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Bergab aus Gatún Lock in den Bahia Limon, ein dreifaches Staircase. Eine Schleuse vor der ZUIDERDAM die vollgeladene HANJIN KINGSTON aus China. |
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Wolfgang Michael Schmidt (Texte) und Susanne Pilgram (Fotos) Rund um die Karibik und durch den Panamakanal |
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Hallo? Was ist denn los, gar nichts? Und das ist Fort Lauderdale? Floridas größter Kreuzfahrthafen, wo an einem normalen Großkampftag rund 20.000 verrückte Urlauber neun Kreuzfahrer bespringen? Aber nicht heute. Heute ist Montagmittag, und am Flughafen warten zwei, drei Paare auf den Courtesy-Bus zum Schiff. Von hier kann man den Hafen ganz gut überblicken. Gerade mal drei Schornsteine sind zu sehen, also höchstens zwei dicke Liner, dabei gibt es in Lauderdale fünfmal so viele Terminals. Aber dann wird der Bus doch noch rappelvoll, schwarze Kundschaft in erdrückender Überzahl. Total hip sind sie drauf, die Damen und Herren, lachen kreischend, knipsen oder filmen wie wild mit den neuesten Phones oder Pads, natürlich alles von Apple. Im Hafen liegen dann tatsächlich nur zwei Schiffe, eines schwarz, das andere weiß. Die aufgedrehten schwarzen Mädels, meist in lautestes Spandex gezwängt, und ihre obercoolen Jungs steigen beim ersten Busstopp aus – es ist die weiße LIBERTY OF THE SEAS, ein Schornstein, das Ziel Jamaika. „Das muss die Hölle sein”, sagt der Sitznachbar leise zu seiner Frau, und dreht die Augen zum Himmel. Die ZUIDERDAM, ein Terminal weiter, ist deutlich leiser. Die Reise wird über die schicken Inselchen Aruba und Curacao in den Panamakanal gehen, außerdem nach Kolumbien und Costa Rica. Reichlich genug Nervenkitzel für 1.800 Passagiere, die dabei sein wollen, aber falls es für jemanden etwas mehr sein darf, ist da noch die Privatinsel Half Moon Cay als Zugabe. Der klassische Dampfer der Holland America Line schiebt seine beiden Schornsteine senkrecht in den Himmel. Darunter zehn Decks, und unter denen noch drei Arbeitsdecks. Der Bauch schwarz, der stolze britische Kapitän Christopher Turner wird später milde korrigieren, dieses Schwarz sei eigentlich Blau. Wie auch immer: es ist oft übermalt und wirkt wie ein Fleckenteppich, und zumindest aus der Nähe ist da auch noch reichlich Rost knapp an der Wasserlinie. Denn neu ist das Schiff nicht mehr, und modern nach heutigem Maßstab auch nicht. An Bord so um 30 Deutsche, 60 Chinesen, je ein oder zwei Handvoll Polen, Finnen, Inder und Russen, sowie 1.600 Amerikaner jeder möglichen Bauart. Ach ja, und ein Grüppchen Holländer, die auf der ZUIDERDAM gern so was wie Hausherren geben. Dabei ist HAL seit 1988 US-amerikanisch, allerdings sind die Schiffe nach alter Tradition in Rotterdam registriert und fühlen sich immer noch holländisch an. Als die ZUIDERDAM 2002 in Dienst gestellt wurde, war sie das erste Schiff der Vista-Class, die eigentlich Panamax heißt. Ein erfolgreiches Baumuster, geliefert von der italienischen Fincantieri-Werft: HAL hat heute fünf Vista-Schiffe aus den Baujahren 2002 bis 2006, außerdem fahren Vistas als ARCADIA bei P&O und bei Cunard als QUEEN ELIZABETH und QUEEN VICTORIA, beide leicht modifiziert. Alle haben im Heck zwei ABB-Azipods, sind damit fast völlig vibrationsfrei und wendig wie Nachbars Katze. Und noch etwas: das berühmte Deck 3. Ein Promenadendeck erster Klasse, ein echter offener Rundkurs, wie ihn fast alle großen Liner der Geschichte hatten. Belegt mit Teak, und auf den zahllosen Deckstühlen rundum, logisch auch Teak massiv, kann man bestens abliegen und den Tag verdösen. Oder lange Spaziergänge machen, drei Runden sind eine Meile, also 1,6 Kilometer. Darüber und drunter die Passagierkabinen, ab Deck vier aufwärts. Es gibt Innenkabinen mit Wandblick und Meerblickkabinen mit Blick auf die Rettungsboote. Am meisten jedoch gibt’s Balkonkabinen und Suiten. Stolz wirbt HAL mit 85 Prozent Meerblick. Darin enthalten jene 67 Prozent mit privaten Balkonen. Trotzdem gilt auch hier, was für jede Cruiseline gilt: die Kabine aus dem Prospekt gibt es nur im Prospekt. Keine lebende Kabine ist so geräumig wie jene auf dem Foto, die Eignersuite mal ausgenommen. Und keine ist so neu, so schön, so sauber. Das kann sie auch gar nicht sein, denn vorgesehen ist ja, dass jede Kabine 365 Tage im Jahr bewohnt sein soll. Da bleibt alles Mögliche auf der Strecke – zuerst mal Lampen, Sofas, Tischchen, Sesselchen. Und nach ein paar Jahren Dauergebrauch sollten solche Verschleißteile ausgetauscht werden, was aber nur selten passiert. In manchen Kabinen stehen Kleinmöbel, die der Sperrmüll nicht mehr mitnehmen würde, so fertig sind sie. Der Unterschied zwischen Schein und Wirklichkeit ist mitunter so groß, dass selbst HAL-Kunden schon mal säuerlich reagieren. Doch HAL-Gäste gelten als die loyalsten Kreuzfahrer überhaupt. Nicht nur das: sie gelten auch als besonders geduldig, belastbar und leidensfähig. Wenn an Bord Fahrstühle nicht fahren: spielt keine Rolle, es gibt ja genug andere. Wenn das Bordprogramm so mager ist wie man selbst gern wäre: kein Thema. Wenn beim Frühstück im Lido-Restaurant die Schlangen wieder mal kein Ende nehmen: war alles schon viel schlimmer. Dafür gibt’s reichlich Happy Hours an den Bars, und endlich ist Alkohol mal – relativ – billig. Die Martinitrinker bringen Höchstleistung, und das nächste Glas steht schon auf der Bar, auch wenn das letzte noch nicht leer ist. Macht nix, all things must go. Und dann die Fragestunde mit dem Kapitän, der jede noch so seltsame Frage mit Engelsgeduld beantwortet. Zum Beispiel diese: „Führen die Mittschiffs-Treppen nach oben oder nach unten?” Da zeigen sich sogar auf der Stirn des abgebrühten Briten Turner leichte Schweißperlen, als er sich mit aller Kraft das Lachen verkneift. Ansonsten ist dieser Mann der aufs äußerste respektierte Chef seiner 800-köpfigen Crew. Ein Seefahrer der alten Schule, dem die Sicherheit seines Schiffes, der Passagiere und seiner Truppe über alles geht. Und er scheut sich nicht, selbst zuzupacken. Als die ZUIDERDAM ein paar Tage später in Puerto Limon liegt, fehlt ihm beim Inspektionsrundgang am Heck eine Leine, ein zusätzlicher Festmacher. Turner löst das Problem unbürokratisch – er lässt sich vom Achterdeck eine Zugleine zuwerfen. Damit zieht er im Alleingang die armdicke Festmacherleine durchs Wasser und wickelt sie um den Poller. Griechische Kapitäne in ihren blütenweißen Uniformen würden bei soviel Engagement entsetzt die Hände überm Kopf zusammenschlagen und vorsichtshalber ohnmächtig werden. In den öffentlichen Bereichen ist die ZUIDERDAM in erstaunlich elegantem Zustand. Ein altes Arbeitspferd so auf Vordermann zu bringen und zu halten, bedeutet unendlich viel Arbeit einer motivierten Crew. Folglich polieren Techniker am frühen Morgen Messing und Glas, wohlgemerkt: jeden Morgen. Die Reinigungstruppe hält die Toiletten eisern im Griff, genau wissend, dass ein Großteil ihrer männlichen Gäste im Tröpfelalter ist. Gläser, Besteck, Servietten, Bettwäsche, Uniformen, Sitzmöbel: alles wirkt wie neu oder mindestens frisch gereinigt. Aber dann geht es los in Fort Lauderdale. Eine Stunde vor Abfahrt ruft der Kapitän zum Rettungsdrill – eine Pflichtveranstaltung, zu der jeder Passagier antreten muss. Wer nicht kommt, wird unausweichlich vom Schiff zurück an Land eskortiert, das Gepäck geht gleich mit. Diese Veranstaltung ist zwar beruhigend, andererseits fragen sich sehende Passagiere lieber gar nicht erst, wie eine Evakuierung wohl im Ernstfall ablaufen würde. Dann, eine Stunde später, ist das Schiff raus aus Lauderdale und schneidet sich mit 18 Knoten pro Stunde butterweich zum ersten Programmpunkt, der Privatinsel Half Moon Cay. Doch bevor die ZUIDERDAM dort am nächsten Morgen Anker setzt, steht den Passagieren im Vista-Diningroom noch eine Begegnung der dritten Art bevor. Hier, im Hauptrestaurant, geht eine besondere Service-Brigade zur Sache. Sie ist mit dem obersten amerikanischen Gütesiegel für Hotels ausgezeichnet, dem Five Star Diamond Award of Excellence. Die ausgesuchte Höflichkeit des Stewards, ausschließlich Indonesier und Philippinen, wird nur noch von der präzisen Effizienz und ehrlichen Freundlichkeit überboten. Selbst abgebrühten Kreuzfahrtveteranen verschlägt es die Sprache, dass dieses Personal bereits am ersten Abend alle Namen ihrer Gäste kennt und sie bis zum Ende der Tour nicht vergisst. Im Vista-Restaurant kann man dabei unterschiedlich zur Tat schreiten: Entweder am fixen Tisch, der die ganze Reise über für eine der beiden Sitzungen gebucht ist. Oder, ganz neu, freihändig und ohne Reservierung ‒ Abenteuer, Abenteuer. Denn das bedeutet nichts anderes, dass man nach Laune erscheint und Abend für Abend an anderen Tischen sitzt. Diese Neuerung ist spannend und klappt bei HAL erstaunlich gut. Was die Küche dann auf die Teller bringt, ist nicht direkt spektakulär, aber gekonnt. Spektakulär ist eher, dass die Kochbrigade ihre hohe Qualität scheinbar mühelos durchhält ‒ bei 1.800 Dinnergästen allabendlich. Die Karte ist nicht groß, doch die täglich wechselnde Auswahl zwischen sechs Vorspeisen und ebenso vielen Hauptgängen ‒ Fleisch, Fisch, Vegetarisch – ist vollkommen ausreichend. Und grenzenlos: wer will, kann alle sechs Vorspeisen bestellen, und danach auch noch sechs Hauptgänge. Ob er danach noch mit den Desserts fertig wird, ist eine andere Frage. Teuer wird’s dann wieder beim Wein. Wie alle anderen Kreuzfahrer dreht auch HAL schmerzlich an der Preisschraube für Getränke. Wein unter 30 Dollar ist selten wie die Perle in der Auster und schmeckt so ähnlich. Die Sommeliers empfehlen lieber gleich etwas teurer, womit sie dem Gast zwar tief in die Tasche greifen, andererseits aber einen Gefallen tun: die Basisweine sind einfach entsetzlich. Andererseits wird niemand zu Wein gezwungen. Kein Problem, bei Eiswasser ‒ kostenlos und nach amerikanischer Sitte gang und gäbe ‒ sitzen zu bleiben. Am Morgen nach der ersten Dinner-Experience steht plötzlich alles still. Das Schiff liegt in einer Bucht, das Wasser eisblau, drüben, ein paar hundert Meter entfernt, weißer Strand, Palmen, das Wrack eines Piratenschiffs. „Ladies and Gentlemen”, sagt der Kapitän über Bordfunk, „willkommen auf Half Moon Cay. Die Tenderboote fahren, wir wünschen einen wunderschönen Tag”. Und der wird es. Die kleine Insel ist ein Traum, keine Autos, dafür Pferde, die darauf warten, mit unerschrockenen Landgängern durch |
die Dünung zu galoppieren. Die meisten aber legen sich in den Sand, gehen ins Wasser und freuen sich wie Kinder, weil sie nach 200 Metern noch immer ihre Füße sehen. Holland America freut sich auch, was zwar ein anderes Thema ist, aber trotzdem. Denn auf der eigenen Insel fallen natürlich keine Hafengebühren an, und das bedeutet einen ordentlichen Haufen Erspartes. Als die ZUIDERDAM am Nachmittag Fahrt Richtung Aruba aufnimmt, sind sich jedenfalls alle einig: Half Moon Cay verdient hohes Lob. Ein Seetag folgt, das Schiff schlängelt sich zwischen Kuba und Haiti durch den Greater Antilles Ridge, wo das Wasser schnell zwischen ziemlich sehr und ziemlich wenig tief schwanken kann. Guantanamo liegt am Horizont, dann aber kommt Haiti zum rüber schwimmen. Fischer sind in Segelbooten unterwegs und winken der ZUIDERDAM freundlich zu. Nachmittags schlägt die Stunde die Verkäufer in den Bordshops. Ihre einzige Aufgabe: vor allem den etwas gelangweilten Passagieren so viel Geld wie möglich abzunehmen. Das ist hier nicht anders als auf anderen Schiffen: Die Shops sind rasant teuer und locken mit Plunder, den kein Mensch wirklich braucht oder will, aber trotzdem kaufen soll. Richtig übel auch die Schnapsnummer, die sich längst überall ausgebreitet hat. Wer zollfrei im Bordshop Stoff kauft, darf zwar dafür zahlen, kriegt ihn aber erst bei Ausschiffung an der Endstation. Getrunken werden, das wollen die Cruiselines, soll an den Bars, wo die Preise längst exorbitant sind. Am nächsten Mittag schiebt sich der Dampfer dann in den kleinen Hafen von Aruba, ein Kollege ist schon da. Aruba liegt auf der Traumskala jeden Amerikaners weit oben. Die Europäer sind dagegen nur begrenzt begeistert, immerhin aber hat das kleine Paradies in den letzten Jahren eine nagelneue Straßenbahnlinie durch die Hauptstraße von Oranjestad gelegt, auf der im Stundentakt eine schicke, pseudohistorische Bahn kriecht, Höchstgeschwindigkeit: um drei Meilen pro Stunde. Eine Ecke weiter, im Yachthafen, filetieren Fischer ihre frisch gefangenen Barracudas. Das war’s auch schon, und am Abend legt die ZUIDERDAM leichten Ostkurs an. Es geht nach Curacao. Diese Insel, ebenfalls niederländisch, hat einen deutlich höheren Begeisterungsfaktor als Aruba. Willemstad macht mit der legendären Königin Emma-Pontonbrücke von 1888 schwer Furore. Die Brücke klappt komplett seitlich weg, wenn ein Schiff in den weitläufigen Industriehafen fahren will. Wer dann gerade darauf unterwegs ist, wird einfach mit weggeklappt. Auf der anderen Seite der Stadt liegt der schwimmende Obst- und Fischmarkt, und ein paar Meter weiter das ungewöhnlichste Restaurant, das man auf dieser Reise erleben wird: eine Halle, groß wie ein halbes Fußballfeld, auf der linken Seite kochen in wild dampfenden Feldküchen hochkonzentrierte Köche um ihr Leben. Was auf die Teller kommt, sieht im ersten Moment undefinierbar aus: Karibik pur. Frucht, Fleisch, Fisch und, wenn gewünscht, höllische Schärfe. Alles frisch vom Feuer, alles oberlecker. Einkaufen in Curacao ist doppelt so teuer wie in USA, stöhnen die amerikanischen Gäste enttäuscht, und haben damit beinahe recht. Der Grund: auf der Insel sitzt reichlich Geld in Form von Ölindustrie. Shell arbeitet hier seit 90 Jahren und beliefert die ganze Karibik. Samstag ist wieder Seetag, es geht von Curacao nach Cartagena, Kolumbien, ein anständiger Riemen, den man besser nicht selbst rudern sollte. In der gediegenen Atmosphäre im ‚Crows Nest’ oder im ‚Explorer Cafe’ beim 1500-Teile-Puzzle ist das Leben relaxter. Es zeigt sich dann schnell, dass man in Cartagena durchaus jedes Fitzelchen Kraft brauchen kann. Die Altstadt ist eine 20-Dollar-Taxifahrt vom Schiff entfernt, in den engen Gassen drücken 38 Grad und 100 Prozent Luftfeuchtigkeit auf manchen maroden Kreislauf. Die Shops sind samt und sonders geschlossen, das Büro der Immigration ebenfalls: Sonntags, winken die Kolumbianer gelangweilt ab, wird nicht eingewandert. Dabei will ja niemand wirklich einwandern, es sind nur die Sammler, die einen Stempel für den Pass wollen. In diesem Hafen Fehlanzeige. Dafür sind die Kirchen offen und voll, Kolumbien ist so katholisch wie Vatikanstadt, mindestens. Vielen wackeligen Kreuzfahrern ist das bald egal, sie wollen zurück auf den klimatisierten Dampfer, und sind froh, wenn sie für den Rückweg nochmal ein Taxi finden, das für 20 Dollar fährt. Und dann ist es endlich so weit. Der Panamakanal. Nach einer Nacht, in der viele vor Aufregung kaum schlafen können, fährt das Schiff Montag früh gegen Sechs in den Bahia Limón ein. Dieser Sund endet nach fast neun trichterförmigen Kilometern und weiteren drei Kilometern durch den Trichterhals schließlich an der ersten Schleuse. „Mal schnell steuerbord schauen”, ruft Kapitän Turner, „da sieht man einen kleinen Abzweig”. Tatsächlich, da geht ein Stich ab und verschwindet im Wald, wenige Meter breit. Ein Relikt von 1881, als Frankreich versuchte, nach dem Muster des Suezkanals einen Kanal ohne Schleusen zu bauen. Nach wenigen hundert Metern und tausenden Toten ‒ Arbeitern, die von Malariamücken buchstäblich aufgefressen wurden ‒, war der Spaß 1889 vorbei, die Franzosen pleite und krachend gescheitert. Wie in Ultrazeitlupe fährt die ZUIDERDAM in die erste der drei Schleusen von Gatún. 2014 ist der Kanal hundert Jahre geworden, eine Demonstration der besonderen Art. Die Schleusentore sind noch immer die Originale, ebenso die Pumptechnik und die atemberaubend eleganten Zahnradbahnen auf beiden Schleusenseiten. Die Becken selbst sind zwar rund 300 Meter lang, aber sie sind schmal. Links und rechts haben die größten zugelassenen Schiffe jeweils nur rund 60 Zentimeter Platz. Hier kommen die Mulis ins Spiel, schwere, silbrige Zahnrad-Lokomotiven. Die Schiffe werden bei der Einfahrt in die Schleuse mit Stahlseilen beidseitig an die Muli-Loks gehängt, die in einem ausgeklügelten System dafür sorgen sollen, dass stets eine Handbreit Luft zwischen Schiff und Schleusenwand ist. „Glauben Sie aber besser nicht, dass das immer funktioniert”, ätzt Kapitän Turner in kleiner Runde. „Die Lokfahrer müssen immer mal schnell telefonieren oder in die Zeitung schauen, dann schrammt man rasch und kräftig an der Wand entlang”. Was sich in gewaltigen Staubwolken manifestiert. Der Käpt’n eines chinesischen Containerfrachters in der Schleusenkammer vor der ZUIDERDAM jedenfalls tobt über Lautsprecher wie Rumpelstilzchen, als sein Schiff zum zweiten Mal an die Wand kracht. Vielleicht auch wegen solcher Einlagen sind Mulis und Schleusen der absolute Höhepunkt der Reise. Panama, der Kanal, die Gleitfahrt über den Gatúnsee, und am Nachmittag die Ausfahrt durch die Schleusen – es gibt niemanden, der von diesem Tag nicht beeindruckt wäre. Erst recht, als Kapitän Turner die Zahl nennt, die HAL für die Fahrt in den Kanal überweisen muss: 360.000 Dollar. Am nächsten Morgen läuft das Schiff in den Hafen von Puerto Limon, Costa Rica. Was für ein Gegensatz: Hier ist eines der reichsten Länder Mittelamerikas, das erst als Kaffeeproduzent und derzeit als Grüne Nation weltweit Furore macht, aber die Stadt ist in beklagenswertem Zustand. Gebäude verfallen, die Infrastruktur liegt Jahrzehnte zurück. Ist aber alles egal, sagt der Taxifahrer, wir lieben unser Land, wie es ist. Dann aber geht es in den Regenwald, gebuchte Tour mit atemberaubender Seilbahnfahrt durch majestätische, weitgehend unberührte Natur, über Schluchten, Berggipfel, kein Wunder, dass Costa Rica als Mittelamerikas Schweiz gilt. Gelegentlich gehen den Abenteurern allerdings die gnadenlos angreifenden Mücken heftig auf die Nerven. Zwei Seetage noch, an denen der Zeremonienmeister das Ruder übernimmt. Am ersten Abend ist ein „Formales Dinner” fällig, Smoking, Abendkleid, mindestens aber festliche Bluse, schwarzer Anzug, Hemd, Krawatte. Alle bocken sich bemüht auf, am Ende aber fällt, wie üblich, ‚formal’ höchstens lauwarm aus. Am nächsten Tag empfängt Kapitän Turner seine „Mariners”, also jene wichtigen Wiederholungstäter, die schon reichlich Cruisetage auf dem Buckel haben und trotz allem immer wiederkommen. Doch gerade solche Gäste wollen gepudert werden, und beim „Mariner’s Lunch” steht die ganze Offiziersriege zum Händeschütteln bereit. „Wer fährt denn jetzt das Schiff?”, fragt einer den Kapitän, und der antwortet so ernst wie möglich, dass im Moment erstmals ein junger Nachwuchsmann auf der Brücke das Kommando habe. Und dann erzählt Turner wieder jenen schönsten aller Kreuzfahrerwitze, in dessen Pointe die junge Erstreisende dem Kapitän berichtet, sie habe in der vergangenen Nacht das Schiff vor dem Untergang bewahrt und 2.800 Menschen das Leben gerettet – und zwar zweimal. Tosendes Gelächter, der Schampus fließt, die Stimmung steigt. War schön, darüber sind sich alle einig. Am Nachmittag geht man zum Packen in die Kabine, am Abend ist die Stimmung eigenartig, ein wenig gedrückt. Elf Tage sind rum, alle randvoll mit Eindrücken und Bildern, die niemand so schnell vergessen wird. Die ZUIDERDAM stapft jetzt mit 22 Knoten auf strammem Kurs nach Fort Lauderdale, die Karibik zeigt, was sie außer schönem Wetter noch so drauf hat, zum Beispiel knackige High Seas und fies steife Winde Stärke acht. Die Decks sind geschlossen, auch der Rundkurs auf Deck drei. Freitagmorgen, kurz nach sieben, legt die ZUIDERDAM mit 12 Minuten Verspätung in Fort Lauderdale an. 3.296 Seemeilen stehen auf der Uhr, es ist frisch draußen in Florida. Man winkt sich knapp zu, bis bald, beim nächsten Mal. Der Hafen wirkt noch stiller als vor elf Tagen ‒ heute liegen nur zwei Schornsteine im Hafen, beide gehören der ZUIDERDAM, beide ragen senkrecht in den blauen Himmel. In neun Stunden wird das Schiff wieder auslaufen, an Bord 1.800 neue, aufgeregte Passagiere, die dem Abenteuer Panamakanal entgegenfiebern und auf dem Weg dahin viele wundervolle Momente erleben werden. Gute Reise! http://de.hollandamerica.com
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ZUIDERDAM am Kai von Fort Lauderdale. Per Shuttlebus kommen die Gäste. |
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Vor die Kreuzfahrt haben die Holland-Amerikaner den Rettungsdrill gestellt. Mitmachen muss jeder. Wer die Übung ablehnt, wird freundlich, aber sehr bestimmt von Bord geleitet. |
Die erste Nacht auf See ist Geschichte, das Schiff hat vor Half Moon Cay Anker gesetzt. Per Tender geht es an Land.
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Skepsis überwiegt: Wie wird das wohl sein auf einer Privatinsel, und was ist das überhaupt? Ganz einfach. Es ist strikt Privat, und es ist wunderschön. |
Füße hoch. Der Sand ist unglaublich. Wenn’s denn sein müsste, könnte die ZUIDERDAM auch allein weiterfahren. |
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Glasklares, eisblaues Wasser. 200 Meter vom Strand sieht man immer noch den Grund. Und ist schon nahe beim Dampfer. |
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Deck 9, das Lido Restaurant, wie die meisten öffentlichen Bereiche erst kürzlich aufwändig renoviert. Bei Frühstück und Lunch durchaus gern gedrängte Enge. |
Das Front Office, früher Purser. Wenn die Fragen und Wünsche nicht zu schwierig sind, helfen die jungen Damen gern weiter. |
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Neben dem beliebten Crows Nest das Explorer Cafe. Bibliothek, Internet, Spiele, besonders beliebt die 1500er-Puzzles, und guter Kaffee zum Freundschaftspreis. |
Frischeküche auch zum Lunch und Dinner im Selfservice-Restaurant Lido. Und neben ordentlichen Essen genießt man hier oben auch den grandiosen Ausblick. |
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Die ZUIDERDAM fährt nahe an Haiti vorbei. Fischer winken, und wer genau hinschaut, sieht Fliegende Fische. Die sind viel kleiner als gedacht, und viel schneller sind sie auch. |
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Arubas nagelneue Streetcar – eine Attraktion erster Güte. Die Bahn fährt Schritttempo, aber weder Auf- oder Abspringen während der Fahrt ist erlaubt. Blumenpflücken auch nicht. |
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Auch die neue Brücke über den Ölhafen von Curacao heißt nach einer Königin: Queen Juliana. Touristen sind okay, aber das Öl aus Venezuela, das hier für die ganze Karibik raffiniert wird, bringt richtiges Geld. |
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Bunt ist die Farbe des Lebens, jedenfalls auf Curacao. Bunt sind die Schilder, bunt die Häuser. Und die T-Shirts – einfach alles. |
Große Schiffe machen nur noch am neuen Kreuzfahrer-Hafen fest. Die alte Hafeneinfahrt war für die modernen Liner einfach zu eng geworden. |
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Kochen und Essen gehören zusammen. Aus der alten Markthalle ist längst ein einmaliges „Restaurant” geworden. Was auf den Teller kommt, sieht im ersten Moment etwas suspekt aus, ist aber einmalig karibisch und lecker. |
Wer Experimente fürchtet, sitzt besser im Cafe an der Queen Emma Bridge. Flaschenbier aus Holland, und auch sonst ist alles so, wie man’s gewohnt ist. |
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Die berühmte Queen Emma Bridge in Willemstad, eine Swing-Ponton-Konstruktion von 1888. Will ein Schiff in den Hafen, fährt die ganze Brücke nach links zur Seite. |
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Einfahrt in die erste Schleuse des Gatún-Staircase, einer Drei-Kammern-Kombi. Auf dem Vordeck der ZUIDERDAM geht es so aufgeregt zu wie beim Kindergeburtstag. |
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Ultramoderne, extrem wendige Bugsiere schieben den schweren Tanker auf die richtige Position zur Einfahrt in die Schleuse. Einmal drin, bleiben links und rechts jeweils rund 30 Zentimeter Platz – gerade genug für ein Blatt Papier. |
Zahnrad-Lokomotiven, Mulis genannt, halten mit gegenläufigen Stahlseilen die Schiffe von den Kammerwänden ab. Das Treppenhaus fahren die silbernen Kerlchen vollkommen lässig rauf und runter. |
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Auch die Kollegen aus der Segelabteilung werden von Mulis gehalten. Und von Bugsierern durch die Schleusenkammern gezogen. |
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