Eine Meile nach Beginn der Reise hätte man den Kurs
noch ändern können. Westwärts wäre man nach gut einem Tag am Ziel gewesen,
ostwärts dauerte die Reise neun Tage. Sergey, der Erfahrene, führte das
Schiff, Vladimir, der Beredsame, wusste den Reisenden von den Zielen zu
rühmen, Gabriele, die Sorgende, kümmerte sich um das Wohl von Leib und
Seele.
Das meiste Land, das die Reisenden entdeckten,
hatte irgendwann mal der Nachbar im nahen Norden besessen. Seine Flagge
sahen sie häufig, ein liegendes weißes Kreuz auf einem roten Tuch. Die
Nachbarn im Osten hatten die Farben abgewandelt, das Tuch wurde blau, das
Kreuz gelb. Die Nachbarn im fernen Norden hatten das rote Tuch mit weißem
Kreuz übernommen und ein blaues Kreuz auf das weiße gelegt.
Am 6. Oktober 2014 um 16.30 Uhr legte die MS ASTOR
von TransOcean in Kiel am Norwegenkai ab, just da, wo die Fähren der Color
Line täglich nach Oslo fahren und aus Oslo ankommen. Die MS ASTOR begann
ihre Reise – mit vielen Mitgliedern vom Club Columbus – zu den „Schönheiten
des Nordens”. Sie führte über Flensburg nach Rønne auf Bornholm, über
Kopenhagen und Göteborg nach Oslo und Stavanger und endete für viele am 15.
Oktober in Bremerhaven, für viele andere erst am nächsten Morgen nach einem
rauschenden Fest an Bord.
Unbekannte Geschichte des Nordens
Die skandinavischen Nationalflaggen sind immer
gleich aufgebaut und leiten sich von der dänischen ab, erläuterte an Bord
Lektor Vladimir Kavajin in einem seiner Vorträge über Länder, Ziele und
Geschichte. Die ist so reich an Farben wie die Flaggen. Der deutsche Nachbar
im Süden bewundert heute Vieles, was die benachbarten skandinavischen
Staaten erreicht haben, wie etwa soziale Sicherheit oder die Schönheit
gepflegten Landes. Die bewegteren Abschnitte im historischen Miteinander der
Staaten sind weniger bekannt.
Dänemark war ein unruhiger Nachbar, der Göteborg
auf der anderen Seite des Kattegatts gleich zweimal eroberte (1563 und 1612)
und nur gegen hohe Ablösesummen den Schweden zurückgab. Norwegen gehörte
viele hundert Jahre den Dänen, die es 1814 an Schweden abtreten mussten.
Kiel und Holstein wurden 1806 für neun Jahre Teil von Dänemark. Norwegen
erklärte sich erst 1905 von Schweden unabhängig und holte sich einen
dänischen Prinzen als König ins Land, das bis vor etwa dreißig Jahren als
arm galt.
Doch staunend erfuhr man von Vladimir, dass bis heute der
norwegische Staat dank Öl und Erdgas für jeden seiner Bürger rund 500.000
norwegische Kronen in einem Fond angelegt hat und jetzt zu den
reichsten Ländern der Welt zählt. Was der Besucher unter anderem an den
Preisen merkte, die in Oslo und Stavanger zu zahlen waren.
Letzte Reise der „Clubbis” für dieses Jahr
Der Club Columbus ist mit seinen rund 4.000
Mitgliedern der Club der Freunde von TransOcean. Jeder, der einmal auf einem
TransOcean Schiff auf Salzwasser oder Flüssen gereist ist, kann für 40 €
Jahresbeitrag Mitglied werden und Vorteile genießen, die wachsen, je
häufiger man mitfährt. Die Mitglieder, die sich gern als „Clubbis”
bezeichnen, treffen sich auch in regionalen Veranstaltungen. Ihre
Schirmherrin ist die charmante Marléne Charelle. Mehrmals im Jahr macht die
MS ASTOR für die Clubbis eine Reise. 2014 ging’s, zum Ende der deutschen
Saison, von Kiel nach Bremerhaven, außen herum.
Wie dänisch ist Flensburg?
Kreuzfahrer lieben Förden, wenn sie tief genug ins
Land führen. Solche Buchten bedeuten kurze Wege an Land. Elisabeth Kreps,
die Reiseleiterin, wusste sie in Flensburg noch weiter zu verkürzen, indem
sie mit dem Tenderboot direkt die Busse ansteuern ließ, die auf die
Ausflügler warteten. Der Fahrplan sah für den ersten Stopp ganze fünfeinhalb
Stunden für Flensburg vor, die geführten Ausflüge sollten drei und vier
Stunden dauern, nach Glücksburg mit dem Bus und zu Fuß durch die Stadt, über
die ausdauernd Regen fiel.
Wer auf eigene Faust sein Glück in Deutschlands
nördlichster Stadt im Regenmantel und mit Schirm suchte, fand viel Dänisches
in Baustil und Angeboten und freundliche Auskunftsgeber. Der Sommer in
diesem Jahr sei ungewöhnlich heiß gewesen, weit und breit waren alle
Quartiere bis ins nahe Dänemark ausgebucht. Ja man lebe hier auch außerhalb
der Saison ganz gut mit dem Währungsgefälle. Dänemark gehört, wie Schweden,
zur EU, hat aber noch seine eigene Währung.
Flensburg war einst berühmt für seine Importe
westindischen Rums, von denen in der Innenstadt nichts mehr zu spüren ist.
Flensburger Bier hat dem Rum den Ruhm abgelaufen. Geblieben sind
Handelshäuser mit ihren Höfen und Speichern, die gebührend zu genießen man
mehr Zeit gebraucht hätte. An der Norderstraße ein beachtliches steinernes
Haus, das „Flensborghus”. Hier hatte die dänische Minderheit ihr Zentrum
auch zu Zeiten, als die Nachbarn nicht gut miteinander umgingen.
Auch das Auslaufen aus der Flensburger Förde
geschah im Regen und leider zur Zeit des Mittagessens in Richtung Rønne,
ganze 194 Seemeilen (rund 359 Kilometer) weit weg.
Sonnenreiches Bornholm
Bornholm liegt viel näher an Schweden als an
Dänemark, hat sich aber schon 1658 von den Schweden befreit unter Führung
eines Jens Pedersen Kofoed, den heute auf der Insel noch jedes Kind nennen
kann. Nachsaison, die Fähren lagen fest, der Hafen von Rønne war leer,
dennoch machte die MS ASTOR an einem fernen Kai fest, von wo aus ein
Shuttlebus Gäste in die Stadt brachte – kostenlos. „Und da, wo Sie
aussteigen, hole ich Sie auch wieder ab”, erklärte der Fahrer in seinem
sanften spitzmündigen Deutsch. Was tut man in drei Stunden bei Sonnenschein
in der Inselhauptstadt Rønne?
Altstädte zu besichtigen ist in Skandinavien immer
ein guter Tipp. In Rønne scharten sich niedrige Häuser, gelb und rot in
mancherlei Eintönungen wie frisch bemalt, um die Rundkirche. Blitzsauberes
Straßenpflaster, die Kameras fanden genügend Stoff. Noch immer
wird das kleinste Theater Dänemarks, aus dem Jahre 1823 bespielt, von
Amateurgruppen und reisenden Trupps.
Weiß als Hausfarbe deutet Reichtum und Stand an,
also war auch die Nikolai-Kirche der Altstadt weiß getönt, eine Kirche für
Seefahrer, Fischer und ihre Familien. Von der Decke hing das Modell einer
Fregatte unter Segeln, das Altarbild weckte Neugier – ein unbekannter Nolde?
Neben der Kanzel wurde das Rätsel gelöst. Der in nordischen Kirchen eher
übliche einladende aufrecht auf den Beschauer zuschreitende lebensgroße
Jesus war abgehängt und durch ein Ölgemälde ersetzt worden, das ein kleines
offenes Schiff in wüsten Wellen zeigte: Jesus (ein kleiner roter Fleck)
stillt den Sturm auf dem See Genezareth. Vor der Kirche knarrten Flaggen im
Wind, die Wetterfahne auf dem Dach zitterte – man ahnte, welche Wucht Stürme
in diesem Teil der Ostsee haben können. Da mag so ein Bild Trost spenden und
Hoffnung wach halten.
Im schönen Restaurant am anderen Ende des zentralen
Marktplatzes gab es zum lokal gebrauten Bier keinen Hering, für den Bornholm
berühmt ist. „Die Saison ist vorbei”, bedauerte die Besitzerin, und
entschädigte die Hungrigen mit einer „Gemischten dänischen Platte”. Danach
gab’s einen Kaffee, der zu rühmen war, Tee hat hier im Norden keine großen
Chancen.
Kopenhagen, drittes Ziel
Immer mal in Kopenhagen gewesen, nie etwas von der
Stadt gesehen. Immer nur weiter geflogen oder weiter gefahren – das durfte
nicht länger so bleiben. Also machten wir am Vormittag einen Ausflug mit und
am Nachmittag auf eigene Faust einen Spaziergang durch die Innenstadt.
Vormittags also Geschichte und Architektur genießen, nachmittags Design
entdecken.
Schön, sauber, geruhsam und breit hingelagert, auch
in der Innenstadt noch gut für Busse geeignet, Geschichte und Gegenwart
architektonisch geschickt verbunden – wieder einmal wünschte man sich noch
mehr Zeit für Dänemarks Hauptstadt. Hast schien hier unbekannt zu sein.
Selbst der „kleine” Wachwechsel der Palastgarde in ihren Bärenfellmützen
geschah mit einer gewissen Ruhe und nur mäßig lauten Befehlen. Eile war
allenfalls in den Magazinen und Läden zu spüren, in denen sich auch spät im
Jahr immer noch Touristen drängelten. Dänisches Design, irden, metallen,
hölzern oder textil, hat von seiner Anziehungskraft nichts verloren.
Irgendwas ging immer mit an Bord. Auch Kaffee und dänisches Gebäck gewinnen
dem Land immer noch neue Freunde, so wie beides in den vielen Cafés
angeboten wird.
Göteborg, die englische Stadt
Dreimal waren wir mit der Stena-Fähren von Kiel
nach Göteborg gefahren und hatten die Stadt kennengelernt, was also jetzt
tun, beim vierten Besuch? Treiben lassen und wieder genießen, was schön war.
Göteborg, auch durch Schotten, Niederländer,
Deutsche und Engländer aufgebaut und zu Bedeutung gelangt, gilt als die
englische Stadt Schwedens. Was in London gerade Mode ist, erscheint zuerst
in Göteborg. Man kauft hier also gern ein und weiß Mode und Englisches zu
schätzen. In vielen kleinen Passagen kann man fündig werden, in den großen
Kaufhäusern sowieso.
Alte Bekannte grüßten, die Fischkirche, der
berühmte Markt für alles Essbare aus dem Meer, der „Lippenstift” und die
Viermastbark VIKING, die heute als Restaurantschiff dient. Wir übten trotz
ausgezeichneter Bordküche auf der MS ASTOR Verzicht und entschieden uns für
„lunch” in der Stora Saluhallen, der Markthalle der Stadt, in ganz
Skandinavien berühmt. Was immer man aus aller Welt essen mag, findet man
hier neben bodenständig Schwedischem, das um die Mittagszeit an zahlreichen
Ständen als Lunch angeboten wird.
Oslo für Anfänger …
Vladimir hatte die Einfahrt nach Oslo als eine
Fahrt durch einen der schönsten Fjorde gepriesen, Anlass, lange vor dem
Morgengrauen eingemummelt und mit der Kamera in der Hand auf dem Sonnendeck
zu erscheinen. Noch hing der Mond am Himmel, kraftlos sein Licht. Im Osten
kündigte helles Rosa den Morgen an. Letzte Sterne, schwer zu orten, und dann
die Lichter von Tonnen, Feuer an Land, kreuzende Fähren, Mitläufer und
Entgegenkommer.
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Ein Blick in den Mast, ja, die Lotsenflagge wehte
schon im eiskalten Morgenwind. Von der Brücke wehte ein leichter Kaffeeduft
hoch. Die Kälte kroch unter Pullover und dicke Outdoorjacke, Kaffee für
Frühaufsteher stand noch lange nicht auf dem Tagesprogramm. Also schnellen
Schritts ums Deck gehen, um warm zu werden, mit dem Fahrtwind, gegen den
Fahrtwind, diese Morgenstunde gehörte den Verwegenen. Und dann, fast
unerwartet, trat aus dem Dunkel ein Block mit zwei Türmen, das Rathaus von
Oslo. Die MS ASTOR machte unter der Festung Akkerhus fest, dicht unter dem
Rathaus, der Lotse ging von Bord, die Ausflüge starteten.
Über dreihundert Jahre hieß Oslo Christiania, Christian
IV. von Dänemark hatte 1624 befohlen, die hölzerne Stadt nach dem letzten
Brand in Stein wieder aufzubauen.
Bis 1814 gehörte Norwegen zu Dänemark, das im Kampf
zwischen England und Frankreich auf der falschen Seite gestanden hatte. Nach
dem Sieg über Napoleon kam Norwegen 1814 zu Schweden und wurde erst 1905 als
Staat unabhängig. Aus Christiania wurde wieder Oslo. Der erste König kam aus
dem Hause Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg und nahm bei der
Thronbesteigung den Namen Haakon an. Der Name war im Land populär, der König
wurde es.
Als Nazideutschland am 9. April 1941 Norwegen besetzte,
trat er nicht zurück, sondern floh aus Oslo und fand Verstecke im Land. Der
englische Schwere Kreuzer HMS DEVONSHIRE brachte ihn und seine Familie nach
England, wo er im Londoner Stadtteil Rotherhithe die Exilregierung leitete.
Am 7. Juni 1945 kehrte er nach Norwegen zurück und wurde jubelnd begrüßt.
Ein großes Denkmal am Platz des 7. Juni erinnert an den überaus schlanken
Monarchen, dessen Enkel Harald heute Staatsoberhaupt ist.
… und Fortgeschrittene
Oslo ist die – verhältnismäßig kleine – Hauptstadt
für fünf Millionen Norweger. Zu festlichen Anlässen, wie etwa Taufen im
Rathaus, tragen Männer und Frauen gern noch Nationalkostüme. Die Geschichte
des Landes lässt sich teilen in „vor dem Öl” und „nach dem Öl”. Aus einer
armen Nation machte das Öl eine reiche, die bereit ist, ihren Reichtum zu
teilen. Flüchtlinge werden hier gern aufgenommen und können norwegische
Staatsbürger werden, wenn sie die Sprache beherrschen, eine der beiden, die
im Norwegen gesprochen werden. Das „Bokmål” basiert auf dem Dänischen, das
„Nynorsk” hatte sich weiter im Norden in den Tälern gehalten.
Anfragen der Bürger an Behörden müssen in der
Sprache beantwortet werden, in der sie gestellt wurden. Wer also Bürger
werden will und Norwegisch bei einer Prüfung beherrscht, ist willkommen. Und
kann die vielen Vorzüge des Landes genießen. Auch den Ruhm, an dem
Polarforscher wie Nansen und Amundsen oder Seefahrer wie Thor Heyerdahl mit
seinen Flößen „Kon Tiki” und „Ra” bauten. Museen, ihnen gewidmet, laden in
Hafennähe ein. Der norwegische Volkssport Skilaufen führte zur wohl
bekanntesten und sicher ältesten Sprungschanze der Welt, Holmenkollen in
einem Vorort. Selbst in Nebelstreifen beeindruckt sie durch Größe und
Eleganz.
Dennoch schaudert’s den ungeübten Südländer. Wer würde denn freiwillig
aus solcher Höhe mit solchem Tempo in solche Tiefen springen mit nur zwei
„Brettern” unter den Füßen?
Kunst am Bau und im Park
Am Rathaus in Oslo wurde 35 Jahre gebaut. Heute ist es
als Klinkerbau Wahrzeichen der Stadt und immer noch ein bisschen umstritten.
Innen und außen schmückten bekannte norwegische Künstler Wände und Decken,
den Saal, in dem der Friedensnobelpreis verliehen wird, ebenso wie das
Sitzungszimmer des Stadtparlaments und alle anderen Räume. Viele Wände,
viele Bilder, viele Gestalten – gibt es so etwas wie einen gemeinsamen
norwegischen Stil, fragt sich mancher Besucher, der unbehindert alle Räume
betreten darf? Großes war üblich, Nationales, und Nacktes – am Rathaus
ebenso wie im Vigelands-Park, in dem Gustav Vigeland sein gesamtes
bildhauerisches Lebenswerk präsentieren konnte. „Um zu zeigen, dass
alle Menschen gleich sind”, heißt es in einem der Führer durch den Park,
„hat er aller Gestalten nackt dargestellt.” Nun denn, es sind im Park über
zweihundert, die täglich Scharen von Besuchern anziehen.
Bewölkt auf See, Teil 1
Kurze Reisen haben wenige Seetage. Die MS ASTOR hatte
lange vor Oslo den Kattegatt verlassen und lief am siebenten Tag der Reise,
an einem Sonntag, außer Sichtweite parallel zur norwegischen Küste
gemächlich auf Stavanger zu durch den Skagerrak. Ruhige See, über die nur
gelegentlich Böen zogen und das Wasser kabbeln ließen. Wer Mut hatte, fand
einen windfreien Platz draußen und Optimisten warteten auf Sonnenschein.
Innen breitete das Programm seine Flügel aus: Harald Spiker erinnerte
zahlreiche Hobbyfotografen an den richtigen Umgang mit „96,7 Millionen
Pixeln”, dem Machen, Bearbeiten und Speichern eigener Digitalfotos. Wer sich
dafür nicht interessierte, konnte an Brückenführungen teilnehmen, Cocktails
mischen lernen, Bingo spielen oder pokern, Wassergymnastik treiben oder
Shuffleboard üben. Und sich auf Stavanger einstimmen, bei Vladimirs Vortrag.
Stavanger, die Ölmetropole
Dramatisch dürfte das Einlaufen nach Stavanger bei
schwerer See sein. In den meisten Häfen nördlich und südlich des Zielhafens
bieten hohe Felsen und bewaldete Inseln Schutz, vor Stavanger sind sie klein
und flach, gleichen Rücken schlafender Kühe und Schafe oder abgebrochenen
Baumstümpfen. Natürlich ist das Fahrwasser hervorragend ausgetonnt und der
Lotse an Bord ein verlässlicher Ratgeber, einlaufend wie auslaufend. So ist
die Annäherung an Norwegens Ölmetropole bei sanfter See eher geruhsam. Über
sie hatten wir im einführenden Vortrag gehört. Stavanger sei so oft
abgebrannt, dass andere als die zähen und armen norwegischen Fischer die
Stadt längst aufgegeben hätten.
Fisch machte sie schließlich doch wohlhabend,
Fischkonserven aus Stavanger versorgten halb Europa. Das Weiß der Holzhäuser
der Altstadt am Westufer des Hafens zeugte von einem gewissen Reichtum, der
schwand, als die Konserven-Fabriken schlossen. Das war vor der Zeitenwende
in Norwegen. Die begann, als 1969 Öl und Gas auf norwegischem Grund in der
Nordsee gefunden und gefördert wurden. Seit den Achtzigern wird Norwegen
reich.
Verblüffend, dass es das eigene Gas und Öl kaum
selbst verbraucht. Was an Energie in Häusern, Wirtschaft und Industrie
gebraucht wird, liefern Wasserfälle überall im Land.
Wie stellt sich die Ölmetropole dem Besucher dar?
Rein und fleckenlos. Alles, was mit der Versorgung der Ölplattformen auf See
zu tun hat, wird aus anderen Hafenbecken bedient. Kreuzfahrer liegen fast im
Herzen der Stadt, nahe der Kathedrale zwischen Altstadt und Fußgängerzone.
Der Ausflug mit dem Bus zeigte ein anderes Norwegen
als das aus Büchern bekannte mit Fjorden und Bergen, eher ein flaches,
rundhügeliges Land, das Gletscher abgeschliffen haben. Drei Straßenzüge
Altstadt, weißbemalte Holzhäuser, zum Hafen hin durch Thore Horve in Bronze
bewacht, Vizeadmiral und von 1946 bis 1949 und 1951 Oberbefehlshaber der
Marine. Er hatte sich in der Zeit vor dem Öl auf die Seite der norwegischen
Matrosen und Offiziere gestellt, die im Zweiten Weltkrieg unter englischer
Flagge gekämpft hatten und nun den Teil ihre Soldes von Norwegen
einforderten, der ihnen während des Krieges nicht ausgezahlt worden war. Der
Grund: norwegische Marineangehörige sollten nicht mehr bekommen als ihre
englischen Kameraden, mit denen sie Seite an Seite kämpften.
Friedlich, sauber, restaurantüberladen die andere
Hafenseite, hinter der die Fußgängerzone begann. Nicht nur die Auslagen der
Juweliere bewiesen, dass in dieser Stadt viel Geld vorhanden ist.
Das Ölmuseum in Stavanger sucht seinesgleichen. Real,
in Modellen und in Filmen, zum Anschauen also und zum Mitmachen erfährt der
Besucher, wie Öl überhaupt entstand, wo es im norwegischen Festlandsockel
entdeckt wurde und wie man es fördert und an Land bringt. Die gigantischen
Plattformen auf dem Meer lassen den Suchenden selbst als Modell erschauern.
11 Tage und Nächte dauert draußen eine Schicht, elf Tage und Nächte ist man
danach an Land – bei gleich hohem Gehalt. Urlaube sind lang,
Sicherheitstrainings finden regelmäßig statt. Rettungsboote stürzen bei
Gefahr heute aus 50 Metern Höhe ins Wasser, geplant sind Sturzhöhen von 100
Metern. Das überlebt man nur angeschnallt.
Bewölkt auf See, Teil 2
Nach Stavanger kam, was auf jeder Reise kommen
musste. Auf dieser waren zwar die meisten Getränke im Reisepreis
„inkludiert”, wie Stewards und Barkeeper sagten. Was auf der Getränkekarte
einen schwarzen Punkt hatte, kostete nichts. Dennoch gab der Kapitän einen
aus. Um 11 Uhr am 14. Oktober 2014 hinter der Hanse Bar auf der
Sonnenterrasse des Brückendecks gab’s Freibier, auch Schnaps dazu, Würstchen
und Sauerkraut, Blasmusik vom Band und bayerische Lieder live von Raul und
Marian und Margaret. Die MS ASTOR zog dabei gemächlich ziemlich genau auf
180 Grad nach Süden.
Im Kattegatt querte der eine oder andere Steamer
den Kurs, die dänische Küste blieb unsichtbar und Esbjerg im Osten, bei
anderen Reisen Anlaufort oder Heimathafen ganzer Kutterflotten, war nur eine
Erwähnung um 12 Uhr mittags wert. Die See blieb leer, Fisch kommt morgens
oder am frühen Abend an Land. Gabriele Eidam meldete sich wie immer von der
Brücke mit nautischen Angaben und Hinweisen auf das weitere Tagesprogramm.
Es gab Hinweise auf den nächsten Morgen, wenn man in Bremerhaven festgemacht
haben würde. Koffer sollten bis dann und dann vor den Kabinen stehen, mit
dem richtigen farbigen Anhänger, Busse würden dann und dann abfahren.
Wer an der Partynacht zum 30. Geburtstag des Clubs
teilnahm, hatte anderes zu beachten. Ein ausgedehnter Mittagsschlaf bot sich
an. Die Nacht vom Mittwoch auf Donnerstag, in der an Bord gefeiert wurde,
würde kurz sein.
Sie wurde es. Doch pünktlich am späten Vormittag des
nächsten Tages legte die MS ASTOR in Bremerhaven ab und nahm Kurs auf einen
kurzen Werftaufenthalt in Belgien. Von da aus ging’s später nach
Tilbury/London und von da aus ins ferne Australien – für den langen
europäischen Winter.
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