Über dem dunklen Wasser dieser letzten Bucht des
Atlantiks stritten Möwenpulks und Krähenschwärme um die Lufthoheit. Zwei
kleine Ausflugsdampfer, die unten am Steg für die Nacht festgemacht hatten,
erinnerten daran, dass das Städtchen Donegal einst auch von kleinen
Handelsschiffen mit wenig Tiefgang angelaufen worden war.
Irlands große Häfen liegen – wie
Cobh – im Süden und – wie
Dublin und Belfast – im
Osten der Insel. Die drei hatten wir auf Kreuzfahrten besucht.
Jetzt wollten wir – unterwegs mit dem Auto –
erkunden, was es im Westen Irlands an Zielen für Kreuzfahrer zu
entdecken gibt.
Ziele in Irlands Westen hatten wir zuerst bei
Phoenix gefunden, die schon in ihrem Katalog von 2012 Häfen und
Ausflugsziele für 2013 und 2014 nannten
– für die MS AMADEA, die MS ARTANIA
und die MS ALBATROS.
Helfer aus der Hauptstadt
Auf
Landausflüge sind in Irland eine Reihe von Unternehmen spezialisiert.
Excursions Ireland aus Dublin wurde
auf unserer Erkundungstour am
häufigsten als Anbieter von „shore
excursions”,
also Landausflügen für Kreuzfahrer, genannt.
Wer sich im Internet durch deren Seiten klickt,
landet bald auf einer grünen Karte der Insel mit neun roten Punkten für neun
Hafenstädte. Vier von ihnen liegen an der Westküste, Killybegs, Galway,
Foynes und Glengariff. Wer dann weiter zum Beispiel Killybegs anklickt,
findet eine kurze Beschreibung von Ort und Hafen und von 15 Zielen an Land,
die man mit Hilfe des Dubliner Unternehmens besuchen kann.
Preise stehen nicht im Internet, die handeln
Veranstalter und die Dubliner vermutlich im Gespräch aus. Excursions Ireland
wird für die Gäste der Kreuzfahrtschiffe allenfalls beim Einstieg in den Bus
sichtbar.
Erste Zahlen
Ausflüge sind so gut wie nie im Preis einer
Kreuzfahrt enthalten. Nach aktuellen
Zahlen aus der Branche kostet eine Hochseekreuzfahrt im Durchschnitt rund
1.700 € und dauert 9 Tage. Ein
durchschnittlicher Ausflug kostet zusätzlich
pro Teilnehmer 60 €. Wer also nur alle zwei Tage einen Ausflug macht,
zahlt dafür rund 300 €, die der Tour-Operator und der Kreuzfahrtveranstalter
sich teilen.
Die Preise werden verständlich, wenn man sieht, wie
viel Arbeit die Ausflüge machen und wie viele Menschen sie beschäftigen – in
der Planung, in der Vorbereitung und in der Durchführung. Ohne einen
erfahrenen Partner an Land wären Ausflugsprogramme nicht durchzuführen –
auch in Europa nicht.
Irland besuchen pro Jahr rund sieben Millionen
Touristen aus aller Welt, die meisten – 87 Prozent – reisen
per Flugzeug an. Mit dem Kreuzfahrtschiff kommen ganze 200.000 pro
Jahr – konzentriert auf die Monate Mai bis August. Der Markt für
Landausflüge ist also relativ klein und auf wenige Monate im Jahr
beschränkt. Doch er lohnt sich offenbar.
Die angebotenen Ziele in Irlands Westen
Neun Häfen und insgesamt 127 Ziele bietet Excursions
Ireland für ganz Irland an, für die
Westküste vier mit 48 Zielen. Die
Ziele bestehen aus drei Gruppen, die größte sind historische Immobilien wie
etwa Schlösser, Herrensitze, Abteien
in oder außerhalb von Städten. Es folgen Ausflüge durch Landschaften und zu
Parks. An dritter Stelle liegen – wen
wundert’s?
– Golfplätze. Gelegentlich kommen Besuche weltbekannter Hersteller
hinzu wie etwa der Belleek Pottery oder von Galway Crystal.
Die Schiffe wechseln, die Ziele bleiben. Doch das
ist kein Naturgesetz. Auf der Internationalen Tourismusbörse im März in
Berlin wurden neue, ganz andere Ziele für Kreuzfahrer diskutiert.
Bremerhaven gibt in Deutschland ein Beispiel. (Wir berichteten darüber.) Und
was geschieht in Irland?
Neues Denken in Killybegs
Killybegs ist noch immer bedeutendster
Fischereihafen der Republik Irland, auch wenn er bei unserem Besuch wie
ausgestorben dalag. Die Fischauktionshalle ist seit langem geschlossen.
Trawler lagen im Päckchen in einem Winkel, die Mannschaften warteten zu
Hause, bis wieder gefischt werden darf.
Im Streit zwischen Fischern („Es gibt immer noch genug Fische im Meer”)
und Wissenschaftlern („Wir müssen den
Beständen Gelegenheit geben, wieder zu wachsen”)
hat sich die Politik auf die Seite der Wissenschaft geschlagen. Der Hafen
wird wochenlang nicht genutzt.
Brian McGilloway ist mit seiner
MERIDIAN
und seiner Killybegs Sea Angling Charters von solchen
Einschränkung nicht betroffen und zeigt uns, wie das Gelände, auf dem
einst Dutzende von Lastzügen Fische luden, heute genutzt wird.
Kreuzfahrtschiffe können hier festmachen und ihre Gäste bequem an Land gehen
und in Busse steigen lassen.
Was vor Ort geboten wird
Ann McHugh
lud uns in Killybegs in die Kantine eines Colleges ein, in dem Köche
ausgebildet werden. Das College liegt ganz in der Nähe der örtlichen Tourist
Information, die mit viel Gedrucktem ausgestattet ist. Ann hat ähnlich wie
Brian ihr ganzes Leben in der Hafenstadt verbracht und weiß über sie und die
Grafschaft Donegal alles und arbeitet natürlich im
örtlichen Tourismus mit. „Schade”,
sagt sie, „dass die großen wie Excursions Ireland uns hier die Touristen
entführen”.
Denn wenn die großen Schiffe hier festmachen, fahren sie die großen
Busse aus fernen Orten in ferne Orte.
Doch aufgegeben hat Ann deswegen Killybegs nicht.
Sie gibt uns ein paar Blätter, auf denen alle Kreuzfahrtschiffe abgebildet
sind, die 2013 und 2014 in Killybegs festmachen. Für jedes Schiff sind die
genauen Liegezeiten genannt, die Zahl der Besatzungen und die maximale Zahl
an Passagieren. 2013 kommen sieben
Schiffe mit 2.255 Besatzungsmitgliedern und maximal 4.421 Gästen und bleiben
zwischen acht und elf Stunden hier. Für 2014 sind acht Anläufe schon heute
sicher mit 3.010 Besatzungsmitgliedern und maximal 5.824
Passagieren.
Wir rechnen später aus, was hinter diesen Zahlen
steckt. Nach Branchenwissen gibt jedes Crewmitglied im Hafen im Durchschnitt
16 € aus, jeder Passagier beim Landgang 61 €.
Damit bieten die besuchenden Schiffe in Killybegs 2013 einen
theoretischen Umsatz von über 300.000
€ und 2014 einen von über 400.000 €. Kein Wunder, dass Ann mehr davon über
die Bücher des örtlichen und regionalen Tourismus laufen sehen möchte.
Die Blätter mit den Daten bekommt „in der ganzen
Gegend”
jeder interessierte Gewerbetreibende und kann sich überlegen, was er damit
macht. Und was tut das örtliche Büro, wollen wir wissen? „Wir bieten
Ausflüge an, die kein Ortsfremder durchführen kann”.
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Wir machen die Probe. Die Grafschaft Donegal ist die
Heimat des irischen Tweeds, den wir lieben. Wo wird er gewebt, wo
verarbeitet, wo angeboten, was können wir uns ansehen und wo was kaufen?
Brian und Ann entlassen uns und beschreiben uns den
Weg zu unserem ersten Anlaufpunkt, nach Kilcar zum „Studio Donegal”,
über die enge Straße unten am Meer. Uns stockt später der Atem – ob der
Schönheit von Himmel, Land und Meer und wegen des schmalen Asphaltbandes,
das kein Bus nutzen könnte. Wir landen
auf dem Parkplatz des Studios, einer Weberei, dürfen alles
besichtigen und fotografieren und können Decken und Mützen kaufen, fahren
über ähnliche Straßen weiter nach Ardara
und verbringen den Nachmittag im Tweed. „We
ship”
heißt es, wenn die passende Größe nicht vorrätig ist und wir bestellen
wollen. Busse, die hier natürlich auch halten, kommen über die großen
Straßen, also über vergleichsweise langweilige Strecken.
Ein Museum in
Foynes
Ein zweites Beispiel ist Foynes bei Limerick.
Margaret O’Shaughnessy
hat hier 1989 das Foynes Flying Boat Museum gegründet und jetzt ein
maritimes Museum angebaut. Von beiden hatten wir noch nie etwas gehört.
Unter anderem Namen, erfahren wir vor Ort, war Foynes weltberühmt – als
Shannon Airport. Von hier aus startete man seit den dreißiger Jahren seinen
Flug über den Atlantik nach Neufundland, zunächst vom Wasser des Shannons
aus, dann auch von Land – bis Düsenflugzeuge den Flughafen überflüssig
machten. Zu Margerets Museum gehört der nachgebaute Rumpf eines
Wasserflugzeugs der PanAm.
Die Kantine des Museums ist die alte des Flughafens,
hier wurde im Winter 1943 der Irish Coffee erfunden, kräftiger Kaffee mit
einem Glas John Power’s
Whiskey verstärkt und mit Milchschaum besänftigt.
Die umtriebige Margaret
hat weitere Ideen, sie trägt sich mit Gedanken über die Nutzung eines
Archivs. In ihrer Obhut lagern Daten über alle Passagiere, die während des
Zweiten Weltkriegs, zumeist aus dem neutralen Portugal kommend, über das
neutrale Irland in die USA fliehen konnten. Nicht zu Unrecht meint Margaret,
dass so ein Archiv viele Besucher anziehen wird.
Ein Mann des Hafens
Martin Morissey erwartet uns ein paar Häuser weiter
zum Tee, nachdem Margaret uns verabschiedet hat. Martin ist Commercial
Manager der Shannon Foynes Port Company. Er ist zwar nur für den Frachthafen
Foynes zuständig, den er in der ganzen Welt vermarktet, doch für Kreuzfahrer
hat er eine Idee umgesetzt und einen dreiteiligen Prospekt drucken lassen.
Auf dem mittleren Blatt sieht man die Mündung des Shannon mit Foynes als
Hafenstadt im Mittelpunkt. Konzentrische Kreise laufen um das Zentrum, „dort
wo Kreuzfahrtschiffe festmachen können”.
Die Kreise zeigen, was man vom Hafen aus mit einem Auto in dreißig, in
sechzig, in neunzig und in 120 Minuten erreichen kann.
„Irland”,
sagt Martin, „ist ein sicheres Land, das man gut auf eigene Faust erkunden
kann. Warum kein Auto mieten, wenn man hier ankommt?”
Sein Hafen hat Tiefgang auch für große Schiffe und bietet genügend
Raum für Wendemanöver. Und Mietwagen oder Taxis ließen sich bereitstellen.
Wir studieren seinen Prospekt. Bis nach Galway
bräuchte man zwei Stunden, bis Killarney schafft man’s
in neunzig Minuten. Wir fuhren über Adare weiter, das wir – wie angegeben –
nach dreißig Minuten erreichten. Es gilt als schönstes Dorf
Irlands, zu Recht, wie wir sahen.
Aus dem Fundus schöpfen
Das irische Fremdenverkehrsbüro in Frankfurt, das
uns unsere Erkundungsfahrt leicht gemacht hat, gab uns eine Karte von
Irland, in der alle Sehenswürdigkeiten in kleiner roter Schrift vermerkt
sind. Auf weiteren Karten fanden wir immer wieder noch andere
Sehenswürdigkeiten. Würde man alle auf einer einzigen Karte kennzeichnen,
wäre die vermutlich rot statt grün.
Nicht nur in Killybegs und Foynes sahen wir, was in
Irland noch alles möglich sein kann, wenn man aus dem Fundus der eigenen
Initiativen schöpft. Die scheinen in diesem Land nur so zu sprießen.
Bei einem Herrenausstatter in Galway fanden wir
neben einem Foto einen verblichenen Zeitungsartikel über einen der
seinerzeit populärsten Filme, der in Irland gedreht worden war: „Der Sieger”
mit John Wayne und Maureen O’Hara.
Die Anzüge des Hauptdarstellers und der meisten Schauspieler waren in diesem
Geschäft geschneidert worden. Der Inhaber denkt nach, ob er die alten
Schnitte nicht wieder beleben sollte. Immer wieder wird er nach solchen
Jacken gefragt. Ein paar Straßen weiter gibt es ein kleines Museum über John
Wayne und diesen Film.
Die Idee eines Museums hat auch jemand in Limerick
aufgegriffen nach dem Buch und dem Film „Die Asche meiner Mutter”.
Wenn das Schule macht ... Die Zahl in Irland gedrehter Filme ist groß.
Es geht auch ganz ohne Programm
Natürlich sollte man Englisch sprechen, wenn man mit
dem Taxi oder dem Mietauto auf eigene Faust die nahe und weite Umgebung des
Hafens erkundet. An den Linksverkehr gewöhnt man sich schnell.
Irlands schöner Westen bietet eine Fülle von
Attraktionen, die man per Ausflug oder allein ansteuern kann, wann immer
Kreuzfahrer festmachen, auf Reede
oder im Hafen. Die örtlichen Tourist Offices sind rege und sehr hilfreich.
Und per e-mail erreichbar, schon lange vor Beginn der Reise. Glencolumkille,
das großartige Dorfmusueum in
Donegal, die berühmten Cliffs of
Moher oder Bunratty Castle and Folk Park etwa sind gut auf eigene Faust zu
erreichen.
An Zielen herrscht also kein Mangel. Darüber
vergisst man leicht, dass auch die Hafenstädte selber sehr reizvoll sind. Im
Latin Quarter von Galway kann man einen ganzen Tag verbummeln, in Läden
stöbern, fangfrischen Fisch essen, ein örtliches Bier entdecken und schon
tagsüber Musik hören, die spontan entsteht, wenn sich Geiger, Gitarren- oder
Banjospieler treffen und ein Vierter zwei Esslöffel als Rhythmusinstrument
benutzt. Im Hunt’s
Museum in Limerick – nicht weit von Foynes entfernt – kann man stundenlang
Schätze aus aller Welt bewundern, darf alle Schubladen öffnen und erfährt
von einem freundlichen Herrn, dass Mrs. Hunt aus Mannheim stammte und eine
Tochter heute in Dublin lebt. Als Ziele darf man auch die Pubs nicht
vergessen, die es überall gibt, und in denen das dunkle irische Bier zu
jeder Stunde schmeckt.
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