das örtliche Fremdenverkehrsbüro. Der junge Mann erzählt von dem Arzt Richard Russell, der vor über 250 Jahren entdeckte, wie gesund das Meerwasser an der englischen Südküste sei, und damit einen Ansturm gutbetuchter Kurgäste auslöste. Binnen kurzem wuchs der Ort um ein Vielfaches. Bauhandwerk und Handel, Gastronomie und Hotelgewerbe blühten. „Schon um 1780 herum galt es als schick, einen
Badeurlaub in Brighton zu verbringen”,
sagt John. Als in den folgenden Jahrzehnten Nobelherbergen wie The King’s,
das Jarvis Norfolk (das heutige Ramada), das Bedford (Holiday Inn) oder The
Grand (De Vere Grand) entstanden, checkten viele gleich für den ganzen
Sommer ein. Auch Abenteurer und Ausreißer, die ihr Land eigentlich verlassen
wollten, denen aber das nötige Reisebudget fehlte, blieben im sonnigen
Brighton hängen. Besonders Künstler, Romantiker und andere Schöngeister
gelangten so in den Ort am Meer, der so viel Zerstreuung bot – ob zeitweilig
oder für immer. Royales Ferienhaus im Indien-Look Galerien, Verkaufsateliers und ganze
Künstlerkolonien findet man heute überall in der City, zu der übrigens seit
dem Jahr 2000 auch die Stadt Hove gehört. Am höchsten konzentriert sind die
kreativen Angebote in den Art-Studios entlang der Promenade sowie in The
Lanes und North Laine, einem quirlig bunten Viertel mit Hunderten von
Designer-Boutiquen, Retro-Shops und schrillen Kostümverleihen, vegetarischen
Schuhläden und Biokaufhäusern, Galerien, Pubs und Plattenbars, veganischen
Cafés und Sahnetorten-Konditoreien. Und natürlich gibt es auch im Brighton
Museum & Art Gallery jede Menge Kunst zu sehen. Gleich gegenüber steht die wichtigste und bislang exklusivste Party-Location der Stadt: der Royal Pavilion, Lustschloss des Prinzen von Wales und späteren Königs Georg IV (1762 bis 1830). Wie der junge Thronfolger auf die Idee kam, sein Feriendomizil am Meer wie den Märchenpalast eines indischen Maharadschas aussehen zu lassen, weiß man nicht. Exotisches war damals eben modern. Das prunkvolle Interieur mit chinesischen Kunstwerken und Motiven wie einem gewaltigen Drachen als Kronleuchterfigur spiegelt das ebenfalls wider. Fest steht: „Nichts hat die Entwicklung Brightons so stark beeinflusst wie der Bau dieser Sommerresidenz”, sagt die freundliche Damenstimme aus dem Audioführer, den jeder Besucher am Eingang erhält. Die erschlagende Fülle funkelnder Pracht, aber auch die technischen Raffinessen wie der mechanische Großgrill oder das Lüftungssystem in der Küche (die alle Gäste Georgs inspizieren mussten) lassen keinen Zweifel daran, dass der Hausherr seine Besucher zu beeindrucken wusste. Allein die königliche Super-Datscha einmal von außen gesehen zu haben, war ein Motiv, nach Brighton zu reisen. Georgs Nachfahrin Queen Victoria fand den Palast
„seltsam, abartig, chinesisch wirkend”.
Trotz der Umbauten, die sie veranlasste, um ihre Kinderschar unterzubringen,
fühlte sie sich nie darin wohl. Vor allem litt die Monarchin unter der
ständigen Beobachtung und Belagerung durch Neugierige. 1850 veräußerte sie
das Gebäude an die Stadt Brighton, die es heute als Museum betreibt und
unter anderem für Hochzeiten vermietet. Zwischen Wellen
und Wolken Ein König gänzlich ohne Prunk ist Luke, der Kitesurfking. Sein Reich sind die Wellen und der Wind, seine Residenz das Beach Café in Shoreham. Vor sechs Jahren stand der gebürtige Oxforder selbst zum ersten Mal auf einem Kitesurfbrett und genoss das spritzige Vergnügen auf dem Wasser und in der Luft. Bald danach beherrschte er die Disziplin so gut, dass er selber ausbilden konnte. Inzwischen betreibt der sympathische 30-Jährige mit den „Kitesurfkings” eine eigene Schule. Einer seiner Angestellten ist der 17-jährige Dan Sweeney, der britische Junior Champion in dieser Trendsportart. „Es ist viel einfacher, als die meisten glauben”, sagt Luke, der in Shoreham, fünf Kilometer von Brighton, ideale Bedingungen zum Kitesurfen sieht. „Es ist die sicherste Stelle weit und breit – mit jeder Menge freiem Platz, ohne Felsen oder andere Hindernisse und mit einem breiten Strand, sogar bei Flut”, so der Drachensurfer, der seine Dienste jeden Tag im Jahr anbietet. Wenn der Wind mitspielt. Teilnahmevoraussetzungen seien lediglich, schwimmen zu können und in guter Verfassung zu sein. Prinzipielle Altersbegrenzungen gibt es bei Luke nicht: „Mein jüngster Schüler war zwölf, die älteste 69. Gemischtes, bewegungsfreudiges Publikum trifft sich ebenso bei Yellowave, dem ersten Strandsportplatz Großbritanniens. „Da wir alle internationalen Standards erfüllen, wurden wir offizielle Trainingsbasis für das nationale Beachvolleyballteam sowie für die Footvolley Association”, erklärt Direktorin Katie Mintram. Vor drei Jahren hatte die heute 34-Jährige den multifunktionalen Sandplatz zusammen mit Ehemann und Vater eröffnet. Neben Beach- und Footvolleyball kann man hier auch Beach-Fußball und -Rugby spielen, künstliche Felsen erklimmen oder das ganze Treiben bei einem Drink oder Essen in der Barefoot Bar beobachten. |
Außerdem gibt’s Barbecue und abends Livemusik.
In spontaner, doch perfekter Choreografie häufen sie sich zu regelrechten
schwarzen, zwitschernden Wolken. Im rauschenden Sturzflug modellieren sie
immer wieder neue Formationen, bewegen sich mit rasantem Tempo zwischen Pier
und Promenade, bis es Zeit wird zum Schlafengehen. Aber nur für kleine
Vögel. Service-Infos: Brighton (GB) Anreise:
Zum Beispiel mit Lufthansa nach London Heathrow, ab der dortigen Central Bus
Station (mit Ticketverkauf) per National Express (Bus) über Gatwick nach
Brighton. Übernachtung:
Im Gästehaus snooze bekommt man den Single-Room ab 55, das Doppelzimmer ab
65 GBP die Nacht, inklusive Bio-Frühstück, das für jeden Gast à la carte
zubereitet wird. Adresse: 25 St. Georges Terrace, Brighton, BN2 1JJ (von der
zentralen Bushaltestelle Pool Valley 15 Minuten zu Fuß). Telefon 00
44-1273-605797,
www.snoozebrighton.com Essen und
Trinken: Die in Brighton lebende Heather Mills, Ex-Frau von
Paul McCartney, startete im Juli 2009 mit ihrem Restaurant „V-Bites”
in Hove. Besonders die jungen Gäste liegen Mills am Herzen. Mit veganischen
Gerichten will sie unter Beweis stellen, dass auch ein „Sheperd’s Pie”
oder eine „Pizza Salami”
ohne Fleisch richtig lecker sein kann. Schokoladentörtchen und
selbstgemachtes Eis verwöhnen große und kleine Schleckermäuler. Für einen
kulinarischen Familienausflug bietet das Restaurant zudem Wickelräume,
Internetzugang und einen großen Barbereich für laue Sommerabende. Im Winter
können sich die Kleinen auf einer Eislaufbahn direkt vor dem
Restaurant austoben. www.vbites.com Ein Geheimtipp von Kite-Surf-King und
Thailand-Spezialist Luke ist das „Muang Thai”
in der St. James’s Street / Ecke Rock Garden. Die Seafood-Suppe Tom
Yum Goong kostet 5,45, Chicken Satay 4,90 GBP. Sport & Action:
Drachensurfen kann man lernen bei den Kitesurfkings in Shoreham, zweitägiger
Grundkurs 195, dreitägiger Anfängerkurs 295 GBP. Telefon 00 44-12 73-88 88
33. info@kitesurfkings.com
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www.kitesurfkings.com Nur zehn Minuten Fußweg von Brighton Pier bietet
Nivea Sun Yellowave beachsports vielfältige Sportmöglichkeiten im Sand,
darunter zahlreiche Angebote für Kinder. Ein Beach- oder Footvolleyballfeld
mit Ball (für bis zu 12 Leute) kostet pro Stunde 21, die Kletterwand für
Kids ab sechs, sowie für Erwachsene für 2,50 GBP.
www.yellowave.co.uk
Abend-Unterhaltung: Wer wissen will, was wirklich britischer
Humor ist, erfährt das bei einer Stand-up Comedy Show im Komedia. Programm
und Tickets online unter
www.komedia.co.uk oder Telefon 0845-293 8480 mit 1,50 GBP Gebühr pro
Ticket. Muss man gesehen
haben: Den Royal Pavilion. Zu besichtigen ist der
exzentrische Bau mit viel Glamour und technischen Raffinessen von April bis
September zwischen 9.30 und 17.45 Uhr (letzter Eintritt 17 Uhr). Der
Eintritt kostet vom 1. April 2013 bis 31. März 2014 für Erwachsene 10,50,
für Kinder 5,90 GBP. Eine sehr gute Audio-Tour wahlweise in Deutsch gibt es
kostenlos dazu. Man kann dort auch heiraten!
www.royalpavilion.org.uk Die historische Seebrücke Brighton Pier ist eine
Vergnügungsmeile für die ganze Familie mit schönen Aussichten auf Meer und
Strand. www.brightonpier.co.uk Außerdem:
The Sea Life Centre ist besonders bei Kids beliebt. Tierfreunde wird der
veraltete Stil des fast 140-jährigen Marinezoos nicht besonders glücklich
machen, Fans historischer Zooarchitektur dafür um so mehr. Besonders beliebt
ist das Haifisch- und Schildkrötenbecken, wo man dienstags, donnerstags und
samstags 16.30 Uhr bei der Fütterung zuschauen kann – dank eines Tunnels
sogar von unten.
www.sealifeeurope.com Die 1883 in Betrieb genommene Volks Railway (benannt
nach ihrem Erbauer, dem deutschen Uhrmacher Magnus Volk) ist Großbritanniens
älteste öffentliche elektrische Eisenbahn. Sie verkehrt von April bis zum
Herbst täglich ab 10.15 Uhr (montags und freitags ab 11.15) alle 15 Minuten,
wochentags bis 17, sonn- und feiertags bis 18 Uhr. Start am Sea Life /
Brighton Pier. Tickets ab 1,50 GBP (halbe Strecke).
www.volkselectricrailway.co.uk Das Brighton Museum & Art Gallery versammelt Kunst,
historische, ethnologische und andere Ausstellungen. Eintritt ist kostenlos.
www.virtualmuseum.info Brighton
Festival: Mit mehr als 700 Veranstaltungen Englands größtes
Kunstfestival, das in diesem Jahr vom 4. bis 26. Mai stattfindet. Im
Programm: Konzerte, Tanz, Theater, Performances, Lesungen, Debatten und
Outdoor-Events. Telefon für Kartenservierungen: 00 44-12 73-709 709.
www.brightonfestival.org Geld:
Ein Britisches Pfund (GBP) kostet derzeit (Stand 26. März 2013) etwa 1,18
Euro. Nicht jeder Geldautomat nimmt EC-Karten. Einkaufen:
Ein Bummel durch The Lanes and North Laine mit über 300 Läden, Galerien,
Pubs und Cafés ist fast mehr Party als Einkaufstour.
www.uniquebrighton.com Kunst und cooles Design gibt es in The Artist’s
Quarter, wo man rund 30 lokale Künstler in ihren Fischerhütten-Ateliers
besuchen und ihre Werke kaufen kann.
www.theartistsquarter.co.uk Geschäfte, die man fast überall auf der Welt findet,
konzentriert Brighton am Churchill Square – 85 Läden, fünf Minuten vom
Bahnhof entfernt.
www.churchillsquare.com Ein Paradies für Schnäppchenjäger ist Brighton
Marina, wenige Minuten vom Zentrum entfernt. Neben einem großen Outlet
Centre finden sich Geschäfte für Damen-, Herren-, Kindersachen und
Sportklamotten.
www.brightonmarina.co.uk Allgemeine
Auskünfte: in Deutsch gibt’s bei VisitBrighton,
www.VisitBrighton.com |
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Die südenglische
Stadt Brighton am Ärmelkanal ist das größte und bekannteste Seebad und
eines der beliebtesten Urlaubs- und Ausflugsziele der britischen Inseln.
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Der
Strand von Brighton mit seinem Wahrzeichen, dem Brighton Pier. Ganz hinten
die Ruine des West Piers. |
Die historische Seebrücke wurde im
Mai 1899 errichtet und wird heute als Vergnügungsstätte genutzt. |
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Schon um 1780 galt es als schick, einen Badeurlaub in Brighton zu verbringen. Der Royal Pavilion, bis heute Brightons Sehenswürdigkeit Nummer 1, diente lange als königliches „Sommerferienhaus”. |
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... mit seinem großen
Nachbarn zur Stadt Brighton & Hove zusammen. |
Sein
beschaulich-ländlicher Charakter hat Hove zu einem beliebten Urlaubsziel
werden lassen. |
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Der
neueste Trendsport an Englands Südküste ist das Kitesurfen. In Shoreham,
fünf Kilometer von Brighton, hat der junge Oxforder Luke Denny dafür eine
spezielle Basis für Anfänger und Fortgeschrittene gegründet. |
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Ein quirlig buntes Durcheinander von veganischen Schuhläden und Sahnetorten-Konditoreien, vor allem aber zahllose Galerien, Cafés, Mode- und Designershops ... |
... finden sich im Viertel The Lanes
und North Laine. |
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Viele
Fassaden des In-Bezirks sind komplett von Graffiti-Gemälden bedeckt. |
Die meisten der Wandbilder stammen
von Künstlern aus dem Viertel. |
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Gleitschirmfliegen oder Paragliding gehört an der windreichen Südküste
von England zu den beliebtesten Freizeitaktivitäten. |
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Ganz
in der Nähe von Brighton, in Shoreham By Sea, befindet sich die Airsports
Paragliding Scool. |
Luke Denny, Gründer und Inhaber der
Kitesurfkings, ist selber leidenschaftlicher Paraglider. |
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Zu
den prominentesten Bewohnern des Großaquariums Sea Life Brighton gehört eine
stattliche Anzahl von Haien. |
Besonders während der Mahlzeiten ist
das Becken der faszinierenden Meeres-räuber der Besuchermagnet des
Wasserzoos. |
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Abendstimmung am Ärmelkanal. Die im
Jahr 2000 von Palace Pier in Brighton Pier umbenannte Seebrücke ist heute
hauptsächlich ein Jahrmarkt mit Restaurants, Bars und Ständen, Spielhallen,
Karussells und Achterbahnen. |
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