Tief hängende graue Wolken, aus denen dichte
Regenbahnen hängen, jagen von Westen über Nordholz bei Cuxhaven. Sommerende.
Auf dem Flugplatz des Marinefliegergeschwaders 3 „Graf Zeppelin” herrscht
noch morgendliche Ruhe. Doch eine Crew bereitet sich auf den Tag vor. „Unser
Programm heute?” Kapitänleutnant Steffen W. lächelt entspannt: „Nur ein
Routineflug über die Ostsee”. Doch auch der muss vorbereitet werden. Das
geht am besten bei einer Mugg Kaffee, dessen Duft das Stabsgebäude
durchweht.
Kommandant und Co-Pilot, Oberleutnant zur See Tobias
M., scharen sich mit Systembeobachter, Stabsbootsmann Dirk J., um ein paar
Computer, blättern in ihren Unterlagen und freuen sich, dass „es bald
losgeht”. Trotz aller Akribie ist die Stimmung unter den drei Fliegern
entspannt und locker.
Marine-Luftschiffer seit 1914
Das Wetter sehe zwar hier über der Nordseeküste
nicht so knackig aus, „aber wir lassen uns überraschen”, gibt der Kommandant
das Zeichen zum Aufbruch. Draußen wartet schon ein Kleinbus, der die Drei
über das weitläufige Flugfeld kutschiert. „Hier können die größten Maschinen
der Welt starten und landen”, erklärt Steffen W. Und man erfährt von dem
Berliner aus dem Hauptmann-Städtchen Köpenick weiter, dass auf dem Gelände
seit 1914 die Kaiserliche Marine-Luftschiffer-Abteilung mit bis zu 42
Zeppelinen stationiert war, später dann die Luftwaffe mit Jagdgeschwadern
aus Me 109, Fw 190 und Ju 88. Nach dem Krieg wurden die Anlagen von den
Amerikanern übernommen, bis 1963 hier wieder deutsche Marineflieger Einzug
hielten.
Heute sind es zwei Ölüberwachungsflugzeuge des Typs
Do 228 der Deutschen Marine, acht Fernaufklärer P 3C-Orion sowie die
Seaking- und Sea-Lynx-Hubschrauber des Marinefliegergeschwaders 5.
Tiefdruckgebiet einfach überholen
Nach seinem kleinen historischen Exkurs holt den
Kommandanten wieder die Tagesaktualität ein. „Na, wie sieht’s denn heute
aus?”, fragt er den diensthabenden Meteorologen, um den herum das
Wettergeschehen bewegt über die Bildschirme flimmert. „Könnte besser sein”,
sagt der Mann ohne von den Tiefdruckwirbeln aufzublicken und erklärt die
Lage entlang der geplanten Flugroute. Dadurch aus der Ruhe bringen lässt
sich die erfahrene Crew nicht, „denn”, so Torsten W., „wir fliegen immer, ob
bei Windstärke 12, Regen, Eis oder Schneestürmen. Da kann uns nichts mehr so
leicht erschüttern”. Einen Lichtblick gebe es allerdings noch, lächelt der
„Wetterfrosch”, „über Meck-Pomm reißt die Bewölkung auf”.
„Dann machen wir uns mal auf die Socken und
überholen einfach das Tiefdruckgebiet”, grinst der Kaleu, unterschreibt
diverse Papiere und schließt damit das Briefing ab.
Ground Check vor dem Start
In der Halle steht die eingerüstete
Schwestermaschine mit der Kennung 57-05, die zur Wartung ansteht. Beide
werden zwar von der Deutschen Marine betrieben, sind aber vom
Bundesverkehrsministerium und der ihm unterstellten Havariekommission in
Cuxhaven langfristig im Rahmen von MARPOL, dem internationalen Abkommen zur
Reinhaltung der Meere, gechartert worden. Ihren Zweck kann man am und unter
dem Rumpf ablesen: POLLUTION COTROL: Ölüberwachung. Nord- und Ostsee stehen
ständig auf dem Arbeitsprogramm von PC AIR. An Bord natürlich
Aufklärungstechnik vom Feinsten: das modernste europäische
Luftüberwachungssystem. Stückpreis: 15 Millionen €, gut angelegt, weil
ein wirkungsvolles Abschreckungspotenzial gegen Ölsünder.
Auf dem Vorfeld glänzt unsere von Schauern geduschte
57-04: 16,50 Meter lang, 4,86 Meter hoch mit einer Spannweite von knapp 17
Metern.
Co-Pilot Tobias M. macht seine vorgeschriebene Runde
um die 228 NG, deren Zusatz „New Generation, Neue Generation”, bedeutet,
also jüngster Stand der Technik. Er dreht die Propeller per Hand, steckt den
Kopf in die Radkästen, überprüft die beiden Triebwerksgondeln – alles nach
einer genau festgelegten Liste. „Hab ich im Kopf”, lächelt er bescheiden und
gibt seinem Kommandanten schon mal per Daumen das Klarzeichen.
Stabsbootsmann Dirk. J. weist unterdessen in die Rettungsmittel ein. „Das
Anlegen des Überlebensanzugs ist bekannt?”, fragt er und zeigt sich mit der
Antwort zufrieden.
Platznehmen, alles verstauen in Kabine und Cockpit,
Kopfhörer anlegen und einstöpseln. „Bitte anschnallen!”, hört man Steffen W.
und weiter: „Wir machen denn erst mal Krach”. Spricht’s und startet den
kräftigen 1158 kW-Turboprob-Antrieb.
Take-off-briefing completed
Anrollen bei weiterem Sicherheits-Prozedere.
Gnadenlos! Die beiden Piloten gehen alles durch für den Taxiway und den
Take-off: „Checked?” – „Is checked!” wird jeder Punkt noch einmal im
Vielfach-Stakkato geprüft und schließlich: „Take-off-briefing completed”.
Bis an die Flugleitung gemeldet werden kann: „Papa Charlie 474 is ready for
departure”. Und an die Crew gewandt: „Alle sind dabei, denn jetzt geht’s
los! Take off und rotate, abgehoben, Roger!” Bremst der Fluglotse in
englisch-deutschem Sprach-Mix: „There goes nothing im Luftraum, ihr müsst
euch noch maximal two minutes gedulden, ist noch einer über und einer unter
euch!”
Dann die Erlösung: „Ab in 4000 Fuß. Wir haben nichts
Besonderes für die Ostsee. Denn man Tschüss und schönen Flug!” „Tschüss bis
später!”, verabschiedet sich der Kommandant bei seinem Tower-Kollegen auf
Deutsch, „dann geh ich erst mal rechts rum Richtung Itzehoe”. Hinein in die
regenschweren, turmhohen Wolkenballen. Die 228 schüttelt sich unwillig und
kämpft sich bei Sicht Null durch nach oben. Der Radarlotse fragt an: „Ihr
seid vom Schirm verschwunden!” Alle wundern sich, bis auf Nachfrage von
unten Aufklärung kommt: „Kein Echo, weil ihr in einem heavy Schauer steckt,
seid ihr unsichtbar!” Doch auf dem Cockpit-Bildschirm tummeln sich nahebei
Echos. Ein Lufthansa-Flieger – „Alpha traffic” – ist zu hören, doch „dank
Antikollisions-Radar besteht keine Gefahr”, hört man Steffen W.s beruhigende
Stimme.
Immer wieder schnappt die Falle zu
„Über den Wolken …” von Reinhard May möchte man
jubeln und dem Meteorologen für die guten Aussichten danken, als die Wolken
genau über der Altstadt von Lübeck aufreißen. Witzelt der muntere Kaleu von
vorn: „Gefahr der Sonnenbrille ist angesagt!” Dann brummt PC AIR mit der
schlanken Elektronik-Nase mit 300 Sachen auf Ostkurs an Travemünde,
Neustadt, Grömitz, Wismar und Rostock vorbei und checkt dabei die dahin
schleichenden Frachter- und Fährenkolonnen in der berüchtigten engen
Kadetrinne zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Dänemark. „Ölsünder haben bei
den Profijägern keine Chance”, weiß Michael Friedrich aus Rostock, der
mitfliegende Pressesprecher der Havariekommission und Ex-Nautiker, „denn
immer mal wieder schnappt die Falle zu”.
Stabsbootsmann Dirk J., der Systembeobachter und
„alter Hase” bei der Jagd auf Umweltfrevler, gibt zwischendurch – immer mit
Blick auf seine Monitore – eine selbst
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erlebte Story zum Besten: „Wir haben damals eine
Ölspur vermessen: 1,7 Seemeilen und eine Viertelmeile breit. Keine Spur vom
Verursacher. Bis ich plötzlich einen zweiten, noch größeren Ölteppich
ausmache. ‚Richtung zwei Uhr ein Dampfer!’, hab ich gleich gemeldet. Im
Sturzflug hat der Kommandant die optische Aufklärung eingeleitet. Bei
mehreren An- und Überflügen werden Schiffsname und Heimathafen fotografiert
und gefilmt. An Bord des Frachters wird der wachhabende Steuermann vom
Flugzeugbrummen aufgeschreckt. Er stürzt in die offene Brückennock und
entziffert, was auf der Rumpfunterseite der tief fliegenden Maschine steht:
POLLUTION CONTROL. Er ist alarmiert. Sekunden später wird der Ölstrom
gestoppt.
Noch tummelte der sich in dänischen Gewässern, so
dass wir ihn an die Kollegen in Kopenhagen melden konnten”, berichtet Dirk
J. „Und über Funk hab ich dann ‚several oilpatches auf der und der Position’
gemeldet. Die Jungs haben sich gefreut, dass wir ihnen schon wieder was zum
Jagen überlassen haben”.
Heute bleiben die Sensoren „cool”, aber Dirk J.
zeigt in einer Simulation, wie das im Ernstfall tatsächlich aussehen kann.
„Da unten, die grün-roten Algenteppiche”, zeigt er durchs Bullauge, könnte
ein Laie schon für Verschmutzungen halten”.
Auf 30-Meter-Tiefflug bei „Mann über Bord!”
Inzwischen zieht der Dornbusch-Leuchtturm an der
Nordspitze der Insel Hiddensee an Backbord vorüber, Steuerbord bald der
Gellen, die Nordansteuerung von Stralsund; kurzer Blick schräg nach unten
zur Marinetechnikschule in Parow, bis sich nach nur einer Flugstunde die
Hansestadt am Sund in ihrer Pracht präsentiert (die instruierte
Frau des Autors steht winkend auf dem Balkon); das Filigran der Rügenbrücke,
die Volkswerft mit dem zivilen Marineschiff PLANET aus Eckernförde, das hier
zur Überholung liegt; über den Sund bis Palmerort, der Südostspitze von
Rügen, Greifswalder Bodden, die Inseln Ruden und Oie, Usedom von Ferne, die
Rügen’schen Seebäder, blendend weiß die Kalkklippen von Subbenkammer mit dem
Königsstuhl, Kap Arkona, im Luftsprung nach Mön – „abgesprochen mit den
Dänen”, so Steffen W., Gedser, die scheinbar mit Miniatur-Mühlen
gespickten Windparks mit Kurs Flensburger Förde. „Dann machen wir noch mal
einen Ausflug zu den Nordfriesischen Inseln”, kündigt der Kaleu an, bis
gleich darauf über den Seenotkanal 16 eine Meldung zu hören ist: „Mann über
Bord von einer weißen Segelyacht mit der roten Aufschrift SECOND LIFE
zwischen Maasholm und Kiel. Kein Funkkontakt!” Sofort wird der Kurs in
Absprache mit der Rettungsleitstelle Bremen, nach Süden geändert. „Bloß
nicht über die Schießgebiete”, warnt der Kommandant, „die sind aktiv!”
Die Bewölkung hat wieder zugenommen, das Tief uns
wieder eingeholt. „Alles festhalten, Achtung Geisterbahn!”, entscheidet der
Kommandant in Absprache mit der Flugleitung, „jetzt stürz ich mich mal
runter auf 100 Fuß!” Ein für die beiden Passagiere nicht ganz
magenfreundliches Manöver. Ein Kaffeebecher kippt zu Boden. „Solche
Geräusche”, grinst Steffen W. nach hinten in die Kabine, „machen immer
schnell wach!”
Ab nach Hause und Mission completed
Im 30 Meter-Tiefflug wird jeder Segler bis hinein in
die Eckernförder Bucht angeflogen. Wieder eine steile Kurve nach oben und
auf Gegenkurs mit „echt unangenehmen” Schauern und bockigem Gegenwind.
Kaleu-Kommentar: „Dann lassen wir uns gern mal wieder kräftig
durchschütteln!” Inzwischen suchen unter uns auch die Korvette LUDWIGSHAFEN
AM RHEIN, ein Minenjagdboot und zwei DGzRS-Rettungsboote. Auf Augenhöhe ein
P 3C-Marine-Fernaufklärer, der mithilft, den vermissten Segler aufzuspüren.
„Wie die Nadel im Heuhaufen”, meint der Kaleu, „bei
der Masse von Booten”, und fragt: „Wieviel Sprit noch?” „Noch für eine
Extrastunde”, meldet Co Tobias M., so dass bei leichter Sichtverbesserung
noch ein paar luftige Kreise gedreht werden können.
Abbruch nach rund 20 Minuten, die Seenotleitung
stimmt zu. Der Segler ist nicht auffindbar. Ein Fehl- oder Falschalarm, wird
vermutet.
Im Steigflug wieder auf 4000 Fuß. Eckernförde,
Heimatstadt des Autors, fliegt an Steuerbord im Wolkenwust vorüber. „Ab nach
Nordholz und direkt nach Hause!”, gibt Steffen W. die Marschroute vor. Die
führt über den Nord-Ostsee-Kanal mit seinen spielzeugkleinen Schiffchen,
Rendsburg und die Elbe bis zur Heimatbasis. Dort hat sich das Tief
anscheinend festgekrallt. „Über der Ostsee vor Meck-Pomm war’s viel
schöner”, fasst der Kaleu den Tag zusammen und fragt scherzhaft in die
Runde: „Möchte noch jemand zum nächsten Flug mit einsteigen?”
Dann: „Alles anschnallen! Check list zur Landung,
Kabine alles klar, angeschnallt?”
Nach 450 Seemeilen und drei Stunden zehn Minuten
Flugzeit bei 350 Liter Spritverbrauch pro Stunde setzt PC AIR 474 auf.
Wasserfontänen von der Landebahn spritzen hoch auf und werden zu Gischt
verwirbelt – fast wie zur Begrüßung.
Die After-landing-check-List wird routinemäßig
abgearbeitet, dann – mit garantierter Aussicht auf fliegerische Nacharbeit
im Büro ‒ heißt es nur noch schlicht: „Mission completed!”
Dornier Do 228 NG
Die Dornier 228 ist ein zweimotoriges,
turbinengetriebenes Propellerflugzeug mit Kurzstart- und -landefähigkeit des
deutschen Flugzeugherstellers Dornier. Es wurde von 1981 bis 1998 im
bayrischen Oberpfaffenhofen produziert, die NG (New Generation)-Version
später in der Schweiz.
Länge: 16,50 m, Spannweite: 17 m, Höhe: 4,86
Gewicht: 3.739 kg
Höchstgeschwindigkeit: 433 km/h
Reisegeschwindigkeit: 315 km/h
Erstflug: 21. März 1981
Reichweite: 1.111 km
Motortyp: Honeywell TPE331 (Turboprop)
Gesamtverschmutzungen 2014
105 in Nord- und Ostsee, 20 davon identifizierte
Verursacher. Gemeldete Verschmutzungen im deutschen Territorialgewässer und
in der Ausschließlichen Wirtschaftszone: 44 Meldungen (28 Nordsee, 16
Ostsee).
Bei der Jagd auf Umweltsünder arbeiten zusammen: der
Bundespolizei Nord mit ihrer Fliegerstaffel und ihren Schiffen, das
Marinefliegergeschwader 3 in Nordholz bei Cuxhaven, die Wasser- und
Schifffahrtsdirektion Nord, die Sonderstelle des Bundes „Ölunfälle
See/Küste” in Cuxhaven sowie die Küstenwache. Die verwendeten Flugzeuge:
zwei Marine-Ölaufklärer des Typs Do 228 NG, deren Eigentümer die
Küstenländer sind, und BGS-„Puma”-Hubschrauber.
Rund ums Jahr und etwa zehnmal pro Woche werden die
dicht befahrenen Hauptschifffahrtsrouten, wo besonders viele Ölverklappungen
zu beobachten sind, sowie die Nord- und Ostsee abgeflogen. Ein Erfolg der
verstärkten Überwachung ist der Rückgang von illegalen Ölentsorgungen. Die
Einnahmen aus den Bußgeldern fließen in die Bundeskasse.
Der Autor ist Kapitänleutnant d.R. der Deutschen
Marine.
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