MS DEBORAH gleitet mit vier Kilometern pro Stunde durch den Loire-Seitenkanal.
Fotos: Dr. Peer Schmidt-Walther, Stralsund
Dr. Peer Schmidt-Walther
Durchs Herz von Frankreich mit MS DEBORAH
100 Kilometer im Schritttempo auf dem Loire-Seitenkanal
Die Oberleitungsmasten fliegen nur so vorbei. Kurz nachgerechnet ergibt sich ein Tempo von 360 Sachen. Der französische Hochgeschwindigkeitszug TGV lässt keinen Gedanken daran aufkommen, schon bald komplett ausgebremst zu werden – auf dem Péniche-Kabinenschiff DEBORAH.
Briare, in der Region Loiret. Das kleine Städtchen liegt an der Grenze zum Burgund, wo auch der Verbindungskanal zwischen Seine und Loire mündet. Schon 1642 wurde hier nach 38 Jahren Bauzeit der Briare-Kanal fertiggestellt, der erste größere in Europa. Wasser und Land sind hier also eng miteinander verflochten, wofür nicht nur die zahlreichen Brücken und Schleusen ein beredtes Indiz sind.
Früher wurden die Waren der Loire-Schiffe im seeartigen Hafen auf die großen Kanalfrachter umgeschlagen. Seinen Wohlstand verdankt Briare daher im Wesentlichen der Binnenschifffahrt. Was man nicht nur an den stattlichen Häusern, der mächtigen Kirche Eglise Saint-Etienne und zwei Schlössern ablesen kann, sondern auch im Schifffahrts-Museum des Deux Marines et du Pont Canal erfährt. Ein Besuch lohnt sich allemal, bevor man an Bord geht.
Charme nautique außen und innen
Erste Begegnung im Port de Commerce am Quai Mazoyer. Sie wirkt – blau-weiß und auf Hochglanz poliert – mit ihren 38 Metern geradezu wie ein Koloss inmitten der kleinen Hausboote. Am bulligen Steven der in blitzenden Stahllettern angeschweißte Name: DEBORAH. „Charme nautique”. So jedenfalls liest man es am Marina-Gebäude gegenüber. Passt!
Ein junger, schwarzbärtiger Typ mit Basecap, T-shirt und kurzen Hosen will sich gerade auf sein Klapprad schwingen. Er bemerkt mich und stoppt abrupt: „You are …?” Per kräftigem Handschlag gibt er sich lachend als Kapitän zu erkennen. Rodolphe Magnin aus Lyon ist zwar erst 35, aber Chef „seines Dampfers”. „Wir haben noch viel Zeit”, tritt er schließlich in die Pedale und verschwindet hinter Rosenbüschen in einer Gasse Richtung Stadt. Seine Freizeit ist knapp bemessen, denn ab 19 Uhr startet der Gäste-Empfang im Salon.
Auch Célia Pszczolka, die Purserin, empfängt mich herzlich strahlend. Auf dem Treppenpodest eine Orchidee und ein Schild mit den Namen der Passagiere. Eine gute Idee! So kommt man vielleicht schneller ins Gespräch, wenn man sich persönlich ansprechen kann. Hier genügt der Vorname. Joana mit dem unweiblichen Nachnamen Casanova führt hinab aufs Kabinendeck.
Début und Gourmet-Menü
Stilvoll und absolut modern in Grau, Blau und Weiß gehalten, fühlt man sich gleich wohl in dem kleinen Reich für sieben Tage. Stauraum ist dennoch genügend vorhanden und das Bad erstaunlich geräumig. Bis ans Fenster gluckert das grüne Kanalwasser.
Der Sekt perlt in den Gläsern, während die sechsköpfige Crew ihr Début gibt. Beifall ist die Belohnung dafür. Im sonnendurchfluteten Restaurant indes hat sich bereits Christophe Muller aufgebaut wie auch später zweimal am Tag. Der gewichtige Elsässer, in blendendem Weiß mit hoher, steifer Mütze, wartet auf die hungrige Gäste-Meute. Seine Menü-Folge lässt einem schon vorab das Wasser im Munde zusammenlaufen: Spargel, Entenbrust, eine lokale Käseauswahl, Erdbeer-Mousse und Weine. Produkte, wie Christophe betont, die frisch aus der Region stammen und ein Bio-Siegel führen. Gespannt sind auch meine belgischen Tischnachbarn Christiane, René und Pierre, mit denen schnell eine muntere Unterhaltung in Gang kommt. Auf Französisch, Englisch – und sogar Plattdeutsch, das die Niederländisch sprechenden Flamen gut verstehen. Wir beschließen spontan zusammenzubleiben, obwohl freie Tischwahl herrscht.
Geradezu angeflogen kommt die blonde estnische Serviererin Egle Lukoseviciote aus Klaipeda, dem früheren Memel. Die immer freundliche junge Frau könnte problemlos das „Ännchen von Tharau”, die Symbolfigur ihrer Heimatstadt, abgeben.
Stahl-Kanal zeigt Romantik-Flair
Überraschung nach dem Absacker auf dem Vorschiff. Kapitän Rodolphe, jetzt respektvoll in Uniform mit goldenen Streifen auf den Schulterstücken seines weißen Hemdes, verkündet, dass man jetzt auslaufen werde. Er möchte uns den Sonnenuntergang über der Loire präsentieren. Sachte dirigiert der „Commandant” per fingerdünnem Joystick das 250-Tonnen-Schiff in die Hafenmitte und peilt von seinem Außensteuerstand die erste Kanalbrücke an. Köpfe einziehen ist angesagt. Dahinter öffnet sich voraus ein schnurgerader silberner Wasserstrahl: die legendäre Briare-Brücke über die Loire. Der wilde Fluss gurgelt tief unter der DEBORAH zwischen Sandbänken dahin, eingefasst von dichtem Uferwald.
Maschine Stopp! Der Augenblick für Rodolphe. Er federt aufs Sonnendeck. Von hoher Warte spricht er zu seinem Passagier-Völkchen: „Mesdames et monsieurs! Die Überquerung der Loire in Briare war lange Zeit ein Abenteuer. Bei Niedrigwasser mussten die Schiffe geleichtert werden, und bei Hochwasser waren die Deiche überspült, so dass die Lastkähne nicht getreidelt werden konnten und festlagen”, erklärt er die historische Situation. Von 1886 bis 1897, so erfährt man von ihm weiter, wurde schließlich der Loire-Seitenkanal nach Norden bis Briare verlängert und die Kanalbrücke aus leichtem, tragfähigen, kohlenstoffarmen Stahl gebaut. Die Bewohner waren, wie das so ist, anfangs dagegen, aber heute zählt sie zu den schönsten Wasserbauwerken des französischen Wasserstraßennetzes: Diese inzwischen touristische Attraktion ist rund 663 Meter lang, hat eine Passagebreite von 6,20 Metern, der Tiefgang ist bis 2,20 Meter zugelassen; ihr Gewicht beträgt 13.600 Tonnen, wozu noch der Wasserinhalt von 13.680 Tonnen kommt; alles zusammen ruht auf 14 Pfeilern und kann bei Reparaturarbeiten oder Frost durch zwei Tore verschlossen werden. Vier Pfeiler, mit gusseisernen Motiven verziert, begrenzen Ein- und Ausfahrt.
Die Weingläser klingen, als der glühende Sonnenball die Loire in ein Flammenmeer verwandelt und bald nur noch die schwarzgeränderten Scherenschnitte der Bäume den in allen Farben glühenden Himmel ankratzen. Kanalromantik pur.
Canal latéral à la Loire mit Fingerspitzengefühl
Am nächsten Vormittag sind alle auf Briare-Erkundung, das ich schon kenne. Länger schlafen wäre schön, doch die Frühstückszeit ist leider dem Ausflug angepasst. Doch Egle lässt mit sich reden, so dass ich noch eine halbe Stunde „Verlängerungsfrist” bekomme. Wenigstens etwas.
Doch dann geht’s richtig los. Rodolphe startet seine „Pferde” und Kevin holt um elf Uhr die Leinen ein. Ein zweites Mal liegt die Kanalbrücke vor uns – mit Wasser und viel Luft unterm Kiel. Spaziergänger und Radfahrer begleiten die moderne Péniche. Man fragt nach dem Woher und Wohin und wundert sich, dass DEBORAH in ihrem Kanalbett seitlich nur wenige Zentimeter Platz hat. Würden hier Blumen wachsen, man könnte sie bequem von der Reling aus pflücken. Rodolphe hält derweil seinen „Dampfer” penibel auf einem absolut mittigen Kurs, um ja nicht anzuecken und die königsblaue Farbe anzukratzen.
Vom ersten Dörfchen hinter der pont canal ragen nur der Kirchturm und die Dächer über den Deich, bis DEBORAH in den Wald eintaucht, der das hohe Steilufer der Loire umkränzt. Frischer Heu-Duft liegt in der Luft, die alle begierig einsaugen. Vor der nächsten Kurve wird es eng, als voraus eine Péniche unter englischer Flagge auftaucht. Ihr Schiffer, unter einem riesigen Sonnenschirm hockend, kurbelt aus der Fahrwasser-Mitte hektisch nach Steuerbord. Rodolphe muss ans Ufer ausweichen, um das herumschwingende Heck des schwerfälligen Kahns ohne Berührung passieren zu können. „Hier muss mit Fingerspitzengefühl navigiert werden”, kommentiert Rodolphe die Begegnung, „aber viele Charterboot-Fahrer ohne Führerschein können das nicht”. Für den jungen Kapitän alles kein Problem: enge und niedrige Brückenpassagen und schmale, gerade mal schiffslange Schleusenkammern. Nicht zuletzt auch das letzte Highlight der rund 100 Kilometer langen Strecke: die gewaltige Schleuse von Guétin mit fast zehn Meter Hub und die daran anschließende Kanalbrücke über den naturbelassenen Fluss Allier.
Zwischen Entschleunigung und Aktivität
Im Vier-Kilometer-„Tempo” gleitet DEBORAH dahin, so dass sogar Fußgänger bequem überholen können. „Das ist wahre Entschleunigung”, genießt Louis Philippe, pensionierter Kapitän zur See der französischen Marine, den Nachmittag entspannt im Liegestuhl mit weitem Blick über die Wald-Feld- und Wiesenlandschaft. Nur hin und wieder verfallene Gehöfte oder ein verschlafenes Dörfchen, das in der Sonnenglut wie verlassen erscheint. Die sanfte Landschaft mit ihren roten Klatschmohn-, dottergelben Ginster- und blauen Kornblumen-Farbtupfern wirkt zusätzlich beruhigend, so dass selbst gestresste Großstadtmenschen sich bald dem neuen Rhythmus anpassen. Nicht zuletzt auch bedingt durch ausgiebiges Essen, Weinseligkeit und ungestörten Schlaf.
Wer es aktiv möchte, bitteschön, der kann sich auch in den Sattel schwingen und auf den Treidelpfaden, heute gut ausgebaute Radwege, vorausfahren oder auch wandern. Das Programm bietet einige Punkte an, wo das möglich gemacht wird. An den Übernachtungsstellen ist das ohnehin kein Problem.
Meistens wird am Spätnachmittag an- und am Spätvormittag abgelegt, so dass man auf Ausflug gehen oder alternativ lieber die Zeit nutzt für individuelle Erkundungen zu Fuß oder per Rad. An Bord liegen Bildbände, Karten und Prospekte aus, die dabei, neben den Tipps der Crew, behilflich sind. Ob man an einen einsamen Loire-Strand baden, mittelalterliche Orte wie Léré, Herry, das wunderschön gelegene Sancerre, die UNESCO-Stadt La Charité-sur-Loire oder das geschichtsträchtige Nevers bei Nacht erkunden möchte. Weinduft und Lebensfreude ziehen hier durch die romantischen Gassen.
Der Erlebnisvielfalt sind hier keine Grenzen gesetzt ‒ nach dem Montaigne-Motto aus dem 16. Jahrhundert, das irgendwo an einem Kneipenfenster gepinselt ist: „Mein Beruf ist meine Kunst – mein Leben”. Die DEBORAH-Crew hat sich das, ohne es zu wissen, längst auf die Fahne geschrieben.
MS DEBORAH
Bauwerft: Chantier Meuse et Sambre de Namur, Belgien; Baujahr: 2015/16; Taufe: 18. März 2016 in Strasbourg durch Déborah Schmitter, Enkelin des Firmengründers Gérard Schmitter; Eigner: CroisiEurope, Strasbourg; Länge: 39 m; Breite: 5 m; Tiefgang (maximal): 1,60 m; Tonnage: 250 t; Typ: Péniche-Kabinenschiff; Antrieb: 2 umweltfreundliche Maschinen zu 350 PS, Typ Volvo CCNR2; 1 Sonnendeck, 1 Restaurant, 1 Salon mit Außendeck auf dem Vorschiff; Kabinen: 12 (Doppel); Passagiere: 24; Crew: 6; Schwesterschiffe: JANINE, ANNE-MARIE, MADELEINE, RAYMONDE, DANIELE (verkehren auf fünf weiteren reizvollen französischen Kanälen); Heimathafen: Strasbourg; Flagge: Frankreich.
Bewertung
Familiär-legere Atmosphäre in sehr kleinem Kreis; hervorragende Essensqualität (u.a. Produkte von lokalen Märkten; regionale Rezepte); freie Getränke; moderate Ausflugspreise; moderne Einrichtung; zweckmäßige Kabinen; sehr freundliches, kompetentes Personal; freie Tischwahl; Bordsprache Französisch, Englisch und teilweise auch Deutsch; freies Wi-Fi in Salon und Bar; reedereiinterne Bewertung: 5 Anker; sehr gutes Preis-Leistungsverhältnis.
Gefahrene Strecke (7 Tage): 100 Kilometer mit 19 Schleusen
Die Loire, ein wegen ihres schwankenden Pegels schwierig zu navigierendes Gewässer, ist mit 1.020 Kilometer der längste Fluss Frankreichs. Sie entspringt im Zentralmassiv und fließt erst nördlich bis Orléans, dann nach Westen bis Saint-Nazaire, wo sie in den Atlantik mündet. Oberhalb von Angers ist sie für größere Fahrzeuge nicht mehr schiffbar, bis Nantes jedoch für Seeschiffe. Theoretisch war der Fluss bis Ende des 19. Jahrhunderts von Nantes bis Roanne nordwestlich von Lyon schiffbar. Tatsächlich war die Schifffahrt nicht nur schwierig, sondern auch gefährlich. Es gab im Winter zu viel Wasser und im Sommer riesige Sandbänke, Die Loire-Kähne waren deshalb leicht und hatten nur eine geringe Ladekapazität. Die meisten machten nur eine Fahrt zu Tal. Am Ziel nahm man sie auseinander und verkaufte das Holz.
1879 wurden vom französischen Verkehrsminister Freycinet die Schiffsabmessungen an die Schleusenmaße der Kanäle angepasst. Dafür wurde der kastenförmige Schiffstyp der Péniche entwickelt mit 38,5 m Länge, 5,05 m Breite und maximal 2,50 m Tiefgang. Die ursprüngliche Ladekapazität von 400 t musste wegen der Schleusen auf 250 t reduziert werden. Dadurch verlor das Wasserstraßennetz seine Bedeutung für die Binnenschifffahrt. Aber irgendwann fehlte die Ost-West-Verbindung doch, und man begann von einer kanalisierten Loire von Roanne bis Nantes zu träumen. Der Ingenieur Auguste Mahaut indes bevorzugte einen Seitenkanal, der sein Wasser aus der Loire beziehen sollte. 1820 begannen die Bauarbeiten dafür auf der Strecke Roanne-Briare und wurden 18 Jahre später beendet. Wobei der Loire-Seitenkanal, der im Wesentlichen am linken Loire-Ufer verläuft samt zwei Kanalbrücken über den Fluss, Digoin mit Briare und der zweite Kanal Roanne mit Digoin verbindet. Auf 200 Kilometer gibt es nur ein schwaches Gefälle von 140 Metern mit 47 manuellen Schleusen.
Blick ins Bad sowie auf Schrank und Mini-Schreibtisch.
Bad mit WC und Dusche (rechts). |
Die beiden bequemen Betten der zweifenstrigen Kabine. |
Der in modernem Design gestaltete Salon.
Das Achterdeck mit Whirlpool.
Unter schützenden Sonnenschirmen des Achterdecks.
Der Kapitän eröffnet die Vorstellung.
Lockere Vorstellungsrunde mit der kleinen Crew. Der immer strahlende Kapitän Rodolphe Magnin.
Jede Mahlzeit ist ein Genuss – Tischwein natürlich inklusiv.
Mitten im Grünen lässt es sich trefflich dinieren.
Chefkoch Christophe Müller bedient selbst den Grill. |
Steak und gegrillte Würstchen sind beim Barbecue am meisten nachgefragt. |
Die lettische Stewardess Egle sorgt stets für eine freundliche Bedienung.
Salat und Käse gehören am Menü-Schluss immer dazu.
Blick auf den Bootsghafen von Briare.
Marktplatz von Briare mit der überragenden Eglise St. Etienne.
Kneipe an der Ostseite der legendären Brücke über die Loire in Briare.
Der beidseitig begehbare Trog der Loire-Kanalbrücke in Briare.
Über Hausdächern schwebend erreicht man die Westzufahrt zur Loire-Kanalbrücke.
Ein Regionalexpress aus Paris hält in Briare.
Das Luxus-Kabinenschiff RENAISSANCE passiert die Loire-Kanalbrücke.
MS RENAISSANCE im engen Bett der Loire-Kanalbrücke.
Knappe Begegnung auf dem Loire-Seitenkanal.
Hausboot in der Ostausfahrt der Brücke über die Loire.
Wandern durch die Weinberge des mittelalterlichen Städtchens Sancerre.
Unter einer Kanalbrücke mündet die wilde Alliers in die Loire.
Letzte Kilometer: stille Kanalfahrt nach Nevers.