FÄHRFAHRT · AUSGABE 3/2018
Seit 2016 trägt die DOVER SEAWAYS den neuen dunkelblauen Anstrich von DFDS Seaways. Foto: DFDS, Kopenhagen
Kai Ortel
Nachts nach Dünkirchen –
Von England zum Kontinent mit Nachtbus und Kombifähre
Nur noch eine von einstmals drei Fährgesellschaften nimmt in Dover überhaupt noch Fußpassagiere mit auf ihren Kurzstrecken über den Ärmelkanal. Und selbst das nur tagsüber, so stark sind die Beförderungszahlen seit der Eröffnung des Eurotunnels zurückgegangen. Doch mit etwas Glück und Planung gelangt man auch nachts an Bord einer der Fähren nach Calais oder Dünkirchen.
Nach 19:00 Uhr geht nichts mehr im Travel Centre im Hafen von Dover. P&O Ferries bietet dann nur noch „Lite Night”-Abfahrten nach Calais an, auf denen Fußpassagiere gar nicht befördert werden und wo selbst Autofahrer an Bord vor einigen geschlossenen Türen stehen, da dann viele Bars und Restaurants nicht mehr geöffnet sind. DFDS Seaways hat auf seinen Fähren nach Calais und Dünkirchen noch nie Fußgänger befördert und MyFerryLink diese Praxis 2012 gar nicht erst wieder aufgenommen, nachdem die Vorgänger-Reederei SeaFrance diesen Service schon 2009 abgeschafft hatte. Herumgesprochen hat sich dies indes noch nicht. Wer diese Tage in gutem Glauben an eine Nachtfahrt über den Ärmelkanal am Fuße der berühmten White Cliffs eintrifft, muss in der Regel in einem kleinen Wartehäuschen die Zeit bis zur ersten Abfahrt von P&O am nächsten Morgen totschlagen.
Mit dem Linienbus über den Ärmelkanal
Es sei denn, er bemerkt das etwas versteckt gelegene Ticketbüro der Busgesellschaft Eurolines am hinteren Ende des Travel Centres. Das Unternehmen verkehrt mit Linienbussen zwischen London und Paris, Amsterdam und Brüssel bzw. anderen größeren Städten, in denen man nachts auf dem Weg in die europäischen Metropolen einen Zwischenstopp einlegt. Viele Linienbusse nehmen zwar der Bequemlichkeit halber ebenfalls inzwischen den Eurotunnel, doch einige machen spät abends Halt in Dover, wo man für die Nachtfahrt zum Kontinent zusteigen kann, ehe der Bus im Hafen auf die Fähre rollt. Ein kleines Schiffssymbol im Eurolines-Fahrplan zeigt sogar an, welcher Bus mit der Fähre fährt und welcher nicht. Selbst die Reederei wird dort ausgewiesen, es ist entweder „Channel crossing by P&O” oder „Channel crossing by DFDS”. Nur Schiff und Abfahrt kann Eurolines nicht im Voraus nennen, wie der ältere Herr im Büro der Busgesellschaft in Dover an diesem ungemütlichen Septemberabend erzählt. Dafür sei der Busfahrplan zu anfällig für Staus in und um London und für das Wetter, das nicht nur dem Bus Geschwindigkeitsbegrenzungen auferlegt, sondern auch gerne mal die Fahrpläne der zur Verfügung stehenden Fähren durcheinanderwirbelt. Wofür der heutige Tag ein Paradebeispiel ist, denn seit am Nachmittag ein veritabler Sturm über dem Ärmelkanal tobt, läuft plötzlich keine der Kanalfähren mehr pünktlich in Dover ein oder aus. Seine vage Prognose lautet daher: „I can’t tell you the name of the ship, but it’s probably P&O. Hope you get a nice one!” Letzteres bezieht sich darauf, dass die Reederei mit ihren Flaggschiffen SPIRIT OF BRITAIN und SPIRIT OF FRANCE 2011 zwar zwei riesige und moderne Neubauten auf der Route Dover – Calais in Dienst gestellt hat, die drei übrigen Schiffe auf der Route mit den beiden „SPIRITS” aber kaum mithalten können in Sachen Komfort. Laut Fahrplan würde es heute jedenfalls auf die 23:15 Uhr-Abfahrt der SPIRIT OF FRANCE hinauslaufen, wenn Bus und Schiff pünktlich sind, doch zumindest letzteres ist am Ende nicht der Fall.
Denn der Bus aus London kommt zwar trotz Wind und Wetter („It’s horrible, isn’t it?”) pünktlich auf die Minute um 22:45 Uhr in Dover an, doch da ist von der SPIRIT OF FRANCE weit und breit nichts zu sehen. Auch reiht sich unser Bus am Check-In plötzlich in die Spur von DFDS Seaways, anstatt von P&O ein. Problem: Auch deren Schiff (Ankunft aus Calais: 23:30 Uhr) ist noch nicht in Sicht. „Delayed owing to adverse weather conditions” nennt das die Digitalanzeige am Kai. Nur die DOVER SEAWAYS kommt gerade rein, ebenfalls verspätet. Sie hätte bereits um 22:00 Uhr aus Dünkirchen ankommen sollen, legt jedoch gerade mal um 23:00 Uhr an.
Tatsächlich geht es am Ende nicht via Calais über den Ärmelkanal, sondern mit besagter DOVER SEAWAYS nach Dünkirchen. Die hat jedoch nicht nur den Vorteil, dass sie länger unterwegs ist (man also ein bisschen länger schlafen kann an Bord), sondern dass sie auch nicht so voll ist wie die Fähren nach Calais. Denn letztere Verbindung ist immer noch die Hauptstrecke über die Dover Strait, wovon eine weitere Digitalanzeige am Kai eindrucksvoll Zeugnis ablegt. „Yesterday 9.588 cars, 351 coaches, 43.564 passengers and 5.030 lorries travelled through the port of Dover”, heißt es da stolz, und das war nur ein Samstag im September. In der Hauptsaison liegen diese Zahlen schon mal dreimal höher. Davon entfällt jedoch nur ein Bruchteil auf die DFDS-Verbindung nach Dünkirchen, die noch immer den Status eines Geheimtipps unter den Fährlinien nach England innehat.
Von Norfolk Line zu DFDS Seaways
Eingerichtet wurde der Dienst zwischen Dünkirchen und Dover im März 2000 von der dänischen Norfolk Line (Reedereigruppe AP Møller-Maersk). Zunächst eine reine Frachtlinie, wurden ab Juni 2000 dann auch PKW befördert. Zum Einsatz kamen anfangs die Kombifähren NORTHERN MERCHANT und MIDNIGHT MERCHANT; 2002 kam mit der DAWN MERCHANT jedoch bereits ein drittes Schiff hinzu, mit dessen Hilfe die tägliche Abfahrtsfrequenz auf der 35 Seemeilen langen Route von sechs auf zehn pro Richtung erhöht werden konnte. Wenig später platzierte die Norfolk Line bei Samsung Heavy Industries in Südkorea die Order für drei Neubauten, die 2005/06 als MAERSK DUNKERQUE, MAERSK DELFT und MAERSK DOVER abgeliefert wurden und die die drei MERCHANTs ersetzten. Mit ihrer Höchstgeschwindigkeit von 25 Knoten waren die MAERSK DUNKERQUE und ihre Schwesterschiffe sogar dafür ausgelegt, die Überfahrtszeit zwischen Dünkirchen und Dover auf eine Stunde und 45 Minuten zu reduzieren. In der Praxis hat es sich jedoch als am wirtschaftlichsten erwiesen, die Schiffe mit leicht reduzierter Geschwindigkeit und einer Fahrtdauer von zwei Stunden einzusetzen. Ende 2009 übernahm die dänische Fährreederei DFDS die Norfolk Line von Møller-Maersk und integrierte den Fährdienst über den Ärmelkanal 2010 in das Netzwerk von DFDS Seaways. Die drei Neubauten aus Südkorea verkehren seitdem unter den Namen DUNKERQUE SEAWAYS, DELFT SEAWAYS und DOVER SEAWAYS.
Kurz nachdem sein Fahrzeug auf dem Autodeck zum Stehen gekommen ist, macht der Busfahrer eine weitere Ansage, damit nachher niemand hilflos an Bord der DOVER SEAWAYS zurückbleibt. Sein Bus trage die Nummer 347, und er stehe auf Deck 4, am Ende des grünen Treppenhauses. Sobald bei unserer Ankunft im Hafen der Aufruf erfolgt, dass alle Passagiere sich zu ihren Fahrzeugen begeben sollen, mögen auch wir uns bitte wieder am Bus einfinden. Sprach’s, und entließ uns in unsere Nachtfahrt nach Dünkirchen.
Wobei Nachtfahrt relativ ist, schließlich gibt es ja keine Kabinen auf einer Fähre, die gerade einmal zwei Stunden unterwegs ist. Doch Platz ist trotzdem reichlich vorhanden auf dem Schiff, das immerhin für maximal 1.000 Passagiere ausgelegt ist und nicht nur für zwei halbvolle Reisebusse und ein knappes Dutzend PKW. Gleich über zwei Decks (6 und 7) verteilen sich die öffentlichen Räume für die Passagiere, wobei sich sowohl an Steuerbord als auch vorne im Schiff jeweils eine große Panorama-Lounge befindet, die sich über zwei Etagen erstreckt. Darüber hinaus verfügt die DOVER SEAWAYS über drei Restaurants (Bistro, Büffet-Restaurant und Food Express), zwei Bars (Lounge Bar, Deck 6 und Veranda Bar, Deck 7) und zwei gediegen eingerichtete First Class Lounges. (Für letztere ist ein Zuschlag erforderlich.) Abgerundet wird das Bordangebot durch einen großen Shop mittschiffs auf Deck 6 und einen Kids Club, in dem die kleinen Passagiere die Überfahrt spielend und tobend verbringen können.
Um 23:30 Uhr entschuldigt sich der Kapitän in seiner Durchsage noch schnell für die verspätete Abfahrt, hofft aber für die bevorstehende zweistündige Überfahrt „to catch up a bit”. Dann geht es auch schon raus auf den Ärmelkanal, wo aber nur während der ersten paar Minuten noch zu spüren ist, was auf der Anzeige im Hafen vorhin noch als „adverse weather” bezeichnet worden war. Kurze Zeit später ist davon kaum mehr etwas zu merken, denn im Gegensatz zur Tagestour nach Calais nur Stunden zuvor ist es plötzlich gar nicht mehr so kalt und windig an Deck, und auch der Regen hat endlich aufgehört. Stattdessen ist es ein richtig schöner Herbstabend auf dem Achterdeck der DOVER SEAWAYS, die nur sanft hin und her rollt, während sich über ihr der Mondschein durch die letzten Wolken kämpft. Angenehmer kann eine Rückreise von England zum Kontinent nicht ausklingen.
Entspannung pur
Auch unter Deck geht es entspannt zu. Anstelle von Schulklassen, die wie auf den Fähren zwischen Dover und Calais oftmals gleich in größerer Zahl die öffentlichen Räume lautstark in Beschlag nehmen, sind es auf der DOVER SEAWAYS an diesem Abend nur ein paar Dutzend Passagiere, die sich das riesige Schiff untereinander aufteilen müssen. Da bleibt nicht nur genügend Platz für jeden einzelnen, sondern auch Zeit, in Ruhe im Shop nach einem Schnäppchen oder einem Andenken zu stöbern. Auch findet sich an Bord endlich, und das gleich in mehrfacher Ausführung, das lange gesuchte, aber nie gefundene kleine Rettungsschiffchen der englischen Seenotrettungsgesellschaft RNLI, dass einem pünktlich bei der Ausreise aus dem Land dabei hilft, das eigene Portemonnaie von überzähligem Kleingeld zu befreien.
Die meisten Passagiere nutzen aber die zwei Stunden zwischen Dover und Dünkirchen für ein Nickerchen auf Sofas, in Sesseln oder auf dem Fußboden. Doch was auf anderen Schiffen störend wirkt, wo es z. B. genügend Ruhesessel oder Kabinen gibt, fällt auf der DFDS-Fähre gar nicht weiter auf, weil es vergleichsweise wenig Passagiere sind, die sich dazu auf dem großen Schiff auch noch gut verteilen.
Gegen 00:45 Uhr lässt die DOVER SEAWAYS das hell erleuchtete Calais an Steuerbord liegen und fährt stattdessen weiter die französische Küste entlang nach Nordosten. Die einzigen Geräusche an Bord sind da nur noch die Reporterstimmen aus den Fernsehern in den Lounges und an Deck das Rattern und Dröhnen des Schornsteins mit dem großen Malteserkreuz, dem Emblem der Reederei DFDS. Fast möchte man so noch ein Stück weiterfahren, als wir eine halbe Stunde später bereits die Hafeneinfahrt von Dünkirchen passieren. Plötzlich liegt statt der salzigen Seeluft der Geruch von Öl und Benzin in der Luft, das im Hafen von Dünkirchen im großen Stil verarbeitet wird. Um 1:20 Uhr schließlich werden die Autodecks geöffnet, und die DOVER SEAWAYS macht sich bereit, direkt neben ihrem Schwesterschiff DUNKERQUE SEAWAYS anzulegen. Die Autofahrer können gleich ihr Schild mit dem Aufdruck „DVDK 2200” hinter der Windschutzscheibe entfernen, und auch unser Bus darf als eines der ersten Fahrzeuge von Bord. Da ist es genau 1:33 Uhr, und während in Dover andere Fußpassagiere noch auf die erste Morgenfähre nach Calais warten müssen, macht sich der Eurolines-Bus der Linie 143 in Dünkirchen auf den Weg über die leeren Autobahnen Frankreichs und Belgiens nach Amsterdam. Kaum jemals war eine Schiffsreise über den Ärmelkanal so herrlich entspannt wie diese. Von einer Fahrt durch den Tunnel ganz zu schweigen. www.dfdsseaways.de
Technische Daten und Steckbrief MS DOVER SEAWAYS
Bauwerft: Samsung Heavy Industries, Koje (Südkorea), 2006; Ex-Name: MAERSK DOVER (2006-2010); Im Dienst: seit dem 23. Juli 2006; Flagge : Großbritannien; Heimathafen: Dover; Tonnage : 35.923 BRZ; Länge: 186,65 Meter; Breite: 28,40 Meter; Tiefgang: 6,80 Meter; Passagiere: 1.000;Autos: 200; Leistung: 38.400 kW; Höchstgeschwindigkeit: 26,9 Knoten.
Der Heimathafen der DOVER SEAWAYS befindet sich direkt am Fuß der berühmten Kreidefelsen von Dover. Foto: DFDS, Kopenhagen
Im Schnellrestaurant „Food Express” kann man sich auch während der Nachtfahrten stärken. Foto: Kai Ortel, Berlin
Eine elegante Arkade mit gemütlichen Lounges führt in Hufeisenform um den vorderen Teil der DOVER SEAWAYS herum.
Foto: Kai Ortel, Berlin
Mehr als genug Platz: Die Relax Lounge der DOVER SEAWAYS ist während der Nachtfahrt wenig frequentiert. Foto: Kai Ortel, Berlin
Die große TV Lounge ganz vorne im Schiff ist tagsüber aufgrund der hohen Panoramafenster in Fahrtrichtung der
beliebteste Platz an Bord. Foto: Kai Ortel, Berlin
Auch das großzügig dimensionierte Veranda Bistro ist während der Nachtfahrten zwischen Dover und Dünkirchen so gut
wie ausgestorben. Foto: Kai Ortel, Berlin
Die DOVER SEAWAYS, hier noch in ihrem alten Farbkleid, vor der majestätischen Kulisse der Kreidefelsen von Dover.
Foto: DFDS, Kopenhagen