EDITORIAL · AUSGABE 3/2018
Kein „Fachkräftemangel” auf See
Nur auf Schiffen fahren noch echte Gastarbeiter
Kennen Sie noch den Begriff „Gastarbeiter”? Der entstand im Aufschwung unserer Wirtschaft vor 60, 50, 40 Jahren, als dringend Arbeitskräfte in der damaligen Bundesrepublik benötigt wurden. Sie reisten an aus Italien, Griechenland, Spanien, Portugal und der Türkei – aus all den Ländern, in denen es damals weniger Arbeit und geringere Löhne gab. Sie waren Gäste, und sie arbeiteten hier gern und vergleichsweise gut bezahlt, und viele von ihnen schickten Teile ihres Lohns nach Hause, wo ihre Angehörigen mit diesem Geld Grundstücke, Häuser, Werkstätten, Hotels, Fincas, Trattorias, Bodegas und viele andere Existenzen aufbauten. Noch heute begegnet man in Athen und Saloniki, in Valencia und Porto, in Anatolien, Katalonien und in vielen kleinen Orten und Landschaften Europas Menschen, deren Väter damals mit eingetauschter D-Mark ihre berufliche Zukunft begannen. Das war in beiderseitigem Nutzen und hat viele Freundschaften begründet.
Heute ist die deutsche Wirtschaft wieder in einer personellen Notsituation. „Facharbeitermangel” heißt das Stichwort. Fabriken und Werkstätten können ihre Aufträge nicht erfüllen, es gibt Qualitäts- und Zeitverluste, Verzögerungen und immer wieder großen Ärger. 50.000 unbesetzte Lehrstellen meldet das deutsche Handwerk. Warum auch sollte ein deutscher Azubi eine Lehrstelle antreten, wenn der gleichaltrige Asylbewerber für’s Nichtstun das Doppelte bekommt? Ich frage mich, warum der Staat seine Zahlungen an junge Flüchtlinge nicht an die Bedingung knüpft, hier in Deutschland zu arbeiten oder einer Ausbildung nachzugehen. Wer weiß, wie lange diese günstige Lage auf dem Arbeitsmarkt noch anhält. Wieso soll der deutsche Steuerzahler junge arbeitsfähige Zuwanderer lebenslang alimentieren? Wer die Ausbildungsdebatte im Deutschen Bundestag am 26. April dieses Jahres verfolgt hat, kann nur den Kopf schütteln. Ein großer Teil der zugewanderten Jugendlichen lehnt es nicht nur ab, hier zu arbeiten, sondern auch, überhaupt Deutsch zu lernen.
Und den Begriff „Gastarbeiter” haben falsche Moralisten totgeredet. Sie haben das beiderseits so nützliche System diffamiert. „Griechischer Wein” hat damals die Herzen gerührt. Heimweh nach Ouzo und Sirtaki. Heute gibt es in Deutschland viele zehntausend offene Stellen. Aber in Griechenland – beispielsweise – viele zehntausend arbeitslose Jugendliche. Die Politik versagt. Damals haben deutsche Firmen und Konzerne die für ihre Anforderungen besten Aspiranten ausgesucht, untergebracht, und – verglichen mit ihren Heimatländern – ziemlich gut bezahlt. Heute gibt es massenweise Einreisen von Menschen ohne jede Qualifikation, ohne Arbeitswillen, ohne Antrieb. Weil der Staat ja ohnehin löhnt, egal welche Qualifikation das Heer junger Afrikaner, Syrer und Afghanen mitbringt. Oder hier erwerben könnte. Das System ist krank!
Ganz anders ist es in der Seefahrt. Sowohl in der Handels-Schifffahrt als auch in der boomenden Kreuzfahrtbranche. Auf den Schiffen der internationalen Kreuzfahrtflotte erlebt man einen fast wohltuenden Unterschied zu den Verhältnissen an Land. Internationale Besatzungen lassen an Bord keinen „Fachkräftemangel” aufkommen. Es gibt in der Seefahrt ja kaum noch deutsche Seeleute, nur noch sehr, sehr wenige deutsche Kapitäne, Schiffsoffiziere und Schiffsingenieure. Hier und da einen deutschen Küchenchef. Aber das seemännische Personal an Deck und in der Maschine kommt durchweg aus Polen, Bulgarien, Rumänien, Russland. Das Service-Personal auf den Passagierdecks der Kreuzfahrtschiffe kommt einerseits aus Osteuropa, vor allem aus der Ukraine, andererseits zu Zehntausenden von den Philippinen, aus Malaysia, Indonesien, Sri Lanka oder Indien.
Diese Stewards und Stewardessen, Köche und Köchinnen, Lageristen, Fensterputzer, auch die Musiker und Unterhaltungskünstler, sie alle an Bord sind wirkliche Gastarbeiter. Anders als die meist völlig unqualifizierten und uninteressierten Bewohner der Flüchtlings-Unterkünfte an Land rauschen die Crews auf Kreuzfahrtschiffen ran, wie man so sagt. Sie arbeiten, lernen, lachen und haben Spaß an ihrem Job. Die meisten qualifizieren sich in Kursen an Bord und an Land („learning by doing”), lernen ganz nebenbei deutsch, überweisen den größten Teil ihrer Heuer nach Hause und tragen mit ihrem Lächeln und ihrer Freundlichkeit mehr zum internationalen Verständnis bei als hundert abgelutschte Politiker-Reden. Fast jeder Satz in der Bundestagsdebatte am 26. April 2018 fing an mit „wir müssen”. Wir müssen für unsere neuen Mitbürger dies und das und jenes tun. Was all die jungen arbeitsfähigen Zuwanderer für ihren Unterhalt selbst eigentlich tun „müssten”, wurde nicht gesagt. Ist es verwunderlich, wenn immer mehr Einheimische von den Ankömmlingen als „Abkassierer” sprechen? Im Paradies arbeiten nur die Dummen, scheint es. Auf den Schiffen ist das anders. Schiffe bieten Chancen.
Wer einmal eine der Personal-Agenturen in Odessa oder Manila besucht hat, der kennt die langen Schlangen der Arbeitsuchenden, die unbedingt auf eins dieser verlockenden Kreuzfahrtschiffe wollen. Ich fragte meine Tisch-Stewardess Maimai nach ihren Motiven. „Earning some good money” antwortete sie, und lächelte dann auf Deutsch: „Geld verdienen”, „helping my family“, „making friends”, und dann wieder auf Deutsch: „lernen, lernen, lernen.” Wäre ich ein Familienvater in Makati und hätte so eine Tochter, ich würde ihr exakt dasselbe empfehlen. – Übrigens: schöne Geste der Phoenix-Reederei: In Manila durften alle philippinischen Besatzungsmitglieder ihre Familien an Bord der ALBATROS holen. Hunderte Papas, Mamas, Geschwister und Großeltern sind über die Gangway auf’s Schiff gekommen. Die Passagiere haben in dieser Zeit auf den gewohnten Service verzichtet, die Kabinen blieben für einen Tag unaufgeräumt. Ein Fest für die philippinischen Familien. Maimai war Star für ein paar Stunden. Und ich durfte mithocken an ihrer improvisierten Reistafel auf dem Mannschaftsdeck.
Ein ziemlich blödes deutsches Wort heißt „Trinkgeld”. Als würden die Empfänger es vertrinken … Also besser: „tip”. Maimai an Bord: „Heute Sie geben mir tip, danke Sir. In fünf Jahren Sie mir nicht mehr geben tip. Sie mich bitte besuchen. Werde Ihnen Zimmer geben in mein eigenes Hotel auf Spratley-Islands!”
Noch lange dachte ich über diese Einladung nach. Wie in der Seefahrt müsste auch Entwicklungshilfe funktionieren, dachte ich. Hilfe zur Selbsthilfe. Schon Jesus hat gesagt: gib dem Hungrigen keinen Fisch, gib ihm eine Angel! Was tun wir stattdessen? Wir sprühen Euros mit der staatlichen deutschen Gießkanne über angelockte Migrantenmassen, anstatt die Blumen dort zu gießen, wo sie wachsen. Das bringt denen was, das bringt uns was. Die gegenwärtig praktizierte Entwicklungshilfe kostet viel, bringt wenig und nährt vor allem die Devisenkonten obskurer afrikanischer Stammesfürsten und cleverer Korruptionäre in vielen der „Empfängerländer”. Lesen Sie darüber mal in den Geschäftsberichten großer Schweizer Banken.
Gerade hat Außenminister Maaß auf einer internationalen „Geberkonferenz” wieder eine Milliarde deutsches Steuergeld für den „Wiederaufbau” in Syrien gespendet. Was glauben Sie, liebe Leser, wo diese Gelder landen? Bestärkt man mit solcher „Hilfe” nicht die Kriegsparteien, immer weiter zu bomben, zu zerstören?
Was macht wer mit all diesen Millionen? Wiederaufbau? Entwicklungshilfe? So lange deutsche Steuerzahler der Fehlverwendung ihrer Mittel schulterzuckend zuschauen, werden die Sümpfe immer tiefer. Ab und zu kommt der deutsche Entwicklungsminister fernsehwirksam in Afghanistan oder im Jemen oder in Ruanda oder Mali vorbei, zeigt sich volkstümlich im durchgeschwitzten Oberhemd und faselt von deutschem Brunnenbau. In meinen Augen müsste die gesamte Entwicklungshilfe völlig anders organisiert und kontrolliert werden. Und unsere obskuren „Rüstungshilfen” ebenfalls. Jeder Falschparker in Deutschland wird stärker kontrolliert und intensiver verfolgt, als diese staatliche Millionenverschwendung, auch in der sogenannten „Entwicklungshilfe”.
Wie schön, im Gegensatz dazu auf See wirkliche Internationalität und eine gute Renaissance des Begriffs „Gastarbeiter“ zu sehen. Und damit Berufschancen für junge Leute aus vielen Ländern. Chancen, die sie ohne die Seefahrt gar nicht hätten. Na klar gibt es ein soziales Gefälle zwischen Passagier- und Mannschaftsdecks. Aber wenn die einen ihre Reise nicht bezahlen könnten, würden die anderen keine Heuer bekommen. Und wieviel besser ist es, wenn ein Millionär eine Luxus-Suite auf einem Schiff bezahlt, als eine Luxusvilla in einem Steuerparadies umweg-finanziert! Reichtum kann auch Motor sein. Manche Milliardäre haben erkannt, dass sie ihr Geld nicht fressen können. Zwar sind bisher alle historischen Versuche, die materielle Ungerechtigkeit auf diesem Globus zu ändern, gescheitert. Marx und Engels wurden stets von der menschlichen Habgier widerlegt. Ob in der UdSSR, ob in der DDR, ob auf Kuba oder gerade jetzt in Venezuela, ob in Nordkorea oder wo immer eine gerechtere Verteilung versucht worden ist – es ist gescheitert. Sogar in der sozialistischen Riesenrepublik China gibt es mittlerweile mehr Milliardäre als je zuvor in der Geschichte. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. Reichtum? Wäre nicht so schlecht, wenn ich ihn hätte. Könnte gern ein bisschen mehr davon gebrauchen. Sie auch? Ich jedenfalls wünsche jedem von Ihnen eine Balkonkabine des Lebens.
Herzlich, Ihr Herbert Fricke