Einst verwandelte das Gold der Gletscherflüsse Menschen aus aller Welt in
Glücksritter und ließ sie in den rauen Nordwesten Kanadas strömen. Wer heute
in die Wildnis des Yukon Territory auswandert und ein neues Leben beginnt,
hat selten materielle Motive. Ingrid und Rolf Schmitt aus Neuwied am Rhein
lockten vor allem die Lust auf Abenteuer, das Verlangen, die eigenen Grenzen
in einer grenzenlosen Landschaft zu entdecken, der Wunsch auf Ruhe, auf das
Einssein mit unberührter Natur. Nach Deutschland sehnt sich keiner von
beiden zurück. Auch nach elf Jahren nicht.
„Es ging ihnen doch gut hier”, haben viele gesagt oder gedacht, als Ingrid
und Rolf tatsächlich ernst machten. Als sie ihr Häuschen im idyllischen
Neuwied am Rhein und ein Auto verkauften (das andere wurde verschenkt), ihre
Jobs samt Firma an den Nagel hängten, die Umzugscontainer und Koffer für die
Ausreise packten. Am wenigsten begeistert waren natürlich die Eltern des
kinderlosen Ehepaares. Trennung tut weh, vor allem, wenn es sich wie bei
Rolf um den einzigen Sohn handelt – ganz gleich, welchen Alters. 41 war er
damals, seine Frau Ingrid 43.
Doch Arbeit und ein gewisser Wohlstand waren nicht alles, was sich die
beiden gelernten Groß- und Außenhandelskaufleute vom Leben versprachen. „Wir
wollten einfach mehr Freiheit. Und die haben wir nun”, sagt Ingrid und
krault Blackie und Frostbite, die beiden Familienhunde. Glück und ganz viel
Lebenslust liegen in ihrer Stimme. Ihr Deutsch klingt nach Koblenzer
Mundart, nach einer frohen Runde beim Moselwein, aber irgendwie auch
ziemlich kanadisch. Sie benutzt es nicht nur zu Hause, denn im Yukon leben
mehr als 3.000 Deutschsprechende – das sind zehn Prozent der Bevölkerung.
Dass sie Englisch erst hier richtig gelernt hat, hört man längst nicht mehr.
Rolf kommt vom Grill zurück und stellt einen Teller mit großen dicken,
goldbraunen Fleischscheiben auf den Tisch. Allein die frische Bergluft macht
hungrig, vor allem jedoch die körperliche Arbeit, die reichlich anfällt auf
der SIR North Country Ranch.
Das Anwesen mit den drei großen Buchstaben, die für „Schmitt Ingrid & Rolf”
stehen, ist für die beiden Neukanadier Lebensraum und Arbeitsplatz in einem.
„Die Ranch steht im Mittelpunkt unserer Geschäftsidee. Hier leben unsere
Pferde, hier wohnen unsere Gäste, mit denen wir im Sommer reiten und
paddeln, im Winter mit Hundeschlitten und Snowmobilen fahren und zum
Eisfischen gehen”, erklärt Rolf und legt den Arm um seine Frau.
Was heute so beschaulich wirkt, so vertraut, als sei
es immer so gewesen, war lange ungewolltes Testfeld, ein Übungsplatz zum
Überlebenlernen, eine Traumbaustelle. „Als wir hier landeten mit unseren
Einwanderungspapieren, saßen wir erst mal in einem leeren Haus. Fünfeinhalb
Wochen später und damit sogar noch relativ schnell kamen die Umzugscontainer
an – bei 40 Grad minus. Es hat eine Woche gedauert, bis alles aufgetaut war
und das Haus tatsächlich warm wurde, wenn wir es heizten”, erinnert sich
Rolf.
Dass man sich am Anfang zu lange an Details aufhielt, sehen heute beide
kritisch. Nach Ingrids Meinung hatten sie auch viel zu spät damit begonnen,
sich um zahlende Gäste für ihre Ranch und die geplanten Touren zu kümmern,
denn davon wollten sie leben: „Statt gleich die Werbetrommel zu rühren,
wollten wir erst alles ordentlich fertigstellen – typisch deutsch eben. Auf
diese Weise haben wir im ersten Jahr viel Zeit verbummelt”.
Die Abendsonne lässt das Rot und Gold der Bäume lodern, bevor sie hinter dem
Mount Haeckel verschwindet. Wenig später verblüfft alle Neuankömmlinge der
sternenübersäte Nachthimmel über dem Takhini-Tal. In Ermangelung urbaner
Kunstlicht-Attacken sind viele noch so ferne Himmelskörper sichtbar.
Nein, Angst hätten sie nicht gehabt, als sie in Deutschland die Zelte
abbrachen, um hier, in der Wildnis Nordwestkanadas noch einmal bei Null
anzufangen, sagt Ingrid. „Dazu war unsere Begeisterung für das Land viel zu
groß – genauso wie der Drang, die Herausforderung anzunehmen, einfach zu
tun, was wir wirklich wollten. Mit Leidenschaft und allen Konsequenzen”.
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Auf Achse gewesen war man ja schon immer gern. Hatte Neugierde und
Unternehmungslust beim Reisen befriedigt. Jährlich zwei Auszeiten vom
Berufsleben hatten sich die Schmitts seit langem gegönnt: im Sommer nach
Skandinavien, im Winter zum Skifahren nach Österreich. „Das hätte noch ewig
so weiter gehen können. Doch als wir 1992 zum ersten Mal in Kanada Urlaub
machten, änderte sich alles”, erzählt Ingrid.
„Wir waren mit Auto, Paddelboot und Zelt unterwegs, sechs Wochen lang. Fünf
davon regnete es. Trotzdem genossen wir es einfach, draußen zu sein, ließen
uns faszinieren von der Weite, der Wildnis, dem einzigartigen Licht. Und je
weiter nördlich wir kamen, umso besser gefielen uns die Gletscherberge,
Wälder, Flüsse und Seen, die unberührte Flora und Fauna, die offenen
Menschen”, schildert die 54-Jährige, wie sie zu ihrer neuen Heimat fand.
„Hier im Yukon redet jeder mit jedem, hilft, wenn Hilfe gebraucht wird.
Keiner grenzt sein Grundstück mit Zäunen und Mauern ab. Die Natur hat
überall das Sagen, und wenn die Menschen überleben wollen, müssen sie sich
manchmal auch gegen sie verbünden”.
Der aktive Kontakt zu den Einheimischen, den die zwei Rheinland-Pfälzer mit
ihrer aufgeschlossenen, herzlichen Art von Anfang suchten und pflegten,
kommt ihnen bis heute zu Gute. „Wir haben tolle Freunde gefunden. Dass jeder
andere Wurzeln hat, ist völlig egal. Wir sind ja hier im Yukon!”
Dass ausgerechnet für ihre Lieblingsregion beim allerersten Kanada-Trip kaum
Zeit übrig blieb, war für das Paar nur ein Grund mehr, wieder zu kommen.
Bald fand die zweite Reise statt, bei der dritten kauften sie sich bereits
das erste eigene Häuschen – eine kleine Blockhütte am Fox Lake mit einem für
kanadische Verhältnisse winzigen Grundstück von 2.000 Quadratmeter. „Es war
als Urlaubsdomizil gedacht, als Fixpunkt für künftige Reisen”, sagt Ingrid.
Die Maklerin, die ihnen das Objekt vermittelt hatte, wurde ihre Freundin.
„Einmal nahm sie mich mit und zeigte mir ein traumhaftes Anwesen in der Nähe
von Whitehorse, wunderschön gelegen und gar nicht mal so teuer. Als ich Rolf
davon berichtete, war ich schon sicher, dass ich es wollte – und zwar nicht
als Ferienhaus, sondern richtig zum Leben. Für immer. Zum Glück dachte er
genauso. Wir schliefen eine einzige Nacht darüber und kauften es”. Ingrids
blaue Augen leuchten. Im Tal, auf der anderen Seite des Flusses, bellen die
Schlittenhunde des Nachbarn.
Am Morgen ist es ziemlich frisch. Einige der bunten Laubblätter am Boden
sind gefroren. „Herbst und Frühling gehen schnell vorbei im Yukon. Die
Winter sind lang und hart”, sagt Rolf auf dem Weg zur Koppel. Die Pferde
kommen damit zurecht: „Es sind echte Yukonpferde, hart im Nehmen – was Wind
und Wetter und vor allem Kälte betrifft”. Besonders stolz ist er, dass alle
Tiere von den „Goldrausch-Pferden” abstammen, die einst über Seattle ins
Land von Yukon und Klondike gebracht wurden, um die Schatzsucher zu den lang
ersehnten Schürfstellen zu tragen.
Für die heutigen Reiter ist der Weg das Ziel. Rolf weist sie ein, gibt den
Neulingen unter ihnen einen Crash-Kurs, stellt die Tiere vor und teilt sie
den Tour-Teilnehmern zu. Dann geht es ab durch die Mitte, über Waldwege und
Wiesen, hügelauf, hügelab. Großes Kino hoch zu Ross – mit atemberaubenden
Totalen und fesselnden Nahaufnahmen. Große wilde Tiere säumen bei diesem
ersten Ausflug nicht den Weg. Aber Rolf kann seinen Gästen versichern: „Ihr
werdet viel zu sehen kriegen in den nächsten Tagen!”
Die freudige Aufregung lässt uns die Kälte fast
vergessen, doch erinnert sie uns daran, dass hier im Yukon Mutter Natur alle
Fäden in der Hand hält. Mit strengem Reglement, aber auch einem
unerschöpflichen Fundus an Lebensqualität bestimmt sie den Alltag und die
Freizeit der Menschen. Ingrid und Rolf ging es gut in Deutschland. Aber hier
geht es ihnen besser.
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